Читать книгу Hundsvieh - Daniel Badraun - Страница 11
5.
ОглавлениеIn meinem Kopf macht sich Panik breit, ich kann kaum noch atmen. Wer wird einem arbeitslosen Lebenskünstler glauben? Wenn es stimmt, dass ich der Einzige bin, der mit dem Hund alleine war, dann habe ich nichts zu lachen. Ich sehe mich bereits in einer engen Zelle hocken, dann wieder im Verhörzimmer, von Lampen geblendet und mit der immer gleichen Frage gequält: »Wo ist Giacomettis Hund?«
Irgendwann würde ich durchdrehen, ich sehe mich schon hechelnd und bellend um den Kommissar herumwedeln und an der Zellenwand mein Bein heben. Mona kommt mir in den Sinn. Was würde sie glauben, wenn man ihr erzählt, dass ihr Claudio ein Kunstdieb ist. Ich muss es Mona selbst erklären, muss sie von meiner Unschuld überzeugen.
Ich schaue mich in Fritschis Büro um, es muss doch einen Ausweg geben! Die Türe ist verschlossen, draußen im Museum sind Fritschi und Keller. Gleich werden die beiden zurückkommen. Hinter dem eindrücklichen Schreibtisch hat es hoch oben ein Fenster. Es lässt sich leicht öffnen, schnell besteige ich den Bürostuhl, sitze auch schon auf dem Sims und springe hinunter in den Park. Der Rasen ist weich, meine Landung und das anschließende Abrollen ideal. Drüben beim Buffet stehen die Gäste des Giacometti-Events und diskutieren aufgebracht, vielleicht aber auch genüsslich lüstern über den dreisten Raub, schließlich ist man nicht jeden Tag bei einer solchen Sensation dabei.
»Da, er haut ab, haltet ihn!«, kreischt eine hysterische Damenstimme.
»Wer?«
»Wo?«
»Der Mann dort drüben, er hat den Giacometti vertauscht.«
Ein paar dynamische Herren laufen auf mich zu. Schon bin ich um die Hausecke herum, renne ein unbeteiligtes Liebespaar über den Haufen, schlage einer Dame mit Nerz das Cocktailglas aus der Hand, krieche durch die Hecke und laufe weiter durch den Park des Verwaltungsgebäudes der Rhätischen Bahn. Oben beim Postplatz höre ich die Sirenen der nahenden Polizeifahrzeuge. Schnell überquere ich die Bahnhofstrasse und tauche in die enge Gasse beim Café Merz. Meine Verfolger sind zurückgeblieben.
Langsam finde ich meinen Rhythmus, ich laufe, ohne meine Kräfte zu vergeuden. Meine Schritte hallen viel zu laut durch die Nacht. Doch niemand dreht sich nach mir um. Wenn Fahrzeuge auftauchen, verkrieche ich mich in dunkle Hauseingänge.
Endlich habe ich Retos Haus erreicht, klingel und warte. Im Schritttempo fährt ein Streifenwagen die Straße hinunter. Gleich sind sie da, gleich werden sie mich sehen.
»Wer da?«, höre ich Müllers Stimme aus dem Lautsprecher.
»Ich bin es, Claudio, mach auf, schnell, sonst …«
Der Streifenwagen rollt heran, da ertönt ein Summen, die Tür gibt nach und lässt sich öffnen, schnell schlüpfe ich in den dunklen Flur und lehne mich schwer atmend an die Wand. Der Polizeiwagen fährt vorbei. Langsam entfernt sich das Motorengeräusch.
Keuchend hetze ich im Dunkeln die Treppe hinauf.
Müller erwartet mich oben an der Wohnungstür.
»Na, wie war dein erster Arbeitstag im Museum?«
Ich lösche das Licht im Raum und ziehe die Vorhänge zu, unten auf der Straße rauscht ein weiterer Streifenwagen vorbei, als er nicht mehr zu sehen ist, atme ich hörbar auf.
»Meinen die dich?« Müller steht neben mir und schaut dem Wagen nach.
Froh, einen Zuhörer zu haben, erzähle ich Reto, wie Morandi und der Japaner mir Geld für den Hund von Giacometti geboten haben, wie ich meinen ersten Tag im Museum verbrachte und wie schließlich die Hundestatue von Giacometti mit einer Fälschung vertauscht wurde.
»Und nun sucht die Polizei nach Claudio Mettler, dem großen Kunstdieb?«
»Ich finde das nicht wirklich witzig, Reto!«
»Das war kein Witz, das war eine Feststellung, eine Analyse der Situation sozusagen.«
»Reto, du nervst! Die Polizei ist hinter mir her, das Ganze ist ein einziger Albtraum, und nun vertrödelst du Zeit mit schrägen Sprüchen!« Am liebsten würde ich meine Sachen zusammenpacken und verschwinden. Doch wohin?
