Читать книгу Athanor 3: Die letzte Bastion - David Falk - Страница 5
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ОглавлениеOrkzahn grunzte zufrieden in seinen verfilzten Bart. Reglos lagen die Gegner vor ihm im alten Laub. Das Blut der Orks leuchtete so rot wie die Kappen der Pilze, die vom nahenden Herbst kündeten. Der Anblick erinnerte ihn an eine Zeit, die seltsam fern schien, obgleich sie erst einige Monde zurücklag. Er war ein Sklave gewesen, ein Knecht seiner eigenen Angst. Wie ein Ochse hatte er sich unter das Joch der Elfen gebeugt und die Drecksarbeit für sie verrichtet. Alle Trolle hatten es getan. Wäre Athanor nicht gewesen, würde er noch heute vor diesen Schwächlingen kriechen.
Knurrend wischte er das Blut von der klaffenden Wunde in seinem Schenkel. Die Axt eines Orks hatte die zähe Haut gespalten, doch der Muskel darunter schien unversehrt. Er würde ein paar Jagdkäfer von einer Eiche pflücken und den Spalt mit ihren Zangen zusammenkneifen. Die dummen Biester bissen in alles, was fressbar roch. Hingen sie erst einmal fest, musste er sie nur noch töten, indem er ihnen den Rumpf vom Kopf brach. Orkzahn grinste. Im Grunde ähnelten sie den Orks.
Er schulterte seine Keule, packte einen der Orks beim Knöchel und schleifte ihn achtlos hinter sich her. Die anderen ließ er für die Aasfresser zurück. Sie würden ihm doch nur verderben, und es mangelte nicht an Nachschub. Hier im Grenzland zwischen den Trollhügeln und dem einstigen Menschenreich Theroia stieß er in letzter Zeit immer öfter auf Orks. Seit ihnen durch die Untoten keine Gefahr mehr drohte, kehrten sie in das leere Menschenland zurück und drangen bis in die Heimat der Trolle vor. Sollten sie nur. Jeder tote Ork war ein guter Ork. Kein Troll wusste das besser als er.
Seine Beute glitt durch das raschelnde Laub. Ihr Bein ruckte im Takt der Erschütterungen in seiner Hand, wenn der in einen Lederharnisch gehüllte Leib über Steine und Wurzeln holperte. Hatte er sie erst einmal erlegt, unterschieden sich Orks nicht mehr von Elfen – und Menschen nicht mehr von anderem Wild. Alle waren nur noch schmackhaftes Fleisch.
Plötzlich spürte er ein Anspannen, eine Bewegung der Sehnen unter seinen Fingern. Mit erhobener Keule fuhr er herum. Der Ork hatte ein Messer gezogen und bäumte sich auf, stach blitzschnell nach Orkzahns Hand. Doch der steife Harnisch behinderte ihn. Die Klinge ging fehl. Noch während der Ork ins Laub zurückfiel, ließ Orkzahn ihn los und schwang seine Keule. Mit einem dumpfen Laut landete der Knüppel auf dem schwarzfelligen Arm. Unter Haut und Fleisch knackten brechende Knochen. Der Ork ächzte. Das Messer entglitt seinen Fingern. Hektisch versuchte er, sich umzudrehen, zugleich davonzukriechen und auf die Füße zu kommen.
Orkzahn stieß ihn mit der Keule vor die Brust und hielt ihn am Boden fest, indem er sich ein wenig auf die Waffe lehnte. Ein wenig mehr, und die Rippen des Orks würden splittern wie dürres Geäst. Hasserfüllt starrte seine Beute zu ihm auf. Die Flügel der platten Nase zitterten.
»Weißt du, warum ich eure Schweinefratzen nicht ausstehen kann?«, fragte Orkzahn und wunderte sich über den eigenen Gleichmut.
Die schwarzen Brauen des Orks zogen sich noch enger zusammen. Hatte er die Worte begriffen? Da beide Völker von den Riesen abstammten, war Trollisch mit der Sprache der Oger verwandt, und die meisten Orks konnten sich mit Ogern verständigen.
»Ich werd’s dir zeigen, bevor du stirbst.« Orkzahn nahm die Keule von der Brust des Gegners, der hastig den Kopf reckte. Beinahe sanft zog der Troll ihm den Knüppel über den Schädel. Leblos sackte der Ork ins Laub. Falls er nun doch schon tot war, konnte er seine Götter für ihre Gnade preisen.
Orkzahn packte ihn erneut beim Knöchel und stapfte weiter. Es war nicht weit zu der Höhle, von der aus er seine Streifzüge unternahm. Sie spendete Zwielicht, wenn die Sonne seinen Augen zusetzte, und bot bei Regen ein Dach über dem Kopf. Vor dem Eingang hatte er einen freien Platz für seine Feuerstelle geschaffen. Zu beiden Seiten der Asche ragten Astgabeln aus dem Boden, auf denen sein Bratspieß lag – ein angespitzter Stecken, der einem Menschen gute Dienste als Speer geleistet hätte.
Menschen. Orkzahn hatte sie nicht vermisst. Nachdem die Drachen sämtliche Menschenvölker ausgerottet hatten, war ihr Vieh eine willkommene Beute geworden. Niemals hatte er geglaubt, dass er einmal Freundschaft mit einem Menschen schließen würde. Und nun ertappte er sich ständig dabei, an Athanor zu denken. Athanor, der ihn gerettet hatte, als er einem Trupp Orks in die Hände gefallen war.
