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Vorwort zur deutschen Ausgabe
Als Barack Obama Israel kundtat, dass „zu einer guten Freundschaft gehört, dass man ehrlich zueinander ist“, dürfte den politischen Eliten des Landes gedämmert haben, dass die Jahrzehnte doppeldeutiger Botschaften hinsichtlich der Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern womöglich vorbei waren. Und als der US-Präsident später gar hinzufügte, die Israelis müssten „anerkennen, dass das Existenzrecht Palästinas genauso wenig verwehrt werden kann wie das Existenzrecht Israels“, dürften die letzten Zweifel verflogen sein. Oder etwa nicht?
Mit seiner Rede an die islamische Welt im Auditorium der Universität von Kairo am 4. Juni 2009 – wo er mit stehenden Ovationen empfangen und unter donnerndem Applaus verabschiedet wurde – läutete Obama einen neuen Dialog innerhalb des Nahen und Mittleren Ostens sowie über diese Region ein.
Obama wiederholte öffentlich, was er dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu kurz zuvor bereits in privatem Rahmen in Washington gesagt hatte: „Die Vereinigten Staaten betrachten den fortgesetzten Bau israelischer Siedlungen nicht als legitim.“ Kann man das noch klarer ausdrücken?
Sein impliziter Vergleich der „unerträglichen“ Situation der Palästinenser unter israelischer „Besatzung“ mit derjenigen afrikanischer Sklaven in Amerika und mit der Lage südafrikanischer Schwarzer während der Apartheid signalisierte der nationalistischen Rechten in Israel und der Likud-Lobby in Washington, dass sie es nun mit jemandem zu tun hatten, dem die Sache ernst war. Derart klare Worte waren bislang, wenn überhaupt, nur selten aus dem Mund eines führenden amerikanischen Politikers zu vernehmen. Eine solche Sprache forderte jeden dazu auf, genau zu beobachten, wer in diesem öffentlichen Kräftemessen als Erster blinzeln würde.
Die Krise zwischen Israel und den Vereinigten Staaten, ausgelöst durch Netanjahus ostentative Weigerung, den Siedlungsbau im besetzten arabischen Ostjerusalem zu stoppen, während Washington sich um Wiederbelebung der erstarrten Friedensgespräche mit den Palästinensern bemühte, war eine entscheidende Krise. Wollte Präsident Obama seine Ambitionen für die Region nicht aufgeben, musste er sich hier durchsetzen.
Bei der Pattsituation zwischen Netanjahu und Obama 2009 war es der US-Präsident, der sozusagen zuerst blinzelte. In der zweiten Runde, im Frühjahr 2010, wartete die Regierung Netanjahu auf die Ankunft von US-Vizepräsident Joe Biden, um weitere Bautätigkeiten in Ostjerusalem anzukündigen. Anstatt einen neuen Ton in neuen Gesprächen anzuschlagen, erhielt der Vizepräsident einen Schlag ins Gesicht. Und Herr Netanjahu reiste nach Washington, um großtuerisch zu verkünden, Jerusalem sei keine Siedlung.
Obama kann und darf das nicht durchgehen lassen: Es geht um die Zukunft Israels und um die nationalen Interessen der USA. Von den Rechten der Palästinenser ganz zu schweigen.
Mag sein, dass die Chance, den israelisch-palästinensischen Konflikt auf friedlichem Wege zu lösen, vorüber ist. Dass eine Zweistaatenlösung – mit einem unabhängigen Palästina im Gebiet des Westjordanlands und Gazas mit Ostjerusalem als Hauptstadt – nicht mehr machbar ist, weil die israelische Siedlungspolitik die besetzten Gebiete inzwischen kantonisiert hat. Trotzdem gibt es keine logische politische Alternative. Denn wenn diese Möglichkeit ein für allemal vom Tisch ist, bleibt nur ein unberechenbarer Einzelstaat zwischen Jordan und Mittelmeer. Ein Staat mit zwei Klassen von Bürgern. Ein Staat, in dem der arabische Bevölkerungsanteil früher oder später den Juden zahlenmäßig überlegen sein und einen Anti-Apartheids-Kampf um Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit anzetteln wird. Wie die früheren Ministerpräsidenten Ehud Olmert und Ehud Barak (heute Verteidigungsminister) bemerkt haben, wird dies zum graduellen Verlust der hart erkämpften Legitimität Israels führen.
