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Kapitel 1

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Marija gehört seit vier Jahren zu uns. Kennen gelernt hatten wir sie bei ihrer Arbeit im Restaurant La Finca, ebenfalls an Erstfelds Gotthardstrasse gelegen und ebenfalls einer dieser Lokalitäten, welche im Aushang noch eine Speisekarte statt eines „Geschlossen!“- oder „Zu verkaufen“-Schild hängen hatten.

Wie jeden Tag stand Marija vor dem Spiegel ihres kleinen Mansardenzimmers im Zentrum von Erstfeld. Die Behausung entsprach nicht gerade dem üblichen Standard unseres Landes, dennoch bot sie unverkennbare Vorteile; nebst der tiefen Miete sprach auch die fussläufige Entfernung zum La Finca dafür, hier ihren Lebensmittelpunkt zu haben.

Nachdem sie sich Make-up aufgetragen und ihre bereits zuvor säuberlich auf das Klappbett gelegten Kleider angezogen hatte, machte sie sich auf den Web zur Arbeit.

Liebend gerne wäre sie länger im Bett geblieben, hatte sie doch erst um vier Uhr in der Früh Feierabend gehabt. Weil jedoch ihre Arbeitskollegin Mariella unbedingt Spätschicht wollte, durfte Marija nach nur vier Stunden wieder auf der Matte stehen.

Mariella war eine eigenartige Person, stets bändelte sie mit irgendwelchen Typen an. Ihre Affäre mit João, einem verheirateten Portugiesen, war natürlich längst kein Geheimnis mehr. Er tauchte auch auffällig oft im Finca auf, schlich um sie, verschwand mit ihr auf dem Herrenklo.

Seit Anbeginn der Liaison verlangte Mariella von João, dass er sich von seiner Frau trenne. Er versprach es immer, doch es war klar, dass er sich eine Scheidung nicht würde leisten können.

Und so blieb er bei seiner Frau, während er nebenbei Mariella vögelte. Diese wiederum heulte Marija immer die Ohren deswegen voll.

Freilich hatte jene andere Probleme, doch ein offenes Ohr hatte niemand für sie.

Bis auf uns.

Marija arbeitete nicht aus Spass im La Finca, sie konnte sich auch keine bessere Wohnung leisten, ja musste sogar Angst haben, diese irgendwann verlassen zu müssen, sei es aus Schuldengründen oder weil die Besitzer eine andere Verwendung dafür hatten.

Sie war in einer Beziehung mit Simon, einem drogensüchtigen Taljungen, der sein Leben lieber in Bars und mit Kokain verbrachte, als sich um einen Job zu bemühen. Seine Drogensucht hatte ihm schon einige erfolglose Aufenthalte in der Entzugsklinik verschafft. Marija war sein Notnagel, sie finanzierte seine Sucht, sonst würde er ihr drohen.

Just in diesem Moment klopfte es an der Tür. Als Marija öffnete, kam ihr ein verdächtig schwankender Simon entgegen.

„Baby, ich liebe dich!“, lallte er und wollte sie küssen. Bei diesem Versuch kippte er beinahe zur Seite, konnte sich aber im letzten Moment noch an Marijas Schulter festkrallen.

„Du hast wieder getrunken!“, stellte sie fest.

„Pah. Getrunken!“, brüllte er. „Als wäre ich ein Anfänger!“

Der Innentasche seiner zerfledderten Lederjacke entnahm er ein kleines Tütchen, das ein verdächtiges weisses Pulver beinhaltete.

„Baby, hast du eine Zehnernote?“

„Keine Ahnung.“ Sie widmete sich wieder ihrem Spiegelbild.

