Читать книгу Am Ende eines Pfads - Daniel Arkadius Kopczynski - Страница 5

DIE ABREISE

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"…die drei Kisten nach dort hinten! Nein, dorthin!", schrie ein Mann mit einer rauen, lauten Stimme. Es war bestimmt die kräftige Stimme des Frachtoffiziers. Am Kai von Bremerhaven war viel los. Kisten wurden angeschleppt, und verladen. Überall waren Menschen zu sehen. Die Matrosen liefen auf Deck zu ihrem Arbeitsplatz. Der große Schnelldampfer "Elbe" lag hier vor Anker und wartete auf seine Abfahrt ans andere Ende der Welt. Dieser Dampfer wurde 1881 von John Elder & Co. in Glasgow gebaut. Der Stapellauf fand am 4. April 1881 statt. Es war der erste Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd. Er fuhr als beliebtes Auswandererschiff vor allem die Strecke Bremerhaven–New York und war fast immer ausgebucht. Der Dampfer hatte ein Zwischendeck mit metallenen Stockbetten und der Gepäckraum befand sich im unteren Teil des Schiffes.

Anton und Lisa, wie er Elisabeth immer liebevoll nannte, sollten auch auf dem Zwischendeck reisen. Beide standen vor dem großen Schiff und sahen der Mannschaft bei der Arbeit zu. Es war eigentlich zu kalt für diesen Monat, auch wenn mit dem September der Herbst begann, kalt war es doch. "Die Kiste auch!", schrie wieder jemand. Die Kisten wurden zum Teil am Boden mit Seilen festgebunden und auf das Schiff gehievt. Kleinere wurden von den Hafenarbeitern direkt auf das Schiff geschleppt. Anton beobachtete alles sehr genau. Gerade wurde eine von seinen drei Kisten nach oben gezogen. A.G. stand auf seinen Kisten geschrieben. Auch andere Menschen standen neben ihm oder weiter entfernt und schauten dem Schauspiel zu. Die meisten von ihnen bestimmt Passagiere. Einige waren vornehm gekleidet, andere wiederum einfacher.

Ein Mann fiel ihm besonders auf. Dieser trug einen hohen Zylinder und sein Bart war nach der neusten Mode geschnitten. Er beobachtete, genauso wie Anton, das rege Treiben. Seine Kisten standen noch neben ihm. Es waren sehr große Kisten, mit Metall beschlagen. "Henry Scott Jobbins, Advokat. London", stand auf einem Messingschild geschrieben. 'Ein reicher Mann', dachte Anton bei sich. 'Und so jung für einen Rechtsanwalt'. Anton hatte sich Rechtsanwälte immer als grauhaarige Herren vorgestellt, aber dieser hier entsprach so gar nicht seiner Vorstellung. "Vorsicht!", schrie eine Stimme. Anton wurde aus seinen Gedanken gerissen. Eine Frau schrie auf. Anton blickte nach oben und sah wie sich eine Kiste von den Halterungen zu lösen begann. Schnell erkannte er, dass das Seil zu reißen drohte. Er schätzte schnell die Entfernung zwischen sich und dem Mann ab, über dem die Kiste noch hing und lief los.

"Schnell zur Seite!", schrie er auf und stürzte sich auf den Advokaten. Krachend fiel die Kiste neben den Männern zu Boden. Die Leute liefen aufgeregt hin und her. Frauen schrien. Eine Menschenmenge umkreiste Anton und den Advokaten.

"Ist alles in Ordnung?", fragte ein Mann. "Sind Sie verletzt?", fragte ein anderer.

"Nein, ich glaube nicht. Ich fühle mich gut", antworteten Anton und der Rechtsanwalt wie aus einem Mund und sahen sich an. Sie standen auf und wischten sich den Schmutz von den Mänteln. Anton suchte nach Elisabeth und entdeckte sie in der Menschenmenge. Weinend fiel sie ihm in die Arme. "Ist ja schon gut", sagte Anton. "Es ist alles vorbei, mein Schatz."

"Ist bei Ihnen auch alles in Ordnung?" Anton sah den Advokaten an.

