Читать книгу Legend of the Five Rings: Fluch der Ehre - David Annandale - Страница 10
Kapitel Vier
ОглавлениеDer Schnee fiel immer noch, aber der Mond brach hinter den Wolken hervor. Das Licht, das er über die Senke zwischen den Bergen warf, war kalt wie Eis. Haru und Ishiko standen an einem Abhang, der zu einem spindeldürren Felskamm hinabführte. Granitene Felsnadeln ragten in scharfen Zacken daraus hervor. Es wirkte wie das Skelett eines riesigen Tieres, das hier verendet war. Zu beiden Seiten ging es steil hinab und der Grund der Senke war nicht zu sehen. Der Felskamm wand sich darüber bis zum Tor einer Stadt. Der Wachturm ragte auf, als sei er zwischen den Felsen durchgebrochen und hätte sie zur Seite gedrängt. Der Granit bildete um ihn herum Formationen, die an lederne Schwingen erinnerten.
Die Stadt hinter dem Tor war als Umrisse aus Licht und Schatten zu erkennen. In ihrer Mitte stand ein riesiger Turm, der auf die Umgebung hinabsah wie ein eifersüchtiger und unheilvoller Herrscher.
Es schneite nicht mehr so stark wie auf dem Pass. Große Flocken fielen langsam und stetig und landeten mit einem kaum hörbaren Klirren. Beim Aufprall zerfielen sie in winzige Kristalle. Haru zuckte zusammen, als eine davon sein Gesicht traf, und erwartete, dass sie ihm in die Haut schnitt. Aber er fühlte nur Schnee auf der Haut, der dann zu Wasser schmolz, das ihm über die Wange rann, als wollte es ihn verspotten.
Haru rieb sich die Augen, um wieder klar sehen zu können. Er hatte Schwierigkeiten, die Stadt anzusehen. Der Schnee lag auf seltsame Art und Weise auf Dächern und Wänden. Er wirkte wie ein Leichentuch, aber manchmal schien er auch beinahe zu fließen wie eine Flüssigkeit. Alles wirkte verzerrt und verwirrte die Augen. Auch die Umrisse der Häuser waren falsch. Die Konturen waren schwer auszumachen. Was Haru da sah, erinnerte ihn an verzerrte Spiegelbilder in einem bewegten Teich. Was gerade Linien hätten sein sollen, wand sich. Sogar der Wachturm, den er etwas deutlicher sehen konnte, widersetzte sich seinem Blick. Ihm tränten die Augen. Aber selbst wenn er sie sich rieb, blieb das Bild verschwommen. Lag dieses Fenster dort halb in der Dunkelheit verborgen? Oder befand sich die Öffnung an zwei Orten gleichzeitig, die einander überlappten, aber ein klein wenig verschoben waren?
Er schüttelte den Kopf, um die Illusion abzuschütteln.
»Dies ist ein düsterer Ort«, sagte Ishiko.
»Das stimmt.« Alles um Haru herum beunruhigte ihn. Dennoch widerstand er dem Impuls, den sofortigen Rückzug zu befehlen. »Wir haben aber nicht die Schattenlande betreten«, sagte er. »Der Wall ist weiter südlich, hinter diesen Gipfeln dort.«
»Ja. Dafür sind wir nicht weit genug gegangen.« Ishiko klang nicht sehr erleichtert. »Trotzdem weiß ich nicht, wo wir sind.«
»Ich auch nicht. Von dieser Stadt habe ich nie etwas gehört.« Eine Entdeckung. Trotz seiner Besorgnis war er aufgeregt. Wie die Sonne stieg die Hoffnung vor ihm auf, sich beweisen zu können. Im Vergleich zu dem, was er entdeckt hatte, kamen ihm seine Verluste wie ein kleines Opfer vor. Sollte dies ein Außenposten der Schattenlande nördlich des Walls sein, dann war dies die wichtigste Nacht seines Lebens. Und selbst wenn die Stadt etwas weniger Tödliches darstellte, war ihre Entdeckung fast ebenso bedeutend.