Von kaltem Zorn erfüllt sah Orkzahn auf seinen Gefangenen hinab. Mit seiner eigenen Keule hatten sie auf ihn eingeschlagen. Hatten sich dafür gefeiert, obwohl er gefesselt und tödlich verwundet am Boden lag.
»Trolle brauchen keine Stricke«, beschied er dem bewusstlosen Ork. »Wir töten unsere Beute, statt uns an ihren Qualen zu erfreuen.« Und was tue ich gerade? Knurrend wandte er sich ab, um das Feuer neu zu entfachen. Freude sah jedenfalls anders aus. Er wollte dem Ork eine Lektion erteilen. Und was nützt das, wenn er danach stirbt? Erneut brummte Orkzahn unwillig in seinen Bart. Rotwange hat recht. Ich denke zu viel. Fehlte ihm deshalb der Mensch an seiner Seite?
Aus dem Augenwinkel sah er, dass sich der Ork regte und die Augen aufschlug. Ohne Fesseln war lebende Beute wirklich lästig. Wieder musste er zur Keule greifen und zuschlagen. Der schwere Knüppel fuhr nieder und zertrümmerte ein Schienbein des aufbrüllenden Orks.
»Halt einfach still, dann ist es schneller vorbei!«, fuhr Orkzahn ihn an. Gereizt stocherte er mit einem angebrannten Ast in den auflodernden Flammen, und die verkohlte Spitze fing rasch wieder Feuer. Seine Beute atmete hastig und schwer. Es verriet Orkzahn, dass sie ihre Kräfte sammelte. Im nächsten Augenblick sprang der Ork auf. Doch als das gebrochene Bein den Boden berührte, ging er wimmernd in die Knie.
Orkzahn stieß ihn mit der Keule auf die Erde zurück, in der Linken hielt er noch immer den brennenden Ast. Breitbeinig baute er sich über dem keuchenden Ork auf und wies mit dem Kinn auf den eigenen Unterarm. »Siehst du das?«
Sein Gefangener gab nicht zu erkennen, ob ihm etwas auffiel. Weiße Narben hoben sich von der schmutzigen Haut des Trolls und den schütteren schwarzen Haaren ab. Einst waren es weniger Narben und mehr Haare gewesen. »Sie sind nie wieder richtig nachgewachsen!«, blaffte Orkzahn. Er ließ die Keule fallen und riss den Ork am gesunden Arm empor. Seine Beute zappelte und schrie. Er glaubte, einzelne Worte wie Nein zu verstehen, doch er schenkte ihnen keine Beachtung. Seine Peiniger hatten ihn damals auch nicht erhört.
Ungerührt sengte er das schwarze Fell vom Arm des Orks, dessen Tritte und Schläge er kaum wahrnahm. Der Gestank verbrannter Haare stach ihm in die Nase, weckte Erinnerungen an die lachenden Folterer von einst. Sie widerten ihn an. Das Kreischen des Orks bereitete ihm kein Vergnügen, nur Abscheu vor dieser Memme und sich selbst. Und doch war er auf ewig mit ihnen verbunden. Sie hatten ihn gezeichnet – unwiderruflich.
»Weißt du, warum man mich Orkzahn nennt?«
Als er den brennenden Stock sinken ließ, verstummte das Geschrei seines Opfers. Der Ork sank in sich zusammen. Schlaff hing er an dem versengten Arm, den die Trollpranke gepackt hielt. Er atmete hörbar, doch die Augen waren geschlossen. Obwohl Orkzahn das Handgelenk umfasste, reichte sein Zeigefinger mühelos zu den leblosen Fingern des Orks empor und drückte Ring- und Mittelfinger nach oben. Nun ragten sie über die anderen hinaus. Mit einem Ruck hob der Troll den nur halb so großen Ork noch höher, schob die beiden Finger zwischen seine Zähne und biss sie mühelos ab.
Erneut heulte sein Opfer auf. Er ließ es fallen, und der Aufprall trieb dem Ork die Luft aus den Lungen.
»Deshalb!« Orkzahn spuckte das Wort mitsamt der blutigen Glieder aus und hielt der Beute seine rechte Hand vor die Nase. Von den beiden mittleren Fingern waren nur narbige Stümpfe geblieben, weshalb die beiden äußeren aus seiner Pranke ragten wie die Hauer aus dem Unterkiefer eines Orks. Der Gefolterte sah ihn mit geweiteten Augen an und fragte sich wohl nur, was ihm als Nächstes bevorstand. Orkzahn fielen die Fingernägel ein, die sie ihm ausgerissen hatten. Ihm fehlte die nötige Zange, aber er konnte es mit den Zähnen tun. Der Ork würde schlimmer schreien denn je oder einfach ohnmächtig werden. So wie er damals. Wollte er einer von ihnen werden? Wenn die anderen Trolle ihn sehen könnten, würden sie ihn einen Oger schimpfen. Außerdem hatte er Hunger. Daran war der Blutgeschmack schuld. Seufzend packte er den Ork und brach ihm das Genick.
