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PLÖTZLICH BUNDESLIGATRAINER

Vom Jugend- zum Cheftrainer in der ersten Fußballbundesliga

Thomas Tuchel sitzt im Bus. Rückreise vom Trainingslager mit seinen A-Junioren aus Obsteig in Tirol. Es ist Sonntag, der 2. August 2009. Die Gedanken Tuchels kreisen, ganz gegen seine Gewohnheit auf Busfahrten mit seinem Team, gar nicht so sehr um die anstehende Trainingsarbeit. Vielmehr freut er sich besonders aufs Wiedersehen mit seiner Frau Sissi und vor allem der kleinen Emma. Zwei Wochen zuvor ist Tuchel erstmals Vater geworden. Es ist die Krönung eines berauschenden Sommers, in dem dem Trainer alles zu gelingen scheint. Kurze Zeit zuvor hat er mit den A-Junioren von Mainz 05 den deutschen Meistertitel gewonnen. Dann folgte die Geburt seines ersten Kindes. In der Sommerpause. Wie es für die Familie eines Fußballtrainers nicht besser passen könnte. Die Abreise ins Trainingslager nur wenige Tage nach der Geburt war der einzige Wermutstropfen. Eine Woche hat der damals 35-Jährige seine junge Familie nun nicht sehen können. Noch ein paar Stunden im Bus, dann sind zwei freie Tage eingeplant für seine Mannschaft – und vor allem für seine Familie.

Volker Kersting, der im Bus neben Tuchel Platz genommen hat, weiß, dass die Planungen seines Sitznachbarn zu diesem Zeitpunkt längst hinfällig sind. Der Leiter des Mainzer Nachwuchsleistungszentrums hat eine SMS von Christian Heidel erhalten: „Es ist so weit.“ Kersting muss nicht überlegen, was der mächtige Manager von Mainz 05 ihm sagen will. „Ich wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte“, erinnert sich Kersting. Kurz vor Ankunft des Busses in Mainz meldet sich Heidel dann auch bei Tuchel, es folgt ein erster SMS-Austausch während der Busfahrt. Der Manager bittet den Trainer um ein vertrauliches Treffen. Die Nachwuchsspieler sollen die Entwicklung nicht mitbekommen. Nachdem der Bus Mainz erreicht hat, begleitet Kersting Tuchel erst einmal in dessen Wiesbadener Wohnung. Das neugeborene Kind soll schließlich seinen Papa auch mal wieder sehen. Kersting und Tuchel plaudern noch ein wenig über die neue Entwicklung.

Zwei Tage zuvor hat der Bundesligaaufsteiger aus Mainz in der ersten Runde des DFB-Pokals verloren. Wie schon oft in der Vereinsgeschichte war der Klub ein beliebtes Opfer für einen niederklassigen Gegner. Für Jörn Andersen sollte die 1:2-Pleite nach Verlängerung beim Regionalligaklub VfB Lübeck das letzte Spiel auf der Mainzer Bank gewesen sein. Schlimmer als die Erstrundenniederlage wiegt jedoch die schlechte Stimmung im Team. Und das, obwohl Mainz 05 mit dem Trainer Andersen nur zweieinhalb Monate zuvor in die Bundesliga zurückgekehrt ist. Vor dem Lübeck-Spiel sind aber über das Online-Portal der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) Interna an die Öffentlichkeit geraten. Dort berichteten Spieler anonym von gravierenden charakterlichen Veränderungen des Trainers, der sich plötzlich wie ein General auf und neben dem Platz zu verhalten begonnen habe. Andersen hatte bewusst eine Distanz zu seinen Spielern aufgebaut, ließ Assistenztrainer Jürgen Kramny einen Großteil der Trainingsarbeit verrichten, während er selbst den strengen Beobachter gab. In der Kabine hatte er in der Sommerpause die Spinde der Spieler von Fotos der großen Momente ihrer Karriere oder Bildern der Kinder befreien lassen. Andersen begründete solche Maßnahmen mit seiner Überzeugung, dass „ein Spieler nur Leistung bringt, wenn er Ordnung hält“. Andersens neues Credo war, dass ein Aufstiegsteam nur durch Härte des Trainers auf den Kampf gegen den Abstieg vorbereitet werden könne. Der damals 46 Jahre alte Norweger, einst Bundesliga-Torschützenkönig im Trikot von Eintracht Frankfurt, hatte den Klub in der Vorbereitung wissen lassen, dass er sich als Trainerpersönlichkeit neu darstellen wolle. Er glaubte, wie der für hartes körperliches Training bekannte Felix „Quälix“ Magath auftreten zu müssen. Dazu gehörte auch ein persönlicher Ausrüstervertrag mit einem Modelabel, das mit der Aura des „Lonely Cowboy“ wirbt.

