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Donnerstag, 12. März 2020

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Julius

Was für ein schöner Sonnenaufgang. Da steht ja schon meine liebe Tante Thekla und winkt mit einer Krücke. Ich finde, die weißen Haare machen sie alt. Aber ich kann ja nicht sagen: Komm liebe Thekla, ich lade Dich heute zum Friseur ein, ich will nicht, dass Du alt aussiehst. „Kuck mal, mein Lieber, es geht schon ganz gut.“

So Küsschen, Koffer verpacken und nun zurück nach Berlin. Heute Nachmittag habe ich ja noch die Schülergruppe aus Weinheim im Stasi-Gefängnis.

„Lieb, dass Du mich abholst. Hättest Du aber nicht gemusst. Die hätten mich auch wieder mit dem Kleinbus nach Berlin gefahren. Hat nach der OP auch ganz wunderbar funktioniert.“

„In diesen Zeiten wollte ich sichergehen, dass Du nach Hause kommst. Und man soll ja auch Abstand halten. Und das ist in einem vollen Kleinbus ja schwer möglich.“

„Ist jedenfalls sehr lieb von Dir.“

„Hast Du denn noch Wassergymnastik gemacht?“

„Ne, da hätte ich noch länger bleiben müssen, aber das hat die Krankenkasse abgelehnt. Ich hatte fest mit einer zweiten Verlängerung gerechnet. Die Ärzte auch. Liegt vielleicht an Carona. Was meinst Du?“

„Du meinst Corona, Thekla.“

„Ja, Du weißt ja, ich krieg die Worte manchmal nicht so richtig raus wegen der Meningitis, die ich nach dem Krieg hatte.“

Schweigen.

„Wäre gerne noch ein wenig in Beelitz geblieben, Julius. War schön da. Wie im Hotel.“

„Belzig, Thekla. Du warst in Belzig. Honecker war in Bad Beelitz, bevor er nach Chile durfte. Du warst in Bad Belzig.“

„Wie kommst Du denn jetzt auf Honecker? Du und Deine DDR-Forschung.“

Lachen.

Dann kurzes Schweigen.

„Du solltest auch Lehrer werden. Hast Du ja schließlich auch studiert. Und die suchen ja auch so dringend. Überleg es Dir mal. Und irgendwann wird Berlin auch wieder verbeamten. Das mit diesen freien Jobs, das ist doch nichts.“

„Vielleicht. Aber vielleicht kriege ich jetzt nen festen Job im Gefängnis.“

„Toll. Dann wärst Du endlich nicht mehr Inoffizieller Mitarbeiter.“

Lachen. Schweigen.

„Na ja, und das Frühstück, Julius. Lecker. Und abends gab es immer so ein tolles Salatbuffet. Mittag war auch immer gut. Und reichlich. Aber zugenommen habe ich nicht, bei dem vielen Sport. Aber wäre auch egal in meinem Alter.“

„Was für ein Alter? Du bist 83 und siehst mindestens aus wie grad mal 70.“

Zumindest wenn Du Dir wieder die Haare färben würdest.

„Aber laufen tue ich gerade wie eine 90jährige. Aber ich habe mir alles schon genau überlegt. Ich gehe jeden Tag mit meinem Rucksack in die Onkel-Tom-Ladenstraße und kaufe mir immer nur ganz wenig ein. Dann habe ich jeden Tag Training und kann mich versorgen.“

„Schwachsinn.“

„Wieso Schwachsinn. Wohne doch genau gegenüber von der Ladenstraße. Und weil ich wegen der blöden Krücken keine Hand frei habe, werde ich den Rucksack nehmen. Und zuhause mir eine Schürze umbinden, dann habe ich immer alles zur Hand.“

„Du, Tante Thekla, ich bin schon mal vorsorglich bei Dir eingezogen und bleibe erst einmal bei Dir, um mich zu kümmern. Das ist doch das Mindeste, nach allem, was Du für mich getan hast.“

„Brauchst Du nicht. Du hast doch Dein eigenes Leben.“

Habe ich das? Ein eigenes Leben?

„Doch. Keine Diskussion.“

„Ich freue mich natürlich. Du, dann kann ich Deine Lieblingsgerichte für Dich kochen. Ich find, Du bist schon wieder so arg dünn geworden.“

„Findest Du?“

„Aber Ritalin nimmst Du doch hoffentlich nicht wieder?“

„Nein, schon fast 8 Jahre nicht mehr.“

„Gut so. Also am Ende Deiner Doktorarbeit, das war nicht mehr schön.“

„Ich weiß. Aber eigentlich wollte ich für Dich kochen.“

„Seit wann kannst Du das denn?“

„Kann ich immer noch nicht.“

„Na, siehst Du.“

Noch 40 Kilometer.

