Читать книгу Erinnerungen an Kurt Cobain - Manny Rosenfeld, Danny Goldberg M. - Страница 9

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Seattle war nur eine Autostunde von Olympia entfernt und Sub Pop Records hatte zunächst eine ähnliche Ausrichtung verfolgt wie K, aber sich letztlich als wesentlich flexibler erwiesen im Umgang mit dem Musikbusiness. Bruce Pavitt, der ebenfalls in Olympia am Evergreen College gewesen war, hatte zunächst seine Radiosendung auf KAOS und das damit verbundene Fanzine Subterranean Pop genannt, den Namen dann aber verkürzt. Nach seinem Umzug nach Seattle gründete er 1988 mit Jonathan Poneman das gleichnamige Label, und die beiden wurden zu Unternehmern, die in letzter Konsequenz mit Ben & Jerry’s ebenso viel gemeinsam hatten wie mit K.

Als Motto für den Labelbetrieb wählten die beiden „World Domination“, auf Ponemans Visitenkarte stand „Firmenlakai“ und auf Pavitts „Firmenmagnat“. Sie präsentierten sich gleichzeitig als Geschäftsmänner und Rebellen, die sich selbst nicht ganz ernst nehmen, und diese Pose funktionierte.

Kurt schrieb Sub Pop immer wieder an. Courtney sagte mir: „Er wollte unbedingt dort unterkommen, weil er sich zu Beginn seiner Karriere sehr an Soundgarden orientierte, und die waren zuerst auch bei Sub Pop gewesen.“ Seine Hartnäckigkeit zahlte sich aus; schon nach kurzer Zeit willigten Poneman und Pavitt ein, Nirvana ein paar Singles für ihr Label aufnehmen zu lassen. Die Band fiel sofort auf, zum einen wegen Kurts Stimme, aber auch wegen seines furchtlosen Körpereinsatzes bei Konzerten, wenn er ohne Rücksicht auf Verluste von den Aufbauten auf die Bühne oder ins Publikum sprang.

Mit seinem Charme nahm Kurt jeden beim Label für sich ein. Jennie Boddy, die Pressefrau von Sub Pop, teilte sich eine Wohnung mit Susie Tennant, die als Radio-Promoterin für Geffen Records arbeitete. (Die Rock-Szene in Seattle zeichnete sich damals vor allem dadurch aus, dass die Leute sich untereinander stärker verbunden fühlten als den Unternehmen, für die sie arbeiteten.) Nach der Veröffentlichung von Bleach, als Nirvana so viel auf Tournee unterwegs waren, dass sich für die Musiker keine Wohnung lohnte, übernachteten sie oft, wenn sie in Seattle spielten, bei Boddy auf dem Fußboden. Wie viele seiner alten Weggefährten erinnerte sich auch Boddy gern an die Zeit mit Kurt: „Wenn er bei uns war, dann legte er erst die Greatest Hits von ABBA auf, dann die Partridge Family, und dann spielte er die Vaselines und Beat Happening, und wir hatten dabei wahnsinnig viel Spaß!“ Während andere Grunge-Rocker eher laut und selbstbewusst daherkamen, war Kurt völlig anders. „Er war immer total süß. Echt hypersensibel.“ Tennant berichtet: „Kurt war wirklich supernett, freundlich und echt witzig. Sein Humor war eine verrückte Mischung aus Blödelei, Sarkasmus und messerscharfem Witz.“ Rückblickend fügt Tennant hinzu: „Er war außergewöhnlich einfühlsam und ein loyaler Freund. Davon abgesehen war er sehr belesen und ein wahrer Künstler, sowohl im musikalischen als auch im bildnerischen Bereich. Ich werde ihn vermissen, solange ich lebe.“

Die erste Nirvana-Platte, die bei Sub Pop erschien, war eine Cover-Version von „Love Buzz“, das im Original von der holländischen Band Shocking Blue stammte. „Love Buzz“ war die erste Veröffentlichung im Rahmen des Sub Pop Singles Clubs, eines cleveren Programms, das etwas Geld in die Kassen des notorisch klammen Labels spülen sollte. Die Clubmitglieder zahlten 35 Dollar im Jahr und bekamen dafür pro Monat eine Single zugeschickt. 1990, als es etwa zweitausend Abonnenten gab, wurde der Preis auf 40 Dollar erhöht.