Manager Heidel stört diese Attitüde bereits im Trainingslager im österreichischen Flachau massiv. Er versucht auf den Trainer einzuwirken, der aber stattdessen weiteren Ärger provoziert: Zu einem Empfang des Bürgermeisters der durch „Herminator“ Hermann Maier bekannten Wintersportgemeinde im Salzburger Land kommt Andersen deutlich zu spät – er hatte noch Golf gespielt. Auch dieser Vorgang wird aus der Klubführung an die Öffentlichkeit durchgestochen, der Verein hat das Vertrauen in Andersen verloren. Und so wird erstmals in der Bundesligageschichte ein Aufstiegstrainer nur fünf Tage vor seinem ersten Bundesligaspiel suspendiert. Andersen hätte sich seine Dienstreise in Begleitung von Assistent Kramny zur Beobachtung des ersten Auswärtsgegners Hannover 96 bei Eintracht Trier im DFB-Pokal sparen können. Sein Schicksal ist an diesem späten Sonntagnachmittag bereits besiegelt, Mainz-Manager Heidel muss allerdings noch Andersens Nachfolger von der Dringlichkeit einer schnellen Entscheidung überzeugen.

Thomas Tuchel fährt für das Gespräch mit Heidel spät am Abend zurück an den Bruchweg, wo er sich gegen 22 Uhr mit dem Manager trifft. Heidel erklärt Tuchel, dass er auf ihn setze. Der designierte jüngste Bundesligatrainer der neuen Saison aber zögert. „Thomas hatte sich sogar ein oder zwei Wochen Bedenkzeit erbeten“, erinnert sich Heidel. „Da musste ich ihm klarmachen, dass das im Fußballgeschäft nicht so leicht möglich ist und schon gar nicht in unserer Situation als Aufsteiger fünf Tage vor dem Auftakt der Bundesligasaison. Ich sagte ihm, dass das vielleicht eine einmalige Chance in seinem Leben ist.“ Nachts um zwei Uhr nutzt Tuchel sie. Er sagt zu. Mainz 05 hat einen neuen Trainer. Am nächsten Tag wird er der Presse vorgestellt, nachdem Heidel zuvor früh am Morgen Andersen von seinen Aufgaben freigestellt hat. Der Norweger ist zu dem Termin im Irrglauben erschienen, dass Heidel noch vor Saisonbeginn die frühzeitige Vertragsverlängerung mit ihm, dem Aufstiegsscoach, besprechen will. Stattdessen bekommt Andersen seine Papiere. Tuchel erhält einen an die neue Aufgabe angepassten Vertrag als Profitrainer mit einer Laufzeit über zwei Jahre.

Und so sitzt Thomas Tuchel am Montag, kurz nach 13:30 Uhr, auf dem Podium im kleinen, aber vollbesetzten Presseraum von Mainz 05. Er wirkt beeindruckt vom Blitzlichtgewitter, dem er sich ausgesetzt sieht. Die Nervosität ist ihm anzusehen. „Da kam ich schon ins Schwitzen. Das war eine andere Welt“, gesteht er später ein. Aber seine Aussagen sind klar und weisen den Weg. „Ich gehe mit Respekt an die Aufgabe, aber ohne Angst. Im Moment ist es ein Traum, den ich hier lebe“, sagt er. „Ich habe vom ersten Tag an bei Mainz 05 Rückendeckung und Wertschätzung für mich und meine Arbeit gespürt. Dann interpretiert man das für sich auch so, dass man irgendwann mal vielleicht auf die Liste der Kandidaten für die erste Mannschaft rutschen könnte. Dass es so schnell geht, hätte ich natürlich nicht gedacht.“ Tuchel beteuert zudem, dass er einen für Mainz typischen Stil mit Vorwärtsverteidigung und Umschaltspiel bevorzuge. „Es muss für die Gegner wieder eine Bestrafung werden, zum Bruchweg raufzufahren und 90 Minuten gegen Mainz 05 spielen zu müssen.“

Der Berufung zum Cheftrainer ist einige Monate zuvor ein intensiver Austausch mit Heidel vorangegangen. Der damals 46 Jahre alte Mainzer Manager war im Frühjahr von Tuchel um eine Vertragsauflösung gebeten worden. Tuchel wollte ein Angebot der TSG Hoffenheim annehmen, um dort als U23-Trainer zu arbeiten. Die im Vergleich zu den Mainzer Gehaltsdimensionen im Nachwuchsbereich finanziell deutlich lukrativere Offerte hatte ihm Hoffenheims Chefcoach Ralf Rangnick unterbreitet, einst Tuchels Trainer beim SSV Ulm und später Mentor beim Einstieg in die Trainerlaufbahn: Rangnick hatte den 27 Jahre alten Tuchel im Nachwuchsbereich des VfB Stuttgart als Assistenztrainer der U15 untergebracht. Gegenüber Heidel begründete Tuchel seine Wechselabsichten damit, dass er ein guter Trainer werden und in Hoffenheim das letzte Rüstzeug dafür erwerben wolle. Heidel lehnte Tuchels Bitte um Freigabe rundweg ab und erläuterte ihm dies in einer langen E-Mail. „Ich habe da einen legendären Satz geschrieben, dass ich der Auffassung bin, dass er längst so weit ist, nicht mehr lernen zu müssen, er könne vielmehr schon lehren“, erinnert sich Heidel und muss über seine untypisch gestelzte Wortwahl auch im Nachhinein noch mal schmunzeln. „Ich habe ihm zudem versprochen, dass er in meinem Kopf drin ist, wenn sich bei uns mal was tut auf dem Trainerposten.“

Tuchel schrieb dann zurück, dass er die Zusicherung toll finde, aber es ihm darum gar nicht gehe. Er wolle nur einfach ein guter Trainer werden. Er akzeptierte die Entscheidung und sagte, dass nun alles okay sei und er auch das Angebot aus Hoffenheim gar nicht mehr wolle. Er sei wieder mit Haut und Haaren in Mainz und bedankte sich für das Vertrauen.

