Читать книгу Wenn das Leben dir Zitronen gibt... - Daniel Wächter - Страница 12
Kapitel 4
ОглавлениеNun gehörte Marija zu uns; wenngleich wir dies erst seit wenigen Stunden wussten, war es doch glasklar. Das Wichtigste war nun, dass sie diesen Idioten namens Simon in den Wind schiessen würde.
Es war spät, als die Schlüssel im Schloss von Marijas Studio klapperten. Sie hatte zwar kaum was getrunken, doch war der Tag ereignisreich verlaufen. Fast war sie nun froh, nicht mehr Spätschicht gehabt zu haben, denn dann wäre es definitiv ein Fiasko geworden. Ein Rätsel war ihr allerdings, warum Mariella trotz Verabredung darauf bestanden hatte, die Schichten zu tauschen. Gut, ob sie jetzt mit einem Kerl ein Date hatte oder mit den schmierigen Typen am Tresen flirtete, spielte keine Rolle - die Arbeit wurde entgegen der Meinung Baumanns ohnehin nicht von Mariella gemacht.
Sie öffnete die Tür. Sie erwartete ein heilloses Durcheinander. Fast schon hatte sie befürchtet, dieser Schläger und seine Schergen aus dem Finca wollten auch hier kurzen Prozess machen, doch dann erkannte sie, dass das Chaos eine Folge von Simons Versuch war, zur Küche zu gelangen. Doch dabei war er wieder eingeschlafen, mitten auf dem Flur lag er, alle Viere von sich gestreckt.
Genervt verdrehte sie die Augen, kniete sich aber zu ihm nieder und tätschelte ihm die Wange. Simon schlug seine Lider auf.
„Baby?“, murmelte er verschlafen.
„Ich hatte heute Besuch. Man hat mich nach dir gefragt.“
„Wer denn?“ Neugierig hob er seinen Kopf.
Marija zuckte mit den Schultern. „Sie haben ihre Namen nicht genannt. Jedenfalls schuldest du ihnen Geld!“
Seufzend liess Simon seinen Kopf wieder auf den Boden nieder. „Die sind harmlos.“
„Harmlos?“ Marija lachte laut auf. „Es gab eine Schlägerei. Hör zu, Simon, ich liebe dich, das weisst du und ich halte trotz deiner Sucht zu dir, aber ich möchte nicht mehr in solche Dinge mit reingezogen werden!“
„Das wird nicht mehr vorkommen, das verspreche ich dir!“
„Nein, das wird es nicht. Jetzt bitte ich dich, zu gehen!“
„W-wie, du machst Schluss mit mir?“ Simon war auf einen Schlag hellwach. Marija nickte. Langsam stand er auf und strich sich die Hose glatt.
„Baby, es tut mir leid, ich werde mich ändern, höre mit dem koksen auf, ich schwör’s! Gib mir nochmals eine Chance!“, flehte Simon.
Marija schüttelte den Kopf. „Ich habe dir schon viele zweite Chancen gegeben, ich will ein sorgenfreies Leben ohne Angst zu führen. Ich wurde bedroht, Simon, man drohte mir, mich zu vergewaltigen!“
„Bitte, Baby...“, bettelte er.
„Nein!“, entgegnete sie lauter, schob ihn zur Tür hinaus und schloss diese.
Verzweifelt schlug sie sich die Hände ans Gesicht, rutschte an der Tür hinunter und schrie auf.
Dann endlich kamen die Tränen. Tränen, die nicht mehr versiegen wollten.
Ihre Sprachnachrichten waren kaum zu verstehen, aber umso schwerer zu ertragen. Ein Glück für sie, hatten wir noch im Auld Triangle Nummern ausgetauscht und sie in unseren Gruppenchat aufgenommen. So standen wir nur wenige Minuten später in ihrem verwüsteten Zimmer. Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
„Was ist denn da los, Marija? Heisse Nacht mit deinem Stecher gehabt?“, witzelte Alexander, doch niemandem von uns war zum Lachen zu Mute.
In zittrigen Sätzen, die immer wieder von herzzerreissenden Schluchzern unterbrochen wurden, erzählte Marija, wie sie Simon vorgefunden und danach vor die Tür gestellt hatte. Die Arme hatte wohl einen sehr ereignisreichen und anstrengenden Abend und so entschieden wir uns alle vier, gleich bei ihr zu bleiben. Auch für den Fall, dass Simon zurückkehren würde. Im Drogenrausch war noch mancher unberechenbar, auch wenn sie uns versicherte, dass er sie niemals geschlagen hatte.