„So, da wären wir.“

„Schau, da ist ein Parkplatz.“

„Du, ich bring Dich und den Koffer nur schnell nach oben und dann muss ich schon weiter flitzen. Habe gleich noch eine Gruppe im Stasi-Gefängnis.“

„Ja, kein Problem. Geh Du mal zu Deiner Stasi.“

Daniel

Im Hof des Gefängnisses.

„Herr Lehmann, und wird die Schule nun schließen?“

„Weiß nicht. Gestern hat unsere Kultusministerin noch gesagt, die Forderung vom Philologenverband, die Schulen in ganz Baden-Württemberg zu schließen, wäre unverantwortlich.“

„Was ist ein Philologenverband?“

„Ein Verband, der die Gymnasiallehrer vertritt. Wie eine Gewerkschaft.“

„Was ist eine Gewerkschaft?“

„Du, das haben wir gerade letzte Woche in Wirtschaft und Berufsorientierung gemacht.“

„Herr Lehmann, meine Mutter hat mir heute früh geschrieben, dass das Elsass jetzt auch Risikogebiet geworden ist. Müsste ich nicht jetzt eigentlich nach Hause?“

„Das fällt Dir ja früh ein. Wann warst Du wo genau?“

„Am Dienstag in den Faschingsferien waren wir in Straßburg.“

„Puh, dann ist die 14tägige Phase, in der Du nicht hättest in die Schule gehen dürfen, eh schon vorbei. Wahrscheinlich hast Du uns eh schon alle angesteckt…“

Gelächter.

„Herr Lehmann, wann geht es endlich los?“

„Sobald unser Führer da ist.“

„Ich glaube, da kommt unser Führer, Herr Lehmann.“

Da kommt er schnellen Schrittes. Julius. Immer noch so dünn. An seinem Pokerface könnte er arbeiten. Jetzt, da er mich gesehen hat, sind ihm kurz alle Gesichtszüge entglitten. So, jetzt hat er sich wieder gefangen.

„Was für ein Zufall, Daniel.“

„Nein kein Zufall, Julius, hab extra nach Dr. von Witzleben gefragt.“

„Wenn überhaupt nur Dr. Witzleben bitte. Du weißt, wie ich das von im Namen hasse.“

Ja, das von. Das ging ihm schon immer gegen den Strich. Jetzt lächelt er wenigstens mal. Er hat immer noch das verschmitzte Lächeln, die funkelnden Augen und die putzigen Grübchen.

„Steht da hinten Deine Klasse?“

„Ja.“

„Die sehen nett aus.“

„Die sind auch sehr nett. Und haben sich die Woche ganz toll benommen. Mit dem Programm mussten wir ja etwas improvisieren. In den Bundesrat konnten wir noch, aber nicht mehr in den Bundestag. Geschlossen wegen Corona.“

„Ja, verrückte Zeiten.“

„Oh ja, bis letzten Sonntag war auch unklar, ob wir überhaupt fahren.“

„Wann fahrt ihr zurück? Samstag?“

„Ne, morgen schon. Heute ist noch große Abschiedsparty in so nem Club, der bis 11 nur für uns offen hat.“

„Wo?“

„Im Maxiim“

„Maxiim? Kenne ich nicht.“

„Kreuzberg, gleich um die Ecke haben wir gewohnt.“

Das ist Julius nun sichtlich unangenehm.

„Ah schön. Wollen wir?“

Die Führung neigt sich dem Ende zu. Wir stehen in einer Gefängniszelle im neueren Teil des Stasi-Knasts.

„So, habt ihr noch Fragen?“

Kevin meldet sich.

„Nein, eigentlich keine Frage. Aber die Zellen hier im neuen Bereich sehen eigentlich gar nicht so schlimm aus. Sieht jedenfalls besser aus als in einem amerikanischen Gefängnis.“

Die Schüler tuscheln. Gelächter.

„Woher weißt Du denn, wie es in einem amerikanischen Gefängnis aussieht?“

„Na, von Netflix.“

Lachen. Was Julius wohl antwortet?

