Читать книгу Am Ende eines Pfads - Daniel Arkadius Kopczynski - Страница 7
DAS GELOBTE LAND
ОглавлениеNathan Burton stand auf einem Hügel und schaute über sein Land. Etwas zur linken Seite hin standen in etwa vierhundert Metern Entfernung drei große, alte Virginia-Eichen. Seit seinen Vorfahren standen diese schon dort. Er erinnerte sich an seine Jugend. Wie oft hatten sie hier gespielt und sind auf diesen Bäumen herumgeklettert?
Jetzt war er ein erwachsener Mann, ein Ehemann und Vater von zwei gesunden Kindern. Er hatte schon sehr früh geheiratet. Als er Louise kennenlernte war es Liebe auf den ersten Blick. Schnell kam die Hochzeit, schnell folgten die Kinder, schnell verging die Zeit und jetzt war Louise wieder schwanger, lag in den Wehen und litt. Diesmal wird es ein Mädchen werden. Er hoffte es zumindest. Seine beiden Söhne waren sein ganzer Stolz, aber wenn jetzt noch eine Tochter oder später sogar eine Zweite dazukommen würde, das wäre was. Hoffentlich würde alles gut gehen. Er blickte noch einmal über sein Land, ließ seinen Blick auf den drei alten Eichen ruhen und seufzte leise. Zu allem Glück war Dr. Smith Jr. bei ihr, um bei der Geburt zu helfen aber dennoch litt Nathan mit ihr. Das hatte er auch bei den Geburten seiner beiden Söhne getan.
Er dachte an diese zwei Jungs, die jetzt irgendwo im Wald spielten. Joel war der ältere. Mit seinen acht Jahren war er schon sehr klug. Doch er war deswegen kein ruhiges Kind. Ganz im Gegenteil. Er war ein sehr lebendiges Kind. Er liebte es andere Kinder herum zu schubsen und sich anschließend mit ihnen zu prügeln. Sam hingegen war ein ruhiger und stiller Junge aber oft auch sehr gemein. Er interessierte sich nicht für viele Dinge, außer für die Nachbarskinder, welche er immer ärgerte. Auf eine sehr unauffällige Art ärgerte. Sein Interesse galt nämlich der Tierwelt. Und zwar der ekelhaften Tierwelt. Es gab keinen Tag in der Woche an dem er nicht irgendeine Maus, Ratte, Schlange oder Kröte mit nach Hause brachte. Und in der Schule ließ er manchmal eines dieser Tiere während des Unterrichts laufen. Wenn so etwas geschah, brach Panik aus und die anderen Kinder liefen auf den Hof. Er lief mit und tat so, als hätte er auch Angst und so wusste letztendlich keiner, wer sich diesen Scherz erlaubt hatte. Sam sah in die erschrockenen Gesichter seiner Mitschüler und lachte im Inneren.
"Haha!", lachte Sam und lief hinter das Schulgebäude. Er hatte soeben Max Gerstenberg, dem Sohn von Anton, eine Schlange in die Schultasche gesteckt und die Schlange hatte ihn gebissen. Max hielt sich seine angeschwollene Hand und weinte. Das tat so weh! Die Wassermokassinotter, die Max eben gebissen hatte, war gefährlich, denn ihr Gift war sehr komplex und stark aber nur selten tödlich. Dennoch war das für Max kein Trost. Er stand wie unter Schock, konnte kaum sprechen und blickte starr auf die blutende Bissstelle. Als er sich etwas beruhigt hatte, nahm er seine Schultasche und ging nach draußen zu seinem Lehrer. Da es keine Beweise für den Schuldigen gab, konnte der Lehrer erstmal nichts machen. Er sagte zu einem Schulkameraden von Max, er solle ihn nach Hause begleiten und den Eltern sagen, sie sollen mit ihm einen Arzt aufsuchen. Doch das war später nicht nötig, denn in der Nähe der Farm lebte eine Indianerfamilie von den Wichita. Und diese Familie kannte sich in der Heilkunst bestens aus. Es war eine der letzten Familien dieses Stammes. Die meisten lebten nicht mehr in Caddo, weil sie 1859 von den Texanern nach Oklahoma, in ein Indianer-Reservat vertrieben wurden. Anton hingegen war von dieser Kultur fasziniert. Und als er damals diese eine Familie auf seinem Land entdeckte, erlaubte er ihnen unter seinem Schutz dort zu leben. Sie durften jagen und in Notzeiten sich auch an ihn wenden. Anton nahm seinen verletzten Jungen und ritt zu dieser Indianerfamilie.