Die Berge umgaben die Stadt wie die Finger einer Klauenhand. Soweit Haru es erkennen konnte, gab es nur einen Weg hinein: über den schmalen Felskamm. »Das könnte schon seit Jahrhunderten hier versteckt sein«, sagte er. »Wir sind nur durch Zufall auf diese Höhle gestoßen. Und anders kann niemand hierhergelangen.«
Falls Ishiko in irgendeiner Weise aufgeregt über ihre Entdeckung war, verbarg sie es gut. »Vielleicht sind wir nicht in den Schattenlanden«, sagte sie, »aber ich fühle ihren Einfluss hier. Dieses Tal ist gefährlich.«
Die Gebäude verschwammen immer noch vor Harus Augen. Es war wie die Bilder in einem Traum, kurz bevor man aufwacht oder in traumlosen Tiefschlaf fällt. Ishiko war zu Recht beunruhigt. Er selbst war beunruhigt. »Wir müssen vorsichtig sein.«
»Wobei, Leutnant Haru?«
»Wir gehen bis zu den Wachhäusern, nicht weiter, fürs Erste.«
»Was bezwecken wir damit?« Ishiko sprach sehr leise, vermutlich, weil es sie so viel Mühe kostete, ihren Tonfall respektvoll zu halten.
»Wir müssen der Burg der Morgenröte berichten, was wir gefunden haben. Dazu bringen wir irgendein Artefakt mit. Ihr und ich wissen nicht, was das hier für ein Ort ist, aber jemand anders vielleicht. Wir müssen es demjenigen ermöglichen, diese Stadt zu identifizieren, wenn wir herausfinden wollen, was sie ist und wie die Familie Kakeguchi reagieren soll.«
Er würde etwas finden, irgendetwas, was er mitbringen konnte, solange es seine Schutzbefohlenen nicht in Gefahr brachte oder ein Risiko für die Burg der Morgenröte bedeutete. Er würde ihnen zeigen, was hier war, und warum es so wichtig war, dass er zurückkehrte.
Mit gezückten Schwertern gingen Haru und Ishiko den Abhang hinunter Richtung Felskamm. Dieser war uneben, zerklüftet und rutschig. Auch wenn der Wind nachgelassen hatte, zerrten die gelegentlichen Böen an Harus Gleichgewicht. Zwischen den Felsnadeln war er ihnen ausgeliefert. Wenn er sich zu heftig dagegenstemmte, riskierte er leicht, hinunterzufallen, sobald sie nachließen. Und der Fall würde sein Schicksal besiegeln. Also ging Haru sehr vorsichtig, setzte ganz bedacht einen Fuß vor den anderen und achtete auf Eisflächen.
Etwa auf halbem Weg mussten sie einen winzigen, gekrümmten Vorsprung um einen Felsen herum bewältigen. Der Wind pfiff und zerrte an ihnen und flüsterte vom Fall in die Tiefe. Zu allen drei Seiten ging es steil abwärts, während Haru sich um die Ecke zwängte. Und der Abgrund war hungrig. Voller Neugier zupfte der Wind an Haru. Wenn er nur ein einziges Mal ausrutschte, würde ihn die Schwärze in ihre Arme ziehen. Der Abgrund würde ihn verschlucken, aber sein Hunger wäre damit nicht gestillt. Das wäre er nie.
Endlich umrundeten Haru und Ishiko die letzte Kurve der Felsbrücke und die Stadtmauer mit dem Tor darin kam wieder in Sicht. Riesig ragte sie vor ihnen auf und verbarg die Stadt hinter sich. Doch immer noch erschien sie Haru wie ein Traum. Er fühlte sich, als nähere er sich einem Trugbild, das sich aber nicht auflöste und das er berühren konnte. Er streckte die Hand nach dem Tor aus und erwartete fast, dass sie einfach hindurchgleiten würde. Stattdessen berührte er kalten Stahl.
Die Torflügel waren nicht vollständig geschlossen. Der schmale Spalt dazwischen war gerade groß genug für Haru, falls er sich hindurchzwängen wollte. Er sah hindurch auf die Stadt, die dahinter wartete, graue Schemen, die vom Schnee verschleiert und wieder freigegeben wurden. Das hier hätte er eigentlich gar nicht sehen sollen. Die Stadt zeigte und verhüllte sich gleichzeitig, als wäre die Nacht ein Nebel, Wolken aus Dunkelheit, die von den geisterhaften Dächern zerrissen wurden.
Es wäre so leicht, die Schwelle zu überschreiten und die Stadt zu betreten.
So leicht, der Versuchung nachzugeben. Ein winziger Schritt zu einem weiteren Fehler, einer weiteren Niederlage. Geh nicht ohne eine Kompanie von Samurai dort hinein.
Er wartete, forderte den Wind heraus, wieder das Wispern, das nicht sein Name war, zu ihm zu tragen, forderte die Stadt heraus, ihn zu rufen.
