Читать книгу Die Zwillinge der Zeit - Dana S. Lublow - Страница 18

Kapitel 6: Bayola

Оглавление

Sie kniete verborgen hinter dem hohen Schilfgras, das am Ufer des Flusses wuchs. Leise zog Dorna einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn vorsichtig auf ihren Bogen, zielte kurz und schoss. Eine Ente fiel getroffen zu Boden. Sie stand auf und fand die Beute am Ufer liegend, zog den Pfeil heraus, säuberte ihn und steckte ihn zurück in den Köcher.

Als der Tag zu Ende ging, hatten die Mädchen ihren Pferden eine Ruhepause gegönnt, denn die Tiere mussten grasen und trinken.

Als sie abgestiegen waren, war ein Reh wie aus dem Nichts vor ihnen davongesprungen. Das Nichts war eine Höhle gewesen. Nun hatte Ayuma in der Zwischenzeit ein Feuer entfacht und ihnen ein Lager aus Laub und Decken hergerichtet.

„Was hast du geschossen?“, fragte Ayuma, als Dorna im Lager eintraf.

Diese hob den Vogel stolz in die Höhe. „Na, unser Abendessen!“

Ein paar Minuten später steckte die Ente an einem Spieß und das Fleisch briet über dem Feuer. Sie lehnten sich zurück und berieten sich.

„Wie weit ist es noch nach Bayola?“, fragte Ayuma.

„Ich weiß es nicht. Wir sind den ganzen Tag gereist und hier am Fluss angekommen. Ich würde sagen, morgen am frühen Abend müssten wir das Dorf erreichen“, überlegte Dorna laut.

„Begleitest du mich zu Airos Tante?“

„In Ordnung. Ich verstehe, dass es keine einfache Aufgabe ist, eine solch traurige Nachricht zu überbringen. Doch danach muss ich nach Lorga reisen. Ich gehe nicht mit dir zurück zu Nerada“, fügte sie hinzu.

„Wenn wir uns in Bayola trennen, werde ich dich dann jemals wiedersehen?“ Ayuma war Dorna ans Herz gewachsen.

Diese zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“

Beide schwiegen.

„Ich habe mich einmal gefragt, ob du eigentlich einen Dämon hast?“

Ein Lächeln erschien auf Dornas Gesicht. „Ja, habe ich. Einen lilafarbenen Drachen, sie heißt Orna.“

Sie redeten noch eine Weile weiter, bis das Fleisch fertig gegart war und sie es essen konnten. Es schmeckte recht gut, zwar war es kein Festmahl, aber wenigstens hatten sie etwas im Bauch. Später krochen sie in die schützende Höhle und versuchten einzuschlafen.

Doch da fiel Ayuma ihr Traum wieder ein, den sie gehabt hatte, als sie bewusstlos gewesen war. Sie setzte sich auf. „Dorna, bist du wach?“

„Jetzt schon“, knurrte ihre gedämpfte Stimme auf der anderen Seite der Höhle und Dornas Gesicht schaute unter einer Decke hervor.

„Kann ich dich etwas fragen?“

„Wenn wir davon absehen, dass es bestimmt drei Uhr morgens ist und du mich gerade von einem wunderschönen Traum abgehalten hast ... schieß los.“

Ayuma überlegte, wie sie anfangen sollte. „Wie viel weißt du über Götter?“

„Ich bin kein wirklicher Experte, was Götter angeht, aber ich kann dir einiges erzählen. Was willst du denn wissen?“ Dorna schaute Ayuma erwartungsvoll an.

„Als wir aus Seron fliehen mussten, hatte ich diese Verletzung durch den Wolfsbiss am Bein und bin deswegen in Ohnmacht gefallen. Ich hatte einen merkwürdigen Traum. Ich träumte von einer Göttin, ihr Name war Singura.“

„Singura. Von ihr habe ich lange nichts gehört. Sie ist die Göttin der Annuri und die Göttin des Mondes. Du erkennst das Volk der Annuri daran, dass sie schwarze oder weiße Haare haben. Allerdings leben die meisten ihrer Anhänger in Darilon.“

„Sind diese Annuri Menschen?“

Dorna schüttelte den Kopf. „Nein, sie sind Elfen, Dunkelelfen, um genau zu sein.“

„Aber was ist das Besondere an ihnen?“

„Ich sagte doch, ich bin keine Expertin. Mehr weiß ich nicht über Singura oder die Annuri.“ Ayuma legte sich wieder auf ihre Decke. „Ach, Ayuma ...“ Dorna war doch noch nicht fertig.

