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Beten

Eine Beziehung lebt vom gegenseitigen Austausch. Sie ist Nehmen und Geben, Empfangen und Schenken, Geliebt werden und Lieben. Gebet ist Gesprächsaustausch mit Gott. Beten ist Beziehung, keine religiöse Pflichtübung. Beten ist das Empfangen göttlicher Liebe und meine Antwort auf seine Liebe. Beten ist Ausdruck davon, dass der christliche Glaube keine Buchreligion, sondern ein Beziehungsglaube ist. Wir haben hier nicht den Raum, das Geheimnis, den Reichtum und die facettenreiche Fülle des Gebetes zu entfalten. Doch möchten wir einige Punkte herausgreifen.

Beten stärkt die Selbstwahrnehmung

Ein Ehepartner, der im Zwiegespräch mit Gott lebt, bekommt neben der Möglichkeit zum ehelichen Beziehungsaustausch die Beziehungsmöglichkeit mit Gott. Zu den menschlichen Ressourcen, die uns als Paar gegeben sind, treten die göttlichen Möglichkeiten und Lösungen hinzu. Wer sich im Gebet Gott zuwendet und sich von ihm lieben lässt, lernt sich mit seinen Stärken und Schwächen besser kennen. Das Gebet stärkt unsere Selbstwahrnehmung. Wer betet, ist besser in sich zu Hause, wird wacher und liebender. Warum? Weil er die göttliche Quelle kennt und lernt, sich daraus stillen zu lassen. Er wird damit weniger anspruchsvoll, weniger fordernder. Wie das konkret aussieht?

Beten ist Psychohygiene

Manchmal lasse ich (Daniel) mich, wenn es mir nicht so gut geht, auf unserem Sofa fallen, bitte Gott um Ermutigung oder Vertrauen. Ich gebe ihm meine Ängste ab, etwa die, dass ich oder ein Angehöriger an Krebs erkranke. Oder ich lasse meinen Frust darüber abfließen, dass meine Frau eine Abmachung nicht eingehalten hat. Möglicherweise bekenne ich ihm eine Schuld, die mir bewusst geworden ist. (Es war nicht in Ordnung, den Termin für den Einkauf eines Snowboards, den ich mit meinem Sohn vereinbart hatte, zum zweiten Mal wegen eines Geschäftstermins zu verschieben.) »Schüttet euer Herz vor ihm aus. Gott ist unsere Zuflucht« (Psalm 62,9). Alle seelischen Inhalte können wir vor Gott ausbreiten. Gott ärgert sich nicht grün und blau. Er wird auch nie rot vor Scham. Nie wird er gelb vor Neid, weil er nur das Beste für mich will. Er ist ja verstehende und schenkende Liebe. Er ist ja Wahrhaftigkeit, die uns in die guten Ordnungen zurückführen will.

Manchmal erzähle ich (Käthi) meinem Mann etwas aus der Tiefe meines Herzens. Doch was mich so berührt hat, nimmt er vielleicht gar nicht auf. Er geht einfach darüber hinweg. Dann fühle ich mich unverstanden. Es schmerzt mich, dass wir das nicht teilen können. Doch ich habe gelernt, diesen Schmerz im Gebet Gott zu bringen und dabei zu erfahren, dass er mich in der Tiefe versteht. Das erfüllt mich mit Frieden und der Gewissheit, dass ich nicht zu kurz komme. Das ist für mich und für uns beide effizienter, als wenn ich aus meiner Verletzung heraus Streit beginne.

Göttliche Supervision und Stillung im Gebet

Wenn ich (Daniel) so meine seelischen Inhalte vor Gott ausgebreitet und bei ihm losgelassen habe, beginne ich innerlich zu hören: Gott, was hast du auf dem Herzen für mich? Wie beurteilst du diesen Streit? Ermutige mich doch durch ein Wort von dir! Weise mich zurecht, wo ich daneben liege! Was mir in solchen Zeiten der Stille und Stillung zufällt, hat unterschiedliche Qualität.4 Manches erkenne ich als eigene Gedanken und Gefühlsinhalte. Anderes wieder hat eine Klarheit und Feinheit, die ich als göttliche Impulse deute. Die betende Zweisamkeit mit Gott baut innerlich auf. Sie stillt unsere tiefsten Bedürfnisse in einem Maße, wie es unser Partner nie geben kann. Die Lektüre in der Bibel ist mir dabei eine große Unterstützung. (Gott spricht viele Sprachen, seine Muttersprache ist die der Bibel.) Gerade dem Lesen der Psalmen, des Gebetbuches Jesu, kommt eine große Bedeutung zu, weil darin alle Emotionen vor Gott zur Aussprache kommen, wenn Eheleute »Krieg und Frieden« ihrer Beziehung durchleben.

