Читать книгу Die Zitadelle - Daniel Sigmanek - Страница 7

Der Zwischenfall im Graustaubtal

Оглавление

Der Aufbruch zum Treffen der Magier fand in aller Frühe am folgenden Tag statt. Zuvor hatte noch ein kleineres Problem gelöst werden müssen: Da die Gefährten, anders als ihre beiden Führerinnen, auf die regenerierende Wirkung des nächtlichen Schlafes angewiesen waren, es in dem Gasthaus jedoch aus offensichtlichen Gründen keine Betten oder Ähnliches gab, mussten sie zur Improvisation übergehen: Sie erzählten einer Schwankmotte, dass sie eine Waffe auf magische Kräfte überprüfen müssten und sich zu diesem Zweck an einen ruhigeren Ort zurückziehen wollten. Man führte sie in ein leerstehendes Haus, dessen Dach so niedrig war, dass sie darin nur gebückt stehen konnten, doch es erfüllte seinen Zweck. Da Juphien und Lillyopha im Gasthaus zurückblieben, stellten die Gefährten eine Nachtwache auf – keineswegs, weil sie einen Angriff der Kargahle erwarteten, sondern viel eher, weil sie befürchteten, ein Magier könnte sie im Schlaf überraschen und als Menschen enttarnen.

Die Nacht verlief jedoch ohne Zwischenfälle, sodass sie nun erneut recht zügigen Schrittes einen Waldweg entlanggingen. Crius befand sich wieder unter ihnen. Die beiden Magierinnen hatten ihn umgehend über das Gespräch mit Talaria (die im Übrigen einen anderen Weg zum Graustaubtal einschlug, denn man wollte vermeiden, dass sämtliche Splittergruppen der Gegner der Oberen Vier zur gleichen Zeit dort eintrafen) und das Auftauchen Volds unterrichtet. Crius schien der Plan, das Treffen weiter südlich abzuhalten, nicht besonders zu gefallen, doch er äußerte seine Bedenken nicht laut, sondern dachte sich seinen Teil.

Die Gefährten grübelten derweil darüber nach, wann der geeignetste Moment für einen Fluchtversuch wäre. Sollten sie sich bereits im Wald von den Magiern trennen? Hier gab es zumindest Versteckmöglichkeiten, sodass ein Entkommen gar nicht mal so unwahrscheinlich schien. Allerdings hatte Lillyopha sie gemahnt, den Weg keinesfalls zu verlassen, und daher missfiel ihnen der Gedanke, die Warnung in den Wind zu schlagen; wer konnte schon wissen, was für Kreaturen außer der Kargahle noch in diesem Gebiet hausten? Letztere waren der zweite Grund, warum die Gefährten es vorzogen, vorerst bei den Magiern zu bleiben, denn falls sie es bei ihrem Fluchtversuch nicht vor Anbruch der Mittagszeit aus dem Wald schaffen würden, wäre eine weitere Begegnung mit den abscheulichen Ungeheuern kaum zu vermeiden. So kamen sie schließlich überein, ihre Pläne vorerst zu verschieben, um auf einen günstigeren Landstrich zu warten.

Schon kurze Zeit später änderte sich die Landschaft tatsächlich – allerdings nicht zugunsten der Gefährten. Der Wald der Kargahle endete in einem schmalen Streifen niedrigen Gebüschs, das die Stämme der äußersten Bäume wie einen Ring umgab und den immer schmaler gewordenen Waldweg gelegentlich überwucherte. Es war unschwer zu erkennen, dass nur selten Magier in diese Gegend kamen. Dahinter verlor sich praktisch jede Vegetation in einer aus trockener Erde gebildeten Ebene, die von kleinen, rundlichen Hügeln übersät war, jeder etwa drei bis sechs Meter hoch und vielleicht zwanzig Schritte im Durchmesser. Auf einigen der Erdhaufen wuchsen einsame Kiefern, die es jedoch nur zu einem unansehnlichen Krüppelwuchs brachten. In dieser Umgebung war jeder Fluchtversuch zwecklos. Die Magier würden sie mühelos verfolgen können und Tado zweifelte nicht daran, dass sie weitaus mehr Ausdauer besaßen als die Gefährten.

„Wie es aussieht, haben wir unsere Chance zur Flucht verpasst“, fasste Lukdan die Gedanken der anderen zusammen.

„Was schlägst du jetzt vor?“, fragte Tado.

„Wir könnten sie hinterrücks niederschlagen und versuchen zu entkommen, ehe sie das Bewusstsein wiedererlangen“, erwiderte der Mann aus Akhoum.

Yala und Spiffi blieben wie angewurzelt stehen und starrten ihn entgeistert an. Was Lukdan vorschlug, mochte zwar tatsächlich funktionieren, noch dazu, weil die Gefährten im Besitz zweier Bögen waren, mit denen sie die Magier zur Not aus der Distanz bewegungsunfähig machen konnten, stieß jedoch nicht gerade auf Zustimmung.

„Bist du vollkommen verrückt geworden?“ krächzte Spiffi. „Wir können es doch nicht mit drei Magiern gleichzeitig aufnehmen!“

„Außerdem retteten sie uns vor dem Lord des Wassers“, bekräftigte Yala die Worte des Bogenschützen. „Wie tief wären wir gesunken, wenn wir sie zum Dank hinterrücks niederschlagen würden?“

„Manchmal ist es nötig, die eigene Ehre für einen Moment zu vergessen, um zu überleben“, erwiderte Lukdan ungerührt. „Aber wie ihr wollt. Dann versuchen wir eben, während der Versammlung im Tal einen günstigen Moment zur Flucht abzupassen.“

Diese Entscheidung, die sie in jenem Moment einstimmig trafen, sollte zu einem der schwersten Fehler ihres Lebens werden. Die Magier schienen unterdessen bemerkt zu haben, dass die Gefährten sich über irgendetwas angeregt unterhielten, und so erkundigten sie sich nach dem Grund für die plötzliche Aufregung.

„Wir haben uns nur gefragt, an was für einem Ort wir uns gerade befinden“, antwortete Yala ausweichend.

„Dies ist die Undai-Ebene“, sagte Crius. „Benannt ist sie nach einem der Herakinen, dem es vor ziemlich genau sechshundert Jahren hier in dieser Gegend gelang, ein Heer aus eintausend Kargahlen im Kampf zu besiegen und es in den hinter uns liegenden Wald zurückzudrängen. Eigentlich befindet sich hier jedoch der Friedhof Telkors. Jeder dieser Hügel ist das Grab eines Magiers, der seinem hohen Alter erlag oder im Kampf getötet wurde. Die meisten Gräber stammen aus der Zeit vor Telkors Wandel zum Bösen, genauer gesagt sind es die Opfer jener vier Tage dauernden Schlacht zwischen den Oberen Vier, ihren Gefolgsleuten und den Aufständischen.“

Tado hatte sich bereits gedacht, dass dieser Ort irgendein unbehagliches Geheimnis trug, dennoch verschafften ihm Crius‘ Worte eine innere Unruhe. Im Übrigen gab es nun einen weiteren Magier, dem er nie in seinem Leben würde begegnen wollen.

Die Undai-Ebene selbst jedoch entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als nicht ganz so leblos, wie es zunächst den Anschein machte. Es gab hier eine Anzahl schwarzer Vögel mit elegantem Körperbau und seidig glänzendem Gefieder. Sie waren nicht größer als eine Krähe, doch besaßen sie eine breite, mehr als meterlange Schwanzfeder, die sie im Flug wie einen Schweif hinter sich hertrugen und die wie das Banner einer Streitmacht im Wind flatterte, wenn die Tiere auf einer der verkrüppelten Kiefern Platz nahmen.

„Wir nennen sie Mondscheingleiter“, sagte Lillyopha, als einer der Vögel unmittelbar über ihnen dahinrauschte. „Seit jeher bewachen sie die Friedhöfe der Magier; schon als Telkor noch gar nicht existierte, bauten sie ihre Nester an den Gräbern unserer Vorfahren. Damals sah man sie nur in der Stille der Nacht, wenn der Mond hell am Himmel stand. Da es in Telkor jedoch keine Gestirne gibt, fliegen sie nun zu jeder Tageszeit, und jene Magier, die ihr Gedächtnis verloren und sich dem Bösen zuwandten, können mit dem ursprünglichen Namen dieser Tiere nichts mehr anfangen und nennen sie nur noch die Vögel der Toten.“

„Einige von uns können mit ihnen sprechen“, fügte Juphien hinzu. „Doch die Mondscheingleiter haben nie viel zu erzählen.“

Diese Worte riefen Tado ins Gedächtnis, dass auch der Lord des Feuers dazu imstande war, sich mit Vögeln zu unterhalten; diese Fähigkeit schien also in Telkor nicht ungewöhnlich zu sein. Er fragte sich nur, warum die Magier die Tiere nicht grundsätzlich zu Erkundungszwecken einsetzten und dachte dabei an Vold und den Suchtrupp.

Das Gelände wurde indes steiniger und die Hügel, die die sieben stets umgangen und niemals betraten, nahmen eine mehr und mehr asymmetrische Form an, je weiter sie in die Undai-Ebene vordrangen. Die Vegetation machte sich immer rarer, die verkümmerten Kiefern wichen einzelnen, grauen Farnpflanzen, deren schmutzige Farbe als weiches Pulver an den Fingern zurückblieb, wenn man sie berührte, was Tado natürlich nicht unterlassen konnte. Stundenlang marschierten sie durch diese wenig abwechslungsreiche Landschaft, nur einmal machten sie eine kurze Pause, um eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen, die Crius irgendwie herbeigezaubert hatte. Der Mann blieb Tado ein Rätsel; zwar wusste er, dass er jedweder Dinge verbergen konnte, dies bedeutete jedoch keinesfalls, dass sie auch tatsächlich verschwanden. Selbst wenn das viele Essen, das sie nun in sich hineinstopften, mit bloßem Auge nicht sichtbar war, so musste er es dennoch auf irgendeine Weise bei sich tragen. Crius wollte sich dazu, als Spiffi ihn darauf ansprach, allerdings nicht äußern. Er gab den Gefährten jedoch zu verstehen, dass sie so viel hinunterschlingen sollten, wie sie konnten, da es im Graustaubtal, dass sie nun bald erreichen würden, unmöglich sei, eine Mahlzeit einzunehmen. Diese Aussage stimmte sie ein wenig misstrauisch.

