Читать книгу Im Strudel der Verzweiflung - Dantse Dantse - Страница 10
Vor 2 Wochen:13 Wochen nach der Tat, 7 Wochen nach dem Tod des Täters
Оглавление„Hallo, Darmstadt Kurier, Anne Schmidt am Telefon. Was kann ich für Sie tun?“
„Frau Schmidt, hier Herr Walker. Sie haben mir vor 7 Wochen einen Brief geschrieben und wollten über meinen Sohn reden? Es geht um den Discomord von Sonderborg“, sagte Herr Walker mit einer müden, aber sicheren Stimme.
„Ah, Sie sind Herr Walker, ich kann mich gut erinnern. Sehr schön. Das ist gut, dass Sie angerufen haben. Wie geht es Ihnen inzwischen? Es tut mir sehr Leid für Ihren Sohn“, antworte Frau Schmidt.
Frau Schmidt war Redakteurin bei einem großen Medienunternehmen, das den Darmstadt Kurier, eine Tageszeitung, herausgab. Sie hatte vor einigen Wochen einen Brief an Herrn Walker geschrieben und ihn um ein Interview gebeten, wegen der traurigen Geschichte um seinen Sohn Johnny M. Walker, der in Sonderborg in Dänemark im Gefängnis gesessen und sich das Leben genommen hatte. Er war inhaftiert worden, weil er in der Toilette einer Discothek in Sonderborg eine Frau, mit der er angeblich gerade Sex gehabt hatte, auf brutalste Art mit einer Bierflasche umgebracht hatte. Einen Mann, der ihr zur Hilfe geeilt war, verletzte er so schwer, dass dieser wenige Tage später seinen Verletzungen erlag. Der Tod dieses alleinerziehenden Vaters traf Johnny Walker so hart, dass er entschieden hatte, sich das Leben zu nehmen. Aber bis zu seinem Selbstmord hatte Johnny Walker kein Wort über seine Motive gesagt.
Anne Schmidt war von der Geschichte berührt und wollte mehr Einzelheiten erfahren, um im Darmstadt Kurier darüber zu schreiben.
Sie hatte sich deswegen an die Familie von Johnny M. Walker gewendet, um mehr über ihn zu erfahren. Seine Frau Carla Walker, mit der er zwei Kinder hatte, hatte sich vollständig zurückgezogen und war nicht auffindbar.
Sie hatte dann wenigstens einen Brief an seinen Vater Mike Walker geschrieben und in den Briefkasten geworfen. Das war schon so lange her, dass sie nicht mehr damit gerechnet hatte, dass er sich melden würde. Umso glücklicher war sie, als sie erfuhr, wer am Telefon war. Sie hatte die ominöse Geschichte nie vergessen und hatte die ganze Zeit immer und immer wieder daran gedacht. Warum hatte Johnny Walker diese unbekannte Frau getötet? Warum hatte er sich das Leben genommen? Niemand wusste es, auch die Polizei in Sonderborg hatte die Sache schon fast ad acta gelegt. Sie konnte keine Motive finden, und eine Verbindung zwischen Täter und Opfer konnte man nicht erkennen.
Die Ermittlungen hatten lediglich ergeben, dass Johnny M. Walker einen Tag vor dem Mord nach Sonderborg gekommen war und aktiv gezielt nach der Frau gesucht hatte. Er hatte sich ein Phantombild anfertigen lassen und in Cafés, Restaurants und Geschäften nach der Frau gefragt. Das war alles, was die Polizei klar stellen konnte. Es gab null Hinweise dazu, warum er die Frau gesucht hatte.
„Es tut mir leid, dass ich Sie nicht schon früher angerufen habe. Aber ich konnte damals einfach nicht viel dazu sagen. Ich wusste genausoso wenig wie Sie und ich war …“, fing Herr Walker an.
Frau Schmidt unterbrach ihn.
„Herr Walker, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich habe vielleicht nicht besonders sensibel gehandelt. Ich hätte Ihnen diesen Brief nicht zu dieser Zeit schreiben sollen. Aber ich wollte unbedingt wissen, was los war und die Sache richtig stellen. Haben Sie sich wieder ein bisschen erholt?“, fragte sie.