Diese drehte sich noch mal auf die Seite. „Was?“

„Weck mich nie wieder um drei Uhr morgens.“

„Nie mehr.“ Ayuma kicherte.

„Versprich es.“

„Versprochen!“

Sie machten es sich wieder einigermaßen bequem in ihren Decken und schliefen ein.

Am frühen Morgen aßen sie etwas von dem Brot, das Nerada ihnen eingepackt hatte. Die Pferde mussten versorgt und gesattelt und das Lager abgebaut werden. Dann ritten sie schweigend nebeneinander her, bis sie Bayola schon am Nachmittag erreichten.

Das kleine Dorf unterschied sich sehr von Seron. Hier gab es nur bescheidene, strohgedeckte Häuser, in denen hauptsächlich Bauern zu leben schienen. Offensichtlich gab es nur wenige Handwerker.

„Da wären wir.“

Dorna nickte bekräftigend. „Ich war noch nie hier. Wo wohnt denn Airos Tante?“

Ayuma zuckte hilflos mit den Schultern. „Wir müssen jemanden fragen.“ Sie schaute sich um und entdeckte einen kleinen Jungen, der ein paar Hühner hütete, und ging auf ihn zu. „Kannst du uns sagen, wo die Familie Seram wohnt?“

Der Junge bedeutete ihnen zu folgen und ging voraus. Er führte sie durch mehrere kleine Gassen Bayolas, bog unvermittelt ab, bis sie schließlich zu einem kleinen Hof am Rande des Dorfes gelangten.

„Da ist es“, zeigte ihnen das Kind.

„Danke“, rief Ayuma ihm noch nach, als er sich auf den Weg zurück zu seinen Hühnern machte.

Ayuma und Dorna banden die Pferde an einem Holzpfahl fest. Dann gingen sie zum Haupteingang und klopften an die Tür. Es dauerte nicht lange, bis eine schlanke Frau mit freundlich aussehenden Augen öffnete. „Ja?“

„Hallo, Frau Seram. Mein Name ist Ayuma Shino. Das ist Dorna Daiko. Es geht um Ihren Neffen Airo“, stellte Ayuma sich und Dorna vor.

„Was ist mit Airo, hat er etwas angestellt?“, fragte die Frau und runzelte die Stirn.

„Dürfen wir erst hereinkommen? Ich möchte Ihnen diese Nachricht ungerne hier auf der Türschwelle überbringen.“

Die Frau öffnete die Tür weiter, damit die Besucher eintreten konnten. Sie gelangten in einen großen Raum, der offensichtlich als Küche, Wohn- und Esszimmer gleichzeitig diente. An einem Tisch mitten im Raum saßen zwei Männer und ein kleines Mädchen. Einer von ihnen musste der Sohn der Familie sein, so erkannte Ayuma beim zweiten Hinsehen. Er war beinah so muskulös wie der andere Mann, doch sein Gesicht war deutlich jünger. Er sah nett aus, doch als er sie schelmisch angrinste, schaute sie verlegen zur Seite.

„Was ist?“ Der Ältere stand auf, als er die Ankömmlinge sah.

„Es geht um Airo“, fand Ayuma schnell zum Grund ihres Besuchs zurück.

„Setzt euch“, sagte der Mann, wies auf eine Bank.

Ayuma erzählte ihnen, was vorgefallen war. Von dem Moment an, als sie zum alten Schlachttunnel gegangen waren, als dann die Stadt angegriffen wurde, bis zu den Umständen von Airos Tod.

Frau Seram schluchzte leise und Tränen rannen über ihr Gesicht, der Mann starrte zu Boden.

„Ist er als Held gestorben?“

„Er hat zwei Menschen gerettet, bevor er starb. Sie sollten stolz auf ihn sein.“

Im Raum herrschte Schweigen.

