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Kapitel 4

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Philadelphia, Sommer 1975


In den vergangenen Jahren war Richard ständig in Europa gewesen und hatte seine Nichte kaum gesehen. Seit einer Woche war er wieder zurück und bemerkte mit Sorge, wie sie sich entwickelt hatte.

Er sah, wie seine nunmehr achtzehnjährige Nichte, hastig die Treppen herunter eilte. Sie hatte schwarzes, schulterlanges Haar, blaue Augen, volle Lippen und eine tolle Figur, denn sie hatte die langen Beine ihrer Mutter geerbt. Ihre Kleidung ließ zu wünschen übrig, aber für den Anlass - die Bibelrunde - war es eigentlich egal. Richard merkte, dass sie sich überhaupt nicht um ihr Äußeres kümmerte und machte den zaghaften Versuch, dies zu ändern.

„Begleitest du mich morgen in die Stadt?“

„Wozu?“, antwortete sie gehetzt, als sie an ihm vorüber lief.

„Ach, ich habe einfach Lust auszugehen.“

„Gut, wenn du willst, aber jetzt entschuldige mich. Sie warten schon.“ und schon war sie Richtung Kaminzimmer geeilt, wo sich die illustre Gesellschaft schon versammelte.

Er stellte sich vor, wie er ihr eine neue Frisur verpasste, sie schick einkleidete und danach wollte er mit ihr zu einer Freundin gehen, die ihr einige Tipps beim Schminken geben sollte.

Am nächsten Vormittag ließ sie sich, folgsam wie ein scheues Reh, zum Friseur bringen.

„Finden Sie nicht, dass ihr ein Kurzhaarschnitt besser passen würde? Ich meine etwas Flottes?“, wandte sich Richard hilfesuchend an die Friseuse. Sie nickte und man begann ihr halblanges, wirres Haar abzuschneiden. Das Ergebnis sah wirklich toll aus. Hinten kurz und vorne längere Stirnfransen. Hinzu kam eine leichte Kastanientönung, die ihre blauen Augen besser zur Geltung brachten. Anschließend kleidete er sie neu ein. Zwei kurze schwarze Röcke, drei Jeans, in blau, schwarz und silbergrau und dazu passende Oberteile. Er bestand darauf, dass sie ihre alten Kleider auszog und die neuen gleich anprobierte. Sie verließ das Geschäft in einer schwarzen engen Jean und einer silbergrauen, glänzenden Seidenbluse. Etwas erschöpft sagte er „So, und jetzt dein Gesicht.“ Sie sah ihn misstrauisch an „Onkel Richard, sag, was hast du eigentlich mit mir vor? Willst du mich an den Mann bringen?“

„Warum nicht? Ach was, schau nicht so! Ich will dich nur einmal in schicken Sachen sehen. Den Anblick gönnst du mir doch, oder?“

Er hoffte in ihr einen Hauch Lebensfreude zu wecken. Er gab nicht auf. Seine italienische Freundin hatte ihr Kosmetikstudio nicht weit vom Einkaufszentrum entfernt.

Eine dunkelhäutige Schönheit mit einer schwarzen Lockenmähne kam strahlend auf die beiden zu. “Ricardo, come sta?“ „Bene, grazie, e tu?“, antwortete er charmant. Nach einer überschwänglichen Begrüßung, die kein Ende zu nehmen schien, landete Ruth auf einem Hocker vor einem großen Spiegel. Ihr Gesicht bekam ein Peeling. Es wurde eingecremt, betupft und dann wurde das Make-up aufgetragen. Richard wunderte sich, was man aus einem Gesicht alles machen konnte.

Als Ruth sich nach der Prozedur im Spiegel betrachtete, musste auch sie staunen. Objektiv betrachtete sie sich. Manuela hatte ihre dichten Augenbrauen zu einem schönen Schwung gezupft und sie betont, indem sie diese schwarz färbte. Ihre Wimpern wurden getuscht. Ihr Gesicht hatte durch das Make-up einen makellosen, frischen, leicht rosigen Teint erhalten. Am markantesten aber war ihr Mund. Mit dem Lippenliner hatte sie dem Mund einen interessanten Zug verliehen, indem sie die Oberlippe ein wenig höher zog, dadurch schienen beide Lippen eine Einheit zu bilden und diese mit einem Lippenstift in dunkelroter Farbe bemalt. Alles passte zusammen. Mit ihren langen Beinen, dem knabenhaften Oberkörper und dem Kurzhaarschnitt hatte sie sich in ein Pariser Fotomodel verwandelt. Ruth kannte sich selbst nicht wieder. Mit dem Ergebnis zufrieden, klatschte Richard in die Hände. „Jetzt gehen wir essen! Auf was hast du Appetit? Chinesisch, russisch, italienisch oder vielleicht französisch?“ „Was du willst, Onkel Richard.“, kam ihre müde Antwort, verwirrt über die Veränderung, die man an ihr vorgenommen hatte. „Gut, dann gehen wir französisch essen. Gleich hier nebenan. Hast du was dagegen, wenn Manuela mitkommt?“