„Danke der Nachfrage, Frau Schmidt. Ich habe etwas, was sie interessieren könnte. Jemand hat mir gestern einen Brief mitgebracht. Er war ein Mithäftling meines Sohnes. In dem Briefumschlag ist etwas, was Sie interessieren könnte.“
„Was ist das, Herr Walker? Ein Brief Ihres Sohnes?“, fragte die Journalistin.
„Es sieht aus wie ein Tagebuch. Ja, das ist es. Ein Tagebuch, das alles erklären und aufklären könnte“, antwortete Herr Walker ganz entspannt.
Anne tanzte vor Freude auf der Stelle.
„Steht in dem Tagebuch mehr über den Mord und das Motiv? Das Motiv, warum er diese Frau ermordet hat?“, fragte sie.
„Kommen Sie, wenn Sie wollen. Ich glaube es steht alles drin, was Sie wissen wollten. Ich hatte noch nicht den Mut, mehr als eine Seite zu lesen“, sagte Herr Walker.
„Ich bin unterwegs, Herr Walker. Warten Sie auf mich. Ich bin gleich bei Ihnen“, antwortete Anne und legte auf.
Sie rief schnell ihren Kollegen.
„Jörg, ich muss dringend weg. Erzähl dem Chefredakteur irgendwelchen Blödsinn. Ich weiß nicht, wie lange es bei mir dauern wird. Mein Handy ist aus. Du weißt was das heißt. NICHT ERREICHBAR.“
„Tss, geh doch, sofort, verschwinde, bevor ich dich denunziere. Aber komm mit einer top Geschichte zurück. Wir brauchen unbedingt noch eine top Geschichte diese Woche“, sagte der Bürochef.
„Na klar, Chef. Du kennst mich doch. Ich bin deine Jobgarantie“, lachte sie und machte sich auf den Weg.
Nach 20 Minuten erreichte sie das schicke Villenviertel von Darmstadt, das Steinbergviertel mit seinen riesigen, stilvollen Häusern und prächtigen, großen Gärten.
In einer ruhigen Nebenstraße befand sich die Villa von Herrn Walker. Anne parkte direkt vor dem Haus und stieg aus. Es war ein schönes, nicht ganz so großes Haus, aber sehr stilvoll gebaut. Etwas älter, aber modernisiert. An den Details konnte man sehen, wie viel Geld da hineingeflossen war.
Sie wollte klingeln, als sie eine Stimme hinter sich hörte.
„Sind Sie Frau Schmidt? Ich bin Herr Walker, hallo“, sagte der Mann.
„Hallo Herr Walker, Sie haben mich erschreckt! Ich bin Frau Schmidt vom Darmstadt Kurier“, sagte sie freundlich.
„Es tut mir leid, ich habe den Müll raus gebracht und danach ein bisschen mit dem Nachbarn geplaudert. Ich habe Sie auch nicht so früh erwartet. Sind Sie hierher geflogen?“, sagte Herr Walker und streckte die Hand aus. Dabei schaute er ihr direkt in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Sie lächelte ihn an und drehte sehr schnell den Kopf weg. Sie ertrug seinen klaren Blick nicht.
Sie war sehr überrascht. Sie hatte einen alten, gebrochenen, dicklichen reichen Mann erwartet, aber vor ihr stand ein reicher, sehr gut aussehender Mittfünfziger, ein sportlicher Mann. Ein echt schöner Mann, dachte sie.
„Es ist schön hier, Herr Walker. Überall grün, wie auf dem Land und trotzdem ist man mitten in der Stadt“, versuchte sie ihre Gedanken abzuschütteln.
„Ja, es ist wirklich traumhaft hier. Ich wohne hier seit 10 Jahren und ich kann Ihnen sagen, dass es nicht einfach war. Das ist das Ergebnis von 20 harten Jahren Arbeit“, sagte er stolz und bat sie, mit herein zu kommen.
„Das kann ich mir vorstellen. Die Details gefallen mir sehr gut. Wow, was für ein Garten!“, staunte Anne Schmidt, als sie hereinkam.
„Gefällt es Ihnen? Meine Frau hat das so hinterlassen. Die Form und die Architektur hat sie selbst entworfen. Sie war Architektin, wissen Sie? Ich habe einen Gärtner, der sich darum kümmert, aber ich möchte langsam alles anders gestalten. Der Mut dazu fehlt mir noch“, sagte Herr Walker.