Jeronimo stand vor seinem Zelt und beobachtete wie Anton sich mit seinem fast bewusstlosen Sohn näherte. Er winkte seiner Frau Malia Zuli zu und wartete auf die Ankunft des unerwarteten Besuchs.
"Grüße dich, Jeronimo. Ich brauche deine Hilfe. Mein Sohn wurde heute von einer Otter gebissen und ist krank", sprach Anton und ging mit seinem Kind auf dem Arm auf den Indianer zu.
"Sei auch gegrüßt, Anton. Meine Frau wird sich um deinen Sohn kümmern", antwortete Jeronimo und nahm ihm das kranke Kind ab. Er trug es ins Zelt und kam kurze Zeit später zurück.
"Nicht schlimm. Morgen wird er wieder herumlaufen können wie ein junger Büffel. Meine Frau hat gute Medizin. Hilft." Er schaute in die Ferne und sprach weiter: "Sag nichts. Bestimmt hat der weiße Mann dem anderen weißen Mann Leid angetan. Burton?", beendete er den Satz.
"Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war die Schlange in seiner Schultasche. Jemand hat sie wohl dort versteckt. Klar vermute ich Sam dahinter. Aber wer weiß das schon? Hat ja niemand bemerkt", gab Anton zu Antwort und schaute, genau wie Jeronimo, in die Ferne.
"Ihr seid alle hergekommen, um ein besseres Leben zu führen und macht euch stattdessen das Leben schwer. Mein Volk versteht den weißen Mann nicht. Irgendwann wird euch die Strafe einholen und ich bin mir nicht sicher, ob ihr das werdet ertragen können", sagte er nachdenklich und drehte sich um, denn gerade kam seine Frau aus dem Zelt.
"Und? Geht’s dem Jungen gut?", fragte er und wartete ab.
"Ja. Er schläft jetzt. Wenn er aufwacht, wird er wieder gesund sein", sprach sie und verschwand wieder im Zelt.
Am Abend ritten Anton und Max zur Plantage zurück. Sie waren sich sicher, wer sich diesen schlimmen Streich erlaubt hatte. Aber was sollten sie auch tun? Anton erklärte Max, dass Rache keine Option ist. "Handle stets gut und ich verspreche dir, dass sich alles wieder zum Guten wendet auch wenn es etwas länger dauert", beteuerte er und strich seinem Sohn zärtlich über den Kopf.
Ja, das waren Nathans Söhne. Nathan war, trotz ihrer ganzen Aggressivität und Streiche, stolz auf sie. Wenn er so über seine Familie und Vergangenheit nachdachte, da kamen ihm die unterschiedlichsten Gedanken. Aber er war zufrieden. Zufrieden mit seiner Familie, zufrieden mit seinen Geschäften. Und wenn bei der jetzigen Geburt alles gut ginge, dann wäre sein Glück fast perfekt.
Nun stand er hier schon fast seit zwei Stunden. Es begann langsam Abend zu werden. Die weiten Maisfelder glänzten wie Gold und Kupfer in der untergehenden Sonne. Der Wind schaukelte die Maisköpfe und die trockenen Maisblätter raschelten leise vor sich hin. Er konnte nicht klagen. Dadurch, dass sein Vater das Land so gut bewirtschaftet hatte und in den letzten Jahren viel Gewinn verzeichnen konnte, galt die Familie Burton als eine der wohlhabendsten von Shreveport.
Shreveport war eine aufstrebende Stadt. Sie wurde 1836 durch die Shreve Town Company gegründet, mit dem Ziel eine Stadt an dem Punkt zu errichten, wo der Red River und der Texas Trail zusammentrafen. Ab 1839 wurde Shreve Town in Shreveport umbenannt. Schon immer war Shreveport ein Handelszentrum für Baumwolle, Mais und andere landwirtschaftliche Produkte gewesen und die Burtons hatten sich hier sehr erfolgreich einen Namen gemacht. Und doch war Nathan nicht ganz zufrieden. Sein Glück war nur fast perfekt. Es gab Personen, die ihn sehr störten. Zum Beispiel dieser Anton Gerstenberg. Kam hierher, ein Deutscher und machte sich hier einfach breit. Dieser Mensch machte ihm so gute Konkurrenz, dass es Nathan richtige Kopfschmerzen bereitete. Vor vier Jahren war alles noch gut gewesen. Aber dann kam dieser Deutsche und kaufte Land. Und das nicht irgendein Land. Nein, sein Land! Oder besser gesagt, Teile davon. Nathan wurde heute noch wütend, wenn er an damals dachte. Es war sein Pech aber Antons Glück gewesen, dass Nathan und sein Vater sich in kurzfristigen Geldnöten befunden hatten. Doch dieser Gerstenberg nutzte die Gelegenheit aus und erwarb damals diese Ländereien bei einer öffentlichen Zwangsversteigerung. Und das auch noch günstig! In Ordnung, dieser Schachzug war zwar clever und doch konnte Nathan diese Sache bis heute nicht verkraften. 'Wir Engländer sind und bleiben die Ersten!', überlegte er bei sich, denn er war der Überzeugung, dass er als Engländer, mit seiner langjährigen Erfahrung und seinem Geschick, der bessere Farmer sein musste. 'Reichte es nicht schon, dass die Franzosen hier hausten? Mussten sich hier auch noch Deutsche breit machen? Hier wo die Burtons lebten? Ich habe doch einen Ruf zu verlieren. Frechheit!', beendete er seine düsteren Gedanken, sah noch kurz über sein Land und ging langsam nach Hause.
Als er die Stube betrat, hörte er einen Säugling schreien. Er ging schnell in das Schlafzimmer und erblickte das weinende, kleine Kind. Louise lag im Bett und lächelte ihn glücklich an. "Nathan, es ist ein Mädchen", flüsterte sie ihm zu.
"Herzlichen Glückwunsch Nathan!", sagte Dr. Smith und reichte ihm die Hand.
Nathan lief daraufhin gleich ans Bett, umarmte seine Frau und nahm behutsam seine erste Tochter in den Arm. "Hallo mein Schatz. Hallo Kleines. Ich bin es, dein Vater", sagte er lächelnd zu ihr und legte sie wieder neben Louise ins Bett.
"Wie soll sie denn heißen, Nat?", fragte ihn Louise. Nathan schaute seine Tochter noch einmal an und antwortete: "Ich glaube sie sieht etwas deiner Mutter ähnlich. Wir sollten sie deswegen nach ihr benennen." Er machte eine Pause und verkündete voller Stolz: "Sie soll Samantha heißen!" Daraufhin drehte er sich um und verließ fast schwebend den Raum.
"Dad! Dad! Die Gerstenbergs kommen!", rief einer der Jungen laut. "Joel, das ist doch kein Grund, so laut über den Hof zu schreien", antwortete ihm Louise.
"Und außerdem ist Vater nicht da, sondern auf den Feldern und überprüft den Fortschritt der Ernte." "Aber Mutter, wir müssen etwas tun! Dad sagt, die Leute haben es mit dem Teufel", rief Joel und wollte ins Haus rennen, um die Schrottflinte seines Vaters zu holen.
"Joel!" schrie Louise. "Bleib bitte hier. Diese Leute haben uns nie etwas getan. Und selbst wenn Vater seine Gründe hat, weshalb er mit dieser Familie keinen Umgang pflegt, dann ist das immer noch kein Grund gewalttätig zu werden!" Joel blieb stehen und sah sich um.
Anton und seine Frau fuhren gerade mit ihrem Wagen auf den Hof und hielten vor dem Haus. Die Pferde schnaubten. Der aufgewirbelte Staub legte sich langsam nieder. Anton sprang vom Bock und half Lisa vom Wagen zu steigen. Er nahm sie bei der Hand und schritt auf Louise zu. "Seien Sie gegrüßt, Mrs. Burton. Wir sind ausnahmsweise zu Ihnen rausgekommen, um Ihnen zu Ihrer zweiten Tochter zu gratulieren", sagte er und gab Mrs. Burton die Hand.
"Danke. Das ist aber sehr freundlich, dass Sie gekommen sind. Ja, wir sind auch wirklich froh, dass alles so gut verlaufen und das Kind gesund ist. Wir haben sie Michelle genannt", verkündete sie stolz. Anton lächelte etwas und schaute sich um. Lisa lächelte auch und bemerkte: "Ich freue mich so für Sie. Wie glücklich müssen Sie sein zwei Töchter zu haben."
"Ja, das bin ich wirklich, sie sind mein ganzer Stolz. Und wo haben Sie Ihren Sohn Max gelassen?" antwortete Louise.
"Er ist im Moment nicht Zuhause, sondern ist mit seinem Onkel Henry im Wald jagen. Henry war so gut, uns zu besuchen, weil Anton bei wichtigen Geschäften, seinen Rat und seine Hilfe benötigte", erzählte ihr Lisa und strich sich eine lange, blonde Haarsträhne aus ihrem schönen Gesicht.
Anton sah noch einmal über den Hof. "Ist Ihr Mann nicht da?"
"Keine Angst", antwortete Louise. "Er ist auf den Feldern und kommt erst am Abend wieder. Aber wollen Sie gar nicht hereinkommen und mit mir eine Tasse Tee trinken?", bot Louise ihnen an.
"Oh ja, sehr gerne", antwortete Lisa. Anton und Lisa folgten Mrs. Burton in die Stube.
Es war ein sehr schönes Haus. Eingerichtet wie ein typisches, englisches Herrenhaus. Die Möbel waren aus schwerem, massivem, dunklem Holz. Reich beschmückt mit kunstvollen Schnitzereien. Sie schritten über dicke, orientalische Teppiche in den Salon hinein.
"Setzen Sie sich bitte", forderte sie Louise auf.
"Danke", antwortete Lisa und setzte sich gemeinsam mit Anton auf eine große, schöne Couch.
"Ich werde uns gleich den Tee zubereiten. Wenn Sie kurz auf mich warten möchten?", sprach Louise und ging in die Küche.
Anton und Lisa sahen sich um. Alles war so akkurat hingestellt. Jede Vase und jede Schale in den zwei großen Vitrinen waren perfekt positioniert. Auf dem runden Tisch lag eine gehäkelte Tischdecke. Auf einem Porzellanteller lag englisches Gebäck und auf einem anderen Obst. Mittlerweile war Louise mit dem Tee zurück und setze sich zu Anton und Lisa an den Tisch.
"So, da haben wir unseren Tee", sprach sie. Sie schenkte den Tee ein und blickte die Gäste freundlich an.
"Wissen Sie Mrs. Burton, wir fragen uns oft, wie es kommt, dass die Menschen in dieser Gegend uns gegenüber so seltsam eingestellt sind. Wir fühlen uns manchmal so einer Kälte ausgesetzt, wie wir Sie noch nie verspürt haben", beklagte sich Lisa.
Louise schaute das Paar wehmütig an. "Ah, meine Liebe. Die Menschen sind wirklich seltsam. Der Mensch versucht, vor dem Anderen immer als der Überlegene dazustehen. Er bildet sich ein, etwas Besseres zu sein. Und das tut er nur, um seinen Nachbarn oder Freunden etwas zu beweisen. Das alles ist oft gegründet auf Gier und Neid. Es ist wirklich wahr, aber die Männer gehen da irgendwie führend voran. Sogar mein Mann gehört zu diesen Menschen. Manchmal kommt es mir vor, unsere Männer aus dem Dorf sind Wölfe und mein Mann ist der Rudelführer. Nicht, dass Sie denken, ich hätte etwas gegen Nathan. Ich liebe ihn, aber das sind so Dinge, die mir auffallen und die ich einfach nicht übersehen kann. Und wenn ich dann beobachte, wie Anderen, mit solch einem Hass wehgetan wird, dann schäme ich mich." Sie blickte nachdenklich in ihre Tasse und schwieg kurz.
"Wissen Sie, wie es einer Mutter zu Mute ist, wie sie ansehen muss, wie ihr Mann die eigenen Söhne in diesen verkehrten Wegen und falschen Gedanken aufzieht? Und ich kann gar nichts dagegen tun." Sie schaute nochmals in ihre Tasse und schwieg abermals. Mit ihrer zitternden rechten Hand hob sie ihre Tasse hoch und führte diese zum Mund.
"Aber meine liebe Louise, wir sind Ihnen nicht böse." Lisa nahm Louises Hände in ihre eigenen und drückte sie leicht. "Wir sind sogar froh darüber, von Ihnen zu hören, dass andere Menschen hier nicht blind sind und sehen welche Ungerechtigkeiten auf dieser Welt geschehen. Glauben Sie mir, wir fühlten uns hier wohl, bis zu dem Tag an dem Ihr Schwiegervater Teile seiner Ländereien zum Verkauf anbot." Anton ballte seine Hände zu Fäusten und schaute zu Boden. Er schüttelte etwas seinen Kopf und seufzte leise.
"Das tut mir wirklich leid", sagte Louise.
"Das braucht es nicht. Es war ja nicht Ihre Schuld, was damals geschah", sprach Lisa und trank noch etwas Tee.
Louise lächelte etwas beruhigt und sagte: "Ach…So geht es mir eben. Ich fühle mich oft für andere verantwortlich, besonders wenn es mein Mann ist, auch wenn ich weiß, dass ich nicht schuldig bin. Eigenartig nicht wahr?"
"Wir wissen es", antwortete Anton. "Wir waren hier so glücklich und jetzt nach so viel Streit und Zank, da denken wir an das umsiedeln."
"Was? Sie wollen umsiedeln?", fragte Louise entsetzt. "Jetzt das Handtuch werfen? In der heiligen Schrift steht, man solle dem Feind trotzen und auf Gott hoffen." Dieses sagte Louise etwas energisch, aber das fiel Lisa und Anton nicht auf.
"Auf Gott hoffen? Welchen Gott?" Anton war es nie möglich gewesen an einen Gott zu glauben. 'Die Kirchen haben sich in den letzten Jahrzehnten, ja sogar Jahrhunderten, zu viel erlaubt. Die Kreuzzüge und die Verbrennungen unschuldiger Frauen, nur weil diese etwas anders waren. Und da will mir jemand über diesen Gott etwas Gutes erzählen?', grübelte er. Anton war jetzt ein wenig aufgebracht, doch wollte er sich nichts anmerken lassen. Er war hier zu Gast und seiner Meinung nach, durfte jeder glauben was er will. "Wissen Sie Louise…", er trank etwas Tee und atmete tief durch, um Mut zu bekommen. Vielleicht, um Zeit zu gewinnen. Er wollte Mrs. Burton nicht zu nahetreten. "…ich kann nicht begreifen, dass dieser Gott, falls es ihn überhaupt gibt, oben sitzt und nur zusieht wie sich die Menschen hier unten auf der Erde bekämpfen und morden. Weshalb tut er nichts dagegen?"
Louise und Lisa schauten sich etwas fragend an. Beide Frauen waren sehr gläubig aber dennoch waren sie wegen Antons Vorwürfen etwas irritiert.
Louise wandte sich wieder Anton zu und entgegnete: "Mr. Gerstenberg. Sie müssen bitte verstehen, dass nicht alle Menschen so sind. Und ich glaube Sie bemerken das ja auch. Gott ist unser Schöpfer. Er ist nicht blind. Er wird die Frommen und Guten für ihre Werke belohnen. Sie müssen nur geduldig abwarten." Anton schaute sie etwas fragend an. "Kann schon sein. Aber dann sind die, die seine Hilfe heute brauchen, tot", sagte er und schwieg.
Es entstand eine unangenehme Stille und keiner mochte den anderen anschauen.
"Ich glaube es wird langsam Zeit für uns zu gehen. Es wird schon draußen dunkel und Ihr Mann kommt gleich nach Hause", unterbrach Lisa diese bedrückte Stimmung und stand auf.
"Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft und den Tee." Anton nahm seinen Hut und ging gemeinsam mit Lisa und Mrs. Burton zur Tür.
"Also bis morgen in der Kirche, Mrs. Gerstenberg!" Louise stand auf der überdachten Veranda und winkte dem davonfahrenden Wagen nach. Etwas nachdenklich ging sie zurück ins Haus.
Noch Tage später musste Lisa an das Gespräch mit Louise denken. Sie stand in der Küche und war gerade dabei Brot zu backen. Nun lebten sie schon seit über zehn Jahren in Shreveport und die Zeit war so schnell vergangen. Sie hatten sich aus gutem Grund hier niedergelassen. Erstens grenzte der Bezirk Caddo nordwestlich von Louisiana an Texas und sie waren somit nicht allzu weit von Henry Scott Jobbins entfernt und zweitens florierte hier der Handel mit allerhand Erzeugnissen, dieser sehr fruchtbaren Erde. Und so hatten sie sich hier ihre Existenz aufgebaut und eine Familie gegründet. Ihr Sohn Max war jetzt zehn Jahre alt und zum Glück gesund. Anton verzeichnete dieses Jahr eine gute Ernte. Sie erinnerte sich an die Anfangszeit, die sehr schwer gewesen war.
In New York angekommen, hatten sie erst einmal beschlossen, in dieser großen Stadt an der Ostküste der Vereinigten Staaten, für eine Weile zu bleiben. Henry lebte eine Zeit lang auch in New York und so war es Anton möglich, recht schnell eine gut bezahlte Arbeit zu finden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm der Strom der Einwanderer stetig zu. Iren, Italiener und Deutsche kamen in der Hoffnung auf ein besseres Leben, doch die meisten verbrachten viele Jahre in den sogenannten Slums, wie den Five Points oder die Bowery im südlichen Teil von Manhattan. Konflikte entluden sich teilweise gewaltsam wie in den Draft Riots, also gewaltigen Unruhen, die die Stadt damals in das größte Chaos ihrer Geschichte stürzten. Das alles blieb Anton und Lisa allerdings erspart, weil Henry sehr gute Beziehungen zu den Stadtvätern von New York besaß. Die Stadt wuchs rasant und Anton baute mit einem Trupp anderer Männer das Straßennetz dieser Stadt aus. Nach einer gewissen Zeit hatten sie genug Geld zusammen, um nach Louisiana umzusiedeln. Henry hatte mittlerweile in Austin, Texas, seine Kanzlei eröffnet und sich an dem dortigen Gericht einen guten Namen gemacht.
Nach der Ankunft in Shreveport hatten sie sich ein Haus gebaut, wie es bei allen Siedlern damals üblich war. Viele Nachbarn haben bei diesem Bau mitgeholfen. Auch Nathan Burton war dabei gewesen und hatte sich bei der Arbeit sehr geschickt erwiesen, was das decken des Daches anbelangte. Doch schon damals bemerkte Lisa eine radikale Abneigung gegen Deutsche. Sie hatte gehofft, diese Einstellung würde sich im Laufe der Zeit ändern, wenn sie sich alle besser kennengelernt hätten. Doch es kam ganz anders…
"Vater, wir müssen einen Teil unserer Ländereien zum Verkauf frei geben, sonst können wir den Hof nicht mehr halten!" Nat war gerade dabei, seinem Vater klar zu machen, von welcher Wichtigkeit der Verkauf der Ländereien war. Durch unglückliche Umstände waren sie in diese Lage gekommen. In der Landwirtschaft geht so etwas schnell. Die Ernten fallen schlecht aus, Kredite müssen getilgt werden, die Zinsen steigen rapide in die Höhe…Und sofort sitzen einem die Banken im Nacken und drohen mit der Versteigerung des eigenen Hauses. Da muss man halt solche Lösungen in Erwägung ziehen. Diese Ländereien, die sie verkaufen mussten sind viel Wert, doch was solls. 'Bei der nächsten Gelegenheit werden wir sie uns oder noch bessere zurückkaufen. So war ich Nathan Burton heiße!' Es war ein heißer Sommer. Viele Narben des Sezessionskrieges waren noch nicht verheilt. Ein Teil der schwarzen Bevölkerung Amerikas, irrte verzweifelt und desorientiert durch das Land. Louisiana wurde immer dichter besiedelt und in letzter Zeit sogar von verflucht vielen Deutschen. 'Man fühlt sich in der eigenen Stadt von dieser deutschen Brut verfolgt. Unglaublich!'
Einige Zeit später stand Nat Burton auf seinem Feld und betrachtete die Menge von Männern, die sich hier versammelt hatten, um seine zum Verkauf angebotenen Ländereien zu begutachten. Es war ein großes Ereignis. Die Burtons galten in der Stadt als eine wohlhabende Familie und jetzt war diese große Familie gezwungen, Land zu verkaufen. Keiner wusste genau, weshalb. Es hieß, der alte Clint Burton säuft und hätte sein Haus und Hof versoffen. Oder man sagte sich, unter vorgehaltener Hand, Nat ist der Spielsucht verfallen und hätte bei dem letzten Ausflug in die Stadt ein großes Vermögen verspielt. Ja, das sagte man sich und noch viel mehr. Doch den wahren Grund wusste niemand. Und es war auch nicht so wichtig. Hauptsache man konnte bei einer solchen Gelegenheit günstig gutes Land erwerben.
Nur zwei Tage später standen dieselben Männer vor einer Empore, die zum Zweck dieses wichtigen Anlasses, errichtet worden war. Die Empore stand auf dem großen Platz, wo sich auch das Gerichtsgebäude der Stadt befand. Sie warteten auf den Verkaufsrichter und den Bankdirektor, die die Versteigerung vollziehen sollten. Nat stand auf den Stufen der Empore und überblickte den großen Platz.
'Mist, ist es mir peinlich. Was mochten die Leute von mir und meiner Familie denken? Sie lachen bestimmt heimlich über mich und machen sich lustig', dachte er. Schon Tage bevor es mit diesem Verkauf losging, hatte er im Wirtshaus diese schiefen Blicke und das Getuschel hinter seinem Rücken bemerk. Oder hatte er sich das alles nur eingebildet?
Wie er da oben so stand, traf ihn fast der Schlag! Was mussten da seine Augen sehen? Anton Gerstenberg stand auch in der Menge! 'Wollte dieser…, dieser Deutsche auch mitbieten? Wieviel noch muss ich über mich ergehen lassen bevor dieses Spektakel vorüber ist?', fragte er sich. Langsam begann in ihm die pure Wut und der blanke Hass aufzusteigen. 'Wenn dieser Gerstenberg es wagen sollte, mein Land zu kaufen, dann kann er was erleben! Solange ich lebe, wird es kein Deutscher schaffen, besser zu sein als ein Burton. Punkt!'
Lisa saß einige Monate später auf einem Hügel auf ihrer Bank und dachte über diese vergangenen Erlebnisse nach. Sie betrachtete die Weiten der Maisfelder und atmete tief durch. Schon bald würden Anton und seine Männer mit der Ernte beginnen. Doch sie machte sich auch Sorgen, denn Nathan Burton machte ihnen das Leben wirklich schwer. 'Er mit seinem Hass gegen alles, was nicht englischer Abstammung war. Unmöglich!' Sie konnte sich noch genau an jenen denkwürdigen Tag erinnern. Anton war so glücklich gewesen, als er von der Versteigerung zurückkam. Sie hatten alle ihre Ersparnisse für diesen Kauf geopfert. Und dann diese furchtbaren Auswirkungen, die sie über Generationen hinaus begleiten würden…
"Ok. Anton", sagte der Richter. "Du bist der Letzte, der geboten hat. Wer bietet höher?" Er überblickte die Menge. Alle überlegten, doch keiner wollte mehr mitbieten. Es war eine große Summe genannt worden, doch noch höher wollte keiner mehr gehen. "Gut Anton, das Land gehört jetzt dir. Herzlichen Glückwunsch!", sagte der Richter. Anton bestieg die Empore und der Richter reichte Anton seine Hand.
"Danke", erwiderte Anton und beide stiegen die Empore wieder herunter und verließen den Platz, um im Arbeitszimmer des Verkaufsrichters die Formalitäten zu erledigen.
Nat stand wie versteinert da und blickte den beiden Männern nach, die sich unterhaltend und lachend langsam entfernten und im Gerichtsgebäude verschwanden.
Nun war es doch geschehen. Der Deutsche hat sein Land ersteigert. Oh, wie tief saß jetzt dieser Hieb. Nathan wurde ganz gelb vor Neid. Doch das sollte ihn nicht daran hindern, klar zu denken. Er stand noch immer oben auf der Empore und dachte nach.
"Hey, Nathan!", rief einer der Männer, die eben noch mitgeboten hatten. "Mach dir nichts daraus. Der Deutsche wird vielleicht gar kein Glück mit dem Land haben und dann kannst du es dir wiederholen. Das ist doch ein Anfänger. Warte ab. Er wird bald aufgeben und wegziehen, wie die anderen Deutschen vor ihm auch. Der soll besser nach Texas auswandern, zu Seinesgleichen."
"Dass du mal Recht behältst, Bobby", antwortete Nat und stieg die Empore herunter. Er ging zu seinem Wagen, strich den Pferden über die Mähne und drehte sich noch einmal um, um einen letzten Blick auf das Gerichtsgebäude zu erhaschen, indem gerade die Besitzurkunde unterzeichnet wurde. Er bestieg seinen Wagen und raste wie gejagt davon, sodass sich der Platz mit Staub füllte. Die wenigen Männer, die noch da waren, fingen an zu husten und fluchten vor sich hin.
Bobby sah Nat nach und sagte zu einem der neben ihm stand: "Nat ist zwar ein guter Landwirt, aber verlieren kann er nicht."
Als sich der Staub gelegt hatte, war der Platz schon leer, als wenn hier nie etwas los gewesen wäre. Die Sonne war am Untergehen und tauchte die Stadt in rötliches Licht. Bald würde es Nacht werden. Ob Nathan Burton gut schlafen wird? Anton Gerstenberg bestimmt.