12.500 Euro hätte Tuchel in Hoffenheim monatlich verdienen können, fast das Doppelte seines Gehalts in Mainz. „Aber Thomas ging es da nicht ums Geld. Für ihn war Hoffenheim der Anreiz, weil er überzeugt war, dort noch mehr mitnehmen zu können für seine Entwicklung. Die Bedingungen dort – mit wissenschaftlicher Arbeit, großen Betreuerstäben und Ralf Rangnick als Vordenker – waren für ihn verlockend“, sagt Kersting, der Tuchel ein Dreivierteljahr zuvor an den Bruchweg gelotst hatte, nachdem der vorherige A-Juniorentrainer Kramny zum Assistenten bei den Profis befördert worden war.

Der Leiter des Mainzer Nachwuchsleistungszentrums kannte Tuchel von zahlreichen Begegnungen in den vorangegangenen Jahren. „Zunächst hatte ich ihn eher lose wahrgenommen als Co-Trainer von Hansi Kleitsch und später als U15-Trainer beim VfB Stuttgart. Bewusst habe ich ihn dann erlebt, als er in Augsburg Leiter des Nachwuchsleistungszentrums wurde, wo er auch die U23 trainiert hat“, sagt Kersting. „Bei den Tagungen der Leiter der deutschen Nachwuchsleistungszentren fiel er auf, weil interessant war, was er zu sagen hatte. Thomas dachte immer ein wenig quer. Aus den Gesprächen merkte ich, wie tief er in der Materie drin ist. Ich habe dann genauer verfolgt, wie er die U19 des FC Augsburg hat spielen lassen, und ihn dann im Kopf gehabt, als Jürgen Kramny zu den Profis befördert wurde.“ Kersting rief Tuchel an und stieß direkt auf Interesse: „In Mainz waren wir damals viel weiter als Augsburg. Dort musste er sich neben allem anderen Kram auch noch ums Aufpumpen der Bälle kümmern.“

Von Beginn an ist sich Kersting sicher, dass Tuchel die bestmögliche Lösung als Trainer für die U23 des FSV ist. Er muss nur noch Stefan Hofmann überzeugen, mit dem er das Nachwuchsleistungszentrum zusammen leitet. Der heutige Vorstandsvorsitzende des Klubs hat damals – neben einem Job im rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministerium – eine Halbtagsstelle bei 05, als Inhaber der Fußballlehrerlizenz besitzt sein Wort Gewicht bei der Besetzung des Trainerpostens. „Ich habe vorgeschlagen, dass wir uns mal mit Thomas Tuchel treffen sollten“, sagt Volker Kersting. „Ich wusste, dass ich bei Stefan nicht sagen durfte, dass Thomas zu 100 Prozent passe, weil er sonst vielleicht eine Ablehnungshaltung entwickelt hätte“, sagt Kersting. Die beiden Mainzer fahren also nach Stuttgart ins SI-Centrum, ein Erlebniszentrum mit einem Musicalhaus, einer Spielbank, Kinosälen und eben auch ein paar Cafés, in denen man sich zu Gesprächen dieser Art treffen kann. Tuchel ist unfassbar gut vorbereitet und nimmt beide direkt für sich ein. Er unterbreitet bereits Vorschläge, wo er in Mainz in der Entwicklung ansetzen kann. „Als nach kurzer Zeit nur noch Thomas und Stefan miteinander über den Fußballlehrerlehrgang und andere Dinge gefachsimpelt haben und ich mich zurücklehnen konnte, da wusste ich, dass es was wird“, sagt Kersting. Kurz nach dem Einsteigen ins Auto in der Tiefgarage verpasst Hofmann seinem Kumpel Kersting dann einen blauen Fleck, als er ihm freundschaftlich auf die Schulter haut. „Du Drecksack, du wusstest doch schon vorher, dass er genau der Richtige ist.“ Die beiden Nachwuchsförderer aus Mainz sind bester Laune. Selten zuvor haben sie eine Personalentscheidung gemeinsam mit ähnlicher Überzeugung getroffen. Der Besuch Tuchels in Mainz, wo er sich die Trainingsstätte genau anschaut und man die Vertragsinhalte bespricht, wird zur Formsache. Der Trainer ist ebenfalls Feuer und Flamme für die neue Aufgabe, da er in Augsburg keine Entwicklungsmöglichkeiten für sich mehr sieht. Und es fehlt ihm in dem Klub, in dem er zum Jugendnationalspieler gereift war, auch an der Wertschätzung. Deswegen hatte Tuchel, unabhängig von neuen Optionen, beim FCA bereits seinen Abgang angekündigt. Dem Klub wird er in den kommenden Jahren bei Begegnungen in der Bundesliga stets mit einer erstaunlichen Distanz begegnen. Eine besondere Bindung ist nicht geblieben aus den immerhin sechs Jahren am Rosenaustadion.