„Ja, Du hast Recht, die Zellen sehen eigentlich ganz anständig aus. Die Schikane, was manche Häftlinge auch als Folter bezeichneten, war nicht die Ausstattung. Sondern die Behandlung. Nachts musste man immer in einer ganz bestimmten Position liegen, die Hände auf dem Bauch gefaltet und man musste den Kopf zur Tür gedreht lassen, damit die Wärter einen stets durch den Spion sehen konnten.“

„Wie konnten die einen denn nachts sehen?“

„Das Licht musste die ganze Nacht an sein. Wenn man sich im Schlaf wegdrehte, dann wurde man durch eine laute Klingel geweckt. Und man bekam meistens viel zu große Kleidung, das waren so Trainingsanzüge, bei denen man dann oft die Hose festhalten musste. Einen Gürtel gab es natürlich nicht.“

„Häh, warum gab es keinen Gürtel?“

„Oh, Du bist so doof, damit man sich nicht aufhängen kann.“

„Sehr richtig, nicht Wenige haben versucht, sich das Leben zu nehmen.“

„Sie haben gesagt, dass hier viele ehemalige Häftlinge arbeiten oder die Mitarbeiter meist einen persönlichen Bezug zum Gefängnis haben. Haben Sie auch einen?“

„Ja.“

„Darf man fragen welchen?“

„Klar dürft Ihr, mein Großvater, meine Großmutter und mein Vater waren hier.“

„Krass, zur gleichen Zeit?“

„Mein Großvater und meine Großmutter ja. In den 70er Jahren. Und mein Vater nur ein paar Wochen, gegen Ende der DDR.“

„Und warum?“

„Warum meine Großeltern hier waren, weiß ich nur zum Teil. Mein Großvater hat in den 50er Jahren mal für die französischen Besatzungskräfte spioniert. Aber das haben viele in Berlin. Einige Namen in den Akten meiner Großeltern sind noch geschwärzt. Sie wurden damals beim Transitfahren verhaftet, so nannte man das, wenn man von West-Berlin nach Westdeutschland fuhr. Jemand hatte der Stasi einen Tipp gegeben, dass mein Großvater gegen die DDR spioniert hatte und dass er an diesem Tag Transit fahren würde. Der Name ist wie gesagt noch heute geschwärzt. Mein Großvater hat auch Fluchthilfe geleistet, aber davon wusste die Stasi entweder nichts, oder jemand bei der Stasi war eingeweiht.“

„Wie hat er Fluchthilfe geleistet?“

„Mit einem Segelboot, über die Ostsee. Es ist merkwürdig, dass er nie erwischt wurde.“

„Vielleicht hatten sie einfach Glück?“

„Nein, ich habe rausgefunden, dass immer, wenn mein Großvater von Bornholm nach Rügen gesegelt ist, die Boote der DDR zusammen mit den Sowjets eine Übung in einem anderen Teil der Ostsee gemacht haben. Das war kein Zufall. Jemand hat die Infos an meinen Großvater gegeben.“

„Wie lange waren Ihre Großeltern im Gefängnis?“

„Mein Großvater hat lebenslänglich bekommen und wurde nach vier Jahren freigekauft. Wahrscheinlich ging es der DDR beim Strafmaß mehr um Devisen, also um Westmark.“

„Was hat denn das Strafmaß mit Geld zu tun gehabt?“

„Na, je höher die Strafe in der DDR war, desto mehr Geld hat der Westen bezahlt, um die Häftlinge freizubekommen.“

„Krass.“

„Und Dein, Entschuldigung, Ihr Vater?“

„Ist schon ok. Ihr könnt auch gerne Du und Julius sagen. Mein Vater hat das Fluchtbusiness sozusagen von meinem Großvater übernommen. Mein Vater und meine Mutter wurden, als sie einem Ärztepaar aus der DDR Fluchthilfe gaben, fast erwischt.“

„Aber, wenn sie nur fast erwischt wurden, warum war Dein Vater dann im Gefängnis?“

„Er wurde später, wie schon zuvor mein Großvater, beim Transitfahren verhaftet.“

„Und was ist bei dieser Flucht passiert, wo Deine Eltern fast erwischt wurden?“

„Also, die Schnellboote des Grenzschutzes waren zu einer Übung in einem anderen Teil der Ostsee. Zusammen mit sowjetischen Booten. Jemand muss aber von den Fluchtplänen Wind bekommen haben und hatte sie gemeldet. Es war nur ein kleineres Motorboot im Hafen von Saßnitz, das die Verfolgung aufnehmen konnte. Da war die Arkona, so hieß das Segelschiff meines Großvaters, aber schon in Internationalem Gewässer. Das Boot, das sich dem Segelschiff meiner Eltern näherte, gab einen Warnschuss ab, mein Vater verriss das Ruder und der Mast traf meine Mutter am Kopf.“

„Oh, Gott, und dann ist Deine Mutter ins Wasser gefallen und ertrunken.“

„Ja.“

Die Schüler schauen betreten auf den Boden.