* * *
Als Sarna in Sicht kam, ging über dem Ozean bereits die Sonne auf. Akkamas flog so schnell, dass Athanor beinahe das Atmen vergangen war, doch der Weg aus den Tiefen der Wüste an die Küste war weit, und sie hatten noch bis in die Nacht hinein Leichen in den Thronsaal geschleppt. Nach dem Massaker an den Nekromanten waren die Wiedergänger zu Boden gesunken wie gewöhnliche Tote. Aber Athanor hatte dem Frieden nicht getraut. Die Leichen in der Halle anzuhäufen, war eine widerliche Schufterei gewesen. Der Verwesungsgestank hing ihm noch immer in den Kleidern. Es war nötig, redete er sich ein. Erst jetzt, da sie alle in Akkamas’ magischem Feuer verbrannten, würden ihre Knochen für immer dort bleiben. Als er vom Rücken des Drachen aus zurückgeblickt hatte, war der Rauch des Totenfeuers aus dem Krater aufgestiegen wie eine Erinnerung an den einst feuerspeienden Berg.
Nun lag der Ozean vor ihm, über den er vor nicht einmal zwei Monden gekommen war. Zwei Monde, seit Davaron Elanya ermordet hat. Es war lächerlich wenig Zeit, und doch kam es ihm vor, als seien Jahre vergangen. In der glutheißen Einöde schienen die Wälder Ardareas wie ein verblassender Traum. Ein Traum, in dem er eine Elfe geliebt hatte. Doch er sah ihre großen, grünen Augen nicht mehr – nur noch ihren Tod: das marmorweiße Gesicht mit den geschlossenen Lidern, umrahmt vom rotbraunen Haar.
Aus den Ruinen Sarnas tönte der Klang eines Horns herauf. Die Wächter auf den zerstörten Mauern warnten vor dem nahenden Drachen. Seit der Schlacht um die alte Ordensburg hatte sich zwar erst ein Mal ein Verbündeter Rakkathors zurück nach Dion gewagt, aber ohne Akkamas’ Hilfe hätte dieses eine Ungeheuer genügt, um die wenigen Überlebenden zu töten. Deshalb hatte Athanor einige Männer zu Wächtern bestimmt. Sobald ein Horn erklang, sollten die Menschen in die Kavernen unter der Stadt fliehen. Diese Gewölbe dienten als Zisternen, um den Winterregen für die trockenen Monde zu speichern, aber sie taugten auch als sicheres Versteck. Als die Drachen Sarna in Schutt und Asche gelegt hatten, waren ihnen dort unten einige Familien entgangen.
Akkamas beschrieb einen Kreis über der Stadt, damit ihn die Wächter erkennen konnten, während er immer niedriger flog. Kein anderer Drache leuchtete im Morgenlicht wie polierte Bronze. Erneut bliesen die Wächter ein Hornsignal. Gefahr vorüber.
Je tiefer der Drache ging, desto deutlicher sah Athanor die Zerstörung. Wenig mehr als einen Mond war es her, dass sich die Bewohner Sarnas in den Straßen gedrängt und auf den flachen Dächern ihrer Häuser gestanden hatten, um Vindur, ihm und ihren elfischen Begleitern zuzujubeln. Sie waren für ihren Sieg über eine Handvoll Nekromanten gefeiert worden, als hätten sie den Tod selbst bezwungen. Schon damals hatte Akkamas heimlich Gerüchte gestreut, dass Athanor der Kaysar, der rechtmäßige Herrscher aus der Alten Heimat über dem Ozean sei. Nichts hätte Athanor an jenem Tag ferner liegen können. Er war nur ein Rächer auf der Suche nach Elanyas Mörder gewesen. Und nun lag die Stadt in Trümmern, und die Menschen warfen sich vor ihm in den Staub.
Akkamas landete vor dem einst breitesten Stadttor. Es war das Einzige, durch das sie noch gehen konnten, ohne über einen Schuttwall zu steigen. Als sich Athanor vom Rücken des Drachen gleiten ließ, entdeckte er Mahanael auf den Resten der Stadtmauer. Einen besseren Wächter konnte Sarna nicht haben, denn der Elf besaß Augen wie ein Adler. Leichtfüßig kam er von den Trümmern herab, um sie zu begrüßen. Selbst für einen Elf war er ungewöhnlich groß und schlank. Seine fast schon durchsichtig wirkende Haut verriet das Blut der Abkömmlinge Heras, die ein besonderes Talent für Luftmagie besaßen. Athanor versuchte, aus Mahanaels Zügen zu lesen, ob etwas Wichtiges vorgefallen war, doch sein Freund lächelte nur.
»Ein guter Morgen«, rief der Elf. »Er bringt euch wohlbehalten zurück. Zumindest fast«, fügte er hinzu, als er den Spalt im Kettenhemd bemerkte. Darunter leuchtete der Verband zwischen blutgetränkten Stoffrändern hervor.
»Deinem scharfen Blick entgeht wirklich nichts«, stellte Athanor anerkennend fest.
»Sieht er aus wie eine Leiche?«, fragte Akkamas mit Drachenstimme.
Verblüfft musterte Mahanael Athanor. »Sollte er?«
»Er will mich bloß aufziehen«, wehrte Athanor ab. »Ich bin wohl noch mal davongekommen.«
»Dann habt ihr noch Nekromanten gefunden?«
»Fast zwei Dutzend. Die meisten davon in ihrer Festung, etliche Tagesritte von hier. Sind hier noch Untote umgegangen?«
Der Elf schüttelte den Kopf. »Nein, wir hatten die ruhigsten Tage, seit ich in Dion angekommen bin.«
Trotz seiner Erleichterung erkannte Athanor die Ironie in Mahanaels Worten. Von den sechs Elfen, die Dion betreten hatten, war nur noch Mahanael am Leben. Sich ruhigere Tage vorzustellen, fiel nicht schwer. »Dann wollen wir hoffen, dass mit den Magiern auch die Seelen ihrer Diener zum Dunklen gefahren sind.«
»Klingt, als ob ich hier eine Weile nicht gebraucht werde«, schätzte Akkamas.