Dann fasste sich Frau Seram und schluchzte: „Wisst ihr, er war der Sohn meiner Schwester. Ich habe ihn schon seit ein paar Jahren nicht mehr gesehen. Danke, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, herzukommen und uns die Nachricht zu überbringen.“

„Es war selbstverständlich.“

„Sicherlich seid ihr müde von der Reise. Ihr könnt für die Nacht hierbleiben“, bot Herr Seram an.

„Das ist sehr nett von Ihnen“, sagte Ayuma.

Frau Seram stand auf und wischte Tränen von ihrer Wange. „Das ist meine Tochter Zoey.“ Diese hob ängstlich die Hand zum Gruß in die Höhe. „Und das ist mein Adoptivsohn Korsion.“

Der junge Mann schaute sie immer noch an und nickte ihnen jetzt zu. Ayuma war überrascht. Wie war sein Name? Korsion? War er es, von dem Singura geredet hatte?

Er wandte sich wieder seinem Essen zu, wobei sie einen Blick in seine hellblauen Augen erhaschen konnte. Seine kurzen schwarzen Haare wogten bei dieser Bewegung.

„Kommt mit, ich zeige euch, wo ihr eure Sachen ablegen könnt“, lenkte Frau Seram ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ayuma und Dorna folgten ihr nach draußen in einen Heuschuppen.

„Legt euch einfach irgendwohin. Braucht ihr noch Decken? Ich hoffe, es ist nicht zu unbequem“, sagte die Frau.

„Wir haben die letzten Tage draußen verbracht, also ist das mehr als ausreichend“, sagte Ayuma freundlich.

„Das freut mich“, erklärte Frau Seram, drehte sich um, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Dorna, die immer schon gerne in Schuppen übernachtet hatte, war bereits eine steile Leiter hinaufgeklettert und spielte wie ein kleines Kind im Heu. Ayuma folgte ihr und setzte sich auf einen Ballen, wobei sie ihrer Freundin erzählte, dass sie mit Riku und Gorek, die ja Bauernkinder waren, oft in deren Scheune im Heu gespielt hatte.

„Warum habt ihr mich nicht mitgenommen?“, fragte Dorna.

„Wir hatten dich gefragt, du wolltest nicht“, antwortete Ayuma.

Eine Weile sah sie Dorna zu, wie diese im Heu herumkletterte. Es schien wirklich Spaß zu machen.

„Ob Riku und Gorek noch leben?“

„Sie wohnen außerhalb von Seron, es kann schon sein“, überlegte Dorna.

„Wollen wir jetzt nicht unser Lager aufbauen?“

Dorna kletterte von dem Heuhaufen herunter. „Wenn es denn sein muss.“

Die nächste halbe Stunde verbrachten sie damit, Heu für ihre Betten aufzuschichten oder sich gegenseitig damit zu bewerfen. Endlich waren sie fertig und erschöpft. Nun war es Zeit, sich schlafen zu legen.

In der Nacht wurde Ayuma geweckt, jemand rüttelte an ihrer Schulter. Als sie die Augen öffnete, konnte sie nur Umrisse erkennen. Sie setzte sich ruckartig auf. „Wer ist da?“

„Ich bin es. Korsion. Komm mit!“ Er führte Ayuma leise nach draußen. „Ich glaube, du weißt, wer ich bin.“

Ayuma betrachtete ihn. „Du bist Singuras Sohn.“

„Ja. Meine Mutter hat mich angewiesen, dir zu helfen.“

„Aber wobei?“ Sie schaute ihn fragend an.

Er zuckte nur mit den Schultern und ging nicht weiter auf die Frage ein. „Ich bin jederzeit bereit aufzubrechen.“

„Dann also morgen“, entschied Ayuma.

Korsion nickte zustimmend.

„Danke für das Lager im Stroh“, verabschiedeten sich die Mädchen früh am nächsten Tag.

Ihre Beutel waren gepackt und Frau Seram hatte für neuen Proviant gesorgt. „Ihr habt schließlich den langen Weg auf euch genommen“, meinte sie.

Auch Korsion war startbereit. Es hatte einiges an Überredungskünsten gebraucht, bis seine Adoptivmutter zugestimmt hatte, ihn gehen zu lassen. Sie umarmte ihren Adoptivsohn. „Ich würde mich freuen, wenn wir uns eines Tages wiedersehen.“

„Irgendwann bestimmt“, versicherten die Reisenden.

„Dann auf Wiedersehen.“

Korsion umarmte alle ein letztes Mal, stieg auf sein Pferd und winkte zurück, als die drei den Hof verließen.

An der Dorfgrenze blieben sie stehen. „Hier muss ich mich von euch verabschieden“, erklärte Dorna und Ayuma warf ihr einen bedauernden Blick zu.

„Kommst du nicht mit uns?“, fragte Korsion verwundert.

„Nein, mein Bruder ist auf dem Weg nach Lorga. Ich hoffe, ich finde ihn dort.“

Ayuma ritt auf Dorna zu und drückte sie zum Abschied an sich. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“

„Das hoffe ich auch, du bist mir eine Freundin geworden, Ayuma.“

Dorna galoppierte davon. Die beiden anderen schauten ihr lange nach, bis man sie am Horizont nur noch als Punkt ausmachen konnte. Dann schnalzten sie ihren Pferden zu und lenkten mit den Zügeln in die andere Richtung.

Ayuma erklärte: „Ich habe Nerada versprochen, zu ihr zu kommen, wenn meine Aufgabe erledigt ist. Ich muss erst einmal zu ihr zurück.“ Aus den Augenwinkeln konnte sie Korsion sehen, der sie von der Seite her betrachtete.

„Dann werden wir zu Nerada reiten“, fügte er sich.

Sie stießen ihre Stiefel in die Flanken der Pferde, um sie noch schneller voranzutreiben.

Am späten Nachmittag erreichten sie den Fluss. Nun erstreckte sich der Wald vor den beiden. Ayuma suchte die Höhle, in der sie vor zwei Tagen schon mit Dorna übernachtet hatte, und bedeutete Korsion abzusteigen. Sie versorgten die Pferde und schlugen ihr Lager auf. Dabei arbeiteten Ayuma und Korsion wortlos Hand in Hand, als ob sie schon immer Aufgaben geteilt hätten. Als sie sich endlich an einem prasselnden Feuer niederließen, breitete Ayuma eine Landkarte aus. Dabei lächelte sie Korsion an und gestattete sich den Gedanken, dass sie froh war, ihn als Gesellschaft zu haben.

„Wo sind wir jetzt?“, fragte Korsion, als er die Karte betrachtete.

Ayuma deutete auf einen Punkt unterhalb des Flusses Levin. „Da ungefähr. Wenn wir morgen schnell reiten, sind wir am Abend bei Nerada.“ Ihr Finger zeigte den Weg, indem er einer Linie folgte.

Korsion entdeckte die Stadt Seron und fragte: „Ist das deine Heimat dort?“

„Ja, sie war es.“

„Ist die Stadt zerstört? Das tut mir leid.“

Dann fanden sie Daicha, die Hauptstadt von Baril, und andere große Städte, bis Ayuma die Karte zusammenfaltete und beiseitelegte. Sie waren müde und mussten sich nun schlafen legen, um sich morgen zeitig auf den Weg machen zu können. In ihren provisorischen Lagern drehten sie sich auf die Seite und schliefen bald ein.

In der Nacht träumte Ayuma wieder.

Sie saß auf dem Rücken eines riesigen weißen Drachen. Hoch über den Wolken. Der Wind sauste ihr um die Ohren. Es war atemberaubend.

Die Szene veränderte sich.

Aus dem Nichts heruntergesprungen landete Ayuma sanft auf dem Boden. Sie richtete sich auf und stand auf einer weiten Lichtung. Vor ihr der weiße Drache. Sie blickte dem Tier tief in die Augen.

Ayuma schreckte auf. Erst als sie die Höhle um sich erkannte, begriff sie, dass es nur ein Traum gewesen war.

Nur ein Traum.

Nur ein Traum.

Aber war nicht ihr Traum von der Göttin Singura in Erfüllung gegangen? Vielleicht wurde dieser auch wahr?

Das Mädchen stand leise auf, schaute zu Korsion, der tief und fest schlief, und verließ die Höhle. Sie sah den Wald vor sich und traf eine spontane Entscheidung. Sie rannte los.

Irgendwann bereute Ayuma es, nichts Wärmeres angezogen zu haben, denn die Nacht war kalt. Ohne stehen zu bleiben, schlang sie ihren Umhang enger um ihren Körper. Sie konnte die Äste der Büsche spüren, die an ihre Beine schlugen, doch sie ignorierte den Schmerz. Bald darauf bekam sie starkes Seitenstechen. Sie blieb stehen und zwang sich, gleichmäßig ein- und auszuatmen. Jetzt schwitzte sie vor Anstrengung. Dann bemerkte sie, dass sie schon lange nicht mehr wusste, wo sie war, dass sie keine Ahnung hatte, ob dies noch Rifers oder schon Baril war. Langsam begriff sie, dass es wirklich nur ein Traum gewesen war.

Einfach nur ein Traum.

Wie hatte sie glauben können, dass alles, was sie träumte, auch wirklich passierte? Nur die Nymphen hatten manchmal Visionen von der Zukunft und eine solche war sie nicht.

Da stolperte sie und fiel. Nein, sie wollte nicht wieder aufstehen. Aber wollte sie hier sterben? Nein.

Schwerfällig rappelte sie sich hoch und erkannte jetzt die Lichtung aus ihrem Traum. Langsam ging sie darauf zu. Sie schaute sich um. Alles sah genauso aus, wie sie es geträumt hatte. Das hohe grüne Gras mit den vielen Wildblumen schaukelte leicht hin und her. Der Mond erhellte die Mitte der Lichtung und die Bäume zeichneten Schatten auf den Rasen.

„Du bist gekommen“, sagte eine Stimme.

Ayuma wirbelte herum. „Wer ist da?“

Doch in den Schatten war niemand.

„Ich bin nicht hinter dir!“

Ein Luftwirbel erfasste Ayuma und ließ sie torkeln, als ein imposanter weißer Drache vor ihr auf der Lichtung niederging. Es war kein Traum gewesen, es war eine Vision! Was hatte das alles zu bedeuten? Zuerst hatte sie Singura gesehen, daraufhin hatte sie deren Sohn kennengelernt und jetzt dieser weiße Drache?

„Wer bist du?“, fragte Ayuma, als sie endlich ihre Sprache wiederfand.

„Mein Name ist Finea.“

„Und ich heiße ...“

„Ayuma, ich weiß.“

„Woher kennst du mich?“

„Ich bin dein Dämon.“

Jetzt starrte Ayuma Finea an. Menschen konnten keine Dämonen haben. Die Menschen waren noch nie Teil des Zaubers gewesen. „Aber das ist unmöglich, ich bin ein Mensch!“, dachte Ayuma.

„Nein, es ist nicht unmöglich“, meinte Finea.

„Kannst du meine Gedanken hören?“

„Das ist Drachenart. Komm, steig auf.“ Finea legte sich flach auf den Boden und platzierte ihre Flügel so, dass sie Ayuma den Weg auf ihren Rücken freigaben.

„Wozu ist das gut?“, fragte Ayuma verwirrt.

„Wir fliegen jetzt.“

Ayuma sollte auf der Drachendame reiten? Wie es die Drachenreiter in der Armee von Baril taten? Es gab nicht viele Reiter, aber sie waren die besten Krieger der ganzen Armee.

„Also, was ist, steigst du jetzt auf?“

„Aber ich bin noch nie auf einem Drachen geritten!“

„Natürlich bist du das noch nicht. Jetzt steig endlich auf!“

Ayuma atmete tief durch, ging zögernd auf Finea zu und kletterte dann rasch auf ihren Rücken. „Gut, ich sitze“, sagte sie nervös.

Finea richtete sich auf, sodass Ayuma mit dem Gleichgewicht kämpfen musste und ängstlich in Hals und Flügel griff.

„Beruhige dich, dir passiert nichts. Falls du wirklich fallen solltest, fange ich dich auf“, meinte Finea. Das jedoch beruhigte Ayuma nicht wirklich.