„Aber nein, während du auf sie wartest, besuche ich noch die Bücherei. In einer halben Stunde treffen wir uns dann vor dem Lokal.“, und schon huschte sie davon. „Sie ist hübsch deine Nichte. Und sie scheint ein Problem zu haben!“

„Du hast es erfasst, meine Liebe, aber das erkläre ich dir ein anderes Mal.“

Im Bücherladen durchstöberte Ruth die Regale nach dem Philosophen Spinoza durch. Sie fand ihn nicht. Der junge Verkäufer fragte, ob er ihr behilflich sein könnte, doch Ruth winkte ärgerlich ab. Sie wollte ihre Ruhe haben, war total erschöpft von Richards Ansprüchen, die er an sie stellte.

Heute hatte sie etwas anderes vorgehabt, aber morgen wird sie auch noch Zeit finden, sich mit Pater Thomas zu treffen. In der Auslage erhaschte sie einen Blick auf ihr Spiegelbild und dachte: aber sicher nicht in diesem Aufzug. Sie kam sich undankbar vor.

Das Essen schmeckte ihr, doch Manuela, so gut sie auch ihr Handwerk verstand, war ihr einfach unsympathisch. Eifersüchtig dachte sie: Wie kann man sich nur so offensichtlich an einen Mann heranschmeißen? Die machen es heute sicher noch. Sie vermied es, die beiden anzusehen.

Richard dachte an das letzte Mal, wie leidenschaftlich Manuela war. In so einem Moment fühlte er sich einfach herrlich. Er war süchtig danach, Frauen in ihrer Ekstase zu betrachten. Dabei kam es ihn nicht so sehr auf sein Vergnügen an, es war eher das Empfinden der Frauen, an dem er sich berauschte. Es war das Bild, das sich ihm bot. Meist war der Raum schwach beleuchtet, sodass die Haut der Frau einem Ölgemälde glich, betont durch den Schweiß, der sich wie ein Firnis über sie legte. Er war auch nicht der Typ, der danach eine Zigarette rauchte und die Frau sich selbst überließ. Er war genauso aufmerksam danach, wie zuvor, denn auch da boten ihm Frauen einen Anblick, der sein männliches Herz höher schlagen ließ.

Es war der Ausdruck völliger Zufriedenheit, wenn sie ermattet im zerwühlten Bett lagen.

Für den Akt bevorzugte er ein Bett. Er fand es zivilisierter, sich mit einer Frau hier zu vergnügen, als im Wald oder an einem anderen unbequemen Ort. Richard benötigte dazu die richtige Beleuchtung, welche den Frauenkörper in ein goldenes Licht tauchte und viele weitere Einzelheiten, bis sein künstlerisches Innere zufrieden gestellt wurde. Jede Frau war anders, jede ein anderes Gemälde! Und so behandelte er sie auch, wie ein kostbares Einzelstück und die Frauen beteten ihn dafür an. Unter seinen Artgenossen war er ein ausgesprochener Glückspilz, reich, schön und begehrt, bis jetzt.

Gespannt wartete Pater Thomas am Kircheneingang, seine Neugier steigerte sich zunehmend. Die junge Frau soll aus reichen Verhältnissen kommen, hatte ihm Pater Andreas mitgeteilt. Pünktlich um fünfzehn Uhr schritt sie auf ihn zu. Reich und schön, dachte er und verbeugte sich leicht. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem maskenhaften Grinsen. Ruth war nervös. Sie gingen in die Kirche und bekreuzigten sich. An einer der harten Bänke nahmen sie Platz.

Seine listigen Gedanken sammelnd, begann er mit ruhiger Stimme, darauf bedacht, sie zu beeindrucken.