»Willst du nicht noch ein paar Tage bleiben?«, fragte Athanor. Es fiel ihm schwer, sich an das unerwartete Kommen und Gehen des Drachen zu gewöhnen, denn sobald Akkamas verschwunden war, vermisste er das stille Einvernehmen unter Kriegern. »Du bist uns stets ein willkommener Gast.«
»Ihr habt schon ohne mich kaum noch genug zu essen«, erwiderte sein Freund. Die schwindenden Vorräte waren nicht zu leugnen. »Ich werde anderswo ein paar Gazellen jagen und den Himmel dabei im Auge behalten.«
»Es wird uns ruhiger schlafen lassen«, versicherte Athanor.
Akkamas entblößte die schwertlangen Drachenzähne zu einer Art Grinsen. »Wenn die Regentin dich schlafen lässt …«
Ist das zu fassen? In gespieltem Zorn drohte er dem Drachen mit dem Speer. »Verschwinde, bevor ich dich Respekt vor dem Kaysar lehre!«
Lachend schwang sich Akkamas in die Luft und ließ sie in einer Wolke aufgewirbelten Staubs zurück. Halb schmunzelnd, halb gereizt wischte sich Athanor den Dreck aus dem Gesicht. Er hatte ohnehin dringend ein Bad und eine Rasur nötig. Aber obwohl ihn Akkamas’ Anspielung amüsiert hatte, berührte sie einen wunden Punkt. Elanya ist tot. Ich kann es treiben, mit wem ich will. Doch warum freute er sich dann nicht darauf, Nemera wiederzusehen?
»Du siehst aus, als hättest du Schlaf nötig«, stellte Mahanael fest.
Athanor nickte und wandte sich der zerstörten Stadt zu. »Wir sind die ganze Nacht hindurch geflogen.«
Jenseits des Tors hatten sich mittlerweile einige Flüchtlinge versammelt, um den Kaysar, den Herrn über die Lebenden und die Toten, angemessen willkommen zu heißen. Männer, Frauen und Kinder säumten die Gasse durch den Schutt und fielen auf die Knie, als er näher kam. Athanor begriff nicht, wie sie ihn für einen Gott halten konnten. Er schwitzte wie sie, blutete wie sie, und über die Toten gebot er schon gar nicht.
Sobald sein grimmiger Blick in ihre Richtung schweifte, kauerten sie sich zusammen, dass ihre Stirnen den Boden berührten. Dieser Brauch musste aus der Zeit stammen, bevor die Schiffe aus der Alten Heimat gekommen waren. »Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr euch nicht in den verfluchten Dreck werfen sollt! Seid ihr nicht schmutzig genug?«
Hastig rappelten sie sich auf und sahen beschämt an sich herab. Kaum jemand von ihnen besaß mehr als die fleckigen, zerrissenen Kleider am Leib. Tag für Tag wühlten sie im Schutt nach Vorräten, richteten in den Ruinen notdürftige Unterkünfte ein und schleppten Wasser aus den Zisternen herauf. Athanor hätte sich selbst ohrfeigen können. Er war ein genauso beschissener Gott wie die anderen, die sich von den Menschen abgewandt hatten. Aber diese Schafe wollten ihn ja unbedingt. »Geht wieder an die Arbeit!«, fuhr er sie an und fühlte sich noch schlechter, als sie eilig gehorchten.
»Sind die Menschen in anderen Teilen der Welt denn … weniger unterwürfig?«, erkundigte sich Mahanael, während sie weitergingen. Vor seiner Ankunft in Dion hatte er nie einen Menschen zu Gesicht bekommen.
»Nein, sie waren …« … stolz. Theroier verneigen sich, aber sie erniedrigen sich nicht. Athanor wollte es sagen, doch es kam ihm nicht über die Lippen. Wem machte er eigentlich etwas vor? In seinen Erinnerungen war er stets nur von Freunden und Verwandten umgeben, von Kameraden, Kriegern von hohem Rang. Den anderen hatte er schlicht keine Beachtung geschenkt. Ihre Kniefälle am Wegesrand waren so selbstverständlich – und so bedeutungslos – gewesen wie die Bäume, die den Pfad säumten. »Ich habe sie nur nie wahrgenommen.«
Überrascht hob der Elf die Brauen.
»Sie waren mir fern«, versuchte Athanor, es zu erklären. »Es gab andere, die sich um die Belange des einfachen Volks gekümmert haben. Als Kronprinz hatte ich Wichtigeres zu tun.« Frauen nachstellen. Zur Jagd reiten. Einen Krieg anzetteln, der sie alle das Leben gekostet hat … »Ich wurde nicht dazu erzogen, die verdammte Verantwortung für sie zu übernehmen!« Und doch habe ich sie.
»Wir Elfen übertragen jenen Verantwortung, die sich darin bewährt haben. Mir erscheint das sinnvoller, als einem Kind diese Bürde per Geburt aufzuladen.«
»Erzähl das ihnen«, brummte Athanor und deutete vage auf zwei Männer, die mit Beilen einen zu Kohle verschmorten Baum zerteilten. Jedes andere Brennmaterial war angenehmer als getrockneter Eselsdung.