»Beruhige dich, Claudio, du bist mein Freund, das weißt du. Und ich lasse meine Freunde niemals hängen!« Reto Müller setzt Teewasser auf.
»Was soll ich jetzt tun?«
»Erst gibt es einen Melissentee. Der beruhigt!«
Die nächste Viertelstunde verbringe ich auf Müllers Toilette, die ganze Aufregung war zu viel für mein vegetatives Nervensystem, Krämpfe schütteln mich, ich verbrauche wohl eine halbe Rolle Klopapier. Endlich habe ich die Situation wieder unter Kontrolle, Reto schenkt mir ein, gibt einen Löffel Honig in die Tasse. Er selbst genehmigt sich ein Glas Kirsch.
»So, nüchtern betrachtet hast du lausige Karten, Claudio. Du warst am Tatort, du hast dich dem Zugriff der Sicherheitskräfte durch deine Flucht entzogen und damit alle Aufmerksamkeit auf deine Person gelenkt. Das war nicht sehr klug!«
»Vielleicht hast du recht, Reto, doch was hättest du an meiner Stelle getan?«
»Ich hätte sicher nicht so einen lausigen Job angenommen!«
»Und du wärst mit deinem Bauch nicht aus dem Fenster gekommen!«, gebe ich wütend zurück.
Irgendwie wird es dann doch noch ein gemütlicher Abend, wenn man gewisse Umstände außer Acht lässt. Reto erzählt, wie er Carla, die Tochter von Rechtsanwalt Fasciati, kennengelernt hatte und in eine Dreiecksbeziehung mit ihr und ihrer Mutter Dora geraten war. Ich habe die Geschichte schon etliche Male gehört, kenne alle Wendungen und die diversen Variationen des Stoffes, doch für heute Abend ist es genau die richtige Unterhaltung.
Schließlich gähnt Reto. »Ich muss mich hinlegen, gute Nacht!«
»Was machen wir morgen?«
»Darüber muss ich schlafen, Claudio. Morgen sehen wir weiter, du kannst dich auf mich verlassen.«
Müller richtet mir die Couch her und verschwindet dann in seinem Schlafzimmer. Unruhig wälze ich mich hin und her, bald ist das Laken nassgeschwitzt, zwischendurch stehe ich auf, trinke in der Küche Wasser und schaue auf die dunkle Straße hinunter. Kurz nur finde ich Schlaf, immer wieder schrecke ich auf, höre Polizeisirenen oder das Kläffen von Hunden, dann wieder erscheinen vor meinem inneren Auge Polizeigrenadiere mit Maschinenpistolen, die auf mich zielen.
Schweißgebadet und gerädert stehe ich um sechs Uhr auf. Mein Körper fühlt sich an, als hätte ich eine Woche unter einer Brücke geschlafen. Genauso rieche ich auch. So nehme ich eine kalte Dusche und ziehe mir saubere Kleider an.
Konzentriert bereite ich eine Kanne Tee zu, lasse die Blätter genau drei Minuten und zwanzig Sekunden ziehen, finde eine passende Tasse und den Honig in Retos Küche. Langsam trinke ich ein paar Tassen am Fenster. Es ist ruhig draußen, keine verdächtigen Personen, die, den Hut tief ins Gesicht gezogen und die Hände in den Taschen eines zerknitterten Trenchcoats vergraben, in Hauseingängen oder an Laternen lehnen, keine übernächtigten Beamten, die in parkierten Fahrzeugen rauchend die Zeit totschlagen. Kurz: Im Moment werde ich da unten nicht erwartet. Doch das kann sich jederzeit ändern.
»Ich habe es mir überlegt!« Müller erscheint in einem seidenen Morgenmantel mit chinesischen Schriftzeichen auf der Brust, seine Haare sind schon frisch eingeölt und das kleine Schwänzchen sitzt perfekt an seinem Hinterkopf. »Du musst weg hier und zwar möglichst schnell!«
»Warum? Hier sucht mich doch niemand!«
»Glaub mir, die Stadt ist gefährlich für dich. Vielleicht hat uns gestern jemand zusammen gesehen, vielleicht wurdest du beobachtet, wie du das Haus betreten hast, dann kann ich nichts mehr für dich tun!« Müller zeichnet mit seinen Fingern imaginäre Gitterstäbe in die Luft.
»Aber ich bin unschuldig!«, rufe ich viel zu laut.
»Das sagen alle!«, gibt er zurück, lächelt dann verlegen. »Das habe ich aus dem Fernsehen, entschuldige.«
»Ich muss meine Unschuld beweisen!«
»Pssst! Nur nicht nervös werden, Claudio. Was wir brauchen ist Zeit. Wenn du ein paar Tage aus dem Blickfeld verschwunden bist, wird die Polizei auch andere Spuren verfolgen.« Müller stellt die Kaffeemaschine an. »Und wenn die wahren Schuldigen erst einmal gefasst sind, dann tauchst du wieder auf und bist rehabilitiert, verstehst du?«