In Mainz legt Tuchel gleich los wie die Feuerwehr. „Vom ersten Training an war da ein Feuer, das ich nie zuvor erlebt hatte. Die Jungs waren mit einem Eifer bei der Sache, die wollten gar nicht mehr runter vom Trainingsplatz“, erinnert sich Volker Kersting. „Im ersten Trainingslager mussten wir die Nachmittagseinheiten nach über vier Stunden abbrechen – weil es dunkel wurde.“ Die jungen Mainzer Spieler spüren von Anfang an, dass der neue Trainer sie Tag für Tag besser macht. Tuchel beeindruckt sie durch seine bedingungslose Fokussierung. „Er hat in dieser Zeit nur in seiner Aufgabe gelebt. Viele andere Trainer im Jugendbereich schielen nur auf den nächsten Schritt und überlegen, wie sie den schaffen können“, sagt Kersting. „Thomas hat mit großer Gelassenheit im Moment gearbeitet. Im Vertrauen darauf, dass sich alles Weitere irgendwann findet.“ Tuchel hat diese Herangehensweise nach einer persönlichen Begegnung von einem Hockeytrainer übernommen, wie er in einem Interview mit der FAZ sagt: „Ein englischer Trainer, der in Indien Sportchef des indischen Verbands ist, sagte mir mal: ‚Wenn ihr U17-Trainer seid, wollt ihr eigentlich schon U19 trainieren. Wenn ihr Co-Trainer seid, wollt ihr eigentlich schon Chef sein. Das ist ein Fehler!‘ Da ist was dran. Wer in seinem Job aufgeht und sich frei macht von Eitelkeiten, der wird in seiner Qualität dazugewinnen. Und das wird irgendwann erkannt. Mein Sprung war nur möglich, weil ich es nie zwanghaft wollte. Ich habe der U19 alles gegeben und mir gesagt, dass ich alles andere eh nicht beeinflussen kann.“

Entsprechend geht Tuchel in seiner neuen Aufgabe in Mainz auf. Ein Spieler wie Jan Kirchhoff, der – beginnend mit dem A-Juniorenjahr – fünf Jahre lang mit Tuchel zusammenarbeiten wird, kann sich nicht mehr an Details der ersten Wochen erinnern. Aber er weiß noch, wie dieser Trainer alle für sich eingenommen hat. „Wir sind unglaublich schnell ein unfassbar verschworener Haufen geworden, weil es einfach Spaß gemacht hat, zusammen sehr hart zu arbeiten“, sagt Kirchhoff. Und der Trainer trägt seinen Teil dazu bei mit besonderen Ideen. Im Trainingslager fragt er Kersting spontan, ob er das Budget habe, Mountainbikes für das gesamte Team ausleihen zu können für eine Gipfeltour. Der ganze Kader stürmt anschließend mit den Rädern auf Zeit hinauf zur Simmeringalm, dort gibt es Kaasspatzn beim wunderschönen Blick ins Inntal und später auf dem Gipfel des Simmering in 2.096 Metern Höhe eine jener Ansprachen, mit denen Tuchel seine Teams für sich begeistert. Er gibt als Ziel vor, dass die Mannschaft ein Endspiel erreichen soll. In Mainz denken sie dabei eher ans deutsche A-Jugend-Pokalfinale, das mit nur drei Siegen zu erreichen ist. Bei der Rede packt der Trainer auch noch einen kleinen Trick aus, der später in der Saison noch einmal Bedeutung erhalten wird. „Thomas fragte mich, ob ich irgendwas mit Symbolwert dabei hätte, was man als Schatz vergraben könne“, erinnert sich Kersting. „Ich habe einen 05-Pin in der Tasche gehabt. Wir haben den dann in ein Snickerspapier eingewickelt und an einer markanten Stelle verbuddelt. Ich sehe das noch heute genau vor mir.“ Tuchel sagt seiner Mannschaft, dass sie nach dem Finaleinzug noch einmal alle zusammen auf diesen Berg gehen werden, um den Schatz auszugraben.