Im Wind vernahm er nur Stille. Wenn er der Versuchung nachgab, dann durch sein eigenes Verschulden.
Haru trat von der Schwelle zurück, wandte sich von der Stadt ab und ging zum Wachturm zu seiner Linken. Seltsamerweise verfügte der sechs Meter hohe Turm über eine kleine Tür an der Außenseite der Mauer, wie eine Einladung. Während Haru darauf zuging, hatte er Schwierigkeiten, seinen Blick zu fokussieren. Jetzt erkannte er auch die Schnitzereien, die die Tür zierten und sich auf Rahmen und Mauerwerk fortsetzten. Ihm drehte sich der Magen um. Haru hob eine Hand an die Kehle und spürte die beruhigende Präsenz des Jadestäbchens, das er als Schutz vor dem Einfluss der Schattenlande trug. Ishiko und er befanden sich jetzt auf unreinem Boden. Haru unterdrückte den Ekel, fest entschlossen, sich von den feindlichen Reliefs nicht unterkriegen zu lassen. Er wandte den Blick nicht ab und verstand endlich, warum er doppelt sah. Das Muster war detailreich und trügerisch. Es täuschte das Auge und verwirrte den Verstand. Es wand sich in angedeuteten Schuppen, aber Haru sah keine Schlange. Dazu waren die ineinander verschlungenen Lagen zu fein und verworren. Als er genauer hinsah, wirkte das, was er zunächst für Schuppen gehalten hatte, eher wie Zähne.
»Erkennt Ihr diese Bilder?«, fragte er Ishiko.
»Nein, ich kenne sie nicht. Aber sie bedeuten nichts Gutes, denke ich.«
»Sehe ich auch so.«
Er drückte die Klinke. Die Tür ging auf. Die Räume im Erdgeschoss waren leer. Ishiko und er gingen die Treppe des Turms hinauf. Auch im oberen Stockwerk fanden sie nicht viel, einige Kissen und einen niedrigen Tisch in den inneren Räumen. Der Boden war wieder mit dem verschlungenen Muster verziert. Es sah überall anders aus. Haru hatte noch nicht gesehen, dass es sich wiederholte, auch wenn es von Tür zu Tür, Wand zu Wand eindeutig als zusammengehörig erkennbar war.
»Etwas stimmt hier nicht«, bemerkte Ishiko.
»Wie meint Ihr das?«
»Spürt Ihr es nicht, Leutnant Haru? Als würde man uns täuschen.«
»Doch«, sagte Haru nach einem Augenblick, »ich spüre es auch.«
Sie befanden sich im Wachposten, der die Brücke überblickte. Mit seinem Kampfhandschuh strich Haru über das Mauerwerk. Die Kanten waren von Regen und Wind abgeschliffen worden und das Holz des Wehrgangs war stark verwittert. Der Turm stand schon sehr lange hier. Und doch wurde Haru das Gefühl nicht los, dass alles nur Schein war, als hätte jemand den Turm nur für sie gebaut. Dann war da noch das Problem, dass alles so verlassen war. Der Wachturm schien vollkommen leer zu sein, als hätten ihn die Wachen vor so langer Zeit verlassen, dass nicht einmal mehr Erinnerungen zurückgeblieben waren. Oder vielleicht waren auch nie welche hier gewesen. Und obwohl der Turm Alterungserscheinungen zeigte und die Witterung an ihm genagt hatte, wirkte er stabil. Er war keine Ruine, er würde ewig stehen.
Immer noch verwirrte das Muster der Verzierungen Harus Sinne. Zumindest glaubte er, dass es das Muster war. Wenn er nicht sehr konzentriert das betrachtete, was vor ihm lag, verschob sich der Turm wieder in zwei Bilder, als würde er schielen. Selbst jetzt, da er im Inneren des Turms stand, versuchte er, auf zwei Ebenen gleichzeitig zu existieren.
»Ist das eine Illusion?«
»Das ist unmöglich, Leutnant Haru«, erwiderte Ishiko.
Haru hatte nicht gemerkt, dass er laut gesprochen hatte. »Stimmt«, sagte er. »Dies ist die Wirklichkeit. Der Gedanke, dass es eine Illusion sein könnte, ist die Lüge. Dies ist echt.« Er schlug mit der Faust gegen eine Wand. Das Klopfen klang klar und deutlich und seltsam laut. Sein Echo hallte durch die Stadt.