Bald darauf schienen sie sich dem Ende der Undai-Ebene zu nähern; der Boden bestand nun gänzlich aus nacktem Fels, kein Mondscheingleiter kreuzte ihren Weg, jede Vegetation war vollends verschwunden. Dafür zeichneten sich vor ihnen am Horizont die Umrisse steinerner Klippen ab, nicht sehr hoch, vielleicht zwanzig Meter, doch erstreckten sie sich nach links und rechts, so weit das Auge reichte; scharfkantig ragten sie in den feuerfarbenen Himmel hinein, dessen warmes Licht von einer gräulichen Dunstwolke gedämpft wurde, die sich seit einiger Zeit schon über das Gebiet erstreckte.

Als sie den Fuß der Felsformation erreichten, die aus einem schwarzen Gestein bestand, wie es Tado noch nie zuvor gesehen hatte, eröffnete sich den Gefährten der Blick auf einen sehr schmalen Pfad, der sich zwischen den rauen Klippen hindurchwand und recht steil in die Tiefe führte. Juphien gab jedem Mitglied ihrer kleinen Gruppe ein Tuch (ihres war schwarz, Lillyophas gelb, alle anderen erhielten ein graues), das sie sich um Mund und Nase binden sollten. Dann erst durchquerten sie die Felsformation. Tado glaubte nicht, dass sie zufällig genau an jenem schmalen Pfad angekommen waren, der ihnen nun eine anstrengende Kletterei ersparte; auch wenn die Undai-Ebene für ihn eher wie ein Labyrinth wirkte, so vermutete er dennoch, dass die drei Magier den Weg hierher in vollem Bewusstsein eingeschlagen hatten. Insgeheim bewunderte er ihren Orientierungssinn.

Die schwarzen Klippen, die mehr und mehr den Eindruck machten, als hätte jemand einfach nur eine Vielzahl mannshoher Felsbrocken genommen und wahllos übereinandergestapelt, entpuppten sich als ein relativ dünnes Hindernis, das den Ort, an den die kleine Gruppe zu gelangen versuchte, wie ein schützender Ring umgab. Kurz bevor sie das Ende der Steinformation erreichten, durchfuhr die Gefährten ein jäher Kopfschmerz, und Lillyopha erklärte ihnen, dass dies ein Zauber sei, der einigen etwas weiter entfernt postierten Wachen mitteilte, dass sieben Personen soeben das Reich vom Lord des Wassers verlassen hatten; angeblich bestand deswegen jedoch kein Grund zur Besorgnis.

Und dann lag das Graustaubtal vor ihnen. Wie der Name bereits vermuten ließ, herrschte vor allem eine Farbe vor: Grau. Der Weg vor ihnen fiel einige Meter fast senkrecht in die Tiefe und verlor sich dann in einer endlosen, tristen Einöde; flach, baumlos und ohne das geringste Anzeichen von Leben. Gelegentlich zog ein kühler Wind durch das gewaltige Tal, dessen jenseitiges Ende weit hinter dem Horizont lag, und trieb eine große Staubwolke vor sich her. Tado hoffte sehr, dass sich der Treffpunkt der Magier möglichst nah am Rand dieser trostlosen Landschaft befand, sodass sie sich nicht allzu tief hineinbegeben mussten.

Nachdem sie den steilen Hang überwunden hatten und den Boden des Tals schließlich unter ihre recht erschöpften Füße bekamen, stellte Tado überrascht fest, dass er bis zu den Knien im grauen Staub einsank. Und doch fiel ihm das Gehen darin nicht schwerer als gewöhnlich, denn es handelte sich dabei keineswegs um Sand, wie er zuerst dachte; jener sonderbare Staub war leicht und kaum in der Hand zu spüren, sodass schon der kleinste Windhauch ausreichte, um große Mengen aufzuwirbeln.

„Was ist das für eine merkwürdige Substanz?“, fragte Lukdan, während er versuchte, eine Handvoll Staub zu einem Ball zusammenzupressen, was jedoch misslang. Die Magier zögerten.

„Asche“, sagte Juphien schließlich.

Die Gefährten blieben wie angewurzelt stehen. Hätte man Tado einen Eimer der flockigen Masse gezeigt und dabei womöglich unauffällig auf einen nahestehenden Kamin gedeutet, wäre er wohl zu dem gleichen Schluss gekommen. Doch für diese ungeheure Menge müsste man schon ein ganzes Land niederbrennen. Was Juphien sagte, konnte einfach nicht stimmen.

„Das Graustaubtal hat mehrfach in der Geschichte Telkors eine tragende Rolle gespielt“, begann Lillyopha. „Entstanden ist es einst beim Ausbruch des gewaltigen Vulkans, der die Insel fast in Stücke riss. Es ist ein Überbleibsel des Kraters. Seinen Namen erhielt es allerdings erst später, denn zu dieser Zeit bedeckte noch keine meterdicke Ascheschicht seinen Boden. Dazu kam es dann während der Schlacht zwischen den Oberen Vier und ihren Widersachern. Als die Aufständischen auch am vierten Tag noch nicht zurückgeschlagen werden konnten, die Verluste auf der Seite der Verbündeten der Lords jedoch immer größer wurden, stellte ihnen der Lord des Feuers ein Ultimatum: Sollte das feindliche Heer sich nicht freiwillig ergeben, würde er jeden einzelnen von ihnen ausnahmslos vernichten. Damals, bevor Telkor seinen Namen erhielt, war es noch üblich, besiegte Feinde stets gefangen zu nehmen oder zu versklaven, nicht jedoch zu töten. Nicht aber deswegen zweifelten die Aufständischen seine Worte an, sondern eher, weil sie glaubten, wenn er zu so etwas imstande wäre, würde er sie schon längst vernichtet haben. So ignorierten sie seine Drohung – ein fataler Fehler. Der Lord des Feuers rief die Truppen der Oberen Vier aus dem Tal, das Austragungsort der Schlacht war, zurück, und ließ ein gleißendes Inferno auf den Kampfplatz niedergehen; ein magisches Feuer von solcher Stärke, dass es alles und jeden in diesem Gebiet in lodernde Flammen hüllte und innerhalb kürzester Zeit verbrannte. So endete die Schlacht am Abend des vierten Tages, doch das Feuer des Lords brannte weiter, obwohl es im Tal längst schon nichts mehr gab, was ihm noch hätte zum Opfer fallen können. Es dauerte ein ganzes Jahr, ehe die letzten Flammen erloschen, und alles, was zurückblieb, war eine dicke Schicht grauer Asche, die diesem Ort seinen Namen gab. Im Laufe der Zeit hat der Wind einen Großteil davongeweht, sodass man das Tal heutzutage wieder betreten kann, ohne hoffnungslos zu versinken.“

„Vielleicht versteht ihr jetzt, warum wir uns ein wenig schwertun, euch zu glauben, wenn ihr sagt, ihr hättet den Lord des Feuers vernichtet“, ergänzte Crius.

Dieser Geschichte hatte es eigentlich gar nicht bedurft, um Tado die Macht des Lords vor Augen zu führen. Schon vorher fragte er sich jedes Mal, wenn er an den Kampf zurückdachte, wie ein Sieg überhaupt möglich gewesen war.

Die Magier wandten sich unterdessen nach links, denn diese Richtung führte sie, wie sie sagten, nach Süden. Sie hielten sich eng am Rand des Tals, doch es bewahrte sie keineswegs davor, dass ein kräftiger Wind ihnen von Zeit zu Zeit einen Schwall grauer Asche ins Gesicht blies, sodass sie sich abwenden mussten und ihr Vorankommen für einen Moment ins Stocken geriet.

Nach etwa einer halben Stunde erreichten sie eine Stelle, an der die steinernen Klippen zwei schmale Ausläufer bildeten, die sich gute fünfzig Meter ins Innere des Tals erstreckten und auf diese Weise einen breiten Kessel formten. Darin war es nicht nur windstill; dieser Ort schien auch der langersehnte Treffpunkt zu sein. Viele Magier hatten sich hier bereits versammelt, es mussten ungefähr hundert sein. Einige hatten damit begonnen, die Asche auf dem Boden an die Ränder der Klippen zu schieben, wurden jedoch von Crius angewiesen, derartige Dinge unterbleiben zu lassen, schließlich wollte man nicht, dass die Untergebenen des Lords anhand solch ungewöhnlicher Spuren den Versammlungsort ihrer Gruppe würden ausfindig machen können.

„Langsam verstehe ich, warum Crius sich nur wenig begeistert zeigte, als ihm mitgeteilt wurde, dass der Treffpunkt an diesen Ort hier verlegt wurde“, sagte Lukdan zu den Gefährten.

„Wie meinst du das?“, fragte Spiffi. „Es ist schön geschützt hier.“

„Genau das ist das Problem“, erwiderte der Mann aus Akhoum. „Es gibt nur einen einzigen schmalen Ausgang aus diesem Kessel. Die uns umgebenden Felswände sind zu glatt und zu steil, um sie hinaufzuklettern. Sollte uns irgendjemand von oberhalb der Klippen aus angreifen, sind wir ihm schutzlos ausgeliefert.“

„Macht euch darüber lieber keine Gedanken“, sagte Lillyopha, die das kurze Gespräch mitangehört hatte. „Wir haben unseren Treffpunkt doch nur so kurzfristig geändert, um genau solchen Überraschungsangriffen zu entgehen. Sollten uns die Untergebenen der Oberen Vier tatsächlich auf die Schliche gekommen sein, werden sie uns hier ganz bestimmt nicht finden.“

Die diese Worte von einer Magierin stammten, konnten sie die Gefährten vorerst beruhigen. Viel interessanter war im Moment ohnehin die Frage, was genau all die versammelten Personen zu besprechen hatten. Neugierig warf Tado einen Blick in die Runde. Keiner der Magier machte einen besonders starken Eindruck oder vermittelte auch nur ansatzweise das Gefühl, es mit einem Lord aufnehmen zu können.