Der Mannschaftsrat marschiert zum Trainer

Die Mainzer gewinnen nicht sofort alle Spiele. Die Saison beginnt mit einer Niederlage gegen Hoffenheim, Gegentreffer in der Nachspielzeit. Tuchel ist enttäuscht, verbreitet in seiner Mannschaft aber Optimismus. Er überzeugt die Jungs von seinem Weg, auch wenn das Ergebnis erst einmal nicht stimmt. Nach einer Siegesserie im Herbst, die dem Team Platz zwei hinter Tabellenführer SC Freiburg mit dessen Trainer Christian Streich beschert, folgt zudem das Ende des ersten Traums: Im DFB-Pokal-Achtelfinale unterliegen die Mainzer Borussia Dortmund mit 3:5. Der Schatz auf dem Simmeringgipfel, so scheint es, muss nicht mehr ausgegraben werden. Rund um diese Pokalbegegnung verlieren Tuchels Jungs in der Liga auch gegen ihre direkten Verfolger Bayern München und VfB Stuttgart. Die Mainzer Nachwuchskicker sind auch deshalb in der Krise, weil ihr bester Mann fehlt. U19-Nationalspieler André Schürrle, der spätere erste Weltmeister mit Mainzer Fußballausbildung, fällt mehrere Wochen lang aus. Tabellenplatz zwei geht verloren, der für die Teilnahme an der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft berechtigt. Die Stimmung ist erstmals im Keller. Tuchel kann nicht aus seiner Haut. Sein Umgangston im Training wird noch härter und direkter, als er es ohnehin schon ist. Die jungen Spieler sind verunsichert, sie fühlen sich ungerecht behandelt. So nimmt sich der Mannschaftsrat um Jan Kirchhoff und André Schürrle ein Herz und marschiert zum Trainer. „Wir haben ihm gesagt, dass wir anders behandelt werden wollen. Wir haben ja nicht absichtlich verloren, es lief nur einfach ein paar Wochen nicht so gut“, erinnert sich Kirchhoff später, als er gemeinsam mit Schürrle bei Tuchels Berufung zum Cheftrainer in Mainz von Journalisten zu ihren Erfahrungen mit dem Trainer befragt wird. Die beiden Jugendnationalspieler sind die einzigen A-Junioren, die Tuchel direkt zu den Profis folgen werden. Tuchel hört sich die Beschwerde der Spieler an und ändert sich. Fortan wahrt er Grenzen, wenn er seine Nachwuchsspieler kritisiert. Und das scheint gut so. Das Team festigt sich. Es spielt immer in einem 4-2-3-1-System, ständige Wechsel, wie sie später bei Tuchel an der Tagesordnung sind, gibt es noch nicht. Im Jugendfußball würde das die Spieler zu sehr verunsichern. In diesem Alter braucht das Talent noch Sicherheit. Und zum anderen hat Tuchels Mannschaft mit den immer gleichen Spielzügen auch Erfolg. Die Gegner wissen eben nicht durch Videoanalysen oder Ähnliches wie später bei den Profis, was die Mainzer vorhaben. Das letzte Spiel vor der Winterpause gewinnen Bell, Kirchhoff, Schürrle und Co. an Nikolaus 2008 gegen den SC Freiburg, den Tabellenführer und Deutschen Meister der Vorsaison. Dessen Trainer Streich ärgert sich am Spielfeldrand schon so wie später als Bundesligatrainer. Begegnungen mit Tuchel werden für ihn immer ganz besondere bleiben. Die beiden verstehen sich außerhalb des Platzes prächtig, weil sie viele Gedanken zum Fußball teilen. Aber in den 90 Minuten herrscht zwischen ihnen fast eine Art Kriegszustand. „Mit Christian war es immer der Wahnsinn“, sagt Volker Kersting. „Vor dem Spiel innige Umarmungen, nach dem Spiel herzliche Verabschiedungen, natürlich gerne mit den Worten: ‚Glückwunsch zum Sieg, eigentlich hätten aber wir ja gewinnen müssen.‘ Aber beim Spiel hat es nach dem Anpfiff keine drei Minuten gedauert, dass er erstmals an unserer Bank auftauchte und uns aufs Übelste beleidigt hat. Thomas und er haben schon eine besondere ‚Liebesbeziehung‘.“ Die Wertschätzung geht so weit, dass Tuchel trotz der deftigen Begegnungen an der Seitenlinie Streich nach seiner Berufung zum Cheftrainer durch Kersting kontaktieren lässt und anfragt, ob er sein Assistent werden wolle. Das Vorhaben scheitert. Vermutlich zu beider großem Glück. Zwei Alphatiere auf einer Trainerbank, das wäre nicht gut gegangen, ist Kersting überzeugt. Stattdessen findet Tuchel in Arno Michels, mit dem er einst den Fußballlehrerkurs besucht hat, sein Alter Ego. Michels wird später Tuchels Assistent.