„Sie müssen wissen, dass das Leben in einem Kloster sehr geordnet abläuft. Sie müssen auch willig sein, zu gehorchen. Sie dürfen keine Ansprüche mehr an das Leben stellen. Es herrscht Einfachheit und auch Einsamkeit. Sind Sie sich sicher, Ruth, dass Sie das vom Leben wollen? Verzeihen Sie, aber ist es nicht nur eine momentane Laune Ihres jugendlichen Alters?“ Er sah auf ihre gefalteten Hände, wartete auf ihre Antwort, wartete darauf, wie beeinflussbar sie war. Klar und deutlich gab sie zurück „Es war seit meiner Kindheit mein größter Wunsch, Gott nahe zu sein. Nach der Ruhe im Kloster sehne ich mich und ob ich wirklich dazu bestimmt bin, werde ich im Laufe des Noviziats ja feststellen können.“ Pater Thomas atmete auf. Sein Kollege hatte gute Vorarbeit geleistet. Pater Andreas weiß, wie man den jugendlichen Willen beeinflusst und schnell, bevor sie es sich anders überlegte, sprach er, indem er sich die Lippen leckte.

„Ich werde das Kloster informieren und Sie der Mutter Oberin in einem Brief vorstellen. Sie müssen Geduld haben. In einem Kloster herrscht ein anderer Zeitablauf. Dort läuft alles langsamer ab. Wir haben keine Eile. Sie wissen ja, nur der Teufel hat keine Zeit. Gott hat viel Zeit, denn er ist die Ewigkeit.“ Mit naiver Begeisterung nahm sie seine einstudierten Worte auf „Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.“

Er sah ihr nach. Sie war so jung, so zerbrechlich, so einfältig. Mit leuchtenden Augen kam sie nach Hause. Sogleich rief sie ihre Freundin an. Melissa hörte aufmerksam zu „Er war so nett und er will mit der Oberin sprechen. Stell dir vor, ich würde in Frankreich leben! Ich bin ganz aufgeregt!“, schloss sie völlig außer Atem. Erstaunt antwortete Melissa „Also, ich meine, ich habe nicht gedacht, dass du diesen Weg wirklich einschlagen würdest. Ruth, ich bin etwas durcheinander, ja was soll ich dazu sagen? Scott fragt übrigens dauernd nach dir, aber ich nehme an, dass interessiert dich ja jetzt nicht mehr, falls es dich je interessiert hat.“

„Doch, ich finde Scott nett, aber du kennst mich ja, mir liegt nichts an Jungs oder solchen Geschichten. Ich möchte Theologie und alte Sprachen studieren.“

„Aber, das kannst du ja auch außerhalb eines Klosters. Du könntest ja Theologielehrerin werden und da hast du ja auch mit der Kirche zu tun. Musst du gleich in ein Kloster rennen? Sei mir nicht böse, aber ich verstehe das nicht und sei nicht gekränkt, wenn ich dir meine Meinung darüber sage.“, machte Melissa den verzweifelten Versuch, sie davon abzuhalten.

„Keine Sorge, ich bin dir nicht böse. Onkel Richard wird für mich das große Problem darstellen. Der wird schauen! Vielleicht fällt er sogar in Ohnmacht. Mein weibstoller Onkel erfährt von seiner frommen Nichte, dass sie ins Kloster will.“

Es war so toll wie damals. Sie lagen quer zum Bett. Er drückte sie mit seinem Gewicht nieder und spürte so jeden ihrer Atemzüge. Ihr Körper war warm und feucht. Er konnte warten, ihre Erregung miterleben. Er spürte ihren zuckenden Leib, er war noch Herr seiner Sinne, sah wie sie außer Kontrolle geriet. Seine Beherrschung verlieh ihm ein wohltuendes Gefühl von Macht über sich selbst und er kostete ihre Abhängigkeit voll aus, indem er ihren Oberkörper, um sie besser sehen zu können, nach hinten drückte. Er sah, wie sich ihre Brust mit ihrem Stöhnen auf und ab bewegte. Wie eine Schlange wand sie sich unter ihm. Nach ihrer heftigen Erregung spürte er die Erschlaffung ihrer Muskulatur, ihren ruhiger werdenden Atem, spürte ihr Herz schlagen. Eine viertel Stunde erholte sie sich, dann warf sie sich über ihn. Sie saß auf ihm. Ihre dunkle Mähne bewegte sich im Rhythmus.

Wenig später fuhr sein Wagen vor das große, weißgetünchte Gebäude.