Die Drachendame breitete die Flügel aus und das Mädchen schloss die Augen. Finea schoss in die Lüfte. Schon nach ein paar Sekunden, als ihre Bewegungen sich denen des Drachen anpassten, wusste Ayuma, dass das Fliegen in ihrer Natur lag. Es war nichts, wovor man Angst haben musste. Leider war der Flug viel zu kurz, denn schon landete Finea vor der Höhle.

Ayuma sprang ab.

„Fliege ich so schlecht?“ Offenbar dachte Finea, Ayuma wäre gesprungen, um so schnell wie möglich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren.

Ayuma lachte und drehte sich zu Finea um. „Nein, du fliegst wunderbar, etwas Vergleichbares habe ich noch nie erlebt! Ich muss Korsion wecken.“

„Ich bin wach.“ Korsion stand bereits hinter ihr. Sein Blick hing an Finea. Er nahm es wirklich gut auf, dass nun ein ausgewachsener Drache vor ihm stand. „Ich will nicht wissen, wo du ihn herhast, oder?“

„Nein, das glaube ich nicht. Lass uns einfach aufbrechen. Ich muss zu Nerada, meiner Magielehrerin, sie hat mir noch so einiges zu erklären und auch mit meinem Vater muss ich reden. Was danach passiert, wird sich ergeben, wenn ich klarer sehe.“

Ayuma wartete, bis Korsion alles gepackt hatte und wieder aus der Höhle trat. „Leider können wir nicht einfach zurückfliegen, weil wir dann die Pferde hierlassen müssten. Wir werden wie gewohnt reiten.“

Und als hätte es Finea schon immer in ihrer Nähe gegeben, fragte sie an den Drachen gewandt: „Bleibst du über uns?“

Ayuma und Korsion banden die Taschen an die Sättel der Pferde, stiegen auf und wurden auf ihrem Weg von dem Drachen begleitet. Ayuma war froh, mit ihren Gedanken, die sich beinahe überschlugen, nicht alleine zu sein. Es kam ihr vor, als würde sie Korsion schon ihr ganzes Leben lang kennen und nicht erst seit zwei Tagen, denn er war immer nett und hilfsbereit. Er schien ein selbstbewusster und lebensfroher Mensch zu sein.

„Wer bin ich?“, fragte Ayuma zornig, als sie ins Haus stürmte und auf Nerada traf.

Die Frau schaute zu Boden, sie wusste nicht, wie sie alles erklären sollte.

Doch gerade als sie zu einer Antwort ansetzte, begann Izores zu sprechen: „Es ist jetzt die Zeit, um dir die Wahrheit zu erzählen.“ Izores schaute hinaus auf den Wald. Es war still im Raum. Niemand wagte, etwas zu sagen. „Alles begann damit, dass Cass ihre Arbeit verlor. Zuerst dachten wir, dass das Geld, das die Schmiede abwarf, ausreichen würde, aber dem war nicht so. Cass beschloss, zur Kristallburg zu gehen, um dort nach Arbeit zu fragen, und tatsächlich stellte man sie ein. Eines Abends klopfte Yuuko, der oberste General der Drachenkrieger, an unsere Tür. Ich öffnete sie, doch er wollte mit Cass reden. Er sagte, es sei dringend und sehr wichtig. Er trug ein Bündel im Arm, darin ein kleines Baby. Es war die Tochter der Königin Miyu. Er bat uns im Namen der Königin und des Königs, das Kind aufzunehmen, aber nie zu erwähnen, wessen Kind wir aufziehen. Wir stimmten zu. Der General erklärte uns jedoch nicht, warum die Königin das Mädchen nicht bei sich behalten konnte oder wollte.“

Ayuma starrte ihn an. „Aber ...“

„Ja, du bist die Tochter der Königin. Und du bist eine Elfe!“

Aufgewühlt wandte Ayuma den Blick ab und ging hinüber zum Fenster. Sie sah Finea, die auf dem Rasen döste. „Heißt das, ich bin die Prinzessin von Baril?“ Izores nickte. „Mein ganzes Leben war also eine Lüge.“

„Was? Nein!“

„Doch, alles war eine Lüge. Es fängt schon damit an, dass du nicht mein Vater bist, Cass nicht meine Mutter, ich bin nicht hier in Seron geboren. Und die wahrscheinlich größte Lüge ist, dass ich noch nicht einmal ein Mensch bin“, brach es aus Ayuma heraus.