Wie erstarrt blieben Ishiko und Haru stehen und sahen einander an. Bisher hatten sie zwar auch nicht darauf geachtet, leise zu sein, während sie den Turm erkundet hatten, aber alle Geräusche hatten gedämpft geklungen, von Windböen und fallendem Schnee eingeschlossen. Das Klopfen seiner Faust hatte zu sehr an das Läuten einer Glocke erinnert.
»Wir sollten nicht hier sein, Leutnant Haru«, stellte Ishiko fest.
»Nein«, stimmte er zu, »sollten wir nicht.«
Klugheit, nicht Feigheit drängte ihn zum Rückzug. Doch er hatte noch immer nicht gefunden, wonach er suchte.
»Eine Runde«, beschloss er. »Wir gehen einmal um den Turm herum, dann verschwinden wir.«
Und wenn du dann immer noch nichts findest? Durchsucht ihr dann auch noch den anderen Turm?
Das entscheide ich, wenn es so weit ist.
Auf der anderen Seite des Turms blieb er stehen und betrachtete die Stadt in ihrem nächtlichen Wolkenkleid. Die Dunkelheit schien wie Nebel durch die Straßen zu wabern. Vielleicht bildete er sich das nur ein. Vielleicht sah er nur den fallenden Schnee. Vielleicht, vielleicht. Die unmögliche Stadt flackerte vor seinen Augen und die Schneeflocken fielen und fielen, wie Asche, und zerbarsten mit gläsernem Klirren.
Du musst weg. Du musst weg.
Ja.
Er war jetzt bereit, von hier zu verschwinden. Wenn er noch länger blieb, wusste er nicht, ob er der Versuchung widerstehen könnte, tiefer in die Stadt einzudringen. Doch das wäre Wahnsinn.
Wir sind nur zu zweit. Wir werden zurückkommen. Wenn mir niemand glaubt, ist Ishiko meine Zeugin.
Sein Mund wurde trocken.
Und wenn ihr etwas passiert?
Das war leicht möglich. So viel war schon schiefgelaufen. Was, wenn die einzige Zeugin starb, bevor sie Morgenröte erreichten? Wer würde ihm dann noch glauben?
Wir müssen weg von hier.
Ob diese Stadt nun ein Ausläufer der Schattenlande war oder nicht, sie war gefährlich.
Was ist schlimmer? Wenn einem keiner glaubt oder zu wissen, dass man etwas Dummes getan hat?
Lieber dumm dastehen, als dumm sein.
»Lasst uns gehen.« Er drehte sich zur Treppe um.
»Was ist das?« Ishiko zeigte in eine Ecke.
Dort baumelte ein heller Anhänger an einer Kette von der Decke.
Wie konnte mir der entgehen? Er war sicher, der war vor einem Moment noch nicht dort gewesen. Er drehte sich im Wind und klirrte und klimperte, als Schneeflocken sich an ihm brachen. Haru näherte sich dieser Ecke des Wehrgangs. Der Anhänger hing an einem Haken von einer der Dachrinnen. Dort war er mit bloßen Händen nicht zu erreichen. Haru zog sein Katana und schaffte es, die Spitze durch die Kette zu schieben. So konnte er den Talisman lösen und er rutschte über die Klinge zu ihm herab.
Er untersuchte seine Beute.
Es war ein Stäbchen aus weißer Jade. Eine vereinfachte Version des Spiralmusters, das die Stadt zierte, war auf einer Seite eingraviert worden. Das Auge wurde sofort davon angezogen, aber im Gegensatz zu den anderen Mustern wirkte es nicht abstoßend. Haru hielt es Ishiko hin.
»Weiße Jade?«, fragte sie.
»Ja.« Er fasste den Talisman behutsam an, aber das Material verlieh ihm neuen Mut. Dies war ein Schutz vor bösen Kräften, und zwar ein mächtiger. »Vielleicht war dies das Muster, bevor die Stadt korrumpiert wurde«, überlegte er.
»Und der letzte gefallene Krieger hat den Anhänger zurückgelassen«, spekulierte Ishiko weiter.
»Sind wir uns einig, dass wir ihn mit zu Junji nehmen, damit er ihn untersuchen kann?« Der Mönch wusste vielleicht, was die Gravur bedeutete, oder zumindest, wie man es herausfinden konnte.