Richard schlenderte zufrieden Richtung Kaminzimmer und wollte sich noch einen Drink genehmigen, als er sie schlafen sah. Mit einem Buch unter ihrem Arm lag seine Nichte am weißen Ledersofa. Er bückte sich, hielt den Kopf leicht geneigt und las „Die Geschichte der katholischen Orden“. Dieser Unsinn geht ihr immer noch im Kopf herum, dachte er bitter und schluckte schnell seinen Whisky. Sie wachte auf. „Hi, Onkel Richard, ich muss mit dir reden.“ und umschloss das Buch dabei fest mit ihren Händen. Er sah sie erwartungsvoll an. Er hoffte, sie würde sagen, dass sie sich verliebt habe oder etwas Ähnliches.Vielleicht sogar, dass sie ihn um Erlaubnis fragen würde, eine wilde Party zu besuchen. Er hoffte so sehr, dass sie endlich eine Rebellionsphase hätte, wie alle anderen jungen Dinger auch. Stattdessen hauchte sie

„Du musst dich jetzt setzen, Onkel Richard!“ und sah ihn eindringlich an.

„Du weißt, Ruth, ich bin für jeden Unsinn zu haben, sprich dich aus.“, ermunterte er sie, während er ihr gegenüber Platz nahm.

Sie hatte vor, es kurz und schmerzlos zu machen. Sie wurde nervös, stand auf und ging zum Kamin. Sie bot den Anblick einer störrischen Jeanne d`Arc, als sie vom Kaminfeuer beleuchtet, vor ihm stand

„Ich will mein weiteres Leben dem Herrn widmen und werde wahrscheinlich, wenn Pater Thomas mit den Schwestern korrespondiert hat, in etwa zwei bis drei Monaten mein Noviziat in einem französischen Kloster antreten!“ Das Buch hielt sie immer noch fest vor ihrer Brust umklammert. Es war totenstill, nur der Kamin knisterte leise. Richards Gesicht nahm einen so verdutzten Ausdruck an, dass sie herzhaft lachen musste. Langsam, fast bittend, unterbrach sein dunkler Tonfall ihr Gelächter „Das ist nicht wahr, du willst mir etwas anderes sagen, etwas ganz anderes, ja?“ Er erhob sich langsam. Das Feuer beleuchtete beide. Er starrte auf ihr geschmackloses, kariertes Kleid und dachte: sie meint es tatsächlich ernst. Leise antwortete sie „Ich bitte dich, Onkel Richard, mach kein Theater und…..“ Er ließ sie nicht ausreden und verließ wortlos den Raum. In seinem Kopf begann es zu hämmern. Sie hörte, wie er die Stufen hinaufholperte, seine Zimmertüre zuknallte und ein zärtliches Gefühl für ihn beschlich sie. Sie eilte ihm nach. Er hörte Klopfen. Er konnte ihren Anblick nicht ertragen und rief

„Ich bin müde. Gute Nacht!“

Sie trat trotzdem ein. Wütend zerrte er am Knoten seiner Krawatte. Ihre geschickten Finger lockerten den Knoten. Dann legte sie ihre Arme um ihn und küsste ihn kurz auf den Mund. Er rührte sich nicht. „Du wirst ja rot, feuerrot!“ lächelte sie und sprach weiter „Glaubst du Richard, ich bin frigide, glaubst du ich bin verrückt? Ich mag eben keine Jungs. Vielleicht auch deshalb, weil ich den tollsten Onkel habe. Welcher Mann könnte mich schon interessieren? Keiner kann dir das Wasser reichen! Das weißt du doch.“, hauchte sie. Ihr Gesicht war dabei keinen Zentimeter mehr von seinem entfernt. Ihre Arme lagen immer noch auf seinen Schultern. Seine Atemzüge wurden rascher, seine Arme hingen seitlich herab. Er war irritiert.

Sie zog seinen Kopf zu sich und küsste ihn diesmal intensiver. Anfangs zögerte er, doch dann gab er nach und erwiderte ihre Küsse, erst sanft, dann drängend. Plötzlich zur Besinnung gekommen, beendete er es rasch, indem er sie von sich stieß und mit belegter Stimme sagte

„Es ist besser du gehst jetzt, Ruth..... bitte!“

Er drehte sich zum Fenster und wartete bis sich die Tür hinter ihr schloss.

In Gedanken versunken lag Ruth im Bett. Sie hatte noch seinen Whiskygeschmack im Mund, spürte die Wärme seines Körpers und hoffte ihn damit getröstet zu haben. Zufrieden dachte sie, dass man einen Mann wie Richard, nur auf eine Weise trösten konnte. Sie war eine Frau und für ihn war jede Frau ein Abendteuer, selbst seine Nichte.

Er drehte sich erst auf die eine Seite, dann auf die andere. Die Nacht schien kein Ende zu nehmen und der Tag begann bereits zu dämmern. Die Uhr zeigte Sieben. Richard hatte die ganze Nacht keinen Schlaf gefunden.

Fluch aus vergangenen Tagen

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