Die frühen Nirvana-Singles fanden so viel Beachtung, dass schon bald ein Album anvisiert wurde.

Thurston Moore hatte Bruce Pavitt kennengelernt, kurz bevor der Sub Pop ins Leben gerufen hatte. Da ihn schon eine der frühen Singles – Mudhoneys „Touch Me I’m Sick“ – begeistert hatte, war er besonders offen für die Künstler auf dem Label. Susanne Sasic, die das Cover von „Love Buzz“ gestaltet hatte, war zuvor mit Sonic Youth auf Tour gewesen und hatte unterwegs Merchandise-Artikel verkauft. Im Sommer 1989 arbeitete sie bei Pier Platters Records in Hoboken und machte Kim und Thurston den Vorschlag, sich Nirvanas ersten Gig im Maxwell’s anzusehen. „Sie sagte mir, Nirvana seien zwar nicht so gut wie Mudhoney“, erinnert sich Thurston, „aber trotzdem ziemlich interessant. Und daher gingen wir hin, Susanne, Kim, J. Mascis von Dinosaur Jr. und ich. Es war ein Dienstagabend, und außer uns waren vielleicht noch zwanzig andere Leute da.“

Nirvana hatten gerade erst ein paar Töne gespielt, da war Thurston bereits überzeugt: „Die waren phantastisch!“ Er trat näher an die Bühne heran. „Am Schluss warf Chad das Schlagzeug um [Grohl stieß erst ein Jahr später zur Band] und Krist Novoselic schleuderte seinen Bass über die Bretter. Dann fing Kurt an, seine Gitarre auf den Boden zu schlagen, und schließlich lag alles in Trümmern. J. und ich guckten uns an und dachten: Oha, hoffentlich haben diese Typen morgen nicht schon wieder ein Konzert, sonst haben die ein echtes Problem. Sie hatten wirklich alles kaputtgeschlagen, aber sie waren einfach toll.“

Nach dem Auftritt saßen Thurston, Kim und J. noch ein bisschen mit Nirvana zusammen. „J. erzählte, dass er darüber nachdachte, nach Seattle zu gehen und mit Donna Dresch und ein paar Leuten von den Screaming Trees eine Band zu gründen. Kurt sagte: ‚Mach das nicht, mach lieber bei uns mit!‘ Das war schon ziemlich gewagt.“ Schließlich hatten Dinosaur Jr. bereits drei Alben veröffentlicht, und Mascis war in der Indie-Szene wesentlich mehr etabliert als Kurt.

Sub Pop gab selten mehr als 1000 Dollar für die Aufnahmen eines Albums aus. Bleach kostete sogar nur 600 Dollar. Wie auch die Sub-Pop-Singles wurde das Album von Jack Endino bei Reciprocal Recording in Seattle produziert. Die meisten Songs erinnerten in ihrer harten Rock-Intensität an die Melvins oder Mudhoney, aber es gab auch Titel wie „About A Girl“, Kurts erstem Nirvana-Song, der eine Pop-Melodie und einen echten Refrain besaß.

Thurston spricht normalerweise in sehr gemessenem, nüchternem Ton, aber er kommt ins Stocken, wenn er sich daran erinnert, welchen Eindruck Bleach beim ersten Hören auf ihn machte. „Für mich klang die Platte einfach phantastisch. Es war ein Sound, der dem, was ich damals unbedingt hören wollte, ziemlich nahe kam, und dieses gewisse Etwas zu treffen, das gelang nur ganz wenigen Bands. Es ist in meinem Leben wirklich nicht oft vorgekommen, dass eine Platte all meine Erwartungen erfüllte. Für mich hatte Bleach etwas Elementares, Urzeitliches. Das Songwriting baute zwar auf Melodien auf, war aber trotzdem Punk. Es lag eine gewisse Schönheit darin. Ich liebe diese Platte.“

