Читать книгу Improvisationstheater - Dan Richter - Страница 48
3.4Höre auf das Spiel-Angebot
ОглавлениеIch habe es im Kommentar zur Shakespeare-Szene bereits erwähnt: Wenn wir mit allen Sinnen wahrnehmen, dann „lesen“ wir nicht nur die Wörter, die Sinnzusammenhänge und das szenisch-dramatische Angebot unseres Partners, sondern auch das angebotene Spiel21. Wenn wir uns die Szene noch einmal als Impro-Szene vorstellen würden, sehen wir Spiel-Angebote von „Anna“ gleich auf mehreren Ebenen, die ein aufmerksam zuhörender Spieler sofort erkennt:
•Die Sprech-Ebene: Wir hören, die Sprache ist etwas altertümlich („Bube“, „göttlich Recht“).
•Die stilistische Ebene: Uns werden fünfhebige Jamben als Versmaß angeboten. Das heißt, dass wir uns wahrscheinlich in einem klassischen Drama befinden. Hier in Alltagssprache zu antworten, wäre ein krasser Bruch.
•Die Ebene des inhaltlichen Spiels: Anna verflucht ihr Gegenüber. Wenn dies die ersten Zeilen der Szene wären, hätte der Gloster-Spieler noch eine ganze Reihe von Optionen. Er könnte zum Beispiel zurückfluchen, er könnte sie verspotten oder bestrafen. In der konkreten Szene aber versucht er, die Schuld von sich zu weisen und Anna Komplimente zu machen. Da „Anna“ ebenfalls zuhört, ergibt sich ab ihrem nächsten Satz das Spiel, das von beiden fortgeführt wird.
Wenn wir gut zuhören und unser inneres spielendes Kind freisetzen, gelingt es uns nicht nur, ein Spiel zu erkennen, sondern auch selbst aus einem einfachen Angebot ein Spiel zu erschaffen. Worauf müssen wir also achten? Auf alles! Im Prinzip kann jedes Detail zum Spiel werden. Das Spiel wird zum Spiel ab der zweiten Wiederholung. Wenn sich Anna und Gloster also einmal beschimpfen und einmal bezirzen, dann würde man es noch nicht als Spiel bezeichnen, würden sie es zwei Mal tun, wäre es eine Wiederholung. Erst die Variation lässt das Spiel als Spiel hervortreten.22
Spiel-Angebote sind also nicht unbedingt immer so eindeutig und klar erkennbar wie die verbale Vorgabe „Lass uns in fünfhebigen Jamben sprechen.“ Sie liegen eher latent in der Luft, und die Frage ist, was wir daraus machen.
•Wenn mein Partner im Tiefstatus auf die Bühne kommt, könnte ich daraus das Spiel „Hochstatus versus Tiefstatus“ oder einen „Tiefstatuskampf“ etablieren.
•Wenn mein Partner mich in der ersten Szene mit „Tränor Xerröm“ anspricht, könnten wir uns in der Zukunft befinden, in einer Fantasy-Story, in einem obskuren Land oder vielleicht habe ich lediglich einen seltsamen Namen. Ich muss auf jeden Fall wachsam sein für das dahintersteckende Spiel oder ich etabliere es selbst.
•Wenn ich in extremem Hochstatus und mit edlen Manieren meinen Partner als Handwerker in meiner Wohnung definiere und er spricht in krassem Dialekt und Techniker-Jargon, so könnte das Spiel-Angebot heißen: „Lass uns eine Zwei-soziale-Welten-missverstehen-sich-Szene“ spielen.
•Wenn mein Partner auf der Bühne sehr physisch agiert, könnte genau das das Spiel-Angebot sein. Wie genau unser Körper-Spiel später aussehen wird, weiß ich noch nicht, aber ich weiß, dass ich auf unsere Körperlichkeit achten kann, um das Muster zu verstärken, sobald eines hervortreten sollte.