„Wir lieben dich wie ein eigenes Kind. Wir haben dich aufgezogen, du bist unsere Tochter. Königin Miyu hat dich zu uns bringen lassen, um dich zu schützen, so viel haben wir aus General Yuuko rausbekommen und das kann man sich auch denken“, versuchte Cass, sie zu besänftigen.

Ayuma ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass sich ihre Fingernägel in ihre Haut bohrten. Sie konnte sich nur schwer zurückhalten. Wieso sollte sie nicht einfach Izores und Cass ins Gesicht brüllen, was sie von der ganzen Sache dachte? Aber dann wurde ihr bewusst, dass die zwei immer für sie gesorgt hatten. Sie hätten die Bitte der Königin auch ablehnen können, damals, als sie noch ein Baby war. Hätten sie Nein gesagt, hätte Ayuma dann eine so unbeschwerte Kindheit gehabt? Wollte sie wirklich alle verletzen, die ihr wichtig waren? Ayuma setzte sich wieder auf ihren Platz, die Wut war verflogen. „Wie soll es denn jetzt weitergehen?“, fragte sie und schaute erst Cass, dann Izores an.

„Du musst nach Daicha gehen und dich dort zu einer Kriegerin ausbilden lassen. Sie haben dort sogar eine Akademie für junge Kämpfer wie dich“, schlug Izores vor.

„Die Akademie hat einen guten Ruf. Bevor ich hierherkam, war ich dort als Heilerin tätig. Ich hab viele gesehen, die vom Schüler zum Krieger heranwuchsen. Alle, die dort ausgebildet wurden, sind hervorragende Kämpfer geworden und viele haben einen Drachen an ihrer Seite“, erinnerte sich Nerada.

„Dann ist dort der richtige Platz für mich.“ Nerada nickte. „Was ist mit dir?“, fragte Ayuma nun Korsion, der das Gespräch interessiert verfolgt hatte.

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft sagte er etwas. „Ich werde an deiner Seite bleiben, egal, wohin du gehst. Wenn ich dort auch noch meinen Umgang mit dem Schwert verbessern kann, dann haben wir alle etwas davon.“

Ayuma musste lächeln, obwohl ihr eigentlich gar nicht danach war. Sie fing an, Korsion zu mögen. Er konnte immer das Gute sehen und konnte sich spontan auf neue Situationen einstellen. Außerdem schaffte er es immer, sie aufzuheitern.

„Dann ist es also beschlossen. Wir gehen nach Daicha und ich versuche, euch beiden einen Platz in der Akademie zu verschaffen. Ich hab dort immer noch einen guten Ruf. Wann brechen wir auf?“

„Moment mal, Nerada. Lässt du Cass und mich einfach hier zurück?“, warf nun Izores ein.

An sie beide hatte niemand gedacht. Wo sollten sie hin? Sie könnten natürlich warten, bis Nerada zu diesem kleinen Haus zurückkam, aber wollte die Magierin das überhaupt?

„Das Beste wird sein, ihr beide kommt ebenfalls mit uns nach Daicha. Dort sucht ihr euch ein Haus und eröffnet eine neue Schmiede. Ein erfahrener Schmied mit deinen Fähigkeiten wird immer gebraucht“, schlug Ayuma vor, als sie erkannte, dass sie sich nicht von diesen Menschen, ihren Eltern, trennen wollte.

„Guter Vorschlag. Seron ist zerstört und eine Schmiede in Daicha ist ein guter Neuanfang“, erklärte Izores und lächelte Cass zu, die seine Hand drückte.

Nerada klatschte zufrieden in die Hände. „Gut! Dann würde ich sagen, zwei Tage sollten uns bis zum Aufbruch reichen.“

Die anderen stimmten ihr zu.

Die Zwillinge der Zeit

Подняться наверх