Mahanael lächelte. »Es wird nichts nützen, denn in ihren Augen hast du dich bewährt. Du hast den Nekromanten getrotzt und das Drachenheer besiegt. Wenn du ein Elf wärst, würde ich bei der Wahl zum Ältesten auch für dich stimmen.«
»Hab ich ein Glück, dass ich kein Elf bin.«
Mahanaels Lächeln bekam einen bitteren Zug. »Dann wären wir wohl nicht hier.«
Nein. Denn dann wäre unser ungeborenes Kind kein Bastard gewesen, und Davaron hätte Elanya niemals umgebracht. Zumindest glaubte er, dass Davarons Hass auf die Menschen der Grund für den Mord gewesen war. Der Mistkerl hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr ihn …
»Herr!«
Aufgeregte Stimmen rissen ihn aus den Gedanken.
»Kommt alle helfen! Schnell!«
»Ehrwürdiger Kaysar!«
»Was ist los?«, rief Athanor dem Jungen entgegen, der auf ihn zueilte. »Komm!«, wandte er sich an Mahanael und lief bereits in die Richtung, aus der die Stimmen kamen.
»Da ist jemand verschüttet. Unter den Trümmern. Ganz in der Nähe«, sprudelte der Junge hervor. Er war zwölf oder dreizehn und hatte das schwarze Haar und die hellbraune Haut der alten Dionier geerbt.
»Warum zum Dunklen hört mir hier nie jemand zu! Ich hatte strenge Anweisung gegeben, jede Ruine erst abzustützen, bevor darin etwas angerührt wird. Wie die Zwerge ihre Stollen sichern.«
»In den Silberminen arbeiten nur Zwerge?«
»Vergiss es einfach.« Selbst Vindur hatte den Dioniern als kleingeratener Mensch gegolten. Sie verstanden nicht, was ein echter Zwerg war.
»Aber es kann keiner von uns sein, Herr. Ich schwöre beim Großen Drachen! Wir waren da nicht drin.«
Skeptisch musterte Athanor den Schuttberg, vor dem sich bereits zahlreiche Helfer eingefunden und Menschenketten gebildet hatten. Mit Feuereifer reichten sie Ziegelsteine und Mörtelbrocken weiter, nur um sie planlos auf einen anderen Haufen zu werfen. Es musste ein Nebengebäude des eingestürzten Drachentempels sein, an den es grenzte. »Du meinst, jemand hat unter den Trümmern überlebt?«
Der Junge nickte aufgeregt.
»Ja, Herr«, mischte sich eine Fremde ein. »Wir haben Kratzen und Pochen gehört. Als ob sich jemand befreien oder auf sich aufmerksam machen will.«
Nach einem halben Mond? Athanor wechselte einen erstaunten Blick mit Mahanael.
»Vielleicht hatten sie einen unterirdischen Lagerraum und wurden darin verschüttet«, vermutete der Elf.
»Ein Keller?« Das wäre möglich. Wenn sich dort auch Fässer mit Wasser oder Wein befunden hatten, konnte jemand so lange ausgeharrt und vergeblich um Hilfe gerufen haben. »Du hast recht. Holen wir die arme Seele da raus!«
* * *
Bald war die Morgenkühle verflogen, und die unbarmherzige Sonne Dions sengte auf die Retter herab. Nur noch verkohlte Stümpfe erinnerten an die Bäume, die dem Tempelgarten einst Schatten gespendet hatten. Hin und wieder ließ Mahanael eine magische Brise vom Hafen herüberwehen, doch selbst ihm rann der Schweiß über die Stirn.
Athanor hatte die Spitze einer Menschenkette übernommen und klaubte Brocken für Brocken auf, um ihn dem Elf zu übergeben, der ihn wiederum weiterreichte. Längst hatte er sich des Kettenhemds entledigt und ignorierte das Stechen im verwundeten Arm. Die Arbeit ging quälend langsam voran. Immer wieder rutschte der Schutt an Stellen nach, an denen sie es nicht erwartet hatten. Oder sie stießen auf größere Trümmer, die erst zerschlagen werden mussten, bevor mehrere Männer gemeinsam in der Lage waren, sie zur Seite zu wuchten. Einmal blieb ihnen sogar nichts anderes übrig, als einen Steinblock der Tempelmauer mit einem Eselsgespann aus dem Weg zu ziehen. Von Zeit zu Zeit rief jemand nach den Verschütteten und sprach ihnen Mut zu. Zur Antwort polterte es dumpf unter dem Schutt, als ob Fäuste gegen Holz hämmerten. Schon arbeiteten die Retter trotz der Hitze wieder schneller.
Athanor hätte nicht sagen können, wann Rhea aufgetaucht war. Mit einem Mal stand das kleine Mädchen da und sah ihm zu. Die ernsten Augen waren so dunkel wie das strähnige Haar. Athanor hob einen weiteren Brocken aus Mörtel und Ziegelsteinen und blickte sich nach Laurion um, der sich des Waisenmädchens angenommen hatte wie ein Verwandter.
Der Magier kam auf ihn zu und verneigte sich. Obwohl sie geflickt und abgetragen war, leuchtete seine weiße Robe in der Sonne. »Willkommen zurück, ehrwürdiger Kaysar.«
»Wie’s aussieht, bin ich immer rechtzeitig, wenn’s Arbeit gibt«, schätzte Athanor und wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Pack mit an!«
»Tut mir leid, Herr, ich kann nicht bleiben«, bedauerte Laurion. Seit der Schlacht um die Ordensburg hatte sich ein erwachsenerer Zug in sein blasses Jungengesicht gegraben, der seinem Alter besser entsprach. »Die Regentin hat mich geschickt, um nachzusehen, was Euch so lange aufhält.«
»Warum kommt sie nicht selbst?« War ihr doch etwas zugestoßen?
»Die Regentin ist beschäftigt. Sie fertigt mit ihren Dienerinnen ein Fischernetz.«
»Sie macht was?«
»Soll sie etwa den ganzen Tag nach Euch Ausschau halten … Herr?«
War das Trotz in Laurions Augen? Was zum Henker …
»Helft mir!«, rief Rhea leise. »Holt mich hier raus!«
Gereizt wandte sich Athanor ihr zu. »Was redest du da?«
»Er sagt das.« Sie deutete auf die Trümmer direkt vor ihnen.
Wieder pochte es dumpf, aber lauter.
»Hol’s der Dunkle! Wir vergeuden hier unsere Zeit, während da unten jemand verzweifelt.«
Mit neuem Eifer stürzten sie sich auf den Schutt. Selbst Laurion schien beschämt genug, um nun doch mit anzufassen. Bei genauem Hinsehen war seine Robe ohnehin geflickt und mit den Rändern alter Blutflecken übersät.
Schon nach wenigen Augenblicken kamen unter den Trümmern dicke Bohlen zum Vorschein. Hastig legten Athanor und Mahanael die gesamte Falltür frei. Staub tanzte auf den Brettern, als erneut jemand von unten dagegen schlug. Aufgeregt drängten sich die Flüchtlinge um Athanor und ließen ihm kaum genug Platz, um die schwere Tür am aufgenagelten Bronzering anzuheben. Sobald es einen Spalt gab, griffen mehrere Männer unter die Bohlen. Gemeinsam warfen sie die Tür förmlich auf.
Mit einem entsetzten Aufschrei wich die vorderste Helferin zurück und der ganze Kreis der Neugierigen mit ihr.
»Gütiger Alfar von Wey!«, entfuhr es Mahanael, während Athanor das Schwert zog.
Auf den Stufen nach unten kauerte eine bis auf die Knochen abgemagerte Gestalt und richtete sich langsam auf. Im ganzen ausgemergelten Leib knirschte und knisterte es dabei. Staub rieselte aus den zu weit gewordenen Gewändern. Der kahl rasierte Schädel und das goldene Amulett wiesen den Mann als Drachenpriester aus, und er hatte das Schicksal seines Gottes geteilt. Sein Grinsen war nur noch das zur Maske erstarrte Zähneblecken geschrumpfter Lippen.
Es gab wohl doch kein Wasser dort unten.
Wie gelähmt starrten die Flüchtlinge den Untoten an. Athanor zögerte. Mit dem Schwert konnte er einen Wiedergänger ohnehin nicht aufhalten. Wo bekam er auf die Schnelle Feuer her?
Würdevoll stieg der wandelnde Leichnam die Stufen herauf. Sobald er die Treppe hinter sich hatte, hob er wie grüßend eine Hand. Plötzlich wankte er, schlug der Länge nach hin und rührte sich nicht mehr.
»Er wünscht sich ein ehrenvolles Begräbnis, damit seine Seele in die Alte Heimat reisen kann«, sagte Rhea in die Stille hinein.
Athanor sah sie ungläubig an. »Du kannst wirklich hören, was er sagt?«
»Jetzt nicht mehr.«
* * *
Geduldig drehte Orkzahn den Bratspieß. Um seinen knurrenden Magen zu beruhigen, hatte er den abgesengten Arm des Orks roh verspeist und freute sich nun auf schmackhafteren Nachschlag. Mit dem Abend war Stille im lichten Wald eingekehrt. Nicht einmal Vögel sangen. Doch das Wild verhielt sich in letzter Zeit so seltsam, dass Orkzahn es ohnehin nicht verstand. Eulen flogen am helllichten Tag herum, als hätte sie etwas aufgescheucht. Rehe und Hirsche verließen ihre Deckung in sinnloser Flucht. Beim Äsen witterten und lauschten sie, als läge der Geruch eines Raubtiers in der Luft, auch wenn der Troll weit und breit keine Spur von Löwen oder Wölfen fand. Selbst die Asseln in seiner Höhle … Nein, Asseln krabbelten eigentlich immer ziellos umher. Er sollte sie besser nicht in seine Betrachtungen einbeziehen.
Anfangs hatte ihn das merkwürdige Benehmen beunruhigt. Es hatte ihn an die gespenstisch leeren Wälder Theroias erinnert, aus denen alle Tiere vor den Untoten geflohen waren. Mittlerweile schüttelte er nur noch verwundert den Kopf. Das Wild rannte zwar manchmal dämlich im Kreis, stand wie erstarrt in der Gegend herum oder sprang ihm fast in die Arme, aber es war noch da.