„Sie ist noch nicht da“, hörte er eine Stimme neben sich. Sie stammte von einem älteren Mann, der diese Worte soeben an einen deutlich jüngeren, aber dafür umso nervöseren Magier richtete, der mit einem Zettel in der Hand unruhig auf und ab ging.

Es vergingen noch einige Minuten ohne nennenswerte Geschehnisse, ehe sich plötzlich sämtliche Blicke auf den Eingang zum Versammlungsort richteten. Dort erschien, gefolgt von einer kleinen Gruppe Magier, die Gestalt Talarias. Sie trug, wie alle Anwesenden, ein Tuch vor Mund und Nase, das ihr Gesicht vor der gelegentlich aufgewirbelten Asche schützte. Mit wenigen Worten entschuldigte sie sich für ihr spätes Kommen.

„Dann können wir ja endlich anfangen“, sagte der Mann mit dem mittlerweile ziemlich in Mitleidenschaft gezogenen Zettel ungeduldig und trat vor. Er trug eine braune Robe, die bei jeder Bewegung eine Menge Asche in die Luft beförderte. Sein Haar war blond, seine Augen von ähnlicher Farbe, was ihn ein wenig furchteinflößend wirken ließ. Die übrigen Magier bildeten einen Kreis um ihn; die Gefährten gesellten sich dazu, um nicht unnötig aufzufallen.

„Für all jene, die bei dem letzten großen Treffen unserer Gruppe vor vierhundert Jahren nicht dabei gewesen sind oder erst in der Zwischenzeit zu uns stießen und mich daher nicht kennen: Mein Name ist Lortrul“, fuhr er fort. „Lange Zeit versuchten wir vergeblich, das Geheimnis der Zitadelle Telkors zu ergründen, die das Volk der Magier vor tausenden von Jahren in die Dunkelheit stürzte. Wir verteilten uns in alle Winkel der Insel, suchten nach einer Möglichkeit, in das verfluchte Gebäude zu gelangen, die Barriere der Oberen Vier zu durchbrechen, doch bis heute haben wir kaum einen Hoffnungsschimmer für unser Vorhaben sehen können.“

Er blickte kurz auf seinen Zettel, überlegte dann, ob er noch weitere Worte über die Geschichte der hier versammelten Widerstandsgruppe verlieren sollte, ließ es dann aber aufgrund einer allmählich aufkeimenden Unruhe in den Reihen der anwesenden Magier, denen alles, was er bis jetzt erzählt hatte, selbstverständlich bekannt war, bleiben, und ging direkt zum Grund ihres Treffens über.

„Doch nun endlich ist die Zeit des Wartens vorbei“, verkündete Lortrul voller Stolz, und die Unruhe der Magier verwandelte sich sogleich in ein überraschtes Raunen. „Vor wenigen Wochen, als ich mich mit einigen Mitgliedern meiner Gruppe am Rand des Reiches vom Lord des Feuers aufhielt, trug uns ein glücklicher Zufall einen vielversprechenden Hinweis entgegen. Demnach befindet sich auf Telkor ein Gegenstand, der seinem Besitzer eine unvorstellbare Macht verleiht, die ausreichen könnte, um den Lord der Erde zu bezwingen.“

„Das erscheint mir höchst verdächtig“, unterbrach in Talaria, die als eine der wenigen Anwesenden auf Lortruls Worte nicht mit einem freudig-überraschten Gesichtsausdruck reagierte. „Wie kommt es, dass niemand von diesem Gegenstand weiß, wenn er eine derart große Gefahr für die Oberen Vier darstellt? Ich habe mit vielen Sammlern gesprochen; sie alle sagten mir, dass es außerhalb der Zitadelle keine magischen Objekte mit nennenswerter Kraft gäbe.“

Tado verstand ihre Bedenken. Auch er hielt es für höchst unwahrscheinlich, dass jener Gegenstand tatsächlich existierte, vor allem, da die Lords, so wie er sie kannte, vermutlich als erste hinter dem Objekt her wären, um ihre Macht noch mehr zu vergrößern. Lortrul zeigte sich jedoch unbeeindruckt von den Worten der Magierin; mit einem triumphierenden Lächeln bestätigte er nickend ihre Ausführungen.

„Es ist wahr, dass außer uns vermutlich kein Magier in Telkor von diesem Gegenstand weiß“, antwortete er. „Doch es war auch kein Magier, der uns diese Informationen lieferte. Wie ihr sicher wisst, liegt der Hort der Troks am südlichen Rand vom Reich des Lords des Feuers. Wir hatten uns nahe an ihr Territorium herangewagt, und es war eines ihrer Gespräche (derer sie viele im Geheimen führen, wenn kein Magier in der Nähe ist), das uns den entscheidenden Hinweis gab.“

Lortrul machte eine kurze Pause, denn viele der anwesenden Magier waren nach diesen Worten in ein mit leiser Stimme geführtes Gespräch gefallen und hätten seinen Ausführungen im Moment wohl kaum folgen können. Tado blickte hinauf in den Himmel. Ein paar violette Wolken hatten begonnen, von Osten her den feurigen Himmel zu bedecken und einen dunklen Schatten über das Tal zu werfen, der es noch bedrohlicher aussehen ließ, als es ohnehin schon war. Als der Magier seine Stimme erneut erhob und Tado seine Augen wieder nach vorn richtete, bildete er sich ein, in den Klippen zur Rechten eine Bewegung gesehen zu haben. Sicherheitshalber setzte er Lukdan, Yala und Spiffi davon in Kenntnis.

„Den Worten der Troks zufolge befindet sich besagter Gegenstand im Besitz ihres Königs“, erzählte Lortrul weiter.

„Wenn es weiter nichts ist“, bemerkte einer der versammelten Magier sarkastisch. „Niemand hat den König der Troks je zu Gesicht bekommen. Wir wissen nicht einmal, ob er überhaupt existiert. Er könnte genauso gut nur eine Legende sein, um die Magier davon abzuhalten, ihr Territorium zu durchsuchen.“

„Warum sollten die Troks in einem Gespräch unter sich ihren König erwähnen, wenn er nur eine Erfindung zur Täuschung der Magier wäre?“, wies Crius den Einwand des anderen Magiers zurück.

„Genau das haben wir uns auch gefragt“, stimmte ihm Lortrul zu. „Daher gehen wir mittlerweile davon aus, dass er tatsächlich existiert. Da er sich jedoch stets im Verborgenen hält, vermuten wir, dass er über keine besonders große Macht verfügt.“

Was für ein leichtsinniger Irrglaube, dachte Tado bei sich, traute sich jedoch nicht, die Worte laut auszusprechen. Sowohl Dulbar als auch den Lord des Feuers selbst hatte niemand in den Gebieten, die sie unterwarfen, je zu Gesicht bekommen, und dennoch verfügten sie über gewaltige Kräfte. Wer konnte schon wissen, aus welchem Grund sich der König der Troks vor den Magiern verbarg?

„Um was für einen Gegenstand soll es sich dabei eigentlich handeln?“, wünschte Talaria zu erfahren.

„Dies konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen“, gestand Lortrul. „Die Troks sprachen nur von einem Ding, aber wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Waffe oder dergleichen.“

„Mit anderen Worten willst du uns sagen, dass die höchste Priorität unseres Handelns nun der Beschaffung dieses ominösen Gegenstands gelten soll“, schlussfolgerte Lillyopha. Lortrul nickte.

Tado fasste in Gedanken den Plan der Magier zusammen: Sie wollten also in den Hort der Troks einbrechen, der allem Anschein nach für Magier gar nicht zugänglich war, um dort von einer Kreatur, die niemand bisher auch nur gesehen hatte, einen unbekannten Gegenstand zu entwenden, mit dem sie anschließend – selbstverständlich ohne über dessen angebliche Kraft Genaueres zu wissen – den Lord der Erde, einen der vier mächtigsten Magier Telkors vernichten wollten, sodass dessen Schutzzauber zusammenbrechen würde, wodurch sie dann eine Möglichkeit bekämen, in die Zitadelle einzudringen, um dort vielleicht zu erfahren, was ihr Volk einst verderben ließ. Mit dieser Erkenntnis wandte er sich an Lukdan, um sich zu erkundigen, für welchen Zeitpunkt er die Flucht der Gefährten anberaumt hatte. Doch noch bevor er ihm eine entsprechende Frage stellen konnte, erhielt er von ihm die Anweisung, sein Schwert zu ziehen. Im nächsten Augenblick lösten sich wabernde Schatten aus den Klippen über ihnen, die Umrisse unheimlicher Kreaturen, die den breiten Kessel, der den Magiern als Versammlungsort diente, von allen Seiten umzingelt hatten und nun mit großer Geschwindigkeit dem Boden entgegenstrebten. Die Wesen schienen keine feste Gestalt zu besitzen, ihr Körper änderte sich fortwährend, waberte wie eine brodelnde, schwarze Masse ohne Gliedmaßen, nur bei genauerem Hinsehen formten sich die Konturen eines entstellten Gesichtes. Einige der Kreaturen bewegten sich als bloßer Schatten über das Gelände, und erst als sie sich ihrer Beute näherten, erwuchs ein unförmiger Körper aus dem zweidimensionalen Fleck. Tado kannte diese Wesen. Er und Spiffi waren während ihrer beschwerlichen Reise durch die Trollhöhle vor einer jener grotesken schwarzen Gestalten geflüchtet. Damals hatte eine einzige Kreatur zwei seiner Begleiter das Leben gekostet.

Auch die Magier registrierten die Anwesenheit der Schattenungeheuer mit großer Besorgnis. Fast jeder von ihnen hielt urplötzlich eine Waffe in den Händen und hieb nach den unförmigen Angreifern. Es knallte mehrfach. Asche flog durch die Luft. Ein süßlicher Geruch breitete sich aus. Einige der Kriegsgeräte mussten sehr merkwürdige Fähigkeiten besitzen.

„Wir müssen ins Tal hinaus, ehe sie uns vollends umzingelt haben!“, rief Crius in die Menge. Ein paar der Magier folgten seiner Anweisung und machten sich daran, den einzigen Ausgang aus dem breiten Kessel zu verteidigen, damit der Rest von ihnen sich ins offene Feld begeben konnte.

„Wann immer ihr eine Gelegenheit zur Flucht seht, ergreift sie!“, rief Lillyopha den Gefährten zu.

Ihre Worte überraschten Tado. Wie gefährlich waren diese Kreaturen eigentlich, wenn die Magierin sie freiwillig entkommen ließ?

„Was sind das für Wesen?“, fragte Yala, nachdem sie es aus dem Kessel herausgeschafft hatten.

„Schattenschlucker“, entgegnete Lillyopha. „Sie fressen hauptsächlich Magie, machen aber auch Jagd auf alles andere, was ihren Weg kreuzt. Doch sie sind nicht das eigentliche Problem.“

Ein Schattenschlucker unterbrach ihre Erklärungen; sein wabernder Körper streckte sich in einer blitzschnellen Bewegung der Magierin entgegen. Lillyopha hatte sich mit einem Schwert bewaffnet, und dieses schwang sie nun in Richtung ihres Angreifers. Ein heftiger Windstoß entfuhr der Klinge und klatschte mit einem peitschenähnlichen Knall auf das unförmige Monster, zwang es einige Meter zurück, wo es unter einem Berg Asche begraben wurde, ehe der Schattenschlucker die Attacke zu einem jähen Ende brachte, indem er sein zahnloses Maul öffnete und die Magie darin verschwand.

„Derartige Kreaturen werden in Telkor nur hinter gut verschlossenen Türen in unterirdischen Verliesen herangezüchtet, man würde sie niemals unkontrolliert über die Insel laufen lassen“, fuhr Lillyopha fort. „Jemand hat sie freigelassen. Hinter diesem Angriff stecken Magier. Und das kann nur bedeuten, dass die Untergebenen der Lords uns ausfindig gemacht haben.“

Wie auf Stichwort erschienen in dem Kessel, in dem noch immer einige Mitglieder der Widerstandsgruppe gegen die Schattenschlucker kämpften, mehrere dutzend andere Gestalten. Ein paar von ihnen waren zu klein, um als Magier durchzugehen, besaßen aber dennoch eindeutig menschliche Züge und einen erschreckend muskulösen Körperbau, der auf eine brachiale Kraft schließen ließ. Sie schwangen beängstigende Waffen, große Streithämmer und Äxte mit gewaltigen Blättern.

Ein markerschütternder Schrei riss Tados Blick zurück nach Westen, in Richtung des Tals, und aus den Schleiern der aufgewirbelten Asche tauchten die Umrisse eines regelrechten Heeres auf. Etliche Magier kamen in beängstigendem Tempo auf sie zu, doch der wahrlich schauerlichste Anblick ging von jenen Kreaturen aus, die sich in regelmäßigen Abständen in ihre Reihen gemischt hatten. Sie waren es auch, die die schrecklichen Schreie ausstießen. Tado ergriff ein Gefühl der Panik, als er die Geschöpfe erblickte, denn er kannte sie nur zu gut, und ihr Auftauchen war stets ein schlechtes Omen gewesen. Es waren Blutskorpione, etwa zehn an der Zahl, die die Fluchtwege der Widerstandsgruppe nach Westen und wenige Sekunden später auch nach Norden hin versperrten. Als die Angreifer schließlich so nahe kamen, dass man die Gesichtszüge der Magier erkennen konnte, riefen Lortrul und Crius den Befehl aus, jegliche Gedanken an eine Verteidigung zu vergessen. All ihr Streben sollte der Flucht aus dem Graustaubtal gelten. Unter den Angreifern befand sich nämlich ein Mann namens Beldas. Er gehörte, wie Lillyopha den Gefährten mit einem leicht panischen Unterton zurief, ebenfalls zu den zwölf Herakinen, und sie sollten um jeden Preis vermeiden, ihm zu nahe zu kommen. Die Magierin wandte sich anschließend nach Süden, da in dieser Richtung der einzige noch verbliebene Fluchtweg lag, als plötzlich ein gleißendes Licht auf sie zuschoss und zu Boden warf. Etwa einem Dutzend anderer Mitglieder der Widerstandsgruppe, die sich ebenfalls zur Flucht gewandt hatten, erging es ähnlich. Entsetzt blickte Tado in die Richtung, aus der der jähe Zauber gekommen war. Er hätte schwören können, dass noch vor wenigen Sekunden keiner der Angreifer dort gestanden hatte. Und auch jetzt sah er an jener Stelle nicht etwa die Umrisse eines neu aufgetauchten Feindes, sondern die von aufgewirbelter Asche etwas verwaschen wirkende Gestalt einer ihm bereits bekannten Person. Es handelte sich um niemand geringeres als Talaria, die mit ausgestreckten Armen und zur Faust geballten Händen den Fluchtweg nach Süden blockierte.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Lillyopha aufgeregt, obwohl sie sich die Antwort bereits denken konnte.

„Ich fürchte, ich kann euch nicht einfach so gehen lassen“, erwiderte Talaria.

Für weitere Worte blieb keine Zeit; das angreifende Heer, angeführt von Beldas, traf auf die ersten Magier der Widerstandsgruppe. Wie es aussah, dachte Tado, würde wohl keiner von ihnen diesem Kampf entfliehen können. Ihre Gegner waren in geradezu lächerlich großer Überzahl. Er zog sein Schwert. Es würde einem Wunder gleichkommen, wenn er diese Schlacht überleben sollte. Dabei stand ihnen das Schlimmste erst noch bevor: Neben den Schattenschluckern, den untersetzten, kräftigen, menschenähnlichen Geschöpfen (die Crius als Steinzwerge identifizierte), den Blutskorpionen und den lordergebenen Magiern betrat nun ein weiterer Feind das Tal: Aus nördlicher Richtung strömten einige Blauechsen herbei. Ihr Schild bestand, anders als der ihrer Artgenossen an der Küste Telkors, nicht aus Drachenfels, sondern aus Ordan, was angesichts der Tatsache, dass Drachenfels gegen Magier wirkungslos war, logisch erscheinen mochte. Angeführt wurden sie von einer anderen Tado bereits bekannten Person: Vold. Er war das einzige aller im Tal versammelten Wesen, das es offenbar nicht für nötig hielt, sein Gesicht vor der aufgewirbelten Asche zu schützen.

„Was willst du hier?“, wurde er von Beldas begrüßt, der das Kämpfen übrigens seinen Untergebenen überließ und sich selbst im Hintergrund hielt. „Du bist nicht Teil unseres Planes.“

„Dein Plan interessiert mich nicht im Geringsten“, antwortete Vold desinteressiert. „Ich habe eine Spur verfolgt, und sie hat mich hierhergeführt.“

Er verzichtete auf weitere Worte und versuchte, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen.

Tado war derweil, wie so oft in seinen bisherigen Kämpfen, unfreiwillig von den anderen Gefährten getrennt worden, was hauptsächlich daran lag, dass einer der Blutskorpione schlicht in sie hineingerannt war und über das halbe Schlachtfeld verteilt hatte. Er verdankte es der dicken Ascheschicht, dass ihn nicht schon dieser eine Angriff außer Gefecht setzte.

Der Blutskorpion schleuderte ihm daraufhin seinen Giftstachel entgegen, und Tado musste sein ganzes Geschick aufbringen, um nicht von der tödlichen Waffe durchbohrt zu werden. Ein Magier der Widerstandsgruppe kam ihm zu Hilfe. Er bearbeitete die Kreatur mit einem hölzernen Speer, der bei dem Aufprall auf den dicken Panzer der Kreatur ein lautes Donnern von sich gab. Die harte Außenhaut des Skorpions bekam einen Riss, was es jedoch gar nicht zu merken schien. Es stieß den Angreifer mit einer seiner Scheren davon und schlug mit seinem Schwanz nach Tado. Dieser riss in höchster Not die Drachenklinge in die Höhe, denn ausweichen konnte er dem Schlag nicht. Das Schwert verhinderte zwar, dass der Giftstachel ihn erreichte, doch unter dem schieren Gewicht des Körperteils gaben Tados Beine nach. Asche wurde aufgewirbelt, als er sich in einem Verzweiflungsakt zur Seite warf, sodass der Skorpionschwanz mit einem plumpen Geräusch auf dem Boden aufschlug. Der feine Staub rieselte auf die Drachenklinge herab, und an jenen Stellen, an denen die Ascheteilchen das Schwert trafen, glühte es für einen kurzen Moment in einem hellroten Licht. Erst da begriff Tado, dass sich der Lord des Feuers möglicherweise in Gefahr befand. Es war sein Zauber gewesen, der das Graustaubtal in eine Wüste aus Asche verwandelte, und wenn die Magie des Lords nach all den Jahren noch immer in ihm steckte, dann kollidierten nun der Zauber, der ihn in die Drachenklinge versiegelte und der, der einst das Tal verwüstete, was den Lord des Feuers wie damals bei dem Vorfall mit Yala schwer verletzen würde.