Der Sieg gegen Freiburg bringt die Mainzer A-Junioren zurück auf Rang zwei. Die Weihnachtsfeier im Mannschaftskreis ist gerettet. Die Aussichten für 2009 sind hervorragend für Tuchel, der sich mit seiner Frau Sissi nun auch noch auf die Geburt des ersten gemeinsamen Kindes freuen darf. Im Frühjahr siegt Tuchels Team immer weiter. Recht früh ist die Qualifikation für das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft sicher, da die A-Junioren-Bundesliga Süd/Südwest in jener Spielzeit – anders als die beiden anderen Regionalstaffeln – zwei Teams stellen darf. Und bei Tuchel kommt Bewegung ins an sich beschauliche Trainerleben. Die TSG Hoffenheim fragt an, ob Tuchel nicht neuer U23-Trainer im Kraichgau werden wolle. Die erste Mannschaft des Klubs von Mäzen Dietmar Hopp hat als Bundesligaaufsteiger gerade mit einer berauschenden Hinrunde ganz Fußball-Deutschland begeistert: Die TSG ist Herbstmeister und hat den FC Bayern im Verlauf der Saison massiv herausgefordert. Hoffenheims Trainer Ralf Rangnick ist plötzlich wieder der Trendsetter im deutschen Fußball, nachdem er ein Jahrzehnt zuvor bereits einmal als Revolutionär auf der Trainerbank für Furore gesorgt hat. Damals führte er den SSV Ulm in die Bundesliga und wurde alsbald Trainer des VfB Stuttgart. Rangnick hatte nur den Fehler begangen, im ZDF-Sportstudio einmal allzu fachlich über Fußball, die Viererkette und seine Form des Pressings zu sprechen. Fortan hatte er den Ruf als „Fußballprofessor“ weg, was seinem Ansehen in der Branche eher geschadet hatte. Egal wo er arbeitete, Rangnick wurde weder ein Liebling des Publikums noch einer von traditionsbewussten Vereinsführungen wie in Hannover und auf Schalke. In Hoffenheim aber durfte er schalten und walten, wie er wollte. Und er durfte Trainerposten besetzen, wie er es für richtig hielt. Thomas Tuchel wäre nun der Mann gewesen, den er für seine U23 gerne zur TSG geholt hätte. Rangnick hat Tuchel einst beim SSV Ulm als Spieler kennengelernt, bis dieser seine Karriere wegen einer irreparablen Knieverletzung beenden musste. Später ermöglichte er Tuchel einen Einstieg als Nachwuchstrainer beim VfB Stuttgart. Und nun sah Rangnick den Zeitpunkt gekommen, ihn wieder zu sich zu holen. „Thomas hätte in Hoffenheim mehr verdienen können, aber das war damals nicht sein Anreiz. Vielmehr sah er die Möglichkeiten, die er dort hatte. In Hoffenheim gab es eine wissenschaftliche Herangehensweise oder etwa auch Spezialtrainer für Fitness und ähnliches. Thomas glaubte, dass er da noch etwas für seine Entwicklung draufpacken könnte“, sagt Kersting.

Der Mainzer Manager Heidel aber verweigert die Freigabe unmissverständlich, als Tuchel über Kersting darum bittet. „Ich hatte Thomas da schon länger auf dem Schirm, auch als einen künftigen Mann bei unseren Profis“, sagt Heidel. „Unser Nachwuchsleiter Volker Kersting hatte ihn ja erst im vorangegangenen Sommer aus Augsburg geholt und mir schon nach wenigen Wochen der Saisonvorbereitung gesagt, dass wir da ein überragendes Trainertalent gefunden hätten“, sagt Heidel in der Rückschau. „Ich habe mich davon dann auch mit eigenen Augen überzeugt.“ Heidel erläutert Tuchel in einer langen E-Mail, weshalb er ihn nicht gehen lassen wolle. Er legt ihm detailliert dar, welche Wertschätzung er im Verein genießt, wie gut seine Arbeit im Nachwuchsbereich ankommt und wie genau Heidel selbst seine Entwicklung verfolgt. Vor allem aber deutet Heidel unmissverständlich an, dass Tuchel früher oder später ein Kandidat sein wird für den Posten des Cheftrainers. „Zu dem Zeitpunkt hatten wir noch keine Idee, dass wir uns bald von Jörn Andersen trennen könnten. Wir standen gut da in der Zweiten Bundesliga. Meine Gedanken Thomas betreffend waren eher grundsätzlicher Natur“, sagt Heidel. Tuchel stürzt sich ohne jede Einschränkung wieder in seine Arbeit. Zudem macht ihm Wegbegleiter Kersting unmissverständlich klar, dass sein Weg ihn in nicht allzu ferner Zukunft in die Bundesliga führen werde. Als Dank für dieses Zureden wird ihm Tuchel später, als er erstmals zum „Trainer des Jahres“ in Deutschland gekürt wird, ein Foto schenken, auf das er mit einem Filzstift schreibt: „Du hast als erster daran geglaubt. Ich danke Dir. Dein Freund Thomas.“ Das Bild lehnt heute hinter der Sitzecke in Kerstings Büro auf der Sofakante an der Wand.

