Читать книгу Wertschätzende Organisationsentwicklung - David Schneider - Страница 47

SVEN OLE MÜLLER

Оглавление

Multipreneur, Autor und Ultra-Radrennfahrer

Hallo Sven-Ole! Du bist ja ein Mensch, der immer in Bewegung ist. Was hat dich in Bewegung und zu dem Punkt gebracht, an dem du heute bist?

SOM: Der Drang nach Bewegung war schon immer da. Früher habe ich viel gearbeitet, da hatte ich einen starken Antrieb. Ich muss mich für etwas interessieren, es muss mir ans Herz gehen, dann setze ich mich in Bewegung. Alle Führung, mit der ich zu tun hatte, lief dagegen immer auf Bestrafung oder Belohnung hinaus. Es musste aber auch anders funktionieren, wenn genau diese Systeme bei mir nicht ziehen und ich trotzdem sehr viel mache. In der Selbstreflektion habe ich mir die Frage gestellt: Wie kann das sein? Wenn man sich wirklich für etwas interessiert, dann vergeht die Zeit wie im Flug − das kennt jeder mit seinen persönlichen

Leidenschaften. Das funktioniert auch in Teams. Wenn alle zusammen ein Anliegen verfolgen, für das sie wirklich brennen, dann brauchst du keine Vorgaben und keinen Vorgesetzten. Solche Teams organisieren sich selbst nach Fähigkeiten. Einer hat die Fähigkeit, die „Führung“ zu übernehmen und die anderen wollen auch, dass er oder sie das tut. Das ist der Beitrag dieser Person. Aber sie muss auch so weit sein, in anderen Kontexten einer anderen Person zu folgen, die es da besser kann. Ich nenne das rotierende Führung nach Kompetenzen.

Beim „Race across America“ (RAAM) ist bei euch ein unglaublich tolles Team entstanden. Was hilft, um in Fahrt zu kommen und dann die Dinge am Laufen zu halten?


SOM: Die Teambildungsphase war ein Experiment. Es gab bei dem Rennen nichts zu gewinnen, nur zwei Holzbretter. Es hat aber eine Menge Geld und Zeit gekostet. Sowas macht man nur, wenn es allen gleichermaßen ans Herz geht. Am Anfang waren wir zu zweit. Dann haben wir über unsere persönlichen Kontakte Leute angesprochen und die haben es weitererzählt. Gleiche Leute kennen gleiche Leute, denn solch ein Vorhaben geht nicht mit jedem. Nach einem 10- bis 20-minütigem Gespräch wussten beide Seiten, ob das was wird. Das hat sich schnell herauskristallisiert. Dazu bedarf es keiner Zertifikate, Urkunden oder Assessment Center.

Beim Fahren in der Gruppe passiert viel Zwischenmenschliches. Es gibt da z.B. einen Ziehharmonika-Effekt. Wenn vorne einer bremst, dann bremst der nächste, dann der nächste. Vögel müssen das auch können. Wenn eine Gans müde wird, wechselt sie ans Ende der Formation und eine andere nimmt ihren Platz ein. Auch beim Fahrradfahren bietet die Formation Hilfe, Schutz und Zusammenhalt. Wir haben vielfältig trainiert, uns gegenseitig wahrzunehmen, Rennfahrer und Crew, da ist man irgendwann ganz eng miteinander verbunden und kann sich mit allen Sinnen spüren. Das geht leider wieder weg, wenn man nicht weitermacht.

Woran hast du festgemacht, wer ins Team passt?

SOM: Wir haben intuitiv gewusst: „Das passt.“ Das ist etwas ganz Natürliches, was wir in uns tragen. Es sind alle freiwillig gekommen. Es galt: „Vertrauen statt Verträge.“ Wir hatten lediglich ein Credo, das alle unterschrieben haben − Grundwerte, an die wir uns halten wollten. Wenn du die Mutigen haben willst, musst du die Sache etwas gefährlicher darstellen. Uns war auch wichtig, dass die Freiheit da war, ohne Sanktionen aussteigen zu können. Souveränität des Einzelnen hat eine zentrale Rolle gespielt. Die existiert immer dann, wenn ich etwas tun kann, wovon ich überzeugt bin, dass ich richtig gut darin bin. Das braucht nicht immer eine offizielle Qualifikation, man muss es nur können. Souverän zu sein strahlt so weit aus, dass einem die anderen die Aufgabe auch zutrauen. Daraus resultiert gegenseitiges Vertrauen. Der dritte wichtige Aspekt war Potenzialentfaltung − u.a. in den vielen Situationen, wo wir schnelle Entscheidungen treffen mussten. Aus Vertrauen und dem Ausblenden von Schuldsuche konnten wir eine großartige Fehlerkultur entwickeln − simpel evolutionär nach Versuch und Irrtum, dann im Anschluss evaluieren. Schuldzuschreibungen sind vertane Kraft und behindern Lösungen.