Es war diese Erkenntnis, die einen Moment zu lange seine Aufmerksamkeit auf sich zog, und so bemerkte er zu spät, wie sich einer der Scherenarme des Blutskorpions sich plötzlich von der Seite her näherte, ihn in einer schnellen Bewegung ergriff und erbarmungslos zudrückend in die Höhe hob. Tado blieb die Luft weg, sein Brustkorb wollte sich nicht mehr entfalten, zu groß war der Druck, mit dem sein Gegenüber ihn festhielt. Verzweifelt sah er sich um, suchte nach irgendetwas, das ihm in dieser Situation noch helfen konnte. Aus den Augenwinkeln gewahrte er, wie zwei der angreifenden Magier ein Mitglied der Widerstandsgruppe überwältigten; mit schwindendem Bewusstsein registrierte er die ungewöhnlich rote Farbe der Augen des Blutskorpions. Vermutlich standen sie unter einem Zauber Telkors; das würde auch erklären, weshalb ihnen die Trockenheit des Graustaubtals nichts auszumachen schien, wo sie doch eigentlich auf ein stetig feuchtes Klima angewiesen waren. Tado ärgerte sich, dass ihm etwas derart Unwichtiges gerade jetzt auffiel, wo ihn dieses Wissen nun wirklich nicht weiterbrachte. Mit letzter Kraft versuchte er, die Drachenklinge verschwinden zu lassen, ehe das Bewusstsein ihn vollends zu verlassen drohte.

-

Spiffi war derweil durch den ungestümen Angriff des Blutskorpions, der die Gefährten wahllos über das Schlachtfeld verteilt hatte, nahe an den Rand des Kessels getrieben worden, in dem zwei Magier sich viel zu vielen Schattenschluckern zu erwehren versuchten. Eine dieser Kreaturen fiel nun auch über ihn her; der Bogenschütze vermochte das schwarze Etwas mit einigen Pfeilen jedoch auf Distanz zu halten. Davon abgesehen erwies sich seine Waffe in diesem Gefecht als weitgehend nutzlos. Die Kämpfe fanden auf sehr engem Raum statt, und er sah sich fortwährend der Gefahr ausgesetzt, von einem verirrten Zauber getroffen oder gar getötet zu werden.

Mit einiger Mühe schaffte er es, sich an den nördlichen Rand des Schlachtfeldes zu bringen, wo sich hauptsächlich Blauechsen aufhielten; immerhin handelte es sich dabei um Wesen, deren Art zu kämpfen er schon auf dem Schiff Telkors hatte beobachten können und so schätzte er seine Chancen aufs Überleben hier ein wenig höher ein als zwischen all den ihm unbekannten Magiern. Er verschaffte sich zunächst einige Sekunden lang einen Überblick, ehe er sich dazu entschied, einem Mitglied der Widerstandsgruppe zu Hilfe zu kommen, das in diesem Moment zwei Blauechsen zu unterlegen drohte. Sein gut gezielter Pfeil wurde jedoch von einem querschlagenden Zauber erwischt und fiel wirkungslos in die dicke Ascheschicht, von der mittlerweile so viel aufgewirbelt worden war, dass sie die Sicht auf vielleicht zwei Dutzend Meter beschränkte. Alles, was dahinter lag, zeichnete sich nur als undeutlicher Schemen ab.

Spiffi wollte ein weiteres Geschoss abfeuern, doch dazu kam es nicht mehr. Ein lauter Knall irgendwo hinter ihm ließ ihn heftig zusammenfahren, etwas Hartes traf ihn am Rücken und brachte ihn zu Fall. Irgendetwas musste einen der Felsen oberhalb des Tals zersprengt haben; kleine Trümmerstücke flogen in die Asche und verschwanden spurlos. Mühsam richtete er sich wieder auf und prüfte mit einem flüchtigen Blick seine Umgebung. Wenn eine der Blauechsen ihn in diesem erbärmlichen Zustand sehen würde, wäre es wahrscheinlich um ihn geschehen. Mégotarks graue Kleidung, die ihn in diesem Tal geradezu hervorragend tarnte, konnte dies jedoch verhindern. Zwischen all der aufgewirbelten Asche war er wirklich nur schwer zu erkennen. Und dennoch gab es unter den Angreifern eine Person, deren Augen sich nicht so leicht täuschen ließen. Gerade als Spiffi einen weiteren Pfeil auf die Sehne legte, spürte er, wie eine mächtige Präsenz auf ihn zukam. Reflexartig drehte er sich um und wurde starr vor Schreck. Vor ihm stand Vold. Sein Gesicht war von grenzenlosem Zorn erfüllt; tiefe Falten durchfurchten seine Stirn. Seine magische Aura umhüllte ihn mit solcher Stärke, dass die Asche, die seinem Körper zu nahe kam, wie von einem unsichtbaren Wind davongetragen wurde und ihn niemals berührte.

„Es missfällt mir zutiefst, wenn man mich zum Narren hält“, sagte der Magier mit finsterer Stimme. Zweifellos spielte er damit auf ihre erste Begegnung im Gasthaus an. Spiffi war unfähig etwas zu erwidern. Er starrte sein deutlich größeres Gegenüber einfach nur angsterfüllt an, während ihm einige Dutzend Ideen durch den Kopf schossen, was er als nächstes am besten tun sollte; nichts davon schien ihm erfolgversprechend zu sein.

Vold indes zögerte nicht lange; als eine prompte Antwort auf seine Worte ausblieb, machte er eine beiläufige Bewegung mit der Hand, und urplötzlich entfuhren seiner rechten Schulter drei schwarze, pflanzenähnliche Ranken; biegsam, wie die Arme eines Kraken und mit Splittern zerbrochener Klingen besetzt. Mit unbarmherziger Wucht stießen sie auf Spiffi herab. Der Bogenschütze wich mit einem hastigen Schritt vor dem Angriff zurück, doch die Ranken folgen ihm unerbittlich. Bevor sie seinen Körper jedoch erreichen und in tausend Stücke zerfetzen konnten, ertönte der helle Klang von aufeinanderschlagendem Metall. Was Spiffi soeben vor dem sicheren Tod bewahrte, waren die Klingen Lukdans. Der Mann hatte sich in letzter Sekunde zwischen den Bogenschützen und Vold gebracht und es irgendwie geschafft, die Ranken des Magiers in ihrer Zerstörungswut aufzuhalten.

„Du also auch“, sagte der Herakine, und sein Zorn wuchs noch weiter. Er verlieh seinem Angriff neue Macht, ließ die verholzten, meterlangen Auswüchse seiner Schulter sich mit aller Gewalt gegen Lukdans Verteidigungsversuch aufbäumen, sodass dieser schon bald an die Grenzen seiner Kräfte kam.

„Lauf weg!“, rief er Spiffi zu.

„Ich kann dich hier doch nicht sterben lassen!“, entgegnete der Bogenschütze und verschoss einen Pfeil auf den Magier.

Im gleichen Augenblick entwuchs nun auch Volds linker Schulter eine metallgespickte Ranke, und das Geschoss blieb wirkungslos darin stecken. Ihr Gegner ließ es jedoch keineswegs dabei bewenden. Wieder stieß der neu entstandene Körperteil auf Spiffi nieder, und diesmal gab es nichts, was den Bogenschützen vor einem Zusammenprall bewahren konnte. Er versuchte noch, sich zu Boden zu werfen, doch dieser Akt der Verzweiflung machte die Wirkung des Angriffs nur noch verheerender: Die Ranke folgte seiner Bewegung, traf ihn seitlich am Bauch, und die scharfen Klingen durchschnitten Haut und Muskeln, sorgten für eine große, klaffende Wunde, die sich bald schon über die gesamte Breite seines Unterleibs zog, als die Ranke ihn herumschleuderte und einige Meter hoch in die Luft warf. Spiffi durchfuhr ein heftiger Schmerz, der ihm beinahe die Besinnung raubte, doch er schaffte es noch so lange bei Bewusstsein zu bleiben, bis sein wehrloser Körper wieder hinab ins Tal fiel und von der dicken Ascheschicht verschluckt wurde.

All das spielte sich im Rücken von Lukdan ab, und so bedurfte es eines kurzen Schulterblicks, ehe er sich der Situation vollends bewusstwurde. Vold ließ die Ranke, die Spiffi soeben außer Gefecht gesetzt hatte, nun in Richtung des Kriegers aus Akhoum schwenken. Lukdan blieb keine andere Wahl, als einen seiner Säbel von der ursprünglichen Attacke des Magiers abzuziehen und der nahenden Gefahr entgegenzustrecken. Fast schon war er von sich selbst überrascht, als es ihm unter Aufbietung all seiner Kraft nicht nur gelang, die drei Ranken aus Volds rechter Schulter in Schach zu halten, sondern auch die eine aus seinem linken Arm auf eine ungefährliche Distanz zu bringen. Der Herakine zeigte sich keineswegs beeindruckt, denn tatsächlich mochte Lukdan zwar all seine bisherigen Angriffe abgewehrt haben, doch hatte der Magier sich bis hierhin nicht einmal bewegen müssen; erst jetzt, da sein Gegner praktisch handlungsunfähig war, hob er seine Arme ein wenig, brachte seine Hände vor die Brust und ließ beide Handflächen sich gegenüberstehen. Innerhalb von Sekundenbruchteilen entstand eine Kugel aus schwarzem Nebel jener Art, wie ihn bereits Uris‘ Krieger in Syphora zu verwenden pflegte, und nur einen Augenblick später schoss jener unheilvolle Dunst als finsterer Strahl auf Lukdan zu, wurde stetig breiter, und mit einem klatschenden Geräusch fegte er auf seiner Flugbahn die Asche davon, bahnte sich den Weg zu seinem Ziel.

„Zeig mir deine Schwertmagie“, sprach Vold seinem Zauber mit auffordernder Stimme hinterher. Natürlich galten diese Worte Lukdan, auch wenn der Magier es kaum für möglich hielt, dass sein Gegenüber sich aus dieser Situation noch würde befreien können.

-

Lillyopha hatte sich in der Zwischenzeit gegen einen feindlichen Magier durchsetzen können und befand sich nun auf der Suche nach Talaria, um sie zur Rede zu stellen. Ihr Verrat schockierte sie zutiefst. Jahrtausendelang war die Magierin eines der beflissensten Mitglieder ihrer Widerstandsgruppe gewesen, und es schien geradezu unmöglich, dass die Zitadelle so plötzlich von ihr Besitz ergriffen haben sollte.

Ein jäh auftauchendes weißes Licht wenige Dutzend Schritte entfernt verriet ihr die ungefähre Position der Verräterin. Als sie an jener Stelle eintraf, sah sie die lädierten, kaum mehr lebendigen Körper dreier verbündeter Magier am Boden liegen, während Talaria ihren zerstörerischen Zauber auf ein weiteres Mitglied der Widerstandsgruppe richtete, das sich seinerseits nur noch schwer auf den Beinen halten konnte und anscheinend auch keinerlei Kraft mehr besaß, sich der Magierin entgegenzustellen.

Lillyopha schmetterte dem gleißenden Licht, das der Hand Talarias entfuhr und auf ihren wehrlosen Gegner zusteuerte, einen Windstoß mithilfe ihres Schwertes entgegen, doch ihre eigene Magie vermochte dem starken Zauber der Verräterin kaum etwas anzuhaben, lenkte ihn nur ein kleines Stück zur Seite ab, sodass der attackierte Magier lediglich an der Schulter getroffen wurde. Dennoch reichte die Wucht des Angriffs, um ihn von den Füßen zu holen und einige Meter zurückzuwerfen, wo er irgendwo in der Ascheschicht verschwand.

Lillyopha stand Talaria nun allein gegenüber, denn sie befanden sich beide am südlichen Rand des Schlachtfeldes, und hier gab es weder Angreifer noch Verteidiger in großer Zahl. Letztere schienen allesamt von der Verräterin vernichtet worden zu sein.

Lillyopha schlug ihr Schwert waagerecht durch die Luft, und mit einem surrenden Geräusch entfuhr der Klinge ein großer Luftkeil, der sich mit rasender Geschwindigkeit auf Talaria zubewegte und die aufgewirbelte Asche in der Luft zerschnitt. Ihre Gegnerin blockte den Angriff mit einem Schutzzauber: Aus dem gleißenden Licht, mit dem sie ihre Feinde zu überwältigen pflegte, formte sie einen runden Schild, an dem der Zauber Lillyophas wirkungslos verpuffte.

„Derart schwache Magie kann mir nichts mehr anhaben“, klärte sie ihr Gegenüber auf, als sie den entsetzten Blick der in Gelb gekleideten Magierin gewahrte. „Beldas hat mir große Macht verliehen.“

„Das also war die Bezahlung für deinen Verrat?“, fragte Lillyopha, und in ihren Worten schwang ein großes Maß an Enttäuschung mit. „Du lässt unsere gesamte Gruppe auslöschen für ein bisschen mehr Macht?“

„Du liegst falsch“, antwortete Talaria gelassen. „Mein Verrat war die Bezahlung für die Macht, die er mir gab – nicht umgekehrt.“

„Dieses Detail ist nicht von Bedeutung“, erwiderte Lillyopha verärgert, und damit lag sie falsch, doch in ihrem aufgebrachten Zustand vermochte sie den großen und entscheidenden Unterschied zwischen ihrer anfänglichen Vermutung und Talarias Worten sowie die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, nicht zu erkennen. Stattdessen ging sie nun vorsichtigen Schrittes auf die Verräterin zu. Wenn sie dicht an die Magierin herankam, dann war ihr Schwert den Fähigkeiten Talarias vielleicht überlegen, immerhin führte diese keine Waffe bei sich, soweit Lillyopha das beurteilen konnte. Zum Schweigen bringen musste sie sie in jedem Fall, da sie während der zurückliegenden Versammlung den neuen Plan der Widerstandsgruppe hatte mitanhören können, und sollte irgendeines der Mitglieder überleben, musste sie sicherstellen, dass die Untergebenen der Oberen Vier diese Information nicht erhielten. Doch als sie sich ihrer Gegnerin schließlich bis auf wenige Schritte genähert hatte, hob Talaria ihre Hand erneut, ballte sie zur Faust, und ein gleißender Zauber von geradezu blendender Helligkeit schoss auf Lillyopha zu. Diese hob ihr Schwert schützend vor sich, steckte all ihre Kraft in die schimmernde Klinge, und als Talarias Angriff auf die Waffe traf, vermochte sie unter großer Anstrengung, das weiße Licht ein paar Sekunden lang aufzuhalten, ehe es sie übermannte, das Schwert aus ihren Händen stieß und mit aller Gewalt auf ihren Körper traf. Es war ein anderer Zauber als der, mit dem sie sich zuvor der übrigen Mitglieder der Widerstandsgruppe entledigt hatte. Lillyopha wurde nicht etwa davongeschleudert, vielmehr schien Talarias Magie in ihren Körper einzudringen, schlug mit brachialer Gewalt auf ihre Organe ein und ließ sie auf der Stelle unter einem Schmerzensschrei zusammenbrechen. Triumphierend bereitete Talaria einen weiteren Zauber vor; einen, den ihre Gegnerin nicht mehr überleben würde.

Lillyopha war auf dem harten Boden niedergesunken, den Blick nach unten gerichtet. Die Magie der Verräterin hatte die Asche an dieser Stelle weitgehend fortgetrieben. Unsägliche Schmerzen plagten sie. Am Rande des Bewusstseinsverlusts registrierte sie, wie ein grauer Schemen zwischen ihr und Talaria auftauchte. Erst, als das grelle Licht des Zaubers der Magierin der schattenhaften Erscheinung eine deutlichere Kontur verlieh, erkannte sie, dass es sich um Crius handelte. Unsanft hob er sie hoch.

„Was machst du da?“, fragte sie ihn am Ende ihrer Kräfte. „Wir müssen sie stoppen…“

Weitere Worte ließ ihr erschöpfter Körper nicht zu.

„Wir verschwinden von hier“, antwortete der Magier. „Der Kampf ist verloren. Talaria ist zu mächtig. Der Rest unserer Gruppe ist nahezu ausgelöscht.“

Erst in diesem Moment gewahrte auch die Verräterin seine Anwesenheit.

„Crius!“, rief sie verärgert aus und entfesselte ihren Zauber. Doch der gleißende Schein traf nichts als den nackten Boden des Tals. Er war vor ihren Augen verschwunden, als wäre er nie dagewesen, und wenn von Lillyopha nicht plötzlich ebenfalls jede Spur fehlen würde, hätte sie sich vielleicht dazu hinreißen lassen, sein jähes Auftauchen als ein reines Hirngespinst abzutun. So jedoch geriet sie außer sich vor Zorn, denn die Blöße, zwei der wichtigsten Mitglieder der Widerstandsgruppe entkommen zu lassen, wollte sie sich nicht geben. So sammelte sie ihre Kraft einige Sekunden lang und ließ sie dann in einer wahren Explosion über den Kampfplatz fegen. Eine Welle aus Licht breitete sich fünfzig Schritte in alle Richtungen aus, fegte Abermillionen Ascheteilchen davon, ehe sie langsam ihren gleißenden Schein verlor und schließlich vollends erlosch. Crius und Lillyopha blieben jedoch verschwunden.

-

Es war weder der laute Knall, mit dem der Scherenarm vom Körper des Blutskorpions absplitterte noch der gellende Schrei der Kreatur selbst, der Tado zurück ins Bewusstsein holte, sondern der dumpfe Aufschlag seines eigenen Körpers, gefangen in der monströsen, abgetrennten Klaue der achtbeinigen Bestie, auf der dicken Ascheschicht des Tals. Sein Hals ließ dabei ein bedrohliches Knacken vernehmen, denn natürlich prallte die Schere des Skorpions zuerst auf den Boden, und anders als Tados Körper, der in dem riesigen Arm der Bestie feststeckte, ragten sein Kopf und Teile seiner Schultern ungeschützt heraus und stellten sein Genick, getrieben durch ihre eigene Trägheit, bei dem Aufprall auf eine harte Probe.

Es war Yalas Pfeil gewesen, der ihm soeben das Leben gerettet hatte, und dieser Tatsache wurde er sich auch sofort bewusst, als ihm die gewaltige Wunde des Blutskorpions ins Auge fiel. Was sonst konnte derartige Verletzungen hervorrufen? Ein paar Sekunden später erblickte er dann auch Yala selbst. Sie stand nur wenige Schritte von ihm entfernt und legte gerade einen neuen Pfeil auf die Sehne. Sie sah ziemlich mitgenommen aus, und er vermutete, dass dies nicht der erste Gegner war, mit dem sie es zu tun bekam.

Tado gelang es schließlich mit einiger Mühe, sich aus der (obwohl nicht mehr am Körper ihres Besitzers befindlich) noch immer mit recht großem Druck zupackenden Klaue des Blutskorpions zu befreien.

Yala ließ den Pfeil fliegen, als die scheußliche Kreatur sich von ihren Schmerzen erholt zu haben schien und sich für einen erneuten Angriff aufbäumte. Das Geschoss zerschmetterte den Panzer der Bestie, Bruchstücke flogen ihnen entgegen. Eine geradezu gigantische Wunde kam zum Vorschein. Der Pfeil musste den halben Körper des Skorpions durchbohrt haben. Machtlos gegen derartige Waffen sank die Kreatur ohne jeden Laut mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, sodass eine Aschewolke aufgewirbelt wurde. Unterdessen bemerkte Tado, wie eine Blauechse mit bedrohlicher Geschwindigkeit auf sie zukam. Er rief Yala zu, sie solle sich ducken. Kommentarlos leistete sie seinen Worten Folge und entging einem tödlichen Schlag, den der neu aufgetauchte Feind mit jener merkwürdigen Metallkonstruktion, die seine Artgenossen schon vor einigen Tagen an der Küste bei sich trugen, in Richtung ihres Halses ausgeführt hatte. Tado rief die Drachenklinge herbei und schlug auf die Blauechse ein. Diese schien vom plötzlichen Auftauchen der Waffe derart überrascht, dass sie den Angriff nicht mit ihrem ordanen Schild, sondern mit den vier Klingen an ihrer rechten Hand abblockte. Unbeeindruckt holte er sofort ein weiteres Mal aus und hieb in Richtung des Kopfes der Kreatur. Die Blauechse versuchte, dem Schlag auszuweichen, doch der Angriff kam zu schnell, sie wurde im Gesicht getroffen, ein Knochen brach, Blut lief ihr über die Augen. Erschrocken sprang sie ein paar Schritte zurück, ließ die Klingen in die sonderbare Konstruktion zurückschnellen und hielt sich die Wunde.

