Читать книгу Fluch aus vergangenen Tagen - Daniela Christine Geissler - Страница 7
Kapitel 1
ОглавлениеPhiladelphia 1940
Der Junge lag am Boden. „Es tut weh, Mr. Lee, es tut so weh!“ Er war bleich, sein kleiner Körper wand sich vor Schmerzen. Mr. Lee, sein Volksschullehrer eilte ins Sekretariat und rief die Rettung an. Neugierig standen seine Mitschüler um ihn herum. Noch bevor die Rettung da war, verlor der Junge das Bewusstsein. Verzweifelt fluchte der alte Lehrer vor sich hin. Endlich kam der Rettungswagen. Man legte ihm eine Sauerstoffmaske an und schob ihn in den Wagen.
Dunkelheit. Er befand sich in der oberen Ecke des Zimmers. Der Raum schien in ein diffuses grünliches Licht getaucht worden zu sein. Die Menschen hatten grüne Mäntel an und grüne Masken auf, selbst die Kacheln an der Wand waren so gefärbt. Über ihm schwebte ein Licht, das ihn nicht zu blenden schien. Obwohl es von blitzender Helligkeit war, konnte er hineinsehen, ohne zu blinzeln. Zuerst schien es ihm, als ob sein Leib ins Meer tauchen würde, denn auch dort fühlte er seinen Körper nicht. Schwerelos trieb er dahin, gerade wie eben jetzt, nur dass der Widerstand des Wassers fehlte und er keinen Körper mehr besaß.
Die Menschen unter ihm beugten sich über ein Kind, das auf einem Bett lag. Er erfasste ihre Panik, konnte ihre Gedanken hören, ihre Gefühle miterleben. Nur sein Wille führte ihn. Es war ihm möglich sich fortzubewegen, ohne zu laufen.
Der Junge war Herr über sein Ich, er war f r e i.
„Wir verlieren ihn!“, hörte Richard die Stimme unter sich. Die Ärzte beugten ihre Köpfe über den kleinen Körper, der regungslos auf dem Tisch lag. Einem Adler gleich, schwebte sein Geist über ihnen. Er vernahm die Stimmen seiner Eltern.
Sein Geist durchbrach die Wände, führte ihn zu den beiden. Sie standen vor dem Operationssaal. Er versuchte ihnen mitzuteilen, dass es ihm gut gehe und er keine Schmerzen mehr habe, doch er musste feststellen, dass sie ihn nicht hören konnten. Er wollte, dass sie ihn verstehen. Ihre Stimmen konnte er doch auch vernehmen. Er verstand das alles nicht. Eine grelle Lichtgestalt winkte ihm zu. Endlich nahm jemand Notiz von ihm. Er folgte der lichten Gestalt in den Operationssaal zurück. Die Ärzte kämpften um das Leben des kleinen Körpers und er stellte fest, dass es sein Körper war. Richard verstand nicht, was hier geschah. Was mit ihm geschah. Er schien von sich selbst getrennt zu sein und es war ihm, als ob es ihn zweimal geben würde. Unten und oben. Eine sonderbare Ambivalenz ergriff seine Seele. Seine Seele wollte mit der Lichtgestalt gehen, doch diese drückte ihn immerfort in die Richtung seines Körpers, der unten lag. Er konnte dem Willen dieser Lichtgestalt nicht widerstehen und fiel langsam hinab. Sogleich hellten sich die Gesichter wieder auf.
„Wir haben ihn wieder!“ Mit diesem Satz wurde er in eine enge Dunkelheit gesogen.
Mr. Nelligan saß am Krankenbett, hielt die kleine Hand seines Sohnes, während seine Mutter ihren Rosenkranz betete. Richard erwachte und flüsterte selig
„Es war schön, Pa, es war so schön!“
„Ja, ja, ruh dich aus.“, sprach er und fuhr ihm zärtlich über die Stirn. Aufgeregt erzählte er seinen Eltern, was er erlebt hatte, aber sie ignorierten seine Geschichte.
Oftmals versuchte er seiner Umwelt das Erlebnis näher zu bringen, doch nach wiederholten Spötteleien, sprach er mit keinem Menschen mehr darüber.