Читать книгу Death Cache. Tödliche Koordinaten - Danise Juno - Страница 6
ОглавлениеKapitel 2
Tenner hatte seine Kleidung sorgfältig ausgewählt. Gewöhnliche Jeans und T-Shirt ohne Markenlabel, festes Schuhwerk, Basecap und Rucksack, wie ihn die Meisten ihr Eigen nannten. Seinen Wagen parkte er etwas abseits und achtete penibel darauf, dass niemand ihn aussteigen sah. Er verließ sich auf die herrschende Anonymität. Sein Nickname sollte ihm Schutz geben, dennoch war er nervös. Er hegte nicht die Absicht, bei diesem Cachertreffen irgendwelche Kontakte zu knüpfen. Er wollte sich lediglich umhören und möglichst bald wieder verschwinden, doch je länger er auf dem Platz verweilte, desto stärker wurde ihm bewusst, dass sich viele Geocacher untereinander kannten. Er durfte keinesfalls als Einzelgänger wahrgenommen werden, also änderte er seine Taktik und verließ sich fortan auf seine Instinkte.
Er stellte sich wie selbstverständlich in die Nähe einer losen Gruppe, als gehöre er dazu. Er wusste, es war riskant, doch er setzte darauf, dass niemand Fragen stellen würde. Er war wie der uneingeladene Hochzeitsgast; in den Augen der Anwesenden würde er schon zu jemandem gehören. Alles Weitere würde sich von selbst ergeben. Er widmete sich seiner Suche nach dem Phantom. Sammaël.
Der Typ war wie ein Geist, ungreifbar wie ein Luftzug, der einem durch die Finger streicht. Was auch immer er anstellte, Sammaël loggte jeden anspruchsvollen, frisch ausgelegten Cache zuerst und entzog sich ihm erfolgreich. Solange er nicht im Stande war, herauszufinden, wer sich hinter diesem Nicknamen verbarg, war sein Plan zum Scheitern verurteilt. Sammaël würde der Kollateralschaden sein, den er mehr als gewillt war zu akzeptieren, doch wie zum Teufel fängt man einen nebulösen Schatten? Er lauschte den Gesprächen der Geocacher und hoffte auf Informationen, die dessen wahre Identität verraten würden.
Die Themen drehten sich um allgemeine Dinge, die ihn nicht interessierten. Eine Gruppe plante einen neuen Multi auszulegen und sammelte Ideen für die einzelnen Stationen, andere unterhielten sich über ihre jeweiligen Jobs, die Familie, die Nachrichten; ödes Gegacker ohne Sinn und Verstand.
Nur wenige Schritte trennten ihn von ein paar Leuten, die es sich am Ende einer Bierzeltgarnitur gemütlich gemacht hatten. Der Name Sammaël fiel und fesselte augenblicklich seine Aufmerksamkeit. Unauffällig trat er einen Schritt heran.
Die schwarzhaarige Frau, die über Sammaël sprach, strich sich eine pinkfarbene Strähne aus der Stirn. Sie unterhielt sich mit einem Mann mittleren Alters, dessen Haar überwiegend ergraut war. Nur wenig erinnerte daran, dass es einst mittelbraun gewesen sein musste. Sein Gesicht wirkte aufgedunsen und teigig. Er saß mit hängenden Schultern neben ihr und nickte leicht.
Worum es genau ging, konnte Tenner nicht verstehen, denn das Thema schien just in dem Moment beendet, als ein südländisch wirkender Kerl an ihren Tisch trat und sie überschwänglich begrüßte. Diesen günstigen Augenblick der Ablenkung nutze er, um sich unbemerkt an den Nebentisch zu setzen. Er stellte seinen Rucksack unter die Bank. Der Mann ihm gegenüber, etwa Mitte dreißig und mit einem Bartgestrüpp, das nur dürftig eine lang zurückliegende Jugendakne zu verbergen suchte, schnitt gerade ein Würstchen in mundgerechte Happen. Er spießte eines der Stücke auf seine Gabel und schob es sich zwischen die Zähne. Dann blickte er von seinem Teller auf.
Angewidert verfolgte Tenner, wie sich klebrig weiße Speichelmasse in dessen Mundwinkel sammelte, ließ sich jedoch nichts anmerken und legte überfließende Freundlichkeit in seinen Gesichtsausdruck.
Der Mann sah ihn aus wässrig blauen Augen an, lächelte und nickte höflich, dann schluckte er geräuschvoll und sagte: »Tag. Bist du auch hier aus der Gegend?«
Mit einem raschen Seitenblick stellte Tenner fest, dass die Gruppe ihn nicht beachtete. Erleichtert wandte er sich dem Kratergesicht zu. In verbindlichem Ton antwortete er: »Ich bin hier geboren, und du? Ich habe deinen Namen mit Sicherheit schon einmal in einem Logbuch gelesen, nicht wahr?«
Der Mann wirkte erfreut. »Oh bestimmt. Ich bin Artschi der Bär.« Er legte die Gabel ab, ergriff die manikürte Hand einer dürren Blondine neben sich und verschränkte seine krummen Finger in ihre fast zerbrechlich wirkenden. »… und das ist Lilli Rose, meine Frau. Wir haben vor zwei Wochen geheiratet.«
Sie unterbrach das Gespräch mit ihrer Sitznachbarin, schaute ihren frisch Angetrauten an und lächelte. Dann glitt ihr Blick zu Tenner.
Augenblicklich war er sich sicher, dass ihr Interesse an Artschi wohl eher seiner Börse galt als seinem unwiderstehlichen Esprit.
Ihre Augen streichelten seinen muskulösen Oberkörper, bis ihr scheinbar bewusst wurde, was sie tat. Lilli schlug die Wimpern nieder.
»Meinen allerherzlichsten Glückwunsch«, sagte Tenner erfreut und schickte ein überaus charmantes Lächeln an die welkende Rose.
Sie ließ ein gurrendes Kichern hören, dann löste sie ihre Hand aus Artschis Pranke. Sanft strich sie ihrem Gatten über die bärtige Wange und hauchte mit honigsüßer Stimme: »Ist er nicht wunderbar? Er schwärmt allen von unserer Hochzeit vor. Erzähl ihm von der Kutsche, Schatz.«
Artschi wirkte selig. Beflügelt von ihrer Anregung begann er detailreich von ihrem großen Tag zu erzählen, was ihn nicht davon abhielt, sich zwischendurch das ein oder andere Stück Wurst zwischen die Lippen zu schieben. Dabei sammelte sich sein Speichel nun auch noch im anderen Mundwinkel wie weißlich schimmernder Flüssigklebstoff.
Lilli warf noch einen bedeutungsvollen Blick zu Tenner herüber, beteiligte sich jedoch nicht weiter und wandte sich ihrer Sitznachbarin zu, um die zuvor unterbrochene Unterhaltung fortzuführen.
Tenner wusste genau, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Er kannte solch seichte Frauen zur Genüge. Es waren nur eine winzige Gelegenheit und ein abgeschiedener Busch vonnöten. Er bedauerte beinahe, dass er den kleinen Fick am heutigen Tag nicht würde zulassen können. Stattdessen ergab er sich in Artschis Ausführungen. Er hielt die freundliche Fassade aufrecht, obwohl er sich beherrschen musste.
Waren die vorigen Gespräche öde, so war dieses hier absolut nervtötend. Folter für die Ohren, erst recht, da er wusste, wie es um Artschis Ehe stand. Nicht dass es ihn auch nur im Entferntesten interessierte; es war eine unwillentlich aufgezwungene Feststellung. Dass er dazu noch genötigt wurde, zuzusehen, wie sich ein klebriger Speichelfaden zwischen Ober- und Unterlippe bildete, der sich bei jedem Wort wie ein elastisches Band spannte und verkürzte, setzte dem Ganzen die Krone auf. Der weißlich schimmernde Faden wollte einfach nicht reißen. In Tenners Gedanken flackerten Bilder einer zerstückelten Leiche wie ein Blitzlichtgewitter auf: Artschis leblos zum Himmel starrende Augen, sein Mund geschlossen, auf dass ihm die Spucke endlich ausging.
Tenner trug sein Lächeln meisterhaft und nickte verbindlich. Er hätte es nicht ertragen, wäre da nicht ein positiver Nebeneffekt gewesen. Die Gruppe am Nachbartisch musste glauben, dass er zu Artschi und seiner Frau gehörte. Auf diese Weise konnte er zumindest am Rande ihr Gespräch verfolgen, ohne aufzufallen; wenn er sich konzentrierte. Er focht einen inneren Kampf mit sich selbst. Wie weit konnte er gehen? Sollte er lauschen und sich alsbald verdrücken oder sich nach einer Weile vorsichtig an deren Unterhaltung beteiligen? Die wenigen Gesprächsfetzen, die er aufschnappte, brachten ihm nicht viel ein. Es war für ihn entscheidend, herauszufinden, wer sich hinter diesem Sammaël verbarg.
Seine komplette Situation änderte sich schlagartig, als Artschi plötzlich verstummte. Die Gabel fiel klirrend auf den Teller, die Augen vor Entsetzen aufgerissen. Ein Röcheln drang aus seiner Kehle.
Die welke Rose sprang auf, beugte sich über Artschi, der die Hände gegen den Hals presste. Lilli kreischte.
Der nun ausbrechende Tumult zwang Tenner dazu, sich schneller auf eine neue Taktik zu besinnen, als ihm lieb war. Die Unauffälligkeit war dahin. Sollte er sich im Trubel klammheimlich verdrücken oder beherzt eingreifen?
Menschen drängten herbei, umschlossen den Tisch wie ein Schwarm Ameisen den Käse. Auch Tenner kam auf die Beine, stieg rücklings über die Bank in eine Lücke. Er wurde zurückgedrängt. Die Weichen waren gestellt. Sein Blick glitt zu der dunkelhaarigen Frau, deren Haare wie schwarzes Öl glänzten. In diesem Augenblick traf er seine Wahl.