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Kapitel 3: Die Schattenburg

Es war gruselig auf der Schattenburg, selbst im Sommer.

Nurena Kinera stand auf den Mauern des Schlosses. Die Kriegerin schaute auf das weite Land, an dessen Horizont man das Meer sehen konnte. Nebelschwaden umgaben die Burg wie ein Vorhang und die Sonnenstrahlen schienen keine Wärme zu haben. Der Geruch einer nahenden Schlacht lag in der Luft. Doch Nurena verspürte keine Angst. Sie war bereits auf mehr Schlachtfeldern gewesen als ein paar der besten Krieger von Darilon. Sie wusste, dass dieser Krieg allein die Schuld der Königin von Baril war. Für ihre Göttin Singura wäre Nurena bereit, war sie immer bereit gewesen, in die Schlacht zu ziehen.

Laika Kinera, die Königin von Darilon, hatte erzählt, dass die Annuri selbst die Burg erbaut hatten. Die Annuri waren ein uraltes Volk, das die Göttin Singura anbetete. Fast alle, die diesem Glauben angehörten, hatten schwarze oder weiße Haare. Entweder wurden sie damit geboren oder sie halfen mit Magie nach.

Nurena seufzte und ging ein Stück die Mauer entlang. Plötzlich hörte sie Aufrufe und drehte sich um. Zwei Reiter galoppierten in den Schlosshof. Obwohl Nurena ihre Gesichter nicht sehen konnte, wusste sie, wer die beiden waren. Auf der schwarzen Stute saß ihre ältere Schwester Nurayama Kinera. Die Mädchen glichen sich auf den ersten Blick, was vor allem an ihren langen schwarzen Haaren lag. Doch hatte Nurena warm schimmernde grüne Augen, während Nurayamas hellblaue Augen ihr den Anschein verliehen, kalt und rücksichtslos zu sein. Der Mann neben ihr war Takeo, ein Bote. Er war eine zwielichtige Gestalt, doch schien er sich das Vertrauen der Königin erworben zu haben. Offenbar hielten sie und ihre Tochter seine Fähigkeiten für nützlich, weswegen er oft Wege zusammen mit Nurayama erledigte. Jedoch ging er auch manchmal anderen Aufträgen nach.

Auf Nurenas Gesicht stahl sich ein Lächeln. Sie war froh, dass ihre Schwester wieder auf der Burg war. Nurayama war mit Takeo auf einem Streifzug durch Darilon gewesen. Da das Land nicht gerade klein war, hatte Nurena sie erst morgen zurückerwartet. Sie ging den Ankömmlingen entgegen.

„Schön, dich zu sehen, Nurayama!“ Nurena umarmte ihre Schwester. „Wie konntet ihr so schnell zurückkommen?“

„Wir sind einmal an der Grenze entlanggeritten, um zu sehen, ob dort alles seine Richtigkeit hat. Das Wetter spielte mit und so ging es schneller als erwartet.“

„Und was habt ihr an den Grenzen vorgefunden?“

„Übliches Chaos.“ Als Nurena die Stirn runzelte, fuhr Nurayama fort: „Die Soldaten müssen unsere Grenzen verteidigen. Zwar ist es selten, dass es jemand wagt, uns anzugreifen, aber im Ernstfall müssen sie Alarm schlagen und die Angreifer möglichst noch vor der Grenze vertreiben. Und ...“

„Und was?“

„Sie haben eben Angst.“

„Wovor?“

„Vor Tod und Elend. Aber lass uns die Köpfe nicht weiter mit diesen Problemen vollstopfen. Ich gehe mich umziehen und dann unterhalten wir uns besser an einem anderen Ort.“

„Wir sehen uns oben auf dem Turm.“

Der Turm, den Nurena ansteuerte, war der höchste der Schattenburg. Schon als Kinder hatten sie sich dort oben getroffen. Es war ihr Platz, der Ort, von dem man alles um das Schloss herum sehen konnte. Nurena öffnete die Tür, die zum Balkon des Turmes führte, schloss sie wieder hinter sich und ging zur niedrigen Mauer, die als Absperrung diente.

Sie verstand das alles nicht. Erst war Nurayama zu diesem Ritt entlang der Grenze aufgebrochen und dann war Laika, die Königin, so nervös geworden. Doch da hörte sie die Tür knarzen und drehte sich um. Ihre Schwester trat zu ihr.

„Wie ist es dir unterwegs ergangen?“, fragte Nurena.

„Adlige behandeln sie immer gut.“ Nurayama schaute hinaus in die Ferne.

„Kann ich dich etwas fragen? Die Händler waren hier und ich habe zufällig gehört ...“

„Nurena, du hast doch nicht gelauscht? Ich hab dir immer gesagt, du sollst deine magischen Kräfte nicht für solche Zwecke einsetzen!“

„Es heißt, durch uns würde die geteilte Welt zerstört werden.“

Nurayama schaute sie an und überlegte. Nurena wandte den Blick ab und schaute jetzt genau wie Nurayama zuvor auf das weite Land hinaus.

„Du fragst mich, ob ich denke, dass wir die Bösen sind?“, fragte Nurayama.

Nurena schaute sie wieder an und nickte.

„Der Krieg resultiert daraus, dass es zwei Anführer gibt, die verschiedene Meinungen vertreten. Beide sind bereit, bis zum Tod für ihre Ansicht einzustehen. Jeder denkt vom anderen, dass er im Unrecht ist. Wir denken, dass Baril in diesem Krieg falschliegt und ich glaube, es ist andersherum genauso“, erklärte Nurayama.

„Ich verstehe“, sagte Nurena. Es wurde still und die beiden Schwestern ließen ihre Gedanken hinaus in die weite Ebene schweifen.

„Ach, da ist ja noch was!“, rief Nurayama auf einmal. „Alles Gute zum Geburtstag!“ Sie zog einen verhüllten länglichen Gegenstand hervor, den sie ihrer Schwester reichte.

Nurena wickelte das Geschenk ungeduldig aus. Zum Vorschein kam ein Schwert mit einer schwarzen Schneide, die in der untergehenden Sonne schillerte.

Die Zwillinge der Zeit

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