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3.3Hör auf den Sinn

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Die einfachste Sinn-Ebene ist die der Wörter und Wortzusammenhänge auf einer Fakten-Ebene. Wenn unser Protagonist auf einem Esel reitet, dann ist es ein Esel, kein Pferd und kein Kamel. Der Esel und das Reiten des Esels können je nach szenischem Kontext, noch eine weitere Sinn-Ebene haben.

Wie wir schon am Beispiel der Namen gesehen haben, können uns Spezifizität und emotionale Verknüpfung helfen, das Gehörte zu erfassen und in unserem Gedächtnis abzuspeichern.

Eine weitere Möglichkeit des Memorisierens ist, ein Schlüsselwort des Gegenübers zu wiederholen, indem man es in einen eigenen Satz einbaut. Das mag mechanisch klingen, aber wir finden diese Technik auch in Filmen und selbst bei Shakespeare. Sogar wenn bei Shakespeare zwei Todfeinde einander bekämpfen, hören sie zu, verlassen nie die präzise Sprache und gehen stets auf das Gehörte ein. Nehmen wir die zweite Szene des ersten Akts aus Richard III., in der Gloster (der spätere Richard III.) die Witwe des von ihm getöteten König zu bezirzen versucht.

Anna: „Bube, du kennst kein göttlich, menschlich Recht:

Das wilde Tier kennt doch des Mitleids Regung.“

Gloster: „Ich kenne keins und bin daher kein Tier.“

Anna: „O Wunder, wenn ein Teufel Wahrheit spricht!“

Gloster: „Mehr Wunder, wenn ein Engel zornig ist …

Geruhe, göttlich Urbild eines Weibes,

Von der vermeinten Schuld mir zu erlauben

Geflissentlich bei dir mich zu befrein.“

Anna: „Geruhe, giftger Abschaum eines Mannes,

Für die bekannte Schuld mir zu erlauben,

Geflissentlich zu fluchen dir Verfluchtem!“

Beide Sprecher beziehen sich stets auf das soeben Gesagte. Sie nehmen Sinn und einzelne Wörter auf und einzelne Metaphern. (Wäre die Szene improvisiert, könnte man hinzufügen: Die Spieler verstärken das zugrunde liegende Spiel von Bezirzen versus Verfluchen.)

Schon wenn wir auf der einfachsten Ebene, der Wortwiederholung anfangen, wirkt es auf die Zuschauer wie ein geniales Zusammenspiel und ein geschmeidiges Aufeinandereingehen. Wenn es uns darüberhinaus gelingt, auch Sinnbilder aufzunehmen statt sie (wie es gerade in dramatischen Konfliktsituationen oft reflexartig geschieht) fortzuwischen, gelangen wir zu einem mühelosen Zusammenspiel mit unserem Partner, dessen Eleganz vom Publikum wahrgenommen wird.

Der Sinn geht also über die Wortbedeutung hinaus. Das wird noch deutlicher, wenn wir bedenken, dass jedes verbale Angebot, ja selbst die Art und Weise, wie jemand dasteht, atmet, handelt, eine emotionale Komponente in sich trägt. Stellen wir uns als Anfangssatz einer Szene folgenden Satz vor:

„Natürlich, ich gehe heute zur Chefin und bitte sie um eine Gehaltserhöhung.“

Neutral gesprochen verstehen wir, dass der Sprecher beabsichtigt, heute genau das zu tun, was er sagt. Der Satz könnte eine nonchalante Antwort auf die Bitte sein, sich um die Verbesserung des Haushaltseinkommens zu kümmern. Aber stellen wir uns vor, der Satz wird mit einem ironisch-süffisanten Unterton geäußert. Schon hat das Angebot eine andere Bedeutung. Die eigentlich kommunizierte Botschaft ist nun vielmehr:

„Ich kann doch nicht so mir-nichts-dir-nichts zu meiner Chefin gehen und sie um eine Gehaltserhöhung bitten.“

Daraus könnte man schließen, dass die Handlung an sich absurd ist, vielleicht weil der Sprecher Beamter ist oder dass es in dem Satz eigentlich um die Chefin geht, mit der man über solche Dinge gar nicht reden kann.

Was aber wäre, wenn der Sprecher seiner Partnerin den Kopf streichelt und diese Worte in tröstendem Tonfall äußert? Schon wieder eine komplett neue Szene. Der emotionale Gehalt könnte nun suggerieren, dass die Haushaltslage des Paares verzweifelt ist und der Sprecher nichts unversucht lassen wird, um daran etwas zu ändern.

Im Alltag tun wir genau das: Wir interpretieren aus Tonfall und Stimmlage eine emotionale Botschaft, für die zwar manche von uns aufnahmebereiter sind als andere, die aber generell mitgehört wird. Einigen Studien zufolge nehmen wir in Alltagsgesprächen sogar den Hauptteil des Gesagten emotional auf. Missverständnisse in Paarbeziehungen laufen oft genau auf die Differenz von Wortbedeutung und emotionaler Interpretation hinaus.

Sie (kommt mit Kopfschmerzen ins Zimmer): „Kannst du mal bitte das Fenster schließen?“

Er: „Natürlich! Deshalb brauchst du doch hier nicht so rumzumaulen.“

Sie: „Warum hasst du mich?“

Auf der Bühne scheinen Impro-Spieler manchmal taub zu sein für die emotionalen Feinheiten. Sie hören nur an der Oberfläche des Gesagten zu oder bleiben oberflächlich bei dem, was sie sagen. Das Zuhören auf der Ebene der Emotionen gelingt uns genau dann, wenn wir uns selber emotional öffnen. Lass den Kanal von deinen Ohren zu deinem Herzen offen und du wirst sensibilisiert für die Feinheiten der Botschaften.20

Improvisationstheater

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