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Kapitel IV

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Mondscheinserenade

Gabi stand auf einer Wiese und sah den Schmetterlingen zu, die von Blume zu Blume tanzten. Ein besonders buntes Exemplar hatte sich auf ihrem Knie niedergelassen. Seine dünnen Beinchen kitzelten, und Gabi jauchzte vergnügt.

Die Sonne malte Muster aus Licht und Blumenschatten auf das saftige kurze Gras, das den Boden zwischen den leuchtenden Blüten bedeckte. Gabi war glücklich. Der Duft, den sie einatmete, schmeckte nach Sommer und Frieden.

In der Ferne erschien ein dunkler Fleck am Horizont, in der flimmernden Luft nur schwach auszumachen. Gabi konnte nicht erkennen, was es war, doch es schien Teil der Natur zu sein. Es bewegte sich sacht, gleichmäßig und kam näher.

Gabi sah wieder den Schmetterlingen zu, die auf den Blumen saßen und mit ihren langen Rüsseln Nektar einsaugten, um sich für die kommenden Wochen der Paarung zu nähren. Sie hatte einmal einen Film über das Liebeswerben der Schmetterlinge gesehen. Ihr hatten besonders die Nahaufnahmen dieser Geschöpfe gefallen, ihre putzigen Gesichter mit den feinen Härchen.

Sie sah wieder zum Horizont. Die dunkle Gestalt war ein ganzes Stück nähergerückt, und ein leichter Wind bauschte sie jetzt auf. Etwas flatterte an ihr herum, und Gabi konnte nun sehen, dass es ein Mensch war, der da auf sie zukam. Neugierde machte sich in ihr breit. Ein anderer Mensch hier auf ihrer Wiese? Das konnte nur ein freundliches Wesen sein. Diese Wiese war kein Bild von Frieden, sie war der Frieden selbst. Was also sollte ihr hier geschehen?

Gabi setzte sich inmitten der Blumen nieder und streckte ihre dicklichen Arme aus. Sofort setzen sich einige der bunten Luftakrobaten auf sie. Sie genoss das Gefühl der kleinen trippelnden Beinchen, die über ihre nackte Haut huschten, gluckste fröhlich und zufrieden.

Wieder sah sie zu der Gestalt, die erneut ein gutes Stück nähergekommen war. Gabi konnte nun viele Details ausmachen: Den weißen Anzug mit den bunten Bildern, den Umhang, der wie eine Fahne in der leichten Brise schwang. Doch das Gesicht des Mannes – es musste ein Mann sein, denn eine Frau wäre ja viel zierlicher – konnte sie immer noch nicht erkennen. Als sei es verschwommen, entzogen sich seine Konturen ihrem Blick.

Gabi schaute wieder zu den Schmetterlingen, die sich plötzlich von der Wiese und ihren Armen als bunte Wolke erhoben und in den Himmel stiegen, der sich mit einem Mal schwarz verfärbt hatte.

Ein diffuser Schatten fiel auf Gabi, und eine leichte Gänsehaut machte sich auf ihren nackten Armen breit. Das Sonnenlicht war zu einem leichenblassen Schimmern verkommen. Sie sah auf.

»Was tust du hier, Kind?«

Die Stimme klang tief, rau und seltsam. Gabi sah in das Gesicht des Mannes und schreckte zurück. Sie sah nun, warum sie keine Konturen hatte bemerken können – es gab keine. Das Gesicht war eine Masse aus Narben und nässendem Fleisch, in dem fünf Löcher gähnten. In den Löchern, dort wo einmal die Augen gesessen haben mussten, glommen zwei kleine Funken. Die geschrumpften Lippen umgaben das Mundloch, in dem sich schartig und schwarz aussehende Zähne zeigten.

Gabi wollte wegrennen. Ihre Beine blieben jedoch unbeweglich unter ihren Körper geschlagen. Nichts schien sie dazu bewegen zu können, diesen in die Höhe zu heben und von dem unheimlichen Mann wegzubewegen.

»Bleib ruhig.«

Gabi saß wie angeklebt auf ihren Beinen und starrte dem Mann in die Ruine seines Gesichts. Auch wenn sie keine echten Augen darin ausmachen konnte, so fühlte sie doch das Gewicht seines Blickes einer Tonnenlast gleich auf sich ruhen. Jede Bewegung, jede Flucht war ihr unmöglich.

»Gut«, sagte die grauenhaft seltsame Stimme zu ihr. »Bald wirst du den Übergang vollziehen.«

Der Fremde beugte sich zu ihr herab, und die Imitation eines Lächelns ließ einen weiteren Schauer durch Gabis Körper gehen. Ihr Gegenüber streckte eine Hand nach ihr aus und wollte ihre Stirn berühren. Gabi schrie.

***

»Was ist los? Gabi, was hast du?«

Tom war zu ihr gekrochen. Sie sah ihn orientierungslos an.

»Der Mann hat mich fast berührt«, stieß sie schließlich hervor.

»Wieder dein Traum, hm?«

Gabi wischte sich etwas Schweiß von der Stirn und nickte. Sie schwankte leicht, als der Lastwagen, auf dessen Ladefläche sie lagen, durch eine Bodenwelle rumpelte. Das Mädchen sah sich um, doch in dem wenigen Licht, das durch die Öffnung unter der hochgeschlagenen Plane am Heck drang, konnte sie nur Toms helles Gesicht erkennen. Er blickte sie besorgt an.

»Alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung.« Gabi nickte. »Das schreibt man O-R-D-N-U-N-G.«

Tom lächelte ein kleines trauriges Lächeln. »Ja. Alles in Ordnung.«

»Ich schlafe jetzt wieder«

Tom nickte erneut und legte sich ebenfalls wieder hin, als Gabi sich in ihre kratzige Decke wickelte. Bald ging sein Atem gleichmäßig und Gabi konnte verstohlen über ihre Schulter blinzelnd die ruhige Auf- und Abbewegung seiner Brust sehen. Sie sah hinaus auf die langsam hinter ihnen wegziehende Landschaft, die ruhig und friedlich im Mondschein dalag.

Einen Moment lang hatte Gabi den Eindruck, ein großer weißer Hund sei auf einem der Hügel, die sie gerade passiert hatten, erschienen, doch der Lkw senkte sich erneut in eine Bodenrinne und der kleine Ausschnitt der Welt, den ihre Augen erfassen konnten, kippte wieder weg.

Das Brummen des Motors lullte Gabi ein, und in dem Zwischenland, das Wachen und Schlafen voneinander trennte, wanderte sie zurück zu den Szenen, die sie in Nörvenich gesehen hatte …

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