„Lebt Ihre Frau nicht mehr mit Ihnen?“, fragte Anne Schmidt.
„Oh, nein“, lächelte Herr Walker ein bisschen bedrückt. „Nein, sie ist schon vor 12 Jahren gestorben. Einige Wochen, nachdem wir das Haus gekauft haben. Johnny Walker war gerade 20 geworden, nein, es war kurz vor seinem zwanzigsten Geburtstag“, antwortete er.
„Das tut mir leid. Das habe ich nicht gewusst“, entschuldigte sich Anne Schmidt schon fast.
„Das nächste Mal müssen Sie besser recherchieren, Frau Schmidt“, sagte er scherzend und lud Anne Schmidt weiter ins Haus ein. „Kommen Sie mit!“
Das Wohnzimmer war sehr luxuriös, wobei aber der Luxus nicht im Vordergrund stand, sondern die Kunst. Es war voller Bilder und Skulpturen aus der ganzen Welt.
Man konnte erkennen, dass Herr Walker sehr viel gereist war und schon viele verschiedene Orte dieser Welt gesehen hatte.
Faszinierend fand sie die Nacktskulpturen aus Afrika, die die Klischees vom dicken Schwanz oder den festen, spitzen Brüsten der Frauen voll bestätigten, sowie die alten handgefertigten Porzellane aus China.
„Wir sind hier in einem Museum“, sagte Anne Schmidt fasziniert.
„Schauen Sie sich mal um“, sagte Herr Walker stolz. „Sehen Sie, hier, ja hier, das war in Chile, das hier ist aus Argentinien. Diesen kleinen Korb habe ich von einem Indianer in Venezuela bekommen. Ja, das ist China. Diese Vasen wollte ich eigentlich nicht. Aber sie haben meiner Frau gefallen. Sie sind sehr alt, mindestens 1000 Jahre. Meine Frau war von der chinesischen Architektur sehr begeistert. Wir waren sehr oft in Asien. Ich mag China sehr, hmm, das leckere Essen. Sehr nette Menschen im Allgemeinen, aber im Geschäft sehr harte Kontrahenten. Dort war ich in Rumänien und habe von einem Minister das Bild bekommen, ein Geschenk, weil er mich nicht bezahlen konnte. Das Bild ist sehr wertvoll. Ich sage Ihnen lieber nicht, von wem das stammt. Kommen Sie her, kommen Sie, sehen Sie hier? Wissen Sie, wo das ist?“, fragte er, als ob die Antwort nicht offensichtlich wäre.
„Das ist Afrika, oder?“, fragte Anne Schmidt freundlich, um seine Begeisterung nicht zu stoppen.
„Richtig, waren Sie schon mal in Afrika? Ich meine nicht in Ägypten, oder Tunesien, oder in diesen Urlaubscamps in Kenia, Südafrika oder dem Senegal. Ich meine das richtige Afrika, das die Kameras nicht erreichen können. Wo es kaum Touristen gibt. Ja, das ist Afrika. Afrika für mich sind nicht solche großen Städte, wie wir sie in Europa haben. Das ist nichts für mich. Aber das tiefe Afrika ist schön, es ist wunderbar und ist so natürlich. Von allen Orten, an denen ich weltweit war, ist Afrika mein Favorit und Kamerun mein Herzensland. Wir sagen, dass die Menschen in Afrika das Leben nicht so schwer nehmen. Nein, ich habe entdeckt, dass sie einfach anders mit Problemen umgehen. Sie haben einfach einen Weg gefunden, um mit Schwierigkeiten zu leben, ohne das Lachen zu verlieren. Es sieht unbekümmert aus, aber es ist eine große wissenschaftliche Lebensphilosophie. Es wäre schön, wenn wir so etwas bei uns hätten. Sehen Sie, wie schlecht es vielen Menschen hier geht, obwohl wir fast alles haben? Es fehlt das Lachen. Ja, das Lachen ist sehr wichtig. Ich habe dort viel gemacht und viel erreicht. Ich war mehrmals dort im Urlaub, eigentlich fast jedes Jahr. Das sind die Skulpturen der Bamileké, besser gesagt, der Banganté in Westkamerun. Das ist ein Volk in Kamerun, sie nennen sich NDE, das steht für noblesse, dignité und elgance und bedeutet Adel, Würde und Eleganz. Stellen Sie sich das mal vor? So nennen die sich. Ich habe da die meisten Skulpturen gekauft. Sind sie nicht schön?“, frage er begeistert.
