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Der frühe Tod

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Sie werden sehr früh mit dem Tod konfrontiert. Bei der Beerdigung Ihres Vaters auf dem Friedhof in La Chaux-de-Fonds sind Sie fünf Jahre alt. Er war tu­ber­kulose­krank, Schreiner, hatte sich ein Jahr zuvor mit seiner Familie in den jurassischen Ber­gen nieder­gelassen. Sie hatten gerade knapp Zeit gehabt, Französisch zu lernen. Ihr Vater hinterlässt vier Knaben, ein Mädchen und kein Geld. Sie, der Älteste, sind in Bern geboren.

Margarete, Ihre mittellos gewordene Mutter, ­hei­­ratet drei Jahre später einen sieben­und­vier­zig­jährigen Witwer, der in Thun den Beruf eines Malerdekorateurs ausübt. Er ist Vater von vier Mädchen und einem Jungen. Das neue Ehepaar hat zusammen drei weitere Buben. Wenn ich richtig zähle, wart Ihr dreizehn Kinder. Sie verlassen diese Welt sehr früh. Jedes Jahr oder sogar mehrmals pro Jahr müssen Sie sich die Leiche eines Ihrer jüngeren Geschwister ansehen.

Ihr Schwiegervater kann die Überlebenden nicht ernähren, beginnt zu trinken. Mit dreizehn Jahren übernehmen Sie seine Malerwerkstatt, während Ihre am Leben ge­bliebenen Brüder und Schwestern durch das Sammeln von Holz in den Wäldern ein bisschen Geld verdienen. Im Jahr darauf bricht die Tuberkulose auch bei Ihrer Mut­ter aus. Einer Frau von neununddreißig Jahren, von der Sie sagen, sie sei stark und fröhlich gewe­sen. Bevor sie krank wurde, sang sie den ganzen Tag. Nachts werden Sie von ihren Schmerzensschreien geweckt, gehen an ihr Bett, beobachten sie, wie Sie später das zunehmende Leiden auf dem Gesicht von Valentine verfolgen.

Jeden Morgen steht Ihre Mutter auf, um sich um die Kinder zu kümmern. Bis zu jenem Tag im März 1867, Sie waren vierzehn Jahre alt. Sie arbeitet auf den Feldern außerhalb der Stadt, bricht plötzlich zusammen. Sie, das Kind Ferdinand, legen die Leiche auf einen Karren. Mit Ihren Brüdern und Schwestern bringen Sie sie nach Hau­se. Ich stelle mir den Umzug der Kinder vor, die weinend hinter den sterblichen Überresten ihrer Mutter durch die Vororte von Thun ziehen. Hat sie die Augen noch geöffnet oder hängen die Arme aus dem Karren? Danach wird keiner Ihrer Brüder das Erwachsenenalter erreichen. Was Ihre Kindheit betrifft, sagen Sie: «In der Fami­lie war der Tod allgegenwärtig. Ich glaube, am Ende hatte es immer einen Toten im Haus, als müsse das so sein.»

Ihr Stiefvater erträgt den Tod seiner Frau nicht, bringt alle seine Kinder bei Ver­wandten unter. Sie, Ferdinand, vertraut er einem Lehrmeister an. Dann packt er seine Koffer und zieht nach Amerika. An­fänglich scheint es, er komme davon, er meldet sich bei den Hinterbliebenen. Zwei Jahre nach seiner An­kunft in Boston erfahren Sie, er sei gestorben.

Ihr Leben beginnt im Zeichen des Todes. Man weiß, dass dieser uns einholt, aber in Ihrem Fall wird man sagen, er sei Ihnen vorausgegangen. Deshalb prägt er alle Ihre großen Werke. Niemand schaut ihm so oft ins Gesicht wie Sie.

Wenn die Nacht in Stücke fällt

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