Yala machte Tado indes darauf aufmerksam, dass eine Reihe neuer Feinde auf sie zusteuerte. Als er ihren Gesten folgte, registrierte er erschrocken, dass sie beide zwei von vielleicht einem Dutzend noch verbliebener Mitglieder der Widerstandsgruppe waren. Und noch immer standen sie weit über hundert Feinden gegenüber. Er sah, wie zwei Blutskorpione auf sie aufmerksam wurden. Etliche Magier steuerten ebenfalls auf sie zu. Es war hoffnungslos.

-

Volds schwarze Magie verpuffte mit einem dumpfen Laut und löste sich als trüber Nebel in der aufgewirbelten Asche auf. Lukdan war dem verheerenden Zauber zwar in letzter Sekunde entkommen, doch bei dem Versuch, der herannahenden Gefahr auszuweichen, hatte er sich sein rechtes Bein an der klingenbewährten Ranke des Magiers aufgerissen. Ein pulsierender Schmerz ließ ihn wanken, er spürte, wie warmes Blut in Strömen über den verletzten Körperteil lief. Kaum mehr zum Stehen imstande, schmetterte er seine Säbel gegen eine der Ranken Volds. Der verholzte Wuchs splitterte unter dem ersten Schlag, und mit einem kraftvollen zweiten Hieb trennte er den vordersten Meter ab. Der Magier registrierte diesen Umstand mit wachsendem Zorn, schleuderte seinem Gegner alle vier Ranken entgegen, woraufhin dieser, unfähig sich dieses Angriffs vollends zu erwehren, tiefe Schnittwunden am ganzen Körper zuzog, ehe Vold sie in einer jähen Bewegung zu sich zurück und in die Höhe riss, sie zu voller Größe aufbäumen ließ. Über zwanzig Meter streckten sich die Auswüchse bald dem Himmel empor, in einem gleichbleibenden Rhythmus wankend, und der Magier ließ seinen Schultern weitere Ranken entwachsen, bis es sechs auf jeder Seite waren. Wie große, finstere Arme richteten sie sich auf, fächerten sich, wie das Rad eines Pfaus, und für einen Moment schien dieses grässliche Etwas, dessen Kern Volds mächtiger Körper bildete, sogar den feurigen Himmel zu verdunkeln. Schwarzer Nebel umspielte den Magier, verdeckte einen Großteil seiner angsteinflößenden Gestalt.

Lukdan war derweil wieder auf die Beine gekommen. Sein ganzer Körper schien zu bluten, jede Bewegung schmerzte. Egal, wie dieser Kampf ausgehen mochte; lange würde mit seinen schweren Verletzungen ohnehin nicht mehr überleben.

Vold schleuderte seinem verwundeten Gegner den schwarzen Nebel entgegen, diesmal nicht als vernichtenden Strahl, sondern als kleine Kugeln, die mit tödlicher Geschwindigkeit und Präzision ihr Ziel suchten. Lukdan versuchte nicht einmal, all diesen Angriffen auszuweichen; in seinem Zustand wäre er dazu ohnehin nicht in der Lage gewesen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht, doch ohne einen Laut von sich zu geben, nahm er einen Treffer nach dem anderen entgegen, während er langsamen Schrittes auf Vold zuging. Solange der Magier ihn auf diese Distanz hielt, würde Lukdan absolut nichts gegen ihn ausrichten können.

Die schwarzen Geschosse brannten wie Feuer; wann immer sie auf ihn einschlugen, war es, als träfe ihn ein glühender Felsen. Noch trennten ihn gute zwanzig Schritte von seinem Gegner. Weiter ließ ihn Vold auch nicht vordringen. Eine Ranke nach der anderen stieß vom Himmel herab. Lukdan warf sich angesichts der nahenden Gefahr zur Seite, und das klingenbewährte Holz bohrte sich tief in den Boden des Tals. Sollte ihn auch nur einer dieser Angriffe treffen, wäre sein Körper nur noch ein Haufen zerstückeltes Fleisch. Den ersten zehn Ranken konnte er mit großer Mühe ausweichen, dann gab sein rechtes Bein nach und er brach zusammen; die elfte schlug unmittelbar hinter ihm ein und riss seinen Rücken auf. Von vorn prasselte der schwarze Nebel wie ein Hagel aus Pfeilen auf seinen Körper und verbrannte seine Haut. Unter qualvollen Schmerzen kippte er zur Seite, wodurch er einem Zusammenstoß mit der zwölften Ranke entging, stieß mit dem Kopf gegen etwas Hartes und realisierte, dass er sich unmittelbar am Rand des Tals, am Fuß der senkrecht aufstrebenden Felswand befand. Volds Angriff hatte eine große Menge Asche aufgewirbelt, sodass Lukdan seinen Gegner nicht einmal mehr sehen konnte. Er spürte jedoch den Boden erzittern, hörte, wie der Magier die Ranken aus der Erde zog und erneut gen Himmel streckte. Mit brachialer Gewalt ließ Vold sie ein zweites Mal auf seinen Gegner herabstoßen, diesmal alle zugleich. Mit einem lauten Krachen stürzten sie in den Boden, genau an die Stelle, an der Lukdan gelegen hatte. Steine flogen in alle Richtungen davon.

Zufrieden zog der Magier die Ranken zurück in seine Schultern, und der ihn umgebende schwarze Nebel verlor sich in einem sanften Schleier. Asche versperrte ihm die Sicht, und so ging er einige Schritte auf das gut anderthalb Meter tiefe und mehr als doppelt so breite Loch zu, das sein Angriff am Fuß der Klippen hinterlassen hatte. Doch als er triumphierend einen Blick hineinwarf, durchfuhr ihn ein tiefes Entsetzen, und ein eiskalter Schauer rann ihm über den Rücken. Der Boden rings um die Grube herum war mit Blut bedeckt, doch nirgends fand sich eine Spur von Lukdan.

-

Es war ein Steinzwerg (einer jener kräftig gebauten Männer, die sich unter den Reihen der Angreifer befanden), der, obwohl gute zwei Köpfe kleiner als ein Mensch, den Kampf der beiden verbliebenen Gefährten beendete. Er schwang seinen Streithammer mit solcher Wucht, dass die Drachenklinge einen besorgniserregenden Klang von sich gab, als sie mit der monströsen Waffe des Steinzwergs zusammentraf und Tado in hohem Bogen aus der Hand geschleudert wurde. Gleich darauf traf ihn der Hammerstiel mit einer derartigen Macht gegen den Kopf, dass ihm für einen Moment schwarz vor Augen wurde und er hilflos zu Boden sank. Aus dem Augenwinkel sah er, wie einer der feindlichen Magier die Drachenklinge aus der Asche aufhob und begutachtete. Tado ließ sie mit letzter Kraft verschwinden und stellte sich auf seinen Tod ein. Doch der erwartete Gnadenstoß blieb aus. Man legte ihm und Yala (die sich, um der Bekanntschaft mit dem Streithammer zu entgehen, freiwillig ergeben hatte) Handschellen aus Ordan an, ehe der Steinzwerg sie beide mit jeweils nur einer Hand in die Höhe hob, eine Weile vor sich hertrug und sie anschließend erneut sehr unsanft zu Boden warf. Um sie herum befanden sich vierzehn Mitglieder der Widerstandsgruppe, allesamt auf die gleiche Weise handlungsunfähig gemacht, nur schienen sie unter den ordanen Handschellen deutlich stärker zu leiden als die Gefährten.

„Das waren die letzten“, sagte der Steinzwerg mit rauer Stimme in Richtung eines vornehmlich in helle Brauntöne gekleideten Magiers.

Dieser trat nun ein paar Schritte vor und begutachtete den kleinen Haufen erbarmungswürdiger Gestalten zu seinen Füßen. Es handelte sich um Beldas, einen eher kleinen, rundlichen Magier, der eigentlich keinen besonders gefährlichen Eindruck machte, und dennoch zu den zwölf Herakinen gehörte. Tado spürte, wie eine starke Präsenz von seiner nicht gerade angsteinflößenden Erscheinung ausging.

„Damit dürfte die Rebellion gegen die Oberen Vier wohl endgültig ihr Ende finden“, stellte er zufrieden fest.

„Dem befürchte ich widersprechen zu müssen“, ertönte eine Stimme von hinten. Tado brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es sich dabei um Talaria handelte. „Die Leichen von sieben uns bekannten Mitgliedern der Gruppe sind auf dem Schlachtfeld nirgends zu finden. Wir gehen davon aus, dass sie entkommen konnten.“

„Das ist unerfreulich“, erwiderte Beldas, und seine Miene trübte sich ein wenig. „Aber keineswegs ein Grund zur Beunruhigung. Eine derart geringe Anzahl wird den Oberen Vier keine Bedrohung sein. Zudem kennen wir nun ihre Identität. Sie können sich nicht vor uns verstecken.“

„Der Schattengeist befindet sich ebenfalls unter den Entkommenen“, ergänzte Talaria. Beldas winkte ab.

„Hast du etwas anderes erwartet?“, fragte er ein wenig ungehalten. „Wenn nicht einmal der Lord ihn aufhalten konnte, wie sollten dann wir dazu imstande sein?“

Tado horchte auf. Von einem Schattengeist hatten ihm die Magier der Widerstandsgruppe überhaupt nichts erzählt. Vielleicht war es aber auch nur ein anderer Name, mit dem die Untergebenen der Oberen Vier eines der Mitglieder bezeichneten.