Als Sonic Youth später Goo, ihr erstes Album für Geffen abmischten, spielte Thurston dem Toningenieur Howie Weinberg bei Masterdisk den Nirvana-Erstling vor und sagte: „Wenn unsere Platte sich so anhören könnte, wäre ich echt glücklich.“ Weinberg warf ihm einen ungläubigen Blick zu, als er die primitive Aufnahme hörte. Thurston begriff: „Es ging hier nur um den Vibe. Die Technik, die dahinterstand, spielte überhaupt keine Rolle. Es war die Magie der Band, die von dieser Platte ausging, und diese Magie lag größtenteils in Kurts Stimme. Hätte jemand anders bei dieser Band gesungen, dieselben Songs, dann hätte sich das alles nicht so entwickelt. Seine Stimme durchdrang alles.“

Sonic Youth boten Nirvana an, bei verschiedenen Gigs an der Westküste im Vorprogramm zu spielen. Thurston erinnert sich: „Sie waren in Las Vegas dabei, in Portland und in Seattle. Als Drummer sprang Dale Crover von den Melvins ein. Sie waren gut, und das Publikum merkte das auch, aber von Nirvana-Fieber konnte noch lange keine Rede sein.“

Als entscheidender Schachzug erwies sich die Idee von Sub Pop, den britischen Musikjournalisten Everett True Anfang 1989 nach Seattle einzufliegen, damit er für die einflussreiche britische Wochenzeitung New Musical Express über die Punk-Szene im amerikanischen Nordwesten berichtete. Nirvana hatten damals erst einige Singles veröffentlicht, aber True erkannte ihre Einzigartigkeit sofort und stellte sie in seinem Artikel ausgiebig vor. Es war das erste Mal, dass der Indie Rock, der später Grunge genannt werden sollte, in den internationalen Medien Erwähnung fand.

Kurz nach dem Erscheinen von Bleach erkannte Poneman, dass Nirvana auf Tournee jemanden brauchten, der sich um ihren Sound kümmerte, und er vermittelte ihnen den Tontechniker Craig Montgomery, der schon für verschiedene andere Bands des Labels gearbeitet hatte. Montgomery erinnert sich: „Als erstes fiel mir auf, wie eingängig ihre Musik war. Sie hatten tolle Songs und einen Typen, der echt singen konnte, was bei vielen der sogenannten Grunge-Bands nicht der Fall war. Noch bevor ich Nirvana je live gesehen hatte, erzählten mir Leute in Seattle schon, dass er singen konnte wie John Fogerty von Creedence Clearwater Revival. Es war mein Job, eine Verbindung zwischen Kurts Stimme und dem Publikum zu schaffen.“

Kurt war von Anfang an begeistert davon, den Toningenieur auf Tour dabei zu haben, und in den nächsten Jahren betreute Montgomery jede Nirvana-Show. „Zu Anfang saßen wir vier in Krists Dodge-Transporter und fuhren von einem Provinz-Punk-Club zum nächsten“, berichtet er. Und schon in diesen frühen Tagen, als Nirvanas Fans ausschließlich aus der Punk-Szene stammten und die Band auf ihren Singles noch laut und aggressiv daherkam, waren die ersten Anzeichen dafür zu entdecken, dass Kurts Vision auf die Verschmelzung von Punk und Pop abzielte. Krist zufolge hörten sie nicht nur Punk, sondern auch „Cassetten mit Roy Orbison, den Smithereens oder den Beatles“, und Montgomery stellt fest: „Häufig lief bei ihnen kitschige Popmusik.“

Der Toningenieur erkannte schnell, dass die Bandmitglieder nicht nur ihren Musikgeschmack teilten, sondern auch denselben Humor. „Bei den Konzerten machten sie sich oft über die gängigen Rock-Klischees lustig. Manchmal tauschten sie dazu nur einen Blick aus, oder es genügte eine kleine Bewegung – aber sie ließen das Publikum immer an diesen Privatwitzen teilhaben.“ In dieses Muster passte auch das Zerschlagen ihrer Instrumente, das gleichzeitig als Hommage und Kritik verstanden werden kann. Montgomery erinnert sich wehmütig an Kurt: „Er war ein lustiger, kluger, schlagfertiger, sarkastischer Typ, mit dem man meistens jede Menge Spaß haben konnte. Manchmal war er natürlich auch still und brauchte Zeit für sich, aber er liebte nichts mehr, als auf der Bühne zu stehen.“