Ich kochte einen Tee zur Beruhigung und forderte sie auf, sich ins Bett zu legen, ehe ich ihr die Tasse reichte.
„Danke Jungs.“, sagte sie lächelnd. „Im Kühlschrank hat’s noch Bier. Bedient euch!“
Dies liessen wir uns nicht zweimal sagen.
Das Sofa war eng, aber trotzdem konnten wir wieder lachen. Allerdings versuchten wir leise zu sein, um Marija nicht zu wecken, die ja nur knappe vier Meter entfernt den Schlaf der Gerechten schlief. Jetzt als das Adrenalin verflogen war, wurde mir bewusst, unter welch widrigen Umständen sie offenbar hauste. Klar, die Einrichtung war absolut zweckmässig, doch weitaus nicht vergleichbar mit dem übrigen Standard unseres Landes. Der Verputz bröckelte an einigen Stellen, Risse zogen sich durch die Wände, eine einsame Glühbirne baumelte von der Decke. Dafür waren die sanitären Einrichtungen sauber, auch von der Toilette hatte ich mich bereits überzeugt.
Auch Frowin Baumann schwelgte in Gedanken, als er sich über das Geländer seiner Terrasse beugte. Von seiner Dachwohnung oberhalb des Finca konnte er die gesamten Anlagen der Bundesbahnen überblicken.
Fast seine gesamte Jugendzeit hatte er auf dem Bahnhof verbracht. Zuerst als Sohn des Stationshalters, in der Wohnung im ersten Stockwerk des Bahnhofsgebäudes lebend, danach als Mitarbeiter im Rangierverkehr. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass das emsige Treiben, das hier einst rund um die Uhr geherrscht hatte, so schnell der Vergangenheit angehörte. Er war nicht der einzige, der wohl der Eisenbahn sein Leben verdankt. In seinem Falle war es seine Mutter, welche es der Arbeit wegen nach Erstfeld verschlagen hatte, wo sie von ihrem künftigen Ehemann eingearbeitet wurde.
Die Eisenbahn war hier immer präsent gewesen, fast seine gesamte Klasse während der Schulzeit stammte aus Bähnlerfamilien. Dies sorgte auch für eine gute Durchmischung der Individuen, viele Einflüsse aus anderen Regionen taten der abgelegenen Welt Erstfelds sichtlich gut.
Der zweite Gedanke, der in seinem Kopf herumspukte, handelte von Marija. Tüchtig war sie ja, aber ihre Lebensumstände erwiesen sich nicht gerade als förderlich. Zwar bereute er, sie geschlagen zu haben, dennoch sah er es als notwendigen Hinweis, sich künftig zu benehmen.
Er war kein Wilbur Larch wie John Irving und Lasse Hallström ihn geschaffen hatten, dem die Schicksale seiner Schützlinge am Herzen lagen, er war ein Geschäftsmann, für ihn musste nur die Kasse stimmen – wenn man ihn denn mit einer Filmfigur vergleichen musste, kam wohl der von Michael Douglas dargestellte Gordon Gekko in Oliver Stones Wall Street der Wahrheit am nächsten. Klar, über Leichen würde er (noch) nicht gehen, dennoch war die Formel simpel: Kunden kamen nur bei positivem Image – und das sollte diese Kroatin langsam realisieren.
Wie der heutige Abend zeigte, schien sie nichts daraus gelernt zu haben.
„An was denkst du?“
Frowin drehte sich um, Dominik Hopfner stand im Türrahmen. Er hatte beinahe vergessen, diesen noch zu einem Bier eingeladen zu haben.
„Wie bist du reingekommen?“
„Die Tür war unverschlossen“, antwortete Hopfner und reichte Frowin eine Bierflasche und einen Flaschenöffner. Die zweite hatte er bereits geöffnet – er schien sich wortwörtlich wie zu Hause zu fühlen.
Baumann nahm die Flasche, öffnete den Deckel und genehmigte sich ein paar grosse Schlucke, sehr zum Amusement Hopfners.
„Strenger Tag gehabt, Frowin?“
Dieser lachte. „Jedenfalls nicht langweilig. Und bei dir?“
„Nur dass dieser Koch nicht arbeiten kann, der ist überfordert. Jetzt hatte er noch die Frechheit, sich für den offenen Posten des Küchenchefs zu bewerben.“ Hopfner lachte schallend und genehmigte sich einen Schluck.
„Wie wirst du ihn absägen?“
„Ich warte auf den geeigneten Moment!“
„Genau wie ich mit dieser Kroatin unten im Finca!“