Die Art und Weise, in der die Regierung Netanjahu ihren Zangengriff um Ostjerusalem verstärkt und es vom Westjordanland abschneidet, ist nicht minder gefährlich. Die Stadt Jerusalem ist Juden, Christen und Muslimen heilig, und alle drei Religionen sind traditionell tief in ihr verwurzelt. Ein Konflikt, der sich auf der Basis einer Landverteilung regeln lassen sollte, ist auf dem besten Wege, sich in einen massiven Glaubenskrieg zu verwandeln.
Ändert sich daran nichts, wird es irgendwann keinem arabischen Staat und kaum einem muslimischen Staat mehr möglich sein, sich mit Israel auszusöhnen und dessen legitime nationale Rechte in Palästina anzuerkennen. Die Abkommen mit Ägypten und Jordanien, denen Israel einen kalten Frieden verdankt, werden praktisch hinfällig. Der Weg in die Zukunft, den die Arabische Liga und 57 Mitglieder der Organisation der Islamischen Konferenz vorgeschlagen haben – und den die Hamas mit dem Mekka-Abkommen von 2007 gebilligt hat – wird unwiderruflich blockiert. Schwer vorstellbar, wie all dies zu einer langfristigen Sicherheit Israels beitragen soll.
Aus amerikanischer Sicht durchkreuzt Benjamin Netanjahus gefährlicher Nationalismus zudem die Pläne, die Barack Obama für die Region im Auge hat: nämlich eine merkliche Entspannung der Beziehungen zwischen dem Westen und dem Islam. Hinzu kommt, dass das US-Militär inzwischen die Uneinsichtigkeit Israels mitverantwortlich macht für die Tatsache, dass im Irak, in Afghanistan und in Pakistan das Leben amerikanischer Staatsbürger aufs Spiel gesetzt wird. So jedenfalls die Schlussfolgerung eines Teams, das General David Petraeus, Kommandeur der US-Streitkräfte in der Region, durch den Nahen und Mittleren Osten sandte und das zu dem Fazit gelangte, die offenkundige Schwäche Washingtons gegenüber Israel mache die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten zunichte.
Dabei ist der israelisch-palästinensische Konflikt ganz offensichtlich nur ein Faktor. Nicht minder diskreditierend wirkt sich die Tatsache aus, dass die USA und der Westen quer durch die Region die „starken Männer“ unter den arabischen Machthaberm stützen, in der (weitgehend illusorischen) Annahme, dies würde zumindest kurzfristig Stabilität garantieren – das Hauptthema dieses Buches. Schon ein ernst gemeinter und überzeugender Versuch der Vereinigten Staaten, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen, würde die Spielregeln in der Region deutlich verändern.
Ein echter Frieden freilich könnte noch weit mehr bewegen. Selbst die Osloer Friedensverhandlungen der 1990er-Jahre, so mangelhaft sie waren, ließen die Zahl der Länder, mit denen Israel diplomatische Beziehungen pflegte, von 85 auf 161, das heißt fast das Doppelte ansteigen. Frieden würde die arabischen Despoten des Alibis berauben, das ihnen als Rechtfertigung für einen dauerhaften Ausnahmezustand und die Monopolisierung von Macht und Ressourcen dient.
Die Obama-Adminstration hat deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich der Sicherheit Israels bedingungslos verpflichtet sieht. Ebenso deutlich versucht sie nun klarzumachen, dass die fortgesetzte Errichtung von Siedlungen auf besetztem arabischen Land ein Sicherheitsrisiko darstellt – für Israel, für die Vereinigten Staaten und für die gesamte Region – und dass die Regierung Netanjahu Amerika nicht länger dazu benutzen kann, diese Politik fortzusetzen.