Der Vertrieb der Sub-Pop-Veröffentlichungen lief damals über Caroline Records in New York. Janet Billig (heute Janet Billig-Rich) hatte als Punk-Fan noch während ihres Studiums an der New York University bei Caroline als Promoterin und A&R-Managerin angefangen. Da Sub Pop an der Ostküste kein Büro hatten, kümmerte sie sich um die Bands des Labels, wenn sie in New York spielten. Da sich keiner der Musiker ein Hotel leisten konnte, übernachteten viele in Janets Apartment in der Lower East Side, Ecke Seventh Street und Avenue C. „Die Wohnung hatte nur 45 Quadratmeter, aber es gab ein Hochbett und ein paar Futons, und mit etwas gutem Willen konnte ich dort acht Leute hineinquetschen.“ Von daher war es kein Problem, die drei Nirvana-Musiker sowie den Tonkutscher Montgomery bei ihren ersten New-York-Aufenthalten Anfang 1988 dort unterzubringen.

Janet merkte gleich, dass Kurt eine Sonderstellung innehatte. Da die Gegend nicht die beste war und Kleintransporter häufig aufgebrochen wurden, war es besser, wenn die Bands ihr Equipment über Nacht in der Wohnung unterstellten, und als Nirvana das erste Mal bei ihr übernachteten, mussten auch noch einige Matratzen zum Schlafen besorgt werden. Kurt erklärte ihr mit leichtem Lächeln, dass Krist und Chad Channing, der damalige Nirvana-Drummer, die Schlepperei erledigen würden. „Kurt legte sich auf mein Bett und aß ein paar Kekse. Krist und Chad wussten schon, wie das lief – Kurt fasste nicht mit an.“ (Als ich Krist die Geschichte erzählte, verteidigte er Kurt sofort: „Wenn es sein musste, trug er sein ganzes Equipment durchaus selbst. Wir nannten das immer die gequälte Prozession.“)

Janet ging es ähnlich wie mir einige Jahre später – auch sie erkannte Kurts besonderes Talent in dem Augenblick, als sie Nirvana erstmals live erlebte. Sie war völlig überwältigt von dem Einsatz, den die Band zeigte. „Ich war bei einem Gig in Philadelphia und bei einem weiteren an einem College in Amherst. Danach behaupteten sie jedes Mal, es sei der beschissenste Gig aller Zeiten gewesen. Sie nahmen jede Kleinigkeit auseinander und redeten nur darüber, wie scheiße sie gewesen waren, auch wenn lauter Leute zu ihnen hinter die Bühne kamen und sie abfeiern wollten. Mir erschien jede ihrer Shows sehr emotional und sehr rau, aber sie wollten immer noch besser sein.“

Sie verstand sofort, warum Kurt von der Punk-Gemeinde so verehrt wurde: „Er kam aus dem Nichts und hatte nichts. Deswegen fühlte er sich dem Punk-Ethos auch so verbunden.“ Aber sie merkte auch schon früh: „Kurt war sehr ehrgeizig. Er versuchte, in beiden Welten zuhause zu sein.“ Die College-Sender spielten Nirvana von Anfang an, und das kleine Grüppchen Punk-affiner Kritiker schwärmte so sehr von der Band, dass es nicht lange dauerte, bis Nirvana auch außerhalb der eigenen Szene im amerikanischen Nordwesten eine kleine Fangemeinde aufgebaut hatten.

Da Indie-Labels wie SST oder Sub Pop weniger Geld investieren und sich meist auch keine Anwälte leisten konnten, boten sie den Bands normalerweise keine langfristigen Verträge an. Kurt und Krist hingegen beschlossen Anfang 1989 während der Arbeit an Bleach, dass sie eine schriftliche Vereinbarung mit ihrem Label wollten. Bevor er viel über geschäftliche Dinge wusste, symbolisierte ein Papier mit Unterschrift für Kurt offenbar, dass alles mit rechten Dingen zuging. Poneman hatte nicht einmal eine Vorlage für ein solches Dokument, weil ihn noch nie einer seiner Künstler danach gefragt hatte, aber er schusterte schnell etwas zusammen. Damals hatte Kurt das Gefühl, dass ihm ein solcher Vertrag ein größeres Engagement seitens des Labels garantierte, aber wie sich später herausstellte, sollte letztlich Sub Pop in weitaus größerem Maße davon profitieren. Ohne diesen Vertrag hätten Sub Pop nichts von den vielen Millionen Dollar gesehen, die ihnen Nirvanas Wechsel zu Geffen einbrachte.

