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Das Leben vor Trixie

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wir hatten nicht das Glück, stets in Newport Beach, Kalifornien, zu leben. Und ich war auch nicht schon immer so ein Mensch gewesen, der die Schuld für die Beschädigung eines Gemäldes seinem Hund gibt – vor allem deswegen nicht, weil ich vor Trixie keinen Hund hatte, dem ich die Schuld hätte zuschieben können.

Ich war in Bedford, Pennsylvania, aufgewachsen, wo ich mit meinen Eltern in einem engen Haus mit vier Zimmern gewohnt hatte. Das Haus hatte mein Großvater mütterlicherseits gebaut. Ich liebte Großpapa John, doch trotz seiner vielen Talente war er für eine berufliche Laufbahn im Wohnungsbau genauso wenig geeignet wie ich ungeeignet bin, eine Operation am offenen Herzen durchzuführen.

Im ständig feuchten Keller des Hauses waren in die kleinen Nischen zwischen den Deckenfugen zwei nackte Glühbirnchen eingebettet. Da es die einzigen Lichtquellen waren, herrschte hier unten stets nur trübes, schwaches Dämmerlicht, das die hinterhältigen Schwammkolonien in den Ecken keineswegs störte. Als Kind war ich fast davon überzeugt, dass der Schwamm geduldig auf eine Gelegenheit wartete, mir Übles anzutun, wenn ich einmal nicht auf der Hut war.

Nach meinem neunten Geburtstag wurde auch ich zur Versorgung der Befeuerungsanlage eingeteilt. Das eiserne Biest stand gegenüber der Tür zu dem Verschlag, in dem die Kohle lagerte. Morgens schüttelte ich den Feuerrost, damit die Kohlenschlacke und die Asche in den Sammelbehälter fielen, schaufelte durch die Hauptluke Kohle in den Ofen und zündete leicht brennbares Material an, damit die Kohle schneller Feuer fing. Wenn ich am kommenden Tag keine Schule hatte, häufte ich am Abend viel Kohle auf, damit sie bis zum Morgen durchbrannte und das Haus die ganze Nacht warm blieb.

Doch das stellte sich als Unsinn heraus, denn dieser Heizkessel war kein Umluftofen. Die Wärme stieg durch einen großen eisernen Rost ins Wohnzimmer hinauf und von dort aus so langsam nach oben, dass Wasser, wenn man es an bitterkalten Wintertagen über Nacht in einem Glas stehen ließ, morgens zu Eis gefroren war.

Bis zu meinem zwölften Lebensjahr hatten wir kein Badezimmer. Stattdessen war an einer Kellerwand ein Duschkopf oberhalb einer Rinne im Betonfußboden angebracht. Und um die Dusche und die Waschmaschine mit warmem Wasser zu versorgen, wurde das Wasser mit einem Petroleumbrenner erhitzt, den ein Pyromane entworfen haben musste. Ein großes Glasgefäß mit Brennflüssigkeit wurde zu diesem Zweck auf den Kopf gestellt, um Tropfen für Tropfen mithilfe der Schwerkraft einen Ring rings um einen Docht zu tränken. Es war eine verrückte Gerätschaft mit äußerst wackeligem Aufbau, und ich rechnete jederzeit damit, dass ein Feuerball durch das Haus schießen und uns in menschliche Fackeln verwandeln könnte.

Lebhafte Fantasie ist für einen Schriftsteller ein wahrer Segen, doch sie kann auch ein Fluch sein. Im Kohlenverschlag fragte ich mich manchmal, ob es diesmal passieren würde, dass meine Schaufel die bleiche Hand eines Leichnams zutage fördern würde, die bislang unter der Kohle verborgen gewesen war. Da mein Vater stets zur Gewalttätigkeit neigte, hatte ich ihn für die Rolle des Mörders vorgesehen.

Allerdings kann ich über den Keller zwei positive Dinge sagen: Erstens konnte man dort aus einem Hahn warmes Wasser beziehen, während man an der Küchenspüle nur kaltes Wasser bekam, das man von Hand aus einem Brunnen pumpen musste. Zweitens krochen im Keller zwar Spinnen herum, aber es gab dort nicht so viele achtbeinige Anschleicher wie auf dem Plumpsklosett im Anbau.

Als ich elf war, erhielt meine Mutter eine bescheidene Summe aus dem Nachlass meines verstorbenen Großvaters. Sie nutzte das Geld vor allem dazu, das Haus mit sanitären Installationen ausstatten zu lassen. Anstelle der Handpumpe an der Küchenspüle hatten wir nun ein kleines Badezimmer mit fließendem warmem und kaltem Wasser. Außerdem ließ sie die Teerpappe des Daches durch Asphaltschindeln ersetzen. Uns kam es so vor, als wären wir in einen Palast umgezogen. Schließlich hatten wir nun eine blitzblanke Keramiktoilette anstelle einer Holzbank mit einem Loch darin, unter der Spinnen lauerten.

Wir besaßen zwar nur wenig, doch ständig bestand für uns die Gefahr, auch dieses Wenige zu verlieren. Der Grund für unser ständiges Herumjonglieren mit dem Geld und die Drohung wirklicher Armut war die Überzeugung meines Vaters, es sei reine Verschwendung, seinen Arbeitslohn für die Begleichung von Rechnungen oder die Abzahlung der Haushypotheken zu verwenden. Schließlich könne er sein Geld beim Pokern oder Würfelspiel doch an einem einzigen Abend vervierfachen, meinte er. Falls ihn die Karten oder der Würfel im Stich ließen, suchte er Trost in irgendeiner Kneipe. Sobald er nämlich an der Theke eine Runde für die Kumpel ausgab, konnte er sich vormachen, der wohlhabende Mann zu sein, der er so gern gewesen wäre.

Wenn er nicht gerade in Bars oder bei Glücksspielen herumhing, arbeitete er. Im Laufe von fünfunddreißig Jahren brachte er es auf vierundvierzig verschiedene Jobs, viele davon im Verkauf, vor allem als Versicherungsagent. Mehr als einmal wurde er gefeuert, weil er seinen Chef zusammengeschlagen hatte (was der beruflichen Laufbahn bekanntlich niemals förderlich ist) oder auch einen Arbeitskollegen, der ihn beleidigt hatte. Manchmal kündigte er auch von sich aus, weil er sich nicht genügend gewürdigt fühlte, und vermutlich auch dann, wenn auf seiner gegenwärtigen Arbeitsstelle niemand war, den er gern verprügelt hätte – denn das machte den Arbeitstag langweilig.

Obwohl meine Mutter gertenschlank, hübsch und herzensgut war, stieg mein Vater anderen Frauen nach. Mindestens zwei von ihnen waren weibliche Ringer. In den 1950er Jahren waren Ringkämpferinnen ebenso rar gesät wie Banjospieler ohne Arme, und diese Frauen waren keineswegs die Bikini-Schönheiten, die sich während der 1970er Jahre wechselseitig in den Schlamm schleuderten. Mein Vater hatte Liebschaften mit Ringerinnen, die einen größeren Bizeps und tiefere Stimmen als er selbst besaßen.

Wenn bei uns nach Mitternacht das Telefon läutete, entpuppte sich der Anrufer stets als irgendein Barkeeper, der berichtete, mein Vater habe sich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken