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4.

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Müller schläft noch, als ich aufstehe, dusche und mich ausnahmsweise schon morgens rasiere. Im Bahnhofbuffet gönne ich mir einen Kaffee und ein Croissant, höre den Diskussionen der Rangierarbeiter und Taxifahrer zu, warte, bis es Zeit ist. Dann schlendere ich gespannt durch den frischen Morgen die Bahnhofstrasse entlang zum Kunsthaus hinauf. Wie Fritschi mir gestern befohlen hatte, melde ich mich um acht Uhr beim Empfang.

»Warten Sie bitte einen Moment, Herr Mettler, Herr Fritschi ist am Telefon.« Die Dame von gestern, die heute ein lilafarbenes Kleid trägt, lässt mich stehen, so schlendere ich ein wenig durch das Erdgeschoss des Museums, nicht aus Interesse, sondern mehr zum Zeitvertreib. Giovanni Segantini, den Maler des Lichts, kenne ich aus St. Moritz, mit Mona war ich einmal in seinem Museum, doch statt die Bilder zu genießen, hielt sie mir einen professionellen Vortrag über die Eignung von Kunst als Kapitalanlage.

»Was bringen die horrenden Auktionspreise einem Künstler, wenn er schon lange tot ist?«, fragte ich beispielsweise.

»Das ist doch nicht die Frage, Claudio«, sagte sie mit gespielter Empörung. »Die Frage ist, welche Rendite ein Werk dem Investor bringt.«

»Aber die Künstler haben für ihre Kunst gelebt, haben gehungert, wurden krank oder depressiv, sie haben unter mangelnder Aufmerksamkeit gelitten, oft warteten sie umsonst auf ihren Erfolg. Und nun, wo sie tot sind, gelten sie als Wertanlage.«

»Nicht nur, Claudio, reg dich nicht so auf! Das Leben der Maler und Bildhauer ist selbstverständlich auch ein Aspekt bei der Gesamtbewertung eines Werkes. Die Nöte im Leben des Künstlers, Skandale und Liebeleien haben aus heutiger Sicht eine gewisse Wirkung, etwas Pittoreskes und Abenteuerliches zieht immer. Ein abwechslungsreiches Leben kann durchaus den Preis steigern.«

»Findest du das nur pittoresk?« Wir waren im Obergeschoss unter der Kuppel des Museums angekommen. Hier hängt das großartige Triptychon, das Segantini für die Weltausstellung von Paris malte. »Werden, Sein, Vergehen. Da schafft einer solche Bilder, steht mitten im Leben und stirbt mit 41 in einer Berghütte an einer Bauchfellentzündung. Siehst du dort die Bergspitzen, da ist das Licht noch nicht fertig gemalt.«

»Dem Marktwert des Künstlers hat es jedenfalls nicht geschadet!«, war die schlagfertige Antwort meiner Anlageexpertin.

Da gab es nur eines, schweigen und durch.

Und in der Gegenwart von Mona das Thema Kunst meiden.

Augusto Giacometti und seinen Cousin Giovanni haben wir im Kunstunterricht am Gymnasium durchgenommen, die Bündner Tourismusplakate von Augusto Giacometti, die in ihrer Einfachheit genial sind, durften wir mehrfach und ungelenk kopieren, bis die klaren Aussagen der Plakate verwässert und verwischt waren. Dennoch, Kunst bei Krell war ein Knaller, er zeigte uns seine Betroffenheit angesichts der Werke, er führte uns an die verletzlichen Seiten der Menschen hinter den Bildern und Statuen heran, ohne oberlehrerhafte Arroganz. Auch Amiet und Hodler, die im nächsten Raum herumhängen, sind keine Unbekannten für mich.

Da, auf einmal steht er vor mir! Dieser magere Hund, der durch die Straßen von Paris zu schleichen scheint, auf der Suche nach Nahrung, nach Zuneigung. Mattes Fell, gesenkter Kopf und hängende Ohren, von allen getreten und verlacht. Ich mag die Skulptur von Alberto Giacometti auf Anhieb, vorsichtig streichle ich ihr über den Rücken.

»Ein schönes Stück, finden Sie nicht auch, Mettler?« Fritschi steht plötzlich hinter mir und schenkt mir ein flüchtiges Lächeln. »Aber Sie sind ja zum Rasenmähen hier …«

»Was kostet dieser Hund, ich meine, was ist er wert?« Ich denke an den Japaner und an sein Angebot.

»Den könnten Sie sich nie leisten, Mettler, auch wenn Sie alle Einnahmen Ihres ganzen Lebens zusammenfassen würden.«

Fritschi geht voraus, seine Schritte hallen im leeren Haus, er führt mich durch eine Hintertüre hinaus in den Park, zeigt mir den Schuppen mit den Gartenwerkzeugen und den Rasenmäher.

»Der Rasen muss perfekt geschnitten sein, Mettler, keine abstehenden Halme an den Rändern. Heute Abend wird hier im Park eine Giacometti-Gala stattfinden, wir erwarten die halbe Kunstwelt der Schweiz, ebenso namhafte Politiker sowie die nationale Presse. Da darf nichts schief gehen, verstehen Sie?«

Ich nicke eifrig. »Was ist meine Aufgabe?«

»Nach dem Rasenmähen können Sie beim Aufbau des Buffets behilflich sein, Sie werden sehen, es gibt genug Arbeit.«

»Wie sieht es längerfristig aus? Können Sie mich hier im Kunsthaus gebrauchen?«

»Das besprechen wir morgen, Mettler. Das hängt von Ihrem Engagement bei unserem Event ab. Beim Empfang heute Abend können Sie mir als Mädchen für alles behilflich sein, klar?«

Die abschätzige Art, wie er Mädchen für alles sagt, passt mir nicht, doch ich sage nichts, ziehe mich um, fülle Benzin in den Tank und beginne ohne Murren den Rasen zu mähen, achte dabei besonders auf Ränder und Kanten. Keiner soll sagen, dass Mettler die Kunst des perfekt geschnittenen Rasens nicht beherrschen würde. Danach reche ich die Wege und klaube Abfall aus den Hecken, die den Park zur Straße hin abschließen.

Später gehe ich den Spezialisten zur Hand, die die Skulpturen aus dem Museum hinaus in den Park transportieren, helfe den Jungs vom Party-Service beim Aufstellen des Buffets neben dem Eingang. Fritschi ist überall, er organisiert, gibt Anweisungen, macht Verbesserungsvorschläge, zeigt dann den Männern des privaten Sicherheitsdienstes, wo die Skulpturen stehen, wie die Zugänge des Parks überwacht werden sollen.

Gerade als es in der Cafeteria einen kleinen Imbiss für die Mitarbeiter gibt, fährt ein weiterer Lastwagen vor. Fritschi gibt mir mit einem Handzeichen zu verstehen, dass ich beim Abladen helfen soll. So nehme ich die Arbeitshandschuhe und packe mit an, wir tragen die Kisten mit den Kühlschränken durch den Park zum Buffet, die Männer der Transportfirma öffnen Kisten, stellen dann die Prachtstücke auf und stecken die Kabel ein. Da ich nicht mehr gebraucht werde, setze ich mich zu den anderen in die Cafeteria und genieße mein verdientes Sandwich.

»Wie sieht das hier aus?«, fragt Fritschi, als wir wieder draußen sind.

»Was meinen Sie?«, frage ich vorsichtig.

Er zeigt auf die Holzkisten, die hinter dem Buffet aufgereiht sind. »Kann man die nicht wegstellen?«

Der Lastwagen, der gerade wegfahren wollte, wird aufgehalten, missmutig öffnen die Arbeiter die Blache. Zusammen tragen wir die leeren Kisten und eine schwere Box mit einem doppelt gelieferten Kompressor wieder über die Wiese und laden sie auf den Lastwagen, danach werden die Tore verschlossen. Fritschi schaut zufrieden in die Runde. »Gut gemacht, Leute, da hat wirklich alles geklappt!«

Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass mir dieser erste Arbeitstag im Museum Spaß gemacht hat. Ich bin wirklich ein perfektes Mädchen für alles.

Fritschi hat sich unterdessen umgezogen, trägt nun Anzug und Krawatte. Auch ich habe meine Gartenkleider mit den Jeans und der Lederjacke getauscht. Der Chef reicht mir ein Glas Weißwein. »Gut gemacht, Mettler, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, würden Sie bitte auch weiterhin mithelfen, auf die Ausstellung aufzupassen, währenddem die Gäste eintreffen? Wichtig ist auch der Moment, bei dem ich meine Rede halte, da darf einfach nichts passieren!«

»Was soll schon passieren?« Ich zeige auf die schweren Skulpturen. »Die trägt man nicht so einfach weg.«

»Da haben Sie recht, Mettler.« Er klopft mir auf die Schulter. »Es ist auch eher eine Formalität wegen der Versicherung.« Er lächelt mir aufmunternd zu und geht hinüber zum Buffet.

Um sechs sind die ersten Gäste da.

Fritschi dreht seine Runde, begrüßt Herren im dunklen Anzug, Damen in festlichen Kleidern, weist Medienschaffende auf die Skulpturen hin, die auf dem perfekt geschnittenen Rasen gut zur Geltung kommen. Fotografen machen erste Bilder im milden Abendlicht. Man steht in kleinen Gruppen herum, nippt an den Gläsern, führt angeregte Gespräche, erst über Kunst, dann über die anderen Anwesenden. Society-Talk eben. In einer solchen Gesellschaft fühle ich mich unwohl und fehl am Platz, ich habe das Gefühl, nicht richtig angezogen zu sein, kann auch bei den Gesprächen nicht mithalten, bin nicht bewandert bei den Themen, die hier die Runde machen. Es sind Codes einer Geheimsprache, man will unter sich bleiben.

So halte ich mich im Hintergrund. Gehe an der Hecke entlang, spreche mit den Sicherheitsleuten bei den Eingängen und komme mir dabei ungeheuer wichtig vor. Dann setze ich mich neben Giacomettis Hund auf den Sockel und streichle ihn. Doch anders als am Morgen fühlt sich sein Rücken rau an, er mag diese Leute auch nicht, hat sein Fell aufgerichtet, fast ist sein Knurren zu hören.

»Herr Regierungsrat, Herr Stadtpräsident, Damen und Herren Stadträte. Geschätzte Kunstfreundinnen, geschätzte Kunstfreunde.« Fritschi hebt seine Stimme, das angeregte Gemurmel der Gäste erstirbt. »Wir haben Sie heute ins Kunsthaus Chur eingeladen, um Ihnen eine neue Sicht auf unsere Giacometti-Sammlung zu ermöglichen. Unser Haus ist stolz darauf, dass es gelungen ist, namhafte Werke des von uns allen geschätzten Malers und Bildhauers aus dem Bergell im Kanton zu halten und sie der Öffentlichkeit auch weiterhin zugänglich zu machen. Die Werke wurden davor bewahrt, in Privatsammlungen zu verschwinden. Dies ist nur dank potenter Förderer des Bündner Kulturlebens möglich. Danken möchte ich ganz besonders …«

Während Fritschi eine lange Liste von Firmen und Personen herunterleiert, die sich um die Sammlung verdient gemacht haben, streife ich durch den Park, beobachte die Leute und flüstere dem Hund etwas ins Ohr.

»Den würden Sie wohl am liebsten bei sich zu Hause auf den Balkon stellen!« Eine Dame in einem etwas zu kurz geratenen weinroten Kleid hat sich von der Gesellschaft entfernt und betrachtet die Skulptur. »In Zürich im Kunsthaus steht auch so ein Hund, er ist nicht zu übertreffen in der Wahrhaftigkeit des Ausdrucks.«

»Mir scheint, als ob Giacometti sich so gefühlt hat, als er vom Bergell ins große und fremde Paris kam«, sage ich leise. Da ist die Frau bereits weitergegangen und verwickelt einen Zigarre rauchenden Herrn in ein Gespräch.

Später führt Fritschi seine Gäste durch den Park, langsam wandern die Leute von Skulptur zu Skulptur, Fritschi erklärt, einige Alphatiere geben brav gelernte Statements zum Besten, ernten distinguiertes Kopfnicken oder provozieren angeregte Diskussionen. Ich bleibe im Schatten der Bäume stehen und trete nur heraus, wenn ein Tablett mit Schinkengipfeln oder Brötchen vorbeigetragen wird.

»Giacomettis Hund!« Fritschi macht eine Kunstpause und schaut sich um. »Gibt es ein besseres Stück, um Giacomettis Weltsicht zu zeigen?«

Ich schüttle den Kopf und greife nach einem neuen Weinglas.

»Und wenn Sie den Hund genau betrachten«, fährt Fritschi fort, »dann sehen Sie hier beim Kopf …« Er verstummt, bückt sich, schaut sich den Kopf genauer an, berührt kurz die Ohren, winkt einen Assistenten zu sich, zeigt diesem ein Detail am Rücken, schüttelt dann den Kopf. »Ich verstehe das nicht!«

»Was ist los?«, fragt die Dame im weinroten Abendkleid.

»Diese Skulptur ist eine Fälschung!« Ganz kurz nur ist es totenstill im Park, es ist, als würden sogar die Fahrzeuge auf der Poststrasse kurz still stehen, dann bricht der Tumult los. Es scheint, als müsse jeder jeden über die Ungeheuerlichkeit von Fritschis Aussage informieren.

Fritschi und sein Assistent kommen auf mich zu. »Kommen Sie bitte mit, Mettler, ich muss mit Ihnen reden.«

»Gerne, wenn Sie meine Meinung zu diesem Vorfall hören wollen«, ich mache eine Handbewegung in die Runde und komme mir dabei sehr wichtig vor, »dann ist die Skulptur nicht hier im Park vertauscht worden, da waren immer Leute anwesend. Es muss heute Morgen passiert sein, als sie noch im Museum stand.«

Fritschi lacht spöttisch. »Hören Sie mit dem Theater auf, Mettler. Und kommen Sie endlich mit, wir wollen wirklich kein Aufsehen erregen!«

»Sie glauben doch nicht etwa, dass ich den Hund …«

Fritschi schaut mich böse an. »Doch, Mettler, genau das glaube ich!«

Einige Fotografen sind auf uns aufmerksam geworden, erste Blitze erhellen den Park. Ich hebe den Arm, um mein Gesicht zu schützen. Die Menge kommt auf uns zu, Fritschi und sein Assistent zerren mich über den Rasen und am Buffet vorbei, wir betreten das Kunsthaus durch den Hintereingang, hasten durch die dunklen Ausstellungsräume. Ich lasse mich ohne Gegenwehr wie ein Verbrecher abführen, glaube erst, dass es ein Spiel ist, das sich sofort aufklären wird, die Verdächtigungen sind so absurd, so abwegig.

»Hier rein, Mettler!« Unsanft schiebt mich Fritschi in sein kleines Büro. »Bevor ich die Polizei rufe, hätte ich noch ein paar Fragen.«

»Die Polizei? Ich habe nichts verbrochen!«

»Und was ist mit der Skulptur von Giacometti? Wo ist sie?«

»Aber ich war es nicht, durchsuchen Sie mich doch, wo soll die Statue denn sein? Hier etwa?« Ich kehre meine Taschen nach außen.

»Glauben Sie denn, dass ich Sie nicht durchschaue?« Fritschi zieht ein Paket Zigaretten hervor und steckt sich eine an. »Sie haben Komplizen gehabt, Mettler, Leute von außen, was weiß ich. Die Polizei wird schon rausfinden, wie Sie es angestellt haben und wo der Hund steckt!«

»Wie kommen Sie gerade auf mich?«

Fritschi lächelt mich kalt an. »Heute Morgen haben Sie sich für die Skulptur interessiert, das ist doch sehr verdächtig. Da stand das Original noch in der Sammlung. Ich war selber dabei, als der Hund am späten Nachmittag in den Park transportiert wurde, auch da handelte es sich um das Original. Danach waren Sie als Einziger die ganze Zeit über im Park und in der Nähe der Skulptur.«

»Das kann nicht sein!«, flüstere ich. »Es muss eine andere Erklärung geben.«

»Das erzählen Sie am besten den Polizeibeamten!« Fritschi steht auf.

»Soll ich anrufen, Chef?« Fritschis Assistent geht zum Telefon hinüber und hebt ab.

»Das mache ich gleich selber, Herr Keller, aber vom Empfang aus. Das geht den da nichts an.« Und er zeigt mit seiner Zigarette auf mich. »Und Sie, Mettler, können sich in der Zwischenzeit überlegen, was für eine Geschichte Sie der Polizei auftischen wollen. Kommen Sie, Keller!«

Fritschi drückt seine Zigarette aus und verlässt mit Keller das Büro. Draußen wird der Schlüssel zweimal im Schloss umgedreht.

Hundsvieh

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