„Ist schon in Ordnung. Es ist mehr als 30 Jahre her.“

„Weiß man denn, wer den Fluchtversuch verraten hat?“

„Nein, die Akte ist immer noch stark geschwärzt. Jemand hat der Grenzpolizei einen Tipp gegeben. Ich denke, eines Tages werde ich erfahren, was passiert ist.“

Nach der Führung, im Gefängnishof.

„Sag mal Julius, hast Du eigentlich Deine Telefonnummer gewechselt?“

„Schon vor einer Weile, warum?“

„Ich hatte Dir zu Deinem Geburtstag gratuliert. Also ich hatte es zumindest versucht, aber die Nachricht konnte nicht zugestellt werden.“

„Ich habe vor ein paar Jahren mein Handy verloren.“

„Du hättest doch die alte Nummer portieren lassen können.“

„Ja hätte ich. Aber Du kennst mich doch. Für solche Sachen warst Du immer zuständig.“

„Stimmt.“

Wir lächeln uns an.

„Warte, ich rufe Dich an, Daniel. Dann hast Du meine neue Nummer.“

„Ok, was wartest Du?“

„Mist, ich hatte geglaubt, ich könnte Deine Nummer noch.“

„0176…“

„Und dann Dein Geburtstag und dann mein Geburtstag. Richtig?“ „Umgekehrt.“

Klingeln.

„So, jetzt hast Du meine Nummer, Daniel. Übrigens, alles Gute nachträglich.“

„Dir auch, Julius.“

Die Umarmung fühlt sich etwas holprig an. Aber schön.

„Ich hoffe, es war Ok, dass ich mit meinen Schülern hier war?“

„Ja, die sind nett.“

Kurzes Schweigen.

„Du natürlich auch.“

„Zu Beginn sahst Du nicht sehr begeistert aus, als Du mich gesehen hast.“

„Aber nur, weil ich mich erschrocken habe und mir der Gedanke unangenehm war, dass Du mich bei der Arbeit siehst. Es ist, wie mit dem Klavierspielen damals, als wir zusammen am Checkpoint Charlie gewohnt haben. Ein Stück lief super, bis Du wolltest, dass ich es ohne Kopfhörer spiele, damit Du zuhören kannst. Dann habe ich mich immer verspielt.“

„Heute war alles super.“

„Ja, heute schon. Gute Rückreise nach Weinheim morgen.“

Julius geht. Steffi nähert sich.

„Das war also der berühmte Julius von Witzleben.“

„Ja.“

„Schöner Mann. Bisschen jung vielleicht.“

„Na hör mal, er ist gerade drei Jahre jünger.“

„Hmh, hat wohl ne bessere Faltencreme.“

„Wie fies. Ne, ich glaube, er sieht jünger aus, weil er so schlank ist.“

„Vielleicht. Und heute gehen wir in die Schwule Szene, in dieses Roses, wenn die Kinder schlafen?“

„Ja, wenn Du magst.“

„Kannst Dir ja noch jemanden aufreißen…“

„Mit den Kindern im Hotel? Bestimmt nicht! Und ich habe doch jemanden in Frankfurt.“

„Stimmt. Aber geht es denn da so leicht? Ich meine, wie man sich das immer so vorstellt bei Schwulen?“

„Weiß nicht so.“

„Komm. Erzähl mal, nie jemanden abgeschleppt im Roses?“

„Steffi, doch nicht jetzt. Wenn die Kinder das hören. Und außerdem bin ich nicht so besonders stolz drauf. Sagen wir mal so, es gab da eine zeitliche Überschneidung.“

„Oh, die dunklen Geheimnisse des sauberen Herrn Lehmann kommen an die Oberfläche.“

„Sei still, oder ich schlag Dich.“

Julius

„Na, ich hoffe es schmeckt Dir.“

„Ja, toll, Thekla.“

„Du hast doch noch gar nicht probiert, Julius.“

„Ich weiß doch, wie es schmeckt.“

„Du, nachher gehen wir mal runter in den Keller. Ich habe doch so einen Matratzentopper im ALDI für Dein altes Schlafsofa gekauft. Den habe ich aber nicht hochgewuchtet bekommen und deshalb in den Keller gestellt. Wenn wir gegessen haben, gehen wir runter, dann kannst Du ihn hochtragen. Ist bestimmt viel bequemer dann für Dich.“

„Du, den finde ich schon allein. Du musst mit Deinen Krücken ja nicht in den Keller humpeln.“

„Wäre aber ne gute Übung für mich. Aber vielleicht hast Du Recht. Heute bin ich doch etwas müde.“

Ein Stockwerk tiefer. Im Keller.

Gut, dass Thekla selber nichts aufhebt. In ihrem Keller stehen nur meine Sachen. Die, die mein Vater hergebracht hat, nachdem er einverstanden war, dass ich zur ihr ziehe und die ich nicht im Zimmer haben wollte. Da war ich 16. Dann die Sachen, die ich eingelagert hatte, als ich mich von Daniel getrennt hatte, da war ich 30, und die Sachen, die ich vor ein paar Wochen hier reingeräumt habe, nachdem ich wohnungslos geworden bin. Mit 39. Ganz großartig. Ich habe wirklich und definitiv was falsch gemacht. Ah, da hinten ist ja der Topper. Gut, er ist noch zu einer Wurst zusammengeschweißt. Den kriege ich leicht nach oben.

Zurück in der Wohnung.

„Bestimmt ganz schön schwer das Ding, Julius?“

„Ne, für mich nicht. Aber wie hast Du das Ding aus der Ladenstraße hierher gekriegt?“

„Na pass auf. Ich habe den Einkaufswagen aus der Ladenstraße bis vor die Tür gerollt. Das ging eigentlich ganz gut. Nur das meine Hände etwas wehtaten, wegen dem Kopfsteinpflaster. Das hat so gerüttelt. Ja, und dann habe ich es in den Keller runtergewuchtet.“

„Du bist echt ein Original. Sag mal, wäscht da schon die Wäsche?“

„Ja, ich hab schon mal eine Ladung gemacht. Deinen Laptop habe ich in Dein Zimmer gebracht.“

Scheiße, der Laptop. Ich war heute früh doch noch bei gayromeo. Na egal, wahrscheinlich war ich aus dem schwulen Datingportal schon von selber ausgeloggt.

„Du, Julius, ich wäre Dir aber sehr dankbar, wenn Du die Wäsche nachher auf dem Wäscheboden aufhängen könntest. Ich gehe schon mal schlafen. Bin doch ganz schön groggy.“

„Siehst Du, doch gut, dass ich da bin.“

„Ich find‘s immer gut, wenn Du da bist.“

„Morgen früh werde ich einmal um den Schlachtensee joggen gehen. Sollen wir dann noch zusammen frühstücken? Dann habe ich meine Flüchtlinge und gegen Abend werde ich wieder nach Hohenschönhausen ins Gefängnis fahren.“

„Gerne. Brauchst wie immer nicht leise zu sein. Wenn ich schlafe, schlafe ich.“

Montag, 10. April 1939

Es ist wie ein Wunder. Heute holte mich der sudetendeutsche SS-Mann aus der Baracke und meinte, ich solle mitkommen. Ich dachte schon, ich würde eine erneute Erniedrigung über mich ergehen lassen müssen. Wir liefen durch das Lager zum Kommandanten, an einer Gruppe von Häftlingen, mit einem rosa Winkel an der Jacke, vorbei. Ich wusste nicht, wie mir geschah, denn auf einmal war ich frei. Herr von Witzleben holte mich ab. Eben noch in der Hölle, dann auf einmal im Mercedes. Surreal. Wir fahren zu seiner Villa nach Wannsee. Frau von Witzleben, sie ist Ärztin, hat sich um meinen Rücken gekümmert. Ich wage gar nicht, mich im Spiegel anzuschauen. Diese Schweine. Zwei Zähne haben sie mir ausgeschlagen. Aus dem Herrenzimmer mit Blick auf den Wannsee rufe ich in Prag bei den Eltern meiner Frau an. Wieder ein Wunder. Sie nimmt ab. Sie weint. Sie hört zu. Aber sie versteht nicht. Sie will nicht kommen. Sie will ihre Eltern nicht allein lassen. Ich bin verzweifelt.

Corona

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