"Ja, nichts passiert. Ich danke Ihnen", sagte der Rechtsanwalt und gab Anton die Hand.

"Mein Name ist Henry Scott Jobbins, Anwalt aus London", stellte sich der Fremde vor.

"Und ich heiße Anton Gerstenberg und das ist meine Verlobte Elisabeth", antwortete Anton. Langsam löste sich die Menschenmenge auf. Die drei standen da, als wäre nichts gewesen.

Die Stimmen erschallten wieder und man nahm die Arbeit wieder auf. Die letzten Passagiere bestiegen das Schiff. Die restlichen Kisten wurden verladen. Der Anker hochgezogen. Noch wenige Augenblicke und das Schiff würde ablegen. Richtung Amerika!

Es würde vielleicht 14 Tage dauern bis sie drüben sein würden. Eine lange Zeit auf dem Meer. Anton und Lisa standen an der Reling und betrachteten wie sich das Schiff langsam vom Land entfernte. Die Menschen standen an der Hafenkante und winkten den Abreisenden mit weißen Taschentüchern zum Abschied zu. Die Seeluft stieg Anton noch intensiver in die Nase und seine Reiselust wurde noch mehr verstärkt. Für Anton war das Meer ja nichts Neues. Jetzt sollte es also losgehen. Die große Fahrt nach Amerika. In Kürze würden er und Lisa im Zwischendeck Quartier beziehen. Es war das Beste, was er für wenig Geld bekommen konnte.

Das Zwischendeck befand sich im unteren Teil des Schiffs, aber dennoch oberhalb des Gepäckraums. Es hatte für fast 800 Passagiere Platz. Neben dem Zwischendeck gab es noch die erste und die zweite Klasse. Schöne Kabinen mit vollkommenen Service. Zu Abend versammelten sich die etwas mehr begüterten Passagiere im Festsaal des vornehmen Dampfers. Die Reichen hatten alles auf dieser Reise, was sie wollten. Die Verpflegung an Bord ließ nichts zu wünschen übrig. Es gab außer Bier, Wein und feinen Spirituosen alles was man auch in den besten Restaurants auf dem Land bekommen konnte. Die Zwischendeckpassagiere hingegen nahmen ihre Mahlzeiten in den Schlafräumen ein. Anton und Lisa mussten demnach mit bescheidenen Verhältnissen vorliebnehmen. Sie bekamen genau dasselbe zu essen wie die Mannschaft, aber das war für Anton nichts Schlimmes. 'Was der Mannschaft nicht schadet, kann mir ganz recht sein', dachte er und legte sich auf sein Bett. Die Reichen hätten bestimmt geflucht aber er war zufrieden damit.

"Hallo, Sie da!", schrie eine Stimme. "Sind Sie Anton Gerstenberg oder so?"

"Ja, der bin ich", antwortete Anton und sah Lisa an.

"Ich komme von einem Herrn Namens Jobbins, er sagt, Sie sollen bitte Ihre Sachen nehmen und mir nach oben folgen", sprach der Mann und ging.

Verwundert nahmen Anton und Lisa ihr Handgepäck und folgten dem Matrosen aufs Oberdeck. "Komm Lisa, mal sehen, was dieser Jobbins von uns möchte." Anton sah seine Verlobte an, nahm ihre Hand und sie verließen das Zwischendeck. Im Salon angekommen, kam gleich der Anwalt auf sie zugeeilt.

"Sir Gestenberg, seien Sie und Ihre entzückende Verlobte auf dieser Reise meine Gäste."

Er lachte und umarmte seinen Retter ganz herzlich.

Die Kellner waren gerade damit beschäftigt, die speisenden Passagiere zu bedienen. Henry Scott Jobbins winkte einen der Kellner zu sich und sprach zu ihm: "Sorgen Sie bitte dafür, dass das Reisegepäck von diesen Herrschaften in eine angemessene Kabine gelangt und führen Sie bitte diese Dame und diesen Herrn in Ihre Räumlichkeiten, damit Sie sich umziehen und für den Abend frisch machen können. Danke."

