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THOMAS ENGEL

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Principal Key Expert Research Scientist bei Siemens und Inhaber der Innovationsberatung ennovare

Hallo Thomas! Was macht deine Arbeit bedeutsam?

TE: Ich habe keine Grenzen. Ich darf eigentlich sowohl in meiner eigenen Firma wie auch bei Siemens extrem frei arbeiten. Das heißt, wenn mir neue Ideen kommen, ich etwas besser machen will, kann ich es ausprobieren und umsetzen. Ich muss das auch nicht wirklich abstimmen. Ich glaube, das sind die beiden Sachen, die bei Menschen meistens ziehen: etwas machen dürfen, was einem Spaß macht und bei dem man auch dahintersteht. Ein Selbstläufer wird es, wenn man dann auch dafür wertgeschätzt wird durch das, was über andere zurückkommt.

Du bist einerseits Experte aber auch Prozessberater. Kann man Expertenwissen mit Prozessberatung gut verknüpfen?

TE: Wenn man Beratung macht, muss man den Experten stark im Zaum halten. Gute Fragen sind immer gut. Aber man darf − wenn überhaupt − nicht zu früh mit einer Lösung kommen. Mir hilft mein Wissen meistens aber, um „provokante“ Thesen oder unbequeme Fragestellungen in den Raum zu werfen. Man muss aufpassen, dass man anderen nichts überstülpt. Da gibt es immer ein bisschen die Gefahr, dass vorgestellte Lösungen zu vorschnell adaptiert werden. Gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit hilft es, weit über den Tellerrand blicken zu können. Manchmal geht es aber auch darum, den Leuten bei Detail-Problemen zu helfen, bei denen der Experte dann wieder hilft.

Eine herrschende These, die am MIT unterrichtet wird, ist, dass man in der Komplexität eigentlich keine Lösungen anbieten kann, sondern nur einen Lösungsprozess. Spielt das Thema Komplexität in deiner Beratungstätigkeit eine Rolle?

TE: Ich möchte nicht „das Orakel“ sein: Man ruft an, schildert ein Problem und es kommt die Antwort und dann die Rechnung. Ich glaube, das bekommt man nicht hin, weil die Probleme und Fragestellungen zu divers sind. Der Kunde erzählt ja sowieso nur das, was er selbst vom Problem sieht. Liebend gerne möchte ich die Komplexität des Themas verstehen. Aber das ist erst möglich, wenn man vor Ort ist und die Themen mit eigenen Augen und Ohren erfassen kann. Von daher ist Komplexität ein Problem. Die Kunden kommen nicht mit einfachen Fragen. Sie kommen oft erst, wenn aus vielschichtigen Fragen ein Problem geworden ist. Das heißt also, die Komplexität beherrscht das Feld. Meine Leistung ist meist, den Leuten entsprechende Fragen zu stellen, um gemeinsam anhand dieser Fragen in Richtung der Antwort zu gehen. Es ist wirklich eher das Prozessuale, was du angesprochen hast. Einstein hat einen sehr schönen Satz geprägt, und den finde ich auch sehr wahr: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Das beschreibt ja auch dieses Über-den-Tellerrand-Denken, es braucht eine zusätzliche Dimension.


Fällt dir ein praktisches Beispiel aus deiner Arbeitswelt ein, das den Gedanken visualisieren kann?

TE: Da ging es mal um ein Drehgelenk mit einer pneumatisch betriebenen Rasteinheit zum Feststellen. Da waren die Ausfall- und Rücklaufquoten sehr hoch. Das ist für einen Fertigungsleiter eine Vollkatastrophe. Das Problem lag in der Dichtungsmembran. Ein junger Mitarbeiter bekam die Aufgabe mit dem Hinweis: Die Membran muss nicht dicht sein, um seine Funktion zu erfüllen. Dann hat er schließlich eine sehr clevere Idee gehabt: eine variable Membran zu nutzen. Die Aussage „nicht dicht“ war genau der Freiheitsgrad, den die Lösung brauchte: Dieses Wegnehmen der Zwangsbedingung „dicht“ hat den Lösungsraum verändert. Da ist die Aufgabe einer Führungskraft oder eines Beraters, zu hinterfragen: Ist es genau dieses Thema oder diese Anforderung oder kann man mit einer leicht anderen Beschreibungs- oder Sichtweise neue Lösungsräume eröffnen?

Worauf bist du in Bezug auf deine Arbeit besonders stolz?

TE: Dass wir es geschafft haben, an vielen Stellen in diversen Konstellationen mit Kollegen ein sehr vertrauensvolles Team aufzubauen, in dem man miteinander arbeitet und dann, egal wie groß die Fragestellung ist, eine vergleichsweise einfache Lösung findet. Einfache Lösungen sind ja die komplizierten. Stolz machen die Dinge, die uns einen richtigen Schritt vorwärtsbringen oder, wenn mal eine Lösung erfolgreich komplett anders angegangen wird. Es ist spannend, wenn man neue Dinge ausprobiert. Und wenn das dann auch noch aufgeht, das macht Spaß und gibt dem Team zusätzliche Motivation. Das ist dann der Wert der Arbeit. Dann wollen alle dabei gewesen sein.

Was möchtest du aus der Zeit der Corona-Krise gerne mit in die Zukunft nehmen?

TE: Ich glaube, da steckt jetzt eine große Chance drin, dem Homeoffice einen tatsächlichen Sinn und auch ein paar Regeln zu geben. Es braucht die Regeln, damit die Leute trotz des räumlichen Abstands produktiv zusammenarbeiten. Es muss zum Beispiel einen Tag geben, an dem alle im Büro sind. Eine zweite Regel kann sein: Du schaust jeden Tag vor neun Uhr in deine E-Mails. Corona war zumindest mal der Start-Impuls, dass wir anfangen, ernsthaft darüber nachzudenken. Ich sehe eine Riesenchance da drin, dass wir unsere persönlichen Freiheiten erkennen können und leben sollten, um letzten Endes mit dieser gelebten Freiheit auch bessere Lösungen im Arbeiten zu schaffen und dabei sogar effizienter zu sein. Mein größter Wunsch ist, dass wir anders miteinander arbeiten. Wir müssen nicht härter arbeiten, sondern schlauer. Und ich glaube, dass Corona uns dazu bringt, die Augen dafür zu öffnen, wie es anders geht. Es wird ein anderes Wertemodell der Führungskräfte brauchen. Sinnhaftigkeit und Bedeutung der Arbeitsinhalte werden zentrale Aspekte moderner Führungskultur. Wir können so zu einem anderen Verständnis von Freiheit, Flexibilität und Eigenverantwortung kommen − für Mitarbeiter und Führungskräfte. Die Frage am Ende eines Arbeitstages sollte immer lauten: Bin ich mit dem, was ich heute geleistet und gelernt habe, zufrieden? Das ist vielleicht sogar mehr wert, als zu sagen: Ich habe meine sieben Stunden oder acht Stunden abgearbeitet. Eine dringende Aufgabe wird zudem sein, die Arbeit so zu verändern, dass eine authentische und keine künstliche Nähe entsteht: echte Empathie, die über Wertschätzung und gelebte Augenhöhe vermittelt wird. Bereichernd ist eine offene Interaktion auch mit Spontanität.

Danke, Thomas!

Wertschätzende Organisationsentwicklung

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