Читать книгу Fluch aus vergangenen Tagen - Daniela Christine Geissler - Страница 11

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Philadelphia 1969


Als Richard eines Tages von einer Europareise zurückkehrte, stellte er mit großer Sorge fest, dass die Seele von Ruth doch mehr Schaden davongetragen hatte, als man vermutete. Sie fand kein Vergnügen daran mit dem Auto zu fahren und zog es vor, im Rücksitz wie angenagelt zu verharren, bis das Ziel erreicht war. Selbst wenn Richard fuhr, war es ein Problem für sie, bis er sie eines Nachmittags vom Handball abholte und sie wieder hinten Platz nehmen wollte. Er überlegte seine Worte gut, bevor er das Thema ansprach, aber hinterher wünschte er sich, den Mund gehalten zu haben. „Es ist gut, Ruth. Es passiert dir nichts. Ich weiß, wie es für dich ist, aber bitte setz dich neben mich, bitte.“ Zögernd folgte sie seinem Drängen und rutschte auf den Beifahrersitz. Sie war die ganze Fahrt über angespannt. An einer Kreuzung bremste er ein wenig schärfer, da hielt sie sich die Hände vors Gesicht und schrie plötzlich gellend „Ich will raus, ich halt das nicht mehr aus. Mir ist kalt, so kalt. Pa, Ma, bitte warum sagt ihr nichts mehr. Ich kann nichts mehr sehen, mich nicht bewegen!“

Sie war so sehr in ihrer Angst gefangen, dass Richard am nächsten Pannenstreifen halt machen musste.

Sie sah nichts mehr, nur mehr einen Abhang, der sich vor ihr auftat und fast körperlich spürte sie wieder die Gewalt der Aufschläge, die das Auto beim Sturz gemacht hatte.

Richard war entsetzt. Sie wurde zunehmend hysterischer. Langsam öffnete er die Wagentür und trug sie einige Meter vom Auto weg. Sie erbrach sich. Ruth war jetzt vierzehn Jahre alt und hatte nichts, wirklich gar nichts verarbeitet. Eine irre Wut auf den Psychologen befiel ihn, den man ihnen empfohlen hatte. Wie wenig diese Leute von ihrem Handwerk verstanden! Er war immer für einen Psychiater gewesen, doch weil dieser Psychologe angeblich bei Kindern große Erfolge aufzuweisen hatte, stimmten die Nelligans zu.

Großmutter Elisa war in der Kirche sehr engagiert. Jeden Donnerstag am Abend versammelte sich in ihrem Haus eine Bibelrunde, geleitet von Pater Andreas. Da die Nelligans reich waren, traten Wohlfahrtsorganisationen und andere Vereine an sie heran. Elisa war durch ihre religiöse Erziehung sehr hilfsbereit und zögerte nicht, als ihr Pfarrer den Wunsch äußerte, in ihrem Haus die Bibelstunden des Vereins „Jesus führt uns“ abzuhalten. Richard sah es nicht gerne, wenn Ruth daran teilnahm. Der alte Mann war ihm suspekt. Er fand, für ein Kind wäre das nicht die richtige Umgebung. Sie soll sich doch mit Gleichaltrigen abgeben und nicht mit alten Menschen um einen runden Tisch sitzen und Gebete murmeln.

„Aber sieh doch wie gut es ihr dabei geht! Sie findet inneren Frieden darin.“, meinte Elisa, doch Richard lief gereizt um den Tisch herum und fuchtelte mit den Armen „Innerer Frieden! Sie soll leben, nicht wie eine Scheintote dahin vegetieren. Ich will, dass sie sich amüsiert.“

„Vielleicht sollte Ruth selbst wissen, was sie tun will. Gerade du, der du so tolerant bist, solltest nicht versuchen, den Willen anderer zu brechen. Deine Sorge mag berechtigt sein oder nicht, es hat eben den Anschein, dass sie gerne mit dem Herrn spricht.“

Er raufte sich seine steifen, braunen Locken

„Mit dem Herrn kann sie sprechen, wenn sie tot ist! Hör zu, Ma, sie ist ein Teenager! Wenn das so weiter geht, wird sie ein Sonderling werden. Willst du das?“ Elisa tätschelte ihrem Sohn die Wange „Lieber Richard, du wirst die Wege des Herrn auch noch begreifen lernen.“ Aufgebracht erwiderte er „Ach, komm mir nicht damit, Ma! Ruth ist seelisch krank und das weißt du. Ihr kann nur ein guter Psychiater helfen.“

Die Gesichtszüge der alten Frau verhärteten sich zu einer in Stein gehauene Heiligenstatue. Er merkte, dass jedes Wort vergeblich war und verließ den Raum.

Gegen religiösen Fanatismus hatte er kein Heilmittel parat und er fürchtete sich davor, dass dieser geistige Virus auf seine Nichte bereits übergegangen war.

Fluch aus vergangenen Tagen

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