"Yes, Sir", antwortete der Kellner und ging voraus. Anton und Lisa folgten ihm.

Am Abend wurden sie von dem Anwalt zu Tisch geladen und nahmen an einem der vielen Tische Platz.

"Setzen Sie sich doch", bat der Anwalt. "Und nennen Sie mich bitte Henry."

"Guten Abend, Henry. Sagen Sie auch Anton zu mir und zu meiner Verlobten, Lisa", sagte Anton und setze sich auf einen Stuhl.

"Wie kommen wir zu der Ehre, so angenehm reisen zu dürfen? Die Schlafräume sind ja geradezu überwältigend", bemerkte Lisa.

"Aber Fräulein Lisa, Ihr Verlobter hat mir doch heute Vormittag das Leben gerettet. Ich stehe praktisch in seiner Schuld und diese Ehre, von der Sie sprechen, ist eigentlich noch viel zu wenig. Jedoch ist es mir im Moment nicht möglich, mich auf eine dieser Tat angemessenen Weise zu revanchieren", sprach er und fuhr fort: "Lieber Anton, ich möchte mich bei Ihnen nochmals von ganzem Herzen bedanken." Er schaute Lisa und Anton in die Augen. Man sah es ihm richtig an, dass er es ehrlich meinte. Und wie dem Paar auffiel, war Henry ein echter englischer Gentleman. Er war wie einer gekleidet und sein vorbildliches Benehmen ließ darauf schließen. Anscheinend hatte er eine sehr gute Erziehung und Schulbildung genossen. Anton bemerkte auch seine goldene und mit Diamanten besetzte Krawattennadel.

"Wie kommt es eigentlich, dass Sie die deutsche Sprache so gut beherrschen?", fragte Anton.

"Oh, das kommt daher, weil ich auf einem Ihrer Konservatorien studiert habe. Als Anwalt muss man viele Sprachen beherrschen können. Französisch, Deutsch und Spanisch."

"Das erklärt natürlich einiges", stellte Anton fest. "Und Sie möchten in Amerika als Anwalt tätig werden?"

"Ja, das hatte ich vor. Ich werde aller Voraussicht nach im Staat Texas eine private Kanzlei eröffnen. Genauer gesagt in Austin. Ich hörte, dort gibt es noch heute sehr wenige wirklich gute Anwälte." Er machte eine kurze Pause und fragte: "Und wohin möchten Sie, Anton?"

Anton überlegte einen Augenblick. 'Wohin wollten sie eigentlich ziehen? Ich habe zwar vorgehabt erstmal in New York von Bord zu gehen und zu arbeiten, um Geld zu sparen. Und erst danach wollte ich ins Landesinnere reisen. Doch den konkreten Ort weiß ich noch nicht.' Er bemerkte das seine Hände leicht zitterten.

"Das wissen wir eigentlich noch nicht so genau. Vielleicht nach Richmond oder noch südlicher? Wir wissen es halt noch nicht. Doch zuerst möchten wir in New York bleiben. Ich will erstmal in einer größeren Stadt Geld verdienen."

"Richmond?", bemerkte Henry und holte Luft. "Wissen Sie was? Begleiten Sie mich doch auch nach Texas. Sie und Ihre reizende Verlobte."

Lisa, die den Anwalt genau beobachtete, errötete etwas. Sie war es nicht gewohnt von fremden Herren Komplimente zu bekommen. Bei ihr im Dorf, wo sie und Anton herkamen, kam sie nur selten mit fremden Menschen zusammen. Sie kniff die Augen zusammen, lächelte und sah Anton fragend an.

"Oder Louisiana, wenn Sie lieber Landwirtschaft betreiben möchten", fügte der Anwalt hinzu.

"Ein interessanter Vorschlag", erwiderte Anton. "Sie scheinen gut über das Land Bescheid zu wissen. Erzählen Sie uns doch bitte mehr über Amerika."