Der Gewinn der Deutschen A-Junioren-Meisterschaft ist der schnelle Lohn dafür, dass sich Tuchel mit der Situation arrangiert. Seine Mannschaft besiegt im Finale Borussia Dortmund mit 2:1. Eugen Gopko erzielt das 1:0, zum Ausgleich für den BVB trifft ein gewisser Mario Götze, der in diesem Match erstmals seinem späteren Kumpel und WM-Siegtorvorlagengeber André Schürrle begegnet. Robin Mertinitz erzielt schließlich mit einem Schuss aus gut 25 Metern in der 68. Minute den Siegtreffer. Auf der Tribüne sind über 10.000 Mainzer Fans begeistert vom ersten richtigen Meistertitel des Klubs, der bis dahin nur den deutschen Amateurmeistertitel von 1982 im Briefkopf stehen hat. Und die Fachleute erkennen, dass vor allem auch ein Trainer hier sein Meisterstück abgelegt hat. Zu ihnen zählt auch Jürgen Klopp, der aus einer Loge heraus gemeinsam mit seinem Freund Christian Heidel die Partie anschaut. Klopp, der Mainz 05 knapp ein Jahr zuvor nach elfeinhalb Spieler- und siebeneinhalb Trainerjahren verlassen hatte, erholt sich in der Sommerpause in seinem Mainzer Haus von der ersten Saison als Trainer von Borussia Dortmund. Der Besuch ist für ihn also auch Teil seiner Arbeit, weil er sich ein Bild machen kann vom Dortmunder Nachwuchs, der so stark besetzt ist wie selten: Mario Götze gilt als Ausnahmetalent, das seinen Weg gehen wird. Hinzu kommen der türkische Juniorennationalspieler Tolgay Arslan und deutsche Auswahlspieler wie Daniel Ginczek oder Marcel Hornschuh. Sie alle zählen zu den größten Talenten des Jahrgangs. „Heute hat die bessere Mannschaft gegen eine Mannschaft mit zehn besseren Spielern gewonnen“, sagt Klopp nach dem Abpfiff zu Heidel. Nur Schürrle hätte Klopp einen Platz in der Dortmunder Mannschaft eingeräumt. „Klopps Worte waren das größtmögliche Lob für Tuchel“, sagt Heidel. Immerhin schaffen es aber später neben Weltmeister Schürrle, den langjährigen Bundesligaprofis Kirchhoff und Bell noch weitere fünf Spieler aus der Mainzer Meisterelf, erstbis drittklassig als Profi Geld zu verdienen. Eine solche Quote hatte das Nachwuchsleistungszentrum am Bruchweg zuvor nie erreicht.

Der Erfolg hatte auch eine spirituelle Quelle: Auf der Rückreise im Bus vom Halbfinalsieg in Bremen am Sonntag zuvor spricht Tuchel seinen Förderer Volker Kersting kurz nach der Abfahrt an. „Er sagte nur ‚Volker‘, und da wusste ich schon, was kommt“, erinnert sich Kersting. „Ich hatte es schon befürchtet. Er wollte unbedingt auf den Berg hinauf und den Pin ausgraben.“ Der Mannschaft will Tuchel die Tour bei nur einer Woche Vorbereitung aufs Finale nicht zumuten. Also fährt er mittwochs nach dem Training in einer Nacht- und Nebelaktion gemeinsam mit Kersting und Norman Bertsch, der zu Saisonbeginn noch Co-Trainer war, mittlerweile aber ausgerechnet bei Borussia Dortmund unter Sven Mislintat angestellt ist, nach Obsteig. Am Abend sitzen die „Schatzsucher“ gemütlich mit dem Hotelbesitzer zusammen, der daraufhin zusagt, am nächsten Morgen an der Expedition teilzunehmen. Mit dem Sonnenaufgang macht sich der Trupp auf den Weg. Die Ausgrabung lässt Tuchel filmen. Dann geht es zurück ins Tal. Auf der Heimfahrt geraten Tuchel, Kersting und Bertsch in einen Stau, das Training der A-Junioren in Mainz wird unter fadenscheinigen Gründen um eine Stunde verschoben. Die Mission soll geheim bleiben. Tuchel will sein Team nämlich am Tag des Endspiels mit einem besonderen Momentum auf den Rasen schicken. Während sich das Team auf dem Rasen warm macht, werden in der Kabine ein Projektor und eine Leinwand aufgebaut. Auf einem Tisch in der Mitte steht eine Abdeckglocke, wie man sie aus feinen Restaurants kennt. Darunter versteckt liegt der Pin. Tuchels letzte Ansprache an seine Mannschaft ist kurz. Dann schaltet er das Licht aus und das Video läuft an. 30 Sekunden dauert es ungefähr, bis Tuchel im Film den Pin in die Kamera hält und seiner Mannschaft vermittelt: „Da ist unser Schatz! Wir haben unser gemeinsames Versprechen gehalten! Wir haben für euch den Pin wieder geholt! Und jetzt erfüllen wir uns unseren Traum vom Titel!“ Dann hebt er die Glocke hoch und gibt seiner Mannschaft noch mit auf den Weg, dass dieses Endspiel nun der nächste Anstieg auf einen Gipfel sei, auf dem ein Schatz verborgen sei: der Meisterpokal. „In dem Moment waren die Jungs in der Kabine so was von heiß. Das kann man gar nicht beschreiben. Es hat geknistert in der Kabine. Die waren voll mitgenommen, die waren bereit. Ich erinnere mich an die Augen, in die ich geblickt habe. Die hätten jeden Gegner schlagen können“, erinnert sich Volker Kersting. Doch dann geht die Tür auf.