Im Juni 2010 verweigerten die USA ihr Veto im UN-Sicherheitsrat, um eine (milde) Verurteilung des israelischen Angriffs auf eine unter türkischer Flagge laufende Hilfsflotte für Gaza (die mit der Erschießung von neun türkischen Staatsbürgern endete) zu verhindern. Immerhin 29-mal hat Washington sein Veto eingelegt, um Israel vor einer Ächtung seiner Politk in den besetzten Gebieten zu schützen, und elfmal, um Kritik an Israels Vorgehen im Libanon abzuwehren. Allein die Vorstellung, die Vereinigten Staaten könnten ihr Verhalten im Sicherheitsrat ändern, entfacht jedes Mal eine politische Debatte in Israel, wo die Wähler seit jeher politische Führer abstrafen, die die hochwichtige Allianz mit den USA aufs Spiel setzen.
Doch während Obama sich zurückhält, entsteht ein gefährliches Vakuum. Dies ist einer der Gründe, warum die Türkei, die sowohl Nato-Mitglied ist als auch den Vorsitz in der Organisation der Islamischen Konferenz innehat, eine aktivistische Regionalpolitik verfolgt. Aus Sicht der Türken sind Israels aggressive Unnachgiebigkeit und der Stillstand hinsichtlich des iranischen Nuklearprogramms zwei potenziell tödliche Trigger. Daher die Bemühungen Ankaras, zwischen Israel und Syrien und zwischen Israel und den Palästinensern (inklusive der Hamas) zu vermitteln, sowie der Vorschlag der Türkei und Brasiliens im Mai 2010, den Iran dazu zu bewegen, sein schwachangereichertes Uran im Ausland zu lagern. Dieser scheiterte an einer von den USA angeführten vierten Runde von Sanktionen gegen den Iran im Sicherheitsrat im Juni. Doch die Rückgratlosigkeit der Vereinigten Staaten gegenüber Israel ist der regionalen Sicherheit gewiss nicht dienlich.
Wie Ehud Barak im April 2010 in Washington sagte, sind Amerika und Europa daran gewöhnt, von Atommächten umgeben zu sein. „Deshalb verändert aus ihrer Sicht [ein über Nuklearwaffen verfügender Iran] die weltpolitische Bühne nicht sonderlich stark.“ Für Israel dagegen sei es eine „wichtige Trendwende in der politischen Ordnung der gesamten Region“. Anschließend gab er zu bedenken, dass zwischen den Regierungen Obama und Netanjahu wesentliche Unterschiede bestünden – hinsichtlich Perspektive, hinsichtlich Beurteilung der Lage, hinsichtlich des Zeitrahmens und hinsichtlich Leistungsvermögen –, doch er „denke nicht, dass es nötig [sei], in dieser Hinsicht Koordinierungsmaßnahmen zu ergreifen; dies sollte klar sein“.
Die daraus mögliche Schlussfolgerung macht Gänsehaut. Israel scheint gewillt, militärisch gegen den Iran vorzugehen und eine Kette von Repressalien in Kauf zu nehmen, die sich von Ostafghanistan bis zur Straße von Hormus zieht, von der Westküste des Golfs bis hinein in den Irak und quer über die Levante, Israel natürlich inbegriffen. Doch die Frage, wie hinsichtlich des Iran zu verfahren sei, ist nur Teil eines explosiven regionalen Patts, ein Pulverfass, von dem es nicht so aussieht, als würde es lange dauern, bis es hochgeht – und zwar ganz unabhängig davon, was die Hauptakteure eigentlich erreichen wollen.
Wie bereits erwähnt, droht der sich verstärkende Zangengriff Israels auf die heilige Stadt Jerusalem einen Streit, der sich durch Landverteilung regeln ließe, eskalieren und in einen Glaubenskrieg ausarten zu lassen. Im Libanon und in Israel wird bereits offen über eine Neuauflage des Sommerkriegs von 2006 gesprochen, und dieses Mal in anderen Dimensionen. Die Iraker haben bei den letzten Wahlen erneut auf ihre Zukunft gesetzt, während die irakischen Führer offensichtlich noch nicht entschieden haben, ob es überhaupt eine gemeinsame Zukunft geben soll.
Ein durchschnittliches Jahr im Nahen und Mittleren Osten also? Vielleicht. Jedenfalls ein Jahr, in dem, nachdem die Wahl Barack Obamas in der gesamten Region so große Hoffnungen geweckt hatte, die Tatsache, dass rein gar nichts erreicht wurde, die ohnehin gereizte Stimmung noch weiter angeheizt hat.
David Gardner, im Juni 2010