„Dann guck doch nach!“

„Simon!“ Sie drehte sich zu ihm um. „Ich habe keine Zeit, ich muss arbeiten gehen.“

Diese Worte entlockten ihm ein Lächeln. „Sehr gut, dann ist wieder etwas Geld für guten Stoff da!“

Als sie keine Anstalten machte, griff er, ihre Proteste ignorierend, nach ihrer Brieftasche und packte eine Zehn-Franken-Note aus, welche er zu einem kleinen Röhrchen rollte. Dann puderte er ein wenig des weissen Pulvers auf die Tischplatte und bildete mit einer Rasierklinge fein säuberlich eine Linie.

„Ist das Kokain?“, fragte sie angewidert.

Simon strahlte. „Natürlich ist das Koks. Weisses Gold!“

Er hielt sich das Röllchen ans linke Nasenloch und zog die Linie hoch.

„Ach, tut das gut!“, seufzte er zufrieden und hielt ihr die gerollte Banknote hin.

„Willst du auch mal?“

Als Marija im Lokal ankam, war die Hölle los. Obwohl Mariella zwingend an diesem Vormittag frei benötigt hatte, wuselte sie durch Tresen und Speiseraum, wild gestikulierend und herumschreiend. Ganz unerwartet kam dies zwar nicht, doch hatte Marija leise gehofft, dass hier weniger Lärm war als zu Hause. Simon war übrigens unmittelbar nach seinem Angebot direkt auf ihrem Bett eingeschlafen.

„Alles muss man selber machen, die anderen können gar nichts! Herumlaufen wie Schlampen, aber sonst unfähig!“

Offenbar hatte ihre Kollegin ihre Ankunft noch nicht bemerkt, denn Marija war sich sicher, dass mit Mariellas abschätziger Bemerkung sie gemeint war. Dabei hatte sie doch den Tresen gewienert wie wild.

In diesem Moment öffnete sich eine Tür und Frowin Baumann, der Besitzer und Wirt des La Finca, betrat sein Lokal.

„Was ist das hier für ein Lärm?“, erkundigte er sich.

„Ich wollte nur kurz nach dem Rechten sehen, doch Marija hat ein riesiges Chaos hinterlassen.“

Die Erwähnte versteckte sich hinter einer Säule und sie versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken.

„Du sollst diese Schlampe entlassen! Sollte sie nicht schon längst wieder hier sein!“

Mariellas Worte wirkten wie ein Stich ins Herz. Klar hatte sie für ihre Arbeitskollegin nicht gerade immense Sympathien gehegt, trotzdem hätte sie niemals mit einem solch hinterhältigen Verhalten gerechnet.

„Wahrscheinlich bläst sie einem Typen gerade den Schwanz. Frowin, hast du schon unten bei den Toiletten nachgesehen, ob sie da steckt?“

Als Baumann provokant auf seine Uhr blickte, entschied sich Marija für den Gegenangriff.

„Die Schlampe meldet sich pünktlich zum Dienst!“, meinte sie trocken und schnappte sich ein Handtuch.

„Solch‘ eine Sprache verbitte ich mir in meinem Restaurant!“, knurrte Baumann empört.

„Ja, du hast Frowin gehört, hier im La Finca arbeiten nur anständige Leute!“, musste jetzt auch noch eine keifende Mariella ihren Senf dazu geben. Marija verwunderte es nicht, dass sie im Ort hinter vorgehaltener Hand nicht selten als Papagei bezeichnet wurde.

„Als wäre ich die einzige, die so redet!“, murmelte Marija und wollte sich an ihre Arbeit machen. Einer der Dauergäste hatte schon lautstark nach einem Bier verlangt und diese sollte man nicht verärgern, wenn man Frieden wollte.

„Was hast du gesagt, Marija? Ich verstehe dich nicht. Abgesehen davon musste Mariella Zusatzschichten schieben, weil du letzte Nacht deine Arbeit nicht machen wolltest, du faule Kuh!“

Durch den Tränenschleier vor ihren Augen sah Marija Baumanns heranschleudernde Hand zu spät, um dem Schlag noch ausweichen zu können.

Wenn das Leben dir Zitronen gibt...

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