Wo findest du deine Inspiration? Welche Rolle spielt da Bewegung?

SOM: Meine Inspiration finde ich unterwegs in der Natur. In der Bewegung steckt die Lösung. Sobald ich dann im sogenannten Alpha-Zustand bin, kommen mir Ideen. Die diktiere ich direkt in eine App in mein Handy, sonst vergisst man das wieder.

Kommt es auch gemeinschaftlich in der Bewegung zu Ideen?

SOM: Das ist fast zwangsläufig. Zum Beispiel könnte ich dir von allen Teilnehmenden der letzten Ostsee-Tour das Innerste spiegeln. In der Bewegung fängst du an, dir Dinge zu erzählen, die du nie zur Sprache bringen würdest. Man ist in der Anstrengung verbunden und auch im Glücksgefühl, das dabei erreicht wird. Dieser Zustand schafft eine andere und schnellere Verbindung, als wenn du in einem Gruppenkreis zusammensitzt.

Was sind deine Zukunftsbilder für die Gemeinschaft?

SOM: Was ich jetzt neu als Projekt habe, ist dream-teams.org. Es geht um die Bildung von Dream Teams und wie man hierfür die richtigen Impulse setzen kann. Geld ist ein ganz schwieriges Thema und ein starker Faktor zugleich. Sobald Erfolgsdruck da ist, dass Geld verdient werden muss, funktioniert die Potenzialentfaltung nicht mehr. Da passiert viel im Unterbewusstsein, wir können uns nicht wehren. Unterbewusst werden die Gedanken so gelenkt, dass der Geldfluss erhalten bleibt. Je komplexer Strukturen sind, desto komplizierter wird es, etwas umzusetzen. In solchen Gemeinschaften ist der Druck enorm und der Handlungsspielraum gering. Es gibt aber einen Toleranzbereich mit einem sogenannten Optimum. Innerhalb dieses Rahmens kann man an die Grenzen gehen, um Leuchttürme zu schaffen. Danach findet man schnell Mitstreiter, die das unterstützen.

Leider ist der Ruf, nach der Corona-Krise alles wieder so zu machen wie vorher, lauter als ich erwartet hatte. Meine Hoffnung war, dass viele sagen: „Es gibt ja andere Möglichkeiten als das, wovon wir glauben, dass es immer so sein muss.“ Es gibt glücklicherweise Beispiele für die Besonderen in der Gesellschaft, die Veränderung vorantreiben. Unser Dream-Teams-Zentrum soll ein Aufmerksamkeitspool werden für Leuchttürme, die bereits eine andere Kultur im existierenden gesellschaftlichen Rahmen leben. Das sind High Performer, die keinen Stress bei ihrer Tätigkeit empfinden.

Für das RAAM wurde euch von Gerald Hüther empfohlen, kein konkretes Ziel zu setzen, sondern ein Anliegen zu formulieren, weil Gelingen besser ist als Erfolg, welcher nur ein Nebenprodukt sei.

SOM: Wenn wir diesen Prozess nicht durchgemacht hätten, hätten wir das nie verstanden. Du musst selbst durch eine Art magisches Tor gehen. Als wir beim RAAM Richtung Ziel kamen und der Sieg klar war, hatten wir keine Lust mehr. Wir wollten nicht, dass es aufhört. Wir haben 90 km vor dem Ziel angefangen rumzubummeln, weil wir wussten, gleich ist es vorbei. Was kommt danach? − Ein großes Loch, weil wir nur ein festes Ziel hatten. Ein Anliegen hatten wir leider nicht, das war uns in der Vorbereitung nicht so wichtig. Wir hingen noch in den Verhaltensmustern von Zielen, Noten, Zertifikaten, Abschlüssen und worauf wir sonst so konditioniert wurden. In der Aufarbeitung hat es sehr geholfen, das zu verstehen.

Vielen Dank, Sven Ole!

Wertschätzende Organisationsentwicklung

Подняться наверх