Allmählich stieg Bratenduft von dem brutzelnden Ork auf. Zischend tropfte schmelzendes Fett in die Flammen. Orkzahn hatte die Gliedmaßen gekürzt und mitsamt dem abgetrennten Kopf in die Abfallgrube neben der Höhle geworfen. In ihrem Lager unterhalb der Grenzfestung Uthariel hatte Athanor stets die Nase über den Gestank aus den Gruben gerümpft. Er hatte nichts darüber gesagt, aber es war Orkzahn nicht entgangen. Die Elfen hatten sich niemals mit abfälligen Bemerkungen zurückgehalten. Sie waren die Herren und sahen mit unverhohlener Abscheu auf ihre Sklaven herab – auch wenn sie diesen Sklaven nur bis zum Bauchnabel reichten. Wozu Rücksicht nehmen? Wenn Orkzahn etwas an einem anderen Troll nicht gefiel, sagte er das auch geradeheraus. Deshalb hatte er Athanors Schweigen zunächst als Schwäche ausgelegt. Dabei hielt er sich zurück, um uns Respekt zu erweisen. Den Respekt, den uns die Elfen verweigerten. Orkzahn rechnete es ihm immer noch hoch an. Da hatte er etliche Menschen gegessen, ohne zu ahnen, dass sie so gute Verbündete gegen übermächtige Gegner abgaben …
In der Grube raschelte es. Sicher eine Ratte, die hineingefallen war und nun im alten Laub hauste. Orkzahn sah das Biest förmlich zwischen den Innereien seiner Beute sitzen und schmatzen. Von seinen Abfällen konnte es so fett werden, dass es selbst eine kleine Mahlzeit abgab. Kinder liebten es, wenn er ihnen eine Ratte mitbrachte, und Mütter liebten es, wenn er ihre Kinder erfreute. So war allen gedient. Warum nicht gleich morgen bei Rotwange vorbeigehen und ihr einen der Orks bringen? Dass er darauf nicht gleich gekommen war. Die Wunde am Bein würde ihm neugierige Fragen und Bewunderung einbringen.
Wieder drang aus der Grube Rascheln herauf. Orkzahn glaubte, schrille Laute zu hören, doch sie waren sehr leise, und seine Ohren taten sich mit hohen Tönen schwer.
Plötzlich zuckte der Kadaver am Spieß. Fetttropfen prasselten wie Hagel ins Feuer. Sofort hüllte Rauch den zappelnden Körper ein. Hastig zog Orkzahn die Hand vor heißen Spritzern und auflodernden Flammen zurück, doch sein Blick klebte an dem ausgeweideten, enthaupteten Ork, der mit verstümmelten Gliedmaßen um sich trat.
Heilige Riesenscheiße! Was zum Ahnherrn ging hier vor? Unwillkürlich sah er sich nach einem Elf um, der ihm einen bösen Streich spielte. Doch da war niemand. Nur der Spieß, der unter den heftigen Bewegungen des unbotsamen Bratens auf den Astgabeln tanzte. Orkzahns Magen ballte sich wie eine Trollfaust, aber es lag nicht an Hunger. Er sah nicht zum ersten Mal Leichen, die sich verzweifelt in verzehrenden Flammen wanden. Aber er hatte gehofft, er würde es nie wieder sehen.
Das ist nur ein dummer Zufall. Frische Fische zuckten schließlich auch noch im Feuer. Widerstrebend wandte er sich ab, um in die Grube zu sehen. Er war ein Troll. Er sollte keine Angst spüren. Doch die Haare auf seinen Armen richteten sich auf wie die Stacheln eines furchtsamen Igels. Mächtige Ahngeister, lasst es nur eine Ratte sein!
Er beugte sich ein wenig vor. Am Boden der Grube türmten sich abgenagte Knochen, Unrat und frisches Gedärm. Dazwischen zappelten Hände und Füße des Orks wie auf den Rücken gefallene Käfer. Selbst der Schädel wackelte auf einem Bett aus blutgetränktem Laub.
Deshalb war es so still. Die Erkenntnis traf Orkzahn wie ein Keulenhieb. Der Ork war ein Wiedergänger, und wo es einen gab, waren stets noch mehr aufgetaucht. Orkzahns Herz pochte wie eine Schamanentrommel in seiner Brust. Unzählige Trolle waren im Kampf gegen die Untoten gefallen, und er war allein. Hastig klaubte er den schweren Knüppel auf, doch der würde ihn nicht retten.
Eine Bewegung unter den Bäumen lenkte seinen Blick in die Schatten. Feuer spiegelte sich auf einer Klinge. Ansonsten war alles schwarz. Orkzahn hob mit der anderen Hand den Bratspieß. Auf einen zappelnden Ork mehr oder weniger kam es auch nicht mehr an.
Weitere Gestalten lösten sich aus den Schatten des Waldes und stürmten auf Orkzahn zu. Sie bleckten die Zähne, doch aus ihren Kehlen kam kein Kriegsgeschrei. Wiedergänger waren stumm. Die Stille war Orkzahn unheimlich. Er brüllte, um sie zu zerreißen, wie er die Untoten zerreißen würde, und warf sich ihnen entgegen.
Dem Vordersten rammte er den Bratspieß durch die Brust und schob ihn vor sich her, bis die Spitze der kruden Waffe in einen Baumstamm fuhr. Sollte er dort mit dem Braten um die Wette zappeln, bis ihnen das Fleisch von den Knochen faulte! Von der Seite schwang ein Untoter die rostige Axt. Orkzahn kam ihm zuvor und schleuderte ihn mit einem Keulenhieb davon. Kein lebender Gegner hätte sich nach einem solchen Schlag wieder erhoben, doch dieser würde zurückkommen. Drei weitere umringten den Troll und drangen gleichzeitig auf ihn ein. Orkzahn fegte zwei von ihnen mit dem Knüppel von den Beinen, während er blindlings mit der freien Hand nach dem Dritten griff. Das Kurzschwert des Wiedergängers schnitt in seinen Arm, bevor er ihn um den Hals packte und in die Luft riss. Ein kurzer Druck mit dem Daumen gegen das Kinn, und das Genick des Orks gab knirschend nach. Dennoch hackte der verfluchte Leichnam wieder mit dem Schwert nach ihm. Orkzahn konnte ihn gerade noch fallen lassen. Hastig trat er auf den Untoten, dessen Rippen unter dem Gewicht brachen, und hielt ihn so am Boden fest, während sich die anderen wieder auf ihn stürzten. Er musste sie entwaffnen. Schnell.
