Читать книгу Wertschätzende Organisationsentwicklung - David Schneider - Страница 43
Wesentliche Bausteine
ОглавлениеVom Objekt zum Subjekt. Aus unserer Entwicklungshistorie heraus leben und arbeiten wir mehrheitlich in hierarchisch geprägten Systemen. Erfolg wird bevorzugt mit Einzelkämpfern, deren Vision und Durchsetzungskraft verbunden und dort auch honoriert. Der Fehler aber besteht darin, dass der Versuch befördert wird, seine eigenen Interessen auf Kosten anderer durchzusetzen. Ausnutzen durch Überreden mithilfe angedeuteter Belohnung oder Versprechung bzw. durch Sanktionsandrohung oder Anordnungen ist normalisierte Praxis. Im ergebnisorientierten Wirtschaftsdenken ist Erfolg mit dem Erreichen von Zielvorgaben, mit Abhängigkeiten und Bewertungen verknüpft. Die Mitarbeiter in einer Organisation fügen sich in ihre vorgegebenen Funktionen ein; sie werden zum Objekt der Zielerfüllung gemacht, zum Spielball anderer − oder sie machen sich in Selbstausbeutung selbst dazu (Hüther, 2019). Eine Potenzialentfaltung ist jedoch nur in selbstbestimmten Subjekten möglich.
Hirnforschung. In den letzten 30 Jahren haben sich die Erkenntnisse über die Hirnentwicklung substanziell weiterentwickelt. Die wesentlichen Erkenntnisse fasst Gerald Hüther so zusammen: Das Gehirn strukturiert sich anhand der gemachten Erfahrungen selbst (Hüther, 2019). Werden wiederholt ähnliche Erfahrungen gemacht oder antrainiert, entstehen im Hirn die „großen Autobahnen“ unserer Denkmuster und Prägungen; auch für unser Verhalten in Bezug auf negative Erfahrungen. Werden andere Bereiche nicht gefördert, bleiben diese unterentwickelt. Eine Plastizität des Gehirns ist jedoch lebenslang gegeben; also können neue Verschaltungen in jedem Alter durch neues Lernen oder andere positive Erfahrungen initiiert und die alten Autobahnen durch alternative Wege ergänzt werden.
Das erfolgreiche Umsetzen eines Bedürfnisses wird neuronal mit einem euphorischen Gefühl belohnt − es verstärkt innere Handlungsimpulse und erzeugt Lust, dort weiterzumachen, wo bereits etwas aus eigener Anstrengung gelungen ist. Eine selbstbestimmte Lösungsfindung als handelndes Subjekt erzeugt Begeisterung und Freude. Freigesetzte Botenstoffe regen den Ausbau der Nervenzellverknüpfungen an, in deren Folge wir immer schneller werden. Hüther (2018) bezeichnet Begeisterung als „Dünger für das Gehirn.“ Das Lernen erfolgt am besten durch Interaktion mit und Inspiration durch andere, weil sich hier viel mehr Varianten des Erkundens von Möglichkeiten und des Denkens ergeben.
Bedürfnis nach Kohärenz. Das Gehirn ist unser Organ, das die meiste Energie verbraucht − durch Lernen, Denken und Problemlösen. Eine Komplexitätsreduktion ermöglicht ihm, Energie einzusparen, z. B. durch Verdrängen, Ablenkung, Verleugnen, Weghören, letztlich durch Musterbildung zur Steuerung einer Vielzahl an Einzelaktivitäten. Wir bevorzugen die Nutzung bekannter Denk-Au-tobahnen, denn unsere inneren Einstellungen und Haltungen, unser Denken, Handeln, unser Selbstbild und unsere Umwelt sollen möglichst zueinander passen und wenig Energie für die Erlangung dieser bestmöglichen Passfähigkeit, also von Kohärenz, einfordern. Werden Veränderungen oder komplexe Aufgaben, Vorgaben und Anordnungen an uns herangetragen und sie passen nicht zum bisherigen Kohärenzgefühl, kostet der Umgang damit viel Energie und stresst. Das Hirn sucht nach einem neuen Kohärenzgefühl. Das kann durch Abwehr und Widerstand gegen Veränderung mit Festhalten am Alten, durch ein Sich-Fügen in die Veränderung, oder − und das entspricht unserem Selbstverwirklichungsdrang am besten − durch aktive Mitgestaltung und dem eigenen Wiederfinden in der anstehenden Veränderung hergestellt werden.
Würde. Als soziale Wesen wollen wir dazugehören: zu einer Gemeinschaft, einer Bewegung, einer Idee, einer Vision. Weiterhin wollen wir die eigene Selbstwirksamkeit im autonomen Handeln erfahren. Wir wollen Gestalter des eigenen Lebens sein. Erst wenn wir für etwas brennen, laufen wir zur Höchstform auf. Im Arbeitsalltag aber wird häufig eines oder beide der Grundbedürfnisse verletzt. Wir werden zu Objekten für Funktions- und Zielerfüllung gemacht − und auf diese Weise in unserer Würde verletzt (Hüther, 2019).
Gemeinsames Anliegen. Alle Teammitglieder sollten sich einem gemeinsamen Anliegen verschreiben, das deutlich größer ist als ein Projektziel und vielleicht auch größer als die Firmen-Vision. Dieses Anliegen ist im Grunde unerreichbar, bündelt aber gemeinsame Werte und Vorstellungen der Beteiligten. Dessen kollektives Verfolgen beflügelt die Teammitglieder beim Voranschreiten von Projektziel zu Projektziel und regt an, deutlich kreativer, anders und weiter zu denken, als es für die bloße Zielerreichung notwendig wäre. Außerdem schützt es vor einer Leere, die entstehen kann, wenn wir unsere großen Ziele und Visionen erreichen (Hüther, 2018).
Gemeinsame Anliegen könnten sein: „Menschen sollen durch Spaß und Spannung zum lebenslangen Lernen finden.“ − Betreiber Online-Lernplattform. „Der Alltag wird in jedem Alter mit unseren hochwertigen, einfach zu bedienenden Hilfsmitteln selbstbestimmt und lebenswert bleiben.“ − Hersteller technischer Produkte für Senioren.
Gemeinschaft. Findet sich ein Team, besteht immer die Gefahr, dass sich die anfängliche Euphorie mit wachsenden Aufgaben und Konflikten neutralisiert. Deshalb ist es notwendig, sich in der Gruppe immer wieder gegenseitig zu ermutigen, sich mit der Idee zu identifizieren, ins Tun und in die eigene Kraft zu kommen. Das ist bedeutend mehr als die bloße Teilnahme am Vorhaben, das einfache Zusammensuchen vorhandener Informationen und das Herstellen einer Passfähigkeit zu den eigenen Erwartungen. Es ist das „Was will ich?“ als inneres Anliegen und das vorbehaltlose Sich-Öffnen für Neuland. Es gilt, für sich persönlich und im Team einen Weg zu finden, sich ständig an neuen Aufgaben zu begeistern und die Entdeckerkultur zu bewahren − um letztlich als richtige Entscheidung für sich zu treffen, die ganze Zeit in der Unternehmung dabeizubleiben. Mit gegenseitigem Vertrauen und Inspiration, in persönlicher Freiheit und aus der Souveränität der Gruppe heraus erwächst dann das Potenzial jedes Einzelnen und es entstehen in der Gruppe völlig neue und unerwartete Dinge.
Wir brauchen die Interaktion mit anderen Menschen, um über Versuch und Irrtum, also über eigene Erfahrungen, zu dem zu werden, was uns als Person ausmacht.