Heute bedaure ich, dass ich aufgrund der Rolle, die ich in der Karriere der Band spielte, nicht die Gelegenheit bekam, Poneman und Pavitt etwas besser kennenzulernen. Kurt gönnte ihnen das Geld, das sie letztlich mit Nirvana verdienten, stets von Herzen. (Zum einen verkaufte sich Bleach, nachdem Nirvana den kommerziellen Durchbruch geschafft hatten, viele hunderttausend Mal, zum anderen erhielt Sub Pop eine Tantiemenvergütung für Nevermind, die sich auf mehrere Millionen Dollar belief, und die Profite aus Nirvanas Aufnahmen gestatteten es den beiden Eignern zudem, die Hälfte ihres Unternehmens 1995 für angeblich 20 Mio. Dollar an Warner zu verkaufen.) Sub Pop veröffentlichten Nirvanas erste Singles und das erste Album. Sie kauften Kurt neue Gitarren, nachdem er sein Equipment auf der Bühne in Stücke geschlagen hatte. Sie vermittelten ihm den Kontakt zu Craig Montgomery, Janet Billig, Everett True und anderen, und gegenüber Journalisten und Musikern äußerte Poneman oft seine Überzeugung, dass Nirvana eines Tags die größte Band auf Sub Pop sein würde.

Allerdings waren die beiden Sub-Pop-Partner gleichzeitig stark dem Geist der Independent-Kultur verhaftet. In der ersten Ausgabe seines Fanzines hatte Pavitt noch geschrieben: „Wenn jemand eine Platte kauft, dann unterstützt er damit nicht nur die Musik, sondern auch die Werte und den Lifestyle des betreffenden Künstlers. Wenn ihr (ja, ihr!) euer Geld den großen Hollywood-Konzernen in den Rachen schmeißt, dann tragt ihr nicht nur dazu bei, dass abgefuckte Kapitalisten bestimmen, was im Radio gespielt wird, sondern ihr befürwortet indirekt, dass sie Macho-Arschloch-Bands promoten, deren Lifestyle aus Kokain, Sexismus, Kohle und noch mehr Kohle besteht. Die Achtziger brauchen neue Sounds, und sie brauchen auch neue Helden.“ Solche Einstellungen hatten letztlich keinen Einfluss auf die Richtung, in die Kurt seine Karriere trieb, aber für viele andere Künstler waren sie entscheidend. In ihrer Autobiografie Hunger Makes Me A Modern Girl schrieb Carrie Brownstein (deren Band Sleater-Kinney ihre Platten bei Kill Rock Stars veröffentlicht hatte), dass „ausführliche Traktate über den Ausverkauf in Fanzines wie Punk Planet oder Maximum Rocknroll gang und gäbe“ waren.

Nach einer ersten Europa-Tournee nahmen Nirvana die Demos für „Lithium“, „In Bloom“ und „Polly“ auf, die später zu den herausragenden Songs auf Nevermind zählten. Nach dem phänomenalen Erfolg der Platte wiesen einige Kritiker darauf hin, schon weit vorher hätten ältere Indie-Bands wie die Pixies, die Replacements oder Hüsker Dü die Punk-Attitüde mit traditionelleren Refrains und Melodien verquickt, aber für mich trafen diese Vergleiche nie den Kern. Im Gegensatz zu Kurt hatten diese Bands keine Songs geschrieben, aus denen echte Hits wurden, die bei den kommerziellen Sendern ebenso liefen wie im Rock-Radio. Außerdem wiesen Kurts größte Hits Texte mit einem Anspruch und einer emotionalen Tiefe auf, wie man sie auf den Pop-Wellen selten fand. Wie und wann hatte er gelernt, wie man das machte?

Wenn man die Legende einmal beiseitelässt, dann findet sich im Text von Robert Johnsons Blues-Klassiker „Crossroads“ kein einziger Hinweis darauf, dass er an einer Wegkreuzung einen Pakt mit dem Teufel schloss und dabei seine Seele gegen musikalisches Talent eintauschte. Dass sich dieser Mythos so hartnäckig hält und dass er gerne immer wieder heraufbeschworen wird, um die Entwicklung von Ausnahmekünstlern wie Jimi Hendrix oder Bob Dylan zu erklären, hat meiner Meinung nach mehr mit der Unerklärlichkeit von Genie zu tun als mit finsteren okkulten Praktiken.