"Was möchten Sie hören? Fragen Sie mich etwas." Henry lächelte und trank etwas aus seinem Glas. "Oh, ich bitte Sie um Verzeihung. Wie unhöflich von mir. Möchten Sie auch etwas trinken? Man serviert hier einen wirklich guten Kaffee", sagte Henry und winkte einem Kellner zu.

"Sehr gerne Henry. Ich hätte gern eine Tasse von diesem köstlichen Kaffee. Und du Anton?" Lisa zupfte Anton am Ärmel, doch ihr Verlobter schaute erwartungsvoll Henry an und wartete auf Henrys Informationen. Er war halt ernsthaft besorgt wie die Zukunft aussehen würde und deshalb wollte er alles über Amerika in Erfahrung bringen.

"Ja Schatz? Was möchtest du?" Er sah sie etwas irritiert an. "Oh ja, trinken. Richtig. Ich hätte gern einen Whiskey. Ich habe in meinem Leben noch keinen getrunken."

"Wie Sie möchten", antwortete Jobbins und gab dem Kellner, der zwischenzeitig an den Tisch gekommen war, die Weisung alles Gewünschte zu bringen.

"Sie wollten doch etwas über Amerika wissen."

"Ja. Wie ist es dort im Staat Texas? Oder welchen Staat erwähnten Sie noch?", fragte Anton. "Louisiana", antwortete der Anwalt.

"Genau, Louisiana. Wie ist es dort mit der Landwirtschaft?" Anton war brennend an der Landwirtschaft interessiert. Schließlich wollte er damit seine Existenz aufbauen.

"Das Land dort ist hervorragend dafür geeignet. Es empfiehlt sich, dort Baumwolle, Zuckerrohr, Mais oder Gemüse anzubauen. Sie können es aber auch mit Tabak oder einer Rinderzucht versuchen. Mein Onkel lebte lange Zeit dort, als es noch die Sklaverei gab. Aber jetzt ist er schon tot. Er ist im Sezessionskrieg gefallen. Irgendwo in der Nähe von Burkeville. Ist ja auch schon lange her…"

"Oh, das tut uns wirklich leid zu hören", bemerkte Lisa etwas still.

"Das braucht es nicht. Mein Onkel lag mir nicht sonderlich am Herzen, weil ich ihn kaum gekannt habe. Und außerdem konnte ich ihn sowieso nicht leiden. Er besaß zu seinen Lebzeiten, auf seiner Zuckerrohrplantage, viele Sklaven aber er behandelte sie sehr schlecht." Der Anwalt trank etwas und seine Gäste taten es ihm gleich. "Meine Eltern hatten engen Briefkontakt mit ihm", fuhr er fort zu erzählen. "Deswegen weiß ich so viel über diesen Kontinent und selbstverständlich auch wegen meiner Schulbildung. Nach diesem schrecklichen Krieg ist dieses Land sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Weite Landstriche waren und sind noch bis heute verwüstet. Dieses Land braucht starke Männer und starke Frauen. Landwirte, Erfinder, starke Politiker und so weiter. Sie wollen und müssen das Land wieder auf die Beine bringen. Die Sklaverei gibt es jetzt nicht mehr und die Landbesitzer müssen Landarbeiter einstellen, um das sehr fruchtbare Land bebauen zu können. Besonders die ehemaligen, reichen Plantagenbesitzer, die früher Baumwolle angebaut hatten, haben es schwer. Sie sind so eine schwere Arbeit nicht gewöhnt. Und jetzt haben wir noch das Problem mit den Schwarzen, die zum Teil obdachlos durch das Land ziehen. Aber das geht uns ja nichts an." Er machte eine erneute Pause und sagte zuversichtlich: "Ja, trotz der eben erwähnten Herausforderungen kann ich Ihnen Louisiana wirklich empfehlen, denn es ist ein sehr fruchtbares Land."

Und so zog sich das Gespräch bis in die späte Nacht hinein. Es wurden die unterschiedlichsten Themen angesprochen und Anton und Lisa konnten sich ein gutes Bild von dem Land machen, welches sie bald erblicken würden. Im Großen und Ganzen ein sehr schöner Abend.

Am Ende eines Pfads

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