„Ja, besonders diese da. Sie bestätigt unsere europäische klischeehafte Vorstellung des afrikanischen Mannes“, sagte sie ironisch.
„Das müssen wir uns selbst vorwerfen. Sie machen nur Kunst, wir interpretieren sie so“, erwiderte Herr Walker.
Sie gingen zwei Treppen hoch, dann machte er eine Tür auf und sagte:
„Kommen Sie rein, bitte. Dies ist mein Arbeitszimmer und gleichzeitig mein Ausruhzimmer. Hier verbringe ich sehr viel Zeit. Setzen Sie sich. Was wollen Sie trinken? Tee, Kaffee, Saft? Leider habe ich aus Prinzip keinen Alkohol und keine Zigaretten zu Hause“, sagte Herr Walker.
„Leitungswasser haben Sie aus Prinzip aber sicher, oder?“, sagte sie lächelnd.
Ein paar Minuten später kam er wieder mit einem Serviertablett herein, auf dem alles Mögliche stand.
Er machte die Tür zu und öffnete das Fenster, man sah nur Grün, weit und breit. Es war ein schöner Junitag und es war draußen schön warm, während es drinnen noch erfrischend kühl blieb.
Er stellte das Serviertablett auf einem kleinen niedrigen Tisch vor Anne Schmidt ab, damit sie sich allein bedienen konnte.
„Was machen Sie beruflich, Herr Walker? Wie ich sehe, sind Sie sehr viel unterwegs und Geldmangel scheint bei Ihnen ein fremdes Wort zu sein?“, fragte sie.
„Jetzt bin ich gar nicht mehr so viel unterwegs. Früher ja, viel, auch mit meiner Frau. Beruflich bin ich in der Finanzbranche tätig. Es ist schwer zu erklären. Ich beschaffe Geld für Firmen, Institutionen und Staaten“, sagte er.
„Das heißt ja, Sie müssen unglaublich reich sein, um Staaten Geld leihen zu können“, stellte sie sich absichtlich dumm.
„Nein, nein, nein, Sie haben mich falsch verstanden. Ich beschaffe Geld. Ich leihe kein Geld, um Gottes Willen, selbst Bill Gate oder Ingvar Kamprad, der Gründer von Ikea, könnten sich das nicht leisten. Ich bin wie eine Art Vermittler zwischen denen, die Geld haben und noch mehr wollen und denen, die nicht genug haben und noch mehr wollen. Sehen Sie, alle wollen immer nur noch mehr, noch mehr. Niemand will sich mit dem zufrieden geben, was er hat. Der, der weniger hat, will einfach nicht so leben, wie er es sich leisten kann. Er will so leben wie der, der mehr hat. Dem, der mehr hat, geht es aber genauso. Es genügt ihm nicht. Er will noch mehr als alle anderen haben. So entsteht eine synergetische Kraft, die das Geld so stark macht. Und Leute wie ich profitieren dann von den Krümeln, die diese immer-mehr-haben-wollenden Menschen beim Essen auf den Boden fallen lassen“, erklärte er.
„Diese Krümel scheinen aber nicht so klein zu sein, dass Leute wie ich nicht von den Krümel von Leuten wie Ihnen noch glücklich leben könnten“, sagte Anne Schmidt.
„So ist der Lauf der Welt, vielleicht sind Sie dagegen glücklicher“, meinte Herr Walker.
„Es muss nicht immer unbedingt so sein, dass Leute, die mehr haben, unglücklich sind. Geld muss nicht unbedingt unglücklich machen, oder?“, konterte Anne Schmidt.
„Geld und Reichtum allein machen nicht glücklich“, sagte Herr Walker.
„Not und Armut allein machen noch unglücklicher“, erwiderte Anne Schmidt.