Es gibt nicht allzu viele Rock-Akkorde. Jedem Texter stehen dieselben Wörter zur Verfügung. Jeder kann sich heute in die gesamte Musikgeschichte einhören. Was das Songwriting betrifft, kann man ein gewisses Maß an handwerklichen Fähigkeiten erlernen, aber wie man mittels eines Songs potenziellen Hörern ihre innersten Gefühle bewusst macht, das ist eine Kunst, für die es kein Lehrbuch gibt.

Manche Leute sind der Überzeugung, dass großer Erfolg im Musikbusiness zum größten Teil von Glück, Timing, Marketing und Ehrgeiz abhängt. Was Kurt angeht, glaube ich allerdings, dass es sich so ähnlich verhält, wie es Sonny Rollins in der Dokumentation Chasing Trane über die Musik von John Coltrane formulierte: „Um auf dieser Ebene Musik zu machen, muss man von … was auch immer berührt worden sein.“ Der große Rock-Gelehrte meiner Generation war Bob Dylan. Bob Johnston, der die Alben Highway 61 Revisited und Blonde On Blonde produzierte, sagte über ihn: „Gott hatte ihm nicht etwa die Hand auf die Schulter gelegt, sondern ihm einen richtigen Tritt in den Arsch verpasst. Er konnte einfach nicht anders. Auf ihm liegt der Heilige Geist. Das sieht man mit einem Blick.“

Ich bin mir sicher, auch Kurt wurde schon früh von diesem gewissen Etwas berührt, was immer es auch sein mag, und vom Heiligen Geist in den Arsch getreten, und er wusste das. Vermutlich war es auch Krist schon zu Beginn ihrer Freundschaft klar. Allerdings war es eine Sache, insgeheim zu wissen, dass er das Zeug zum Erfolg hatte, und eine völlig andere, diesen Erfolg in einem solchen Ausmaß beinahe über Nacht zu erleben.

Die Demos der neuen Songs wurden von Butch Vig produziert, der in Madison, Wisconsin, lebte und dafür bekannt war, in seinen Smart Studios für kleines Geld Punk-Aufnahmen mit hervorragendem Sound zu realisieren. Kurz zuvor hatte er das Debütalbum der Smashing Pumpkins, Gish, betreut, von dem gerade einige hunderttausend Stück über die Ladentische gingen, und er sonnte sich im Nachglühen ihres Erfolgs.

Die Aufgaben eines Produzenten sind unterschiedlich und hängen von den Anforderungen der jeweiligen Künstler ab. Bei Musikrichtungen wie Country, R&B, kommerziellem Pop und Rock entscheiden Produzenten über das Songmaterial und die Arrangements. Sie tragen zum Sound eines Titels oft genauso viel bei wie ein Künstler. Bei Musikern wie jenen von R.E.M., U2 oder Nirvana, die ihre eigenen Songs schreiben, kommt den Produzenten eine weniger einflussreiche Rolle zu, aber sie sind dennoch von entscheidender Wichtigkeit bei der Entstehung eines Albums. Ein Produzent ist verantwortlich für den Sound, und wenn er richtig gut ist, versteht er es auch, den Künstler bei kreativen Entscheidungen zu beraten. Einige, wie Vig, sind zudem auch Tontechniker und sitzen im Studio selbst an den Reglern.

Über Bleach hatte Vig noch gesagt, dass er die Platte überwiegend „eindimensional“ fand, aber nun war er überwältigt, wie sehr sich Kurts Songwriting in der Zwischenzeit entwickelt hatte. „Er hatte dieses angeborene Pop-Gespür für Melodie und Phrasierung. Manchmal fühlte er sich eingeengt von den Erwartungen, die man an eine Punk-Rock-Band hatte, aber er hatte eine faszinierende Affinität für Melodien und Hooklines.“

Bei diesen Sessions erlebte Vig auch zum ersten Mal, unter welchen Stimmungsschwankungen Kurt litt. „Am ersten Tag war er lustig, aufmerksam und gesprächig, schlicht guter Laune. Nachdem wir dann den Sound fürs Schlagzeug eingestellt hatten, hockte er mit gesenktem Kopf in einer Ecke. Ich fragte, ob er irgendwas bräuchte, und er antwortete mir nicht einmal. Krist nahm mich beiseite und meinte: ‚Er ist manchmal so. Dann muss er ein bisschen chillen, bis er wieder aus seinem Loch rauskommt.‘ Zwanzig Minuten später stand Kurt auf, nahm seine Gitarre, sagte: ‚Legen wir los‘, und war voll dabei.“

Die Band war zunächst davon ausgegangen, dass die Songs auf einem zweiten Sub-Pop-Album erscheinen würden, aber auf ihrer nächsten Tour überdachten sie ihre Situation gründlich und beschlossen abzuwarten. Kurt sagte mir später, dass sie auf Tour immer einen besseren Überblick über ihre Situation gewannen. Montgomery erinnert sich daran, dass sie im Van darüber redeten, wie es weitergehen sollte: „Sie waren sehr unzufrieden damit, dass Sub Pop nicht in der Lage waren, trotz des großen Interesses an Bleach dafür zu sorgen, dass die Platte in den Läden erhältlich war.“ Slim Moon berichtet, dass Kurt sich darüber beschwerte, „dass Mudhoney alles an Zuwendung und Marketing bekommen, was Sub Pop zu bieten hat“. Er hatte sich zudem über einen Artikel in der Los Angeles Times geärgert, demzufolge Poneman angeblich alle Sub-Pop-Bands als „Holzfäller“ bezeichnet hatte. Dem Magazin Rocket sagte Kurt: „Es kommt mir vor, als würden wir als die ungebildeten, inzüchtigen Rednecks dargestellt, die keine Ahnung haben, was läuft. Das stimmt überhaupt nicht.“ Dazu kam, dass laut Krist in Seattle Gerüchte im Umlauf waren, Sub Pop wolle sich an ein Major-Label angliedern, woraufhin die Band beschloss: „Wenn wir sowieso schon Teil dieses Systems werden sollen, dann lieber auf direktem Weg.“

Meiner Meinung nach spielte all das für Nirvanas Entschluss, Sub Pop zu verlassen, eine eher untergeordnete Rolle. Ich glaube, dass Kurt sich schon lange die größere Reichweite und die Marketing-Ressourcen einer großen Plattenfirma wünschte, und während der Tournee mit Sonic Youth hatte er sich mit dem Gedanken mehr und mehr angefreundet, nachdem er sich davon hatte überzeugen können, dass ihre Glaubwürdigkeit durch den Vertrag mit Geffen keinerlei Schaden genommen hatte. Außerdem war die Szene in Seattle stark in den Blickpunkt der Medien gerückt, besonders Bleach hatte viel Aufmerksamkeit bekommen, und nun wurden Nirvana von den großen Firmen zum Essen eingeladen und umworben. Kurt war fasziniert von den Möglichkeiten, die sich ihnen jetzt boten.

Nirvanas Wechsel zu einem großen Label stieß bei einigen Hardlinern der Indie- und Punk-Szene auf heftige Ablehnung. Möglicherweise war es ein ähnliches Gefühl von Verrat, wie es die christlichen Gemeinden in den Südstaaten empfunden hatten, als Sam Cooke und Ray Charles dem Gospel den Rücken zukehrten, um Rhythm & Blues zu machen, oder die Folk-Puristen in den Sechzigern, als Bob Dylan mit einer elektrischen Gitarre auf die Bühne kam.

Kurt jedenfalls wollte sich nicht davon beirren lassen, den Weg zu gehen, den er schon lange für sich vorgesehen hatte, und er nahm keine Rücksicht auf die Schuldzuweisungen der Indie-Fundamentalisten. Später erklärte er Michael Azerrad: „Es wurde von Bands erwartet, dass sie wie Revolutionäre gegen die Kommerzmaschinerie der Major-Labels kämpften. Ich dachte nur: Wie könnt ihr es wagen, so viel Druck auf mich auszuüben? Das ist doch total bescheuert.“ Er verfolgte eine ganz andere Mission.

Erinnerungen an Kurt Cobain

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