„Um deinen Unmut ein wenig zu schüren“, ertönte die Stimme Volds, während sich die Gestalt des Herakinen unmittelbar neben Beldas urplötzlich aus einem jäh auftauchenden schwarzen Nebel formte, „möchte ich der Liste der Geflohenen noch eine Person hinzufügen.“

„Welch ein unfassbares Maß an Unfähigkeit!“, rief Beldas verärgert aus.

In Wahrheit störte ihn die Bemerkung Volds wohl eher weniger, doch er wollte es sich nicht nehmen lassen, den Herakinen vor aller Augen derart anzufahren.

„Ich kann mich nicht erinnern, dich überhaupt kämpfen gesehen zu haben“, erwiderte Vold trocken. „Im Übrigen brauchst du dir um den Entflohenen keine Gedanken zu machen. Mit seinen Verletzungen kann er es kaum mehr als ein paar hundert Meter weit schaffen. Selbst wenn du ihn laufen ließest, würde er in spätestens zwei Tagen sterben. Es gibt keine Magie in Telkor, die ihn jetzt noch retten könnte.“

Tado sah sich unauffällig um. Außer Yala und ihm selbst schien sich keiner der Gefährten unter den Gefangenen zu befinden; um genau zu sein, kannte er auch keinen der kampfunfähig gemachten Magier hier, nur ein paar von ihnen hatte sein Blick vielleicht einmal während der Versammlung gestreift. Wenn er Talarias Worte richtig deutete, dann konnte es sich bei den Entkommenen auf keinen Fall um Lukdan oder Spiffi handeln, denn sie sprach eindeutig von ihnen bekannten Mitgliedern, was auf die Gefährten wohl eher nicht zutraf. Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden das Gefecht überlebt hatten, war verschwindend gering.

„Was sollen wir mit den Gefangenen machen?“, fragte einer der Steinzwerge ungeduldig, denn das Gespräch der Magier schien ihn nicht zu interessieren und seine Artgenossen bekamen langsam Schwierigkeiten damit, die Schattenschlucker und Blutskorpione zu bändigen.

„Bringt sie in die Mine“, antwortete Beldas. „Da ich als Herakine des Lords der Erde diesen Angriff auf neutralem Gebiet geleitet habe, stehen sie selbstverständlich allesamt ihm zu und werden daher in sein Territorium überführt.“

Die letzten Worte galten Vold, doch es schien nicht so, als wollte dieser überhaupt Anspruch auf einen Teil der Gefangenen erheben.

„Du solltest sie nicht am Leben lassen“, sagte er an Beldas gewandt. „So viele Gefangene werden bloß für Ärger sorgen.“

„Je mehr es sind, desto besser“, wies dieser die Worte Volds zurück. „Und es wären noch weitaus mehr gewesen, wenn du und deine blauen Gefolgsreptilien nicht ungefragt in meinen Plan hineingepfuscht und die Hälfte von ihnen getötet hättet.“

Die Steinzwerge begannen damit, die Gefangenen nach und nach auf einen hölzernen Wagen aufzuladen, vor den ein Blutskorpion gespannt war. Dieses Transportmittel war Tado überhaupt nicht geheuer.

„Was ist mit ihr?“, fragte einer der Steinzwerge seinen Nebenmann, der offenbar den Anführer der merkwürdigen Geschöpfe stellte, und deutete auf Yala.

„Sie ist für die Arbeit in der Mine nicht geeignet“, überlegte der Angesprochene. „Tötet sie.“

Tados Herz machte bei diesen Worten einen erschrockenen Aussetzer. Yala selbst blieb jedoch erstaunlich ruhig.

„Ich übernehme das“, mischte sich Vold ein und legte seinen Disput mit Beldas vorerst auf Eis, als hätte er die ganze Zeit über auf diese Worte gewartet. „Ich habe noch eine Rechnung mit ihr offen.“

Schwarzer Nebel entströmte seiner Hand. Er zielte auf Yala.

„Warte“, hielt ihn Beldas zurück, allerdings klangen seine Worte eher nachdenklich als auffordernd, weshalb Vold sie zuerst gar nicht ernst nahm, sondern seinen Zauber erst unterbrach, als der braungekleidete Herakine einen Schritt auf sie zuging und sich zu ihr hinunterbeugte. Yala starrte ihm entschlossen in die Augen. Tado, der sich unmittelbar neben ihr befand, konnte die Präsenz des Magiers nun so deutlich spüren, dass selbst die Aura Volds für einen Moment unter ihrer Dominanz verschwand.

„Sie ist gar keine Magierin“, sagte Beldas schließlich, und diese Worte schienen alle Versammelten zutiefst zu entrüsten. „Sie hat eine Wunde, verursacht durch Telkors Magie, an ihrer rechten Hand. Es gibt auf dieser Insel nur sehr wenige Magier, die derartige Verletzungen tragen; sie alle sind den Oberen Vier sowie den Herakinen bekannt. Und niemals würde ein Magier sich selbst verletzen. Sie muss außerhalb Telkors mit Magie in Kontakt gekommen sein.“

„Die Wunde mag vom zurückliegenden Kampf stammen“, erwiderte Talaria verständnislos.

„Wie dumm!“, rief Beldas aus und deutete auf Yalas rechte Hand. „Wenn sie die Verletzung erst vor wenigen Minuten erhalten hat, wie sollte sie sie dann bereits unter einem Handschuh verbergen können?“

Genau das war es, was auch Tado in diesem Moment verwunderte. Woher wusste Beldas, dass sich unter dem Handschuh eine durch Telkors Magie zugefügte Wunde befand? Gehörte Derartiges etwa zu den Fähigkeiten eines Herakinen? Doch hätte dann nicht auch Vold bei ihrer ersten Begegnung die Verletzung spüren müssen?

„Ein Mensch?“, krächzte Vold. „Ich wurde also doppelt zum Narren gehalten?“

Da niemand außer den Gefährten von ihrer Begegnung bei den Schwankmotten wusste, verstand auch kein anderer die Bemerkung des Magiers, der vor Wut nun kochte; dennoch ließ sich Beldas eine weitere Stichelei nicht nehmen:

„Das verwundert mich nicht. Du bist viel zu leichtgläubig und unschwer hinters Licht zu führen. Falls es dich nicht zu sehr aufregt, lass mich dir noch sagen, dass auch er hier ein Mensch ist.“

Der Herakine deutete auf Tado.

„Er ließ sein Schwert mithilfe eines Goblinzaubers verschwinden. Kein normaler Magier würde sich zu derart niederer Magie herablassen“, fuhr er fort. „Wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich bei den beiden sogar um einen Teil derjenigen Menschen, die vor ein paar Tagen an der Südküste strandeten und vom Lord des Wassers gefangen genommen wurden. Ein paar von ihnen sollen entkommen sein. Zwar hat man dem Lord zugetragen, sie seien kurze Zeit später gefunden und vernichtet worden, doch wie du weißt, stammte diese Meldung von Lillyopha, die, wie sich herausstellte, ein Mitglied der Widerstandsgruppe ist. Es würde mich also nicht wundern, wenn die Nachricht über den Tod der Entkommenen eine Lüge war und sie sich stattdessen selbst in den Besitz jenes Gegenstands gebracht hat, nach dem du so verzweifelt suchst.“

Tado gefiel, in welche Richtung sich das Gespräch entwickelte. Die Magier befanden sich auf einer komplett falschen Fährte. Nicht, dass ihm das jetzt noch irgendetwas genützt hätte, denn wie es aussah, sollte er wohl nie wieder das Tageslicht erblicken. Und doch freute es ihn auf eine merkwürdige Weise, dass Telkor die Drachenklinge niemals finden würde.

„Wenn diese Vermutung der Wahrheit entspricht, dann ist das Schwert wohl am ehesten im Besitz des Schattengeistes“, antwortete Vold, und seine Stirn zeigte tiefe Zornesfalten. „Und das wiederum lässt unsere Aussicht, es je in die Finger zu bekommen, sehr düster erscheinen.“

„Das sehe ich anders“, widersprach Talaria, und in ihrer Stimme lag eine gewisse Nervosität, immerhin hatte ja auch sie einen Teil der Widerstandsgruppe entkommen lassen. „Trotz ihrer verminderten Zahl können wir davon ausgehen, dass die verbliebenen Mitglieder ihre Bemühungen, die Oberen Vier zu stürzen, fortsetzen werden. Aus der zurückliegenden Versammlung geht hervor, dass ihr neues Ziel der König der Troks ist. Wenn wir ihnen dort auflauern…“

„Vergiss es“, wurde sie sofort von Vold unterbrochen. „Es ist uns untersagt, das Territorium der Troks zu betreten. „Auch um den Schattengeist zu fangen, werden die Oberen Vier keine Ausnahme machen.“

„Was soll denn nun mit den Menschen geschehen?“, fragte der gleiche Steinzwerg wie vorhin ungeduldig mitten in das Gespräch der Magier hinein. In der Tat waren Tado und Yala die einzigen noch verbliebenen Gefangenen auf dem Schlachtfeld, alle anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe hatte man bereits auf den Wagen geladen.

„Er kommt ebenfalls in die Mine“, antwortete Beldas nach kurzem Überlegen und deutete auf Tado. „Sie jedoch wird auf mein Schloss gebracht. Noch nie habe ich meine Magie an einem Menschen ausprobieren können. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt.“

Voll Vorfreude rieb er sich die Hände, während Tado von zwei Steinzwergen davongetragen wurde.

„Vergesst nicht, den beiden normale Fesseln anzulegen“, fügte Talaria den Worten des Herakinen hinzu. „Die Handschellen aus Ordan schaden uns mehr als ihnen.“

Ein Magier riss Yala auf Beldas‘ Befehl hin unsanft in die Höhe. Dies war das letzte, was Tado von ihr sah, denn der Blutskorpion, der den Wagen der Gefangenen zog, setzte sich in jenem Moment in Bewegung, und durch seine große Geschwindigkeit verschwanden das Schlachtfeld und das Heer der Angreifer schon bald aus seinem Blickfeld.

Die Zitadelle

Подняться наверх