„Naja, bei mir sieht es so aus, dass ich es trotz allem, was Sie hier sehen seit Jahren nicht geschafft habe glücklich zu werden“, verteidigte er seine Meinung.
„Vielleicht liegt es nicht am Geld, sondern an den Umständen, wie dem Tod Ihrer Frau und Ihres Sohnes, zum Beispiel?“
„Wissen Sie, Frau Schmidt, es war und ist nicht einfach für mich. Ich habe alles verloren. Und das Geld nützt mir gar nicht. Ich hätte lieber all dieses Geld nicht gehabt und meine Frau, meine Tochter und meinen Sohn behalten. Hätte der liebe Gott mich gebeten, zwischen meiner Familie und dem Geld zu wählen – ich hätte meine Familie genommen, ich hätte meinen Sohn gewählt und alles anderes weggeschmissen. Was hilft Ihnen alles Geld der Welt, wenn die Seele weint?“, sagte er ganz traurig.
Und fuhr fort –
„Es würde Ihnen nicht helfen. Sehen Sie, ich habe dieses Haus mit meiner Frau gekauft. Sie hat alles entworfen. Viel gekauft, bestellt. Tag und Nacht sich Gedanken gemacht. Sie ist um die Welt gereist, um Kleinigkeiten für das Haus zu ersteigern. Unsere Ehe wäre fast in die Brüche gegangen, nicht weil es am Geld mangelte, nein, gerade weil es zu viel Geld gab. Wir wollten einfach alles kaufen und auch immer genau das, was man hier nicht hatte. Es war einfach Stress, Stress und wieder Stress. Und nun? Sie hat nicht einmal eine Nacht hier verbracht. Sie ist weg und das Haus steht immer noch.
Mein Sohn wollte vor einem halben Jahr auch so ein Haus wie meines kaufen, hier in der Nähe. Er kam und bat mich, ihm dabei zu helfen. Er wollte nicht mehr am Woog leben. Als anerkannter Rechtsanwalt aus einer reichen Familie wollte er gern ein prestigeträchtiges Haus kaufen. Er hoffte auch, dass er damit seine Ehe festigen könne. Er verstand nichts, als ich ihm sagte: „Weil ich dich liebe, mein Sohn, kann und werde ich dir nicht helfen. Wenn es um ein Familienhaus für 500.000€, oder auch 800.000€ ginge, würde ich dir das Geld sofort geben. Geld ist ja genug da. Aber eine Villa für fast 3 Millionen Euro, 3 Stockwerke plus Dachboden, mit 6 Schlafzimmern, 5 Bädern, 3 Gästetoiletten, 6 Balkons, 2 Küchen, 3 Wohnzimmern und so vielem mehr, für nur 4 Personen? Nur weil du Prestige willst? Das kann dir nicht guttun, sogar wenn du selbst das Geld dafür hättest.“
Er verstand nicht und war wütend auf mich. Er verstand nicht, dass gerade so ein Haus seine Ehe zerstören würde. Er verstand nicht, dass gerade so ein Haus seine Seele vergiften und verwirren und ihn sehr einsam machen würde. Sein schon leerer Körper würde noch leerer sein. Er war wütend und ist ausgerastet und einfach gegangen. Er war 6 Monaten lang sauer und wollte nicht mit mir reden. Er wollte mich auf diese Weise erpressen. Aber da ich ihn liebte, blieb ich hart, und das Haus wurde an jemand anderen verkauft. Der Käufer will aus dem Haus nun mehrere Wohnungen machen und vermieten. Ich habe gerade mit ihm geredet, als Sie kamen. Ich habe ihn gefragt, warum er das Haus umbauen und mehrere Wohnungen daraus machen will. Wissen Sie, was er gesagt hat? Er hat gesagt: „Herr Walker, seien Sie ehrlich, wer kann in so einem Haus glücklich sein? Wenn vielleicht eine Familie mit 8 Kindern Interesse und Geld dafür hätte, okay. Aber so ein Haus für nur 3 Personen? Für mich, meine Frau und mein Kind? Nein, das kann nicht glücklich machen. Ich spreche aus eigener Erfahrung. In 3 oder 4 Zimmerwohnungen mit großem Garten werden Familien glücklicher.“ Sehen Sie? Das ist ein Mann mit Lebenserfahrung. Er meinte genau das gleiche wie ich.“
Er machte eine Pause und goss sich eine Apfelschorle ein.