Ishiko betrachtete den Anhänger einen Moment lang genau, dann nickte sie. »Weiße Jade. Es ist richtig, etwas so Heiliges von diesem Ort zu entfernen.«
»Ganz genau«, bestätigte Haru. »Ich glaube nicht, dass wir eine Wahl haben. Was wir hier gefunden haben, kann man nicht ignorieren. Wir gehen, aber wir müssen hierher zurückkehren. Selbst wenn die Geheimnisse uns geradezu einzuladen scheinen, selbst wenn es sich um eine Falle handelt. Ganz besonders, wenn es sich um eine Falle handelt, sollten wir alles genau untersuchen.«
Noch einmal drehte er sich zu dem riesigen Turm in der Mitte der Stadt um. Dieser starrte zurück, gebieterisch, herausfordernd. Er befahl ihm, seine Geheimnisse zu erforschen.
Und jetzt konnte Haru auch sicherstellen, dass er mit Verstärkung zurückkehren würde.
Ich werde dich besiegen. Das schwöre ich.
Sie gingen die Treppe des Turms wieder nach unten und begaben sich zurück auf den Felskamm. Erneut wurde der Wind stärker, stieß sie von hinten an, ein fieser Abschiedsgruß aus dem Tal des kalten Lichts und der fließenden Dunkelheit. Die Kälte brannte wie offenes Feuer. Der Schnee prasselte auf ihre Helme und Rüstungen ein. Während Haru mit Ishiko den Windungen des Felskamms folgte, peitschten ihm die Flocken aus gebrochenem Glas ins Gesicht und zerkratzten es.
Der Zorn des Windes schwoll an. Sobald sie eine offene Stelle erreichten, versuchte er, Haru von den Füßen zu reißen und den Berg hinunterzuschleudern. Er wehrte sich und verzog das Gesicht zu einer Maske der Anstrengung und gleichzeitig zu einem triumphalen Grinsen. Sobald sie den Felskamm hinter sich gelassen hatten und wieder den Abhang zurück zum Tunnel hinaufstiegen, erschütterte das Wutgeheul des Windes das ganze Tal.
Wir entkommen dir. Das passt dir nicht.
Am Tunneleingang wuchs das Heulen zu einem schrillen, ohrenbetäubenden Kreischen an. Haru konnte das Knirschen der eigenen Schritte im Schnee nicht mehr vernehmen. Blut strömte ihm über das Gesicht und in die Augen. Halb blind stolperte er in den Durchgang und tastete sich voran, während Ishiko sich bemühte, die Laterne wieder zu entzünden.
Der Wind war die Stimme der Stadt, dachte er, und er war erzürnt, weil sie ihr widerstanden hatten.
Hier sind wir außerhalb deiner Reichweite, da kannst du wüten, soviel du willst. Dein Ärger jetzt ist nichts im Vergleich zu dem, den ich dir bereiten werde, wenn ich zurückkehre.
Sobald sie die erste Biegung des Tunnels hinter sich hatten, ließ der Wind nach. Er war besiegt. Bald war er wieder nur ein gelegentlicher Atemzug. Es wurde wärmer.
Das weiße Jadestäbchen hielt Haru fest umklammert, während sie langsam Richtung Osten und aufwärts wanderten, zurück zur Karawane. Seine Bedeutungsschwere schien ihm mehr Gewicht zu verleihen, als es eigentlich haben dürfte. Er hatte etwas entdeckt, um das er sich kümmern musste, und konnte sogar einen möglichen Hinweis darauf vorlegen, wie man an die Stadt herangehen sollte. Schon viel zu lange hatte er nichts mehr von echtem Wert für die Familie getan.
Diese Nacht kann doch kein Zufall gewesen sein. Sie war Schicksal. Dies ist meine Bestimmung. Endlich erfüllt sie sich. So werde ich der, der ich sein muss.
So würde er sich würdig erweisen, eines Tages der Daimyo der Burg der Morgenröte zu werden.
Der nächste Windstoß kam ihm schwach vor, beinahe warm. Und als Haru wieder die Höhle betrat, in der die Kaufleute kauerten, schwitzte er. Die Arbeiten am Eingang kamen viel schneller voran, als er gehofft hatte. Schon bald wäre die Karawane wieder frei, da war er sich sicher. Das Unwetter würde sich verziehen und im Morgengrauen würde er sie weiterführen.
All das war sicher. Daran gab es keinen Zweifel. Es war Schicksal.
Je eher die Karawane weiterzog, desto eher konnte er zurückkehren.