Negative Gefühle abfließen lassen

Betende Ehepaare lernen, negative Gefühle und Gedanken bei Gott abfließen zu lassen. Sie erbitten im Gebet Geduld, Barmherzigkeit, Humor, Liebe und Verständnis. Sie empfangen von Gott neue Gefühle, entscheiden sich dafür und versuchen, darin zu laufen. Wo in einer Ehe gebetet wird, findet eine Entschlackung zwischenmenschlicher Verletzungs- und Abnutzungsgefühle statt. Das ist die Sauerstoffzufuhr göttlicher Liebe.

Betende Ehepartner sind Frauen und Männer, die die Verantwortung für ihre Gedanken und Gefühle übernommen haben und so Psychohygiene vor Gott betreiben. Sie haben aufgehört, den anderen für das eigene Ergehen verantwortlich zu machen. Das Gebet, in dem jeder Partner für sich vor Gott ungute Dinge bereinigen kann, ist die Alternative zu unseren unfruchtbaren ehelichen Interaktionszirkeln, wo wir Schuld verschieben: »Weil du …, habe ich halt …« »Wenn du nicht …, hätte ich auch nicht …«

Als Ehepaar gemeinsam beten

Es liegt eine große Chance darin, wenn wir gemeinsam beten. Wir sind darin allerdings erst Anfänger. Das hat manche Gründe: Wir mussten uns zu Beginn unserer Ehe von einer christlichen Prägung lösen, wo man im gemeinsamen Gebet indirekt kommunizierte: Die Stimme an Gott richtend und dabei auf den anderen zielend, sagte man Sachen, die man sonst, in einem offenen Gespräch, verschwieg. Wir misstrauten daher dem gemeinsamen Gebet. Wir wollten direkte Kommunikation, eine faire Streitkultur. Das war damals gut so. Vermischt damit war bei mir (Daniel) eine große Zurückhaltung – wir können es auch Behinderung nennen –, Intimität in meinen Gefühlen zuzulassen. (Und echtes gemeinsames Gebet schafft ja gerade eine große Nähe.) Heute merken wir, wie es uns verbindet und gut tut, wenn wir Gott gemeinsam danken oder eine Not vor ihn bringen können. Oder es macht uns wieder frei, wenn wir im Gebet unsere festgefahrenen Positionen abgeben und ihn um Rat bitten können.

Ich (Käthi) erlebe das gemeinsame Gebet kraftvoller, als wenn ich alleine bete. Es ist ein Zeuge dabei. Und wir sprechen laut. Mir scheint, dass mehr Kraft und Zielgerichtetheit in unserem Beten ist. Wir machen im Gebet das gemeinsam Erkannte fest. Im gemeinsamen Gebet leben wir unsere Ehe als Beziehungsdreieck exemplarisch, der Trialog wird ganz konkret.

Konstruktiver Umgang mit Führungsfrust

Und wie wirkt sich Beten auf Führungsverantwortliche aus? Wer gelernt hat, seinen »Ehefrust« mit Gott zu bearbeiten – und zwar unabhängig von seinem Partner –, der wird auch fähig sein, seinen »Führungsfrust« mit Gott zu bewältigen. Wir werden später sehen, wie das Beten zu einer guten »Work-Life-Balance« beiträgt. Zudem sind Leitende, die gelernt haben, sich in der Stille vor Gott stillen zu lassen, weniger anfällig dafür, ihr durstiges Selbst durch Position, Macht, Leistung und Anerkennung durch Menschen zu stillen. Wer betet, ist nicht mehr der Nabel der Welt, sondern steht vor dem, der das Universum in Händen hält. Demut ist eine Voraussetzung für gutes Führen. Es ist irritierend, peinlich und für das Unternehmen gefährlich, wenn Führungsverantwortliche dauernd um ihr eigenes Ich kreisen und ihre Entscheidungen aus der Befangenheit ihrer »Egorotation« heraus fällen.

4Siehe auch: Daniel Zindel, Gestillt – Nachtgespräche mit David, Neufeld, Schwarzenfeld 22014.

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