Das Team bekommt die Nachricht, dass Vereinsmanager Christian Heidel wegen des großen Zuschauerandrangs den Anpfiff um 15 Minuten verschoben hat. „Ich dachte nur: Das ist jetzt nicht wahr. Das war wirklich der einzige Moment in meinem Leben, in dem ich Christian Heidel hätte erschießen können“, lacht Kersting. Auch Thomas Tuchel ist einen Moment lang sprachlos. Dann sammelt er sich, lässt die Mannschaft noch einmal kurz entspannen und pusht das Team abermals hoch, ehe es endlich auf den Platz geht. Dennoch wirkt die Mannschaft zu Beginn des Spiels ein wenig paralysiert. Sie scheint sich dem überlegenen Gegner aus Dortmund zu ergeben. Dann aber wird der 28. Juni 2009 zum ersten ganz großen Festtag in Tuchels Karriere als Cheftrainer. Der Erfolg stellt die Meistertitel, zu denen er als Assistent beim VfB Stuttgart beigetragen hatte, in den Schatten. An diesem Tag gewinnt ein Außenseiterklub dank des besseren Matchplans seines Trainers gegen eine handverlesene Auswahl an Toptalenten. Nach dem Spiel bekommt Tuchel die bei Meisterfeiern üblichen Duschen ab – allerdings noch ganz unschuldig mit Wasser. Auch Jan Kirchhoff schüttet dem Trainer einen Wassereimer über. „Und dann haben wir gefeiert. Wir waren schon eine echt geile Truppe, die durch Tuchel einen unglaublichen Mannschaftsgeist entwickelt hat“, sagt Kirchhoff. Der Verein zeigt ebenfalls seinen Stolz über die Leistung des Nachwuchses. Manager Christian Heidel stellt den Meistertitel der A-Junioren „fast auf eine Stufe mit dem Bundesligaaufstieg nur fünf Wochen zuvor“. Und das für die Jugendabteilung zuständige Vorstandsmitglied Hubert Friedrich, Vater des ein Jahrzehnt zuvor in Mainz ausgebildeten späteren Nationalspielers Manuel Friedrich, verweist auf die rein sportliche Komponente dieses Titels, der noch wenig mit Kommerz und den Abwegen des Profisports zu tun habe: „Diese Meisterschaft ist für uns umso schöner, als dieser Jugendtitel ein Produkt von Vereinsarbeit und nicht von Transfertätigkeit ist.“ Die Mainzer seien noch weit entfernt von den andernorts üblichen Entlohnungen von Talenten. „Bei uns werden nur Fahrtkosten erstattet. Wir haben die Prämisse, dass die Spieler zu uns kommen wegen der Qualität in der Ausbildung.“

Damit war insbesondere auch Tuchel gemeint. Der lässt sich auch in der Euphorie des errungenen Meistertitels nicht von seinem analytischen Weg abbringen. Er freut sich für seine Jungs, aber er hat auch den Spielverlauf im Kopf. Die Dortmunder bestimmen die erste Halbzeit nach Belieben. Die Jung-Borussen vergeben aber ein halbes Dutzend Großchancen fahrlässig, während die Mainzer in der 26. Minute mit dem ersten Schuss aufs gegnerische Tor durch Eugen Gopko in Führung gehen. Nach Mario Götzes Ausgleichstreffer kurz vor der Pause sind die Rheinhessen immer noch gut bedient. „Wir saßen in der Halbzeit in der Kabine und waren dankbar, dass wir noch im Spiel waren“, gesteht Tuchel später. Nach Wiederanpfiff dominiert sein Team aber plötzlich das Geschehen, sodass der Sieg durch den Treffer des eingewechselten Robin Mertinitz in der 67. Minute verdient ist. Schon mit dem Erfolg bringt Tuchel Bewegung in den Verein. Geschäftsführer Michael Kammerer muss nämlich neues Briefpapier in Auftrag geben. „Diesen Meistertitel schreiben wir natürlich neben unseren bislang einzigen Eintrag von der Amateurmeisterschaft 1982“, kündigt er an. Gut, dass in einem Briefkopf kein Trainername steht. Den müssten die Mainzer sonst auch bald wieder ändern.

Denn Tuchels Beförderung zum Cheftrainer erfolgt viel schneller als erwartet – auch für Tuchel. Bei der Vorstellung verrät Manager Heidel en passant, dass Tuchel kurz zuvor auch noch ein Angebot vorliegen hatte, unter Rainer Adrion Assistenztrainer der deutschen U21-Nationalmannschaft zu werden. Doch jetzt steht der in Fachkreisen so umworbene Coach erstmals auf dem Trainingsplatz einer Bundesligamannschaft. Es ist der 4. August 2009. Ein Dienstag. In vier Tagen muss Mainz 05 gegen Bayer Leverkusen antreten.

Thomas Tuchel

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