Wieder wehrte er einen der Orks mit einem Keulenhieb ab. Den anderen schnappte er sich mit beiden Händen, riss ihm den Schwertarm aus und warf die Gliedmaße weit von sich, sonst setzte sich der Wiedergänger sofort wieder zusammen. Scharfe Stiche im Bein warnten ihn, dass der Gegner unter seinem Fuß mit der Klinge nach ihm stieß. Doch schon rannten wieder zwei Orks gegen ihn an. Krähen hatten ihnen bereits die Augen ausgepickt, aber ihre Geister sahen Orkzahn offenbar deutlich genug.
Der Rechte schwang ein Beil, der Linke eine mit Stacheln bewehrte Keule. Ohne nachzudenken, entschied sich Orkzahn für den Axtschwinger, packte ihn beim Waffenarm und schleifte ihn zu dem abgestorbenen Baum hinüber, an dem er sonst seine Beute zum Ausbluten aufhängte. Unter den Schlägen des Keulenträgers, der von hinten auf seine Nieren eindrosch, entwand er dem Untoten das Beil und schleuderte es davon. Dann hob er den Kerl empor, um ihn mit Schwung auf einen abgebrochenen Ast zu spießen.
Noch immer prügelte der Knüppelschwinger auf seinen Rücken ein. Knurrend fuhr Orkzahn herum und fällte den Untoten mit der bloßen Faust. Wie Schmeißfliegen kamen der zertrampelte und der einarmige Ork zurück. Orkzahns Blick fiel auf einen Felsbrocken nahe des Höhleneingangs. Genau das, was er brauchte. Er ignorierte den Einarmigen, schleuderte den anderen mit einem Tritt in den Leib durch die Luft und trampelte über einen am Boden liegenden Wiedergänger hinweg. Sie alle würden erneut aufstehen. Wieder und wieder.
Der Felsblock war groß wie ein Trollschädel und doppelt so schwer. Zumindest kam es Orkzahn so vor, als er den Stein mit beiden Händen hob und dem erstbesten Untoten entgegenwuchtete. Flüchtig hörte er das Bersten der Knochen, bevor der Fels am Boden aufschlug. Die Erde zitterte unter dem Aufprall. Arm und Unterleib des Zermalmten ragten unter dem Steinblock hervor. Die untoten Beine strampelten, doch Orkzahn blieb keine Zeit, seinen Triumph auszukosten. Der Ork mit dem Kurzschwert war schon wieder heran und schnellte auf den Stein, um Orkzahn anzuspringen. Der Troll fegte den Angreifer mit bloßem Arm zur Seite, dass der Untote an die Felswand klatschte, in der sich der Eingang zur Höhle befand. Rasch bückte sich Orkzahn nach einem weiteren Felsblock und hievte ihn auf den Gegner.
Noch während er den Stein fallen ließ, tauchte der Keulenschwinger neben ihm auf und drosch den Stachelknüppel in die Wunde am Bein.
Orkzahn brüllte vor Wut und Schmerz. Mit der Faust schlug er dem Untoten den Schädel ein. Der Ork wankte, doch er fiel nicht, holte stattdessen zum nächsten Hieb aus. Vor Zorn trübte sich Orkzahns Sicht. Dennoch fanden seine Hände den toten Körper und zerrissen ihn, schleuderten die kalten, schlaffen, blutlosen Teile in alle Richtungen. Kleiner und kleiner wurde die Masse aus Knochen und Fleisch, Haut und Innereien, bis seine Finger mit einem Mal ins Leere griffen. Es war nichts übrig. Der Wiedergänger lag in zuckenden Fetzen über die Lichtung verstreut.
Keuchend sah sich Orkzahn um und ließ mit einem Grunzen die Arme sinken. Für den Augenblick hatte er alle Gegner besiegt. Die beiden Aufgespießten kämpften noch darum, sich aus ihrer Lage zu befreien. Der auf dem Baum hatte es fast geschafft. Orkzahn ging hinüber und stieß ihn zurück. Um eine frische Leiche zu verbrennen, war sein Feuer zu klein. Wenigstens die unter den Felsbrocken Eingeklemmten saßen für die Ewigkeit fest. Aber der Zerrissene würde sich zusammensetzen, als ob sich seine Teile auf magische Weise gegenseitig anzogen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Orkzahn begann, die Fetzen in die Flammen zu werfen. Wenn er diesen erledigt hatte, würde er sich um die anderen kümmern. Er brauchte ein größeres Feuer. Es war möglich, dem Spuk ein Ende zu bereiten, indem er sie aß. Stiernacken hatte es in Theroia getan. Aber was sollte er mit so viel Fleisch anfangen? Er konnte Rotwange keinen untoten Braten bringen. Vielleicht fuhr dann der Geist eines Orks in sie. Widerspenstiges Pack! Sie waren tot und hatten es gefälligst zu bleiben.