„Hätten Sie sich vor zehn oder zwanzig Jahren auch so entschieden, ich meine für die Familie, für Ihren Sohn? Hätten Sie damals das Geld und den Ruhm fallen lassen, für Ihre Familie?“, wollte Anne Schmidt wissen.
„Ich weiß es nicht. Leider weiß man das erst, wenn es zu spät ist, uns das Glück verlassen hat und die Traurigkeit dein Freund geworden ist. Sehr wahrscheinlich, sehr, sehr wahrscheinlich hätte ich mich nicht für meine Familie entschieden. Aber ich hätte doch als Ausrede genommen, dass ich gerade wegen der Familie nicht auf Geld und Ruhm verzichten könne. Ja, das wäre wohl die Antwort gewesen, glaube ich. Ich weiß jetzt, dass eine Familie schon Geld braucht, aber erst glücklich ist, wenn es mehr Liebe, mehr Zusammenhalt, mehr gegenseitige Unterstützung gibt und die Familienmitglieder mehr Zeit füreinander haben und der eine für den anderen da ist, wenn es ihm schlecht geht. Ja, das braucht eine Familie viel mehr als großes Geld. Geld allein, ohne Zeit füreinander, ohne ein feinfühliges Ohr ist Gift für die Familie. Das verleitet zu Exzessen und erzeugt eine innere Leere. Alles, was zu viel oder zu wenig ist, tut nicht gut. Genau das wollte ich Johnny ersparen. Den gleichen Fehler wie ich sollte er nicht machen. Aber er verstand das nicht. Ich bin selbst schuld, dass er nicht verstanden hat, warum sollte er es denn auch verstehen? Durch welches Beispiel? Von welchem Vorbild hätte er lernen sollen? Sein Vorbild war Geld, Geld und nochmals Geld. Das war mein Fehler“, antwortete er ganz ehrlich.
„Heißt das, dass Sie seit dieser Diskussion bis zu seinem Tod keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt hatten?“, fragte sie.
„Ja, das stimmt leider. Er war ein zerrissener Junge, trotzdem kann ich nicht verstehen, warum er das gemacht hat“, lamentierte er.
„Wann haben Sie das Tagebuch bekommen?“, fragte sie.
„Vor drei Tagen erst“, antwortete er.
„Von wem denn?“, wollte sie wissen.
„Von einem Mann, der behauptet, mit ihm im gleichen Gefängnis gewesen zu sein. Ein Däne. Er ist vor einer Woche raus gekommen und extra hierher gefahren, um den Umschlag persönlich abzugeben. Er wollte nicht, dass er in der Post verloren geht. Johnny hätte ihm gesagt, dass das lebenswichtig für mich wäre“, antwortete er fast kindlich.
„Warum haben Sie es dann nicht gelesen?“, fragte sie noch.
„Er hat mir eigentlich nicht geschrieben. Ich habe nur die ersten Seiten gelesen und wusste schon, dass ich Ihren Beistand brauche. Ich habe nicht viel mehr gelesen. Ich wollte nicht allein sein, wenn ich erfahre, ob es stimmt, dass er gemordet hat und ob es stimmt, dass er sich selbst getötet hat. Aber nun bin ich bereit, weil Sie da sind“, sagte er.
Er holte einen Schlüssel aus seiner Tasche, stand auf und ging zum Tresor hinter der Tür. Er kam mit einem grünen Buch zurück und legte es auf den Tisch.
„Wollen wir nun wissen, warum er es getan hat?“, fragte er.
„Wenn Sie bereit sind. Soll ich lesen?“, fragte sie.
„Nein, ich will selbst lesen. Ich werde laut vorlesen, wie eine Geschichte. Sie können mich jederzeit unterbrechen, wenn Sie eine Frage haben. Jetzt gibt kein Zurück mehr. Mein lieber Sohn Johnny, warum hast du das getan? Wollen wir?“, fragte Herr Walker.
„Ja, das wollen wir“, antworte Anne Schmidt entschieden.
Warum tötete Johnny M. Walker die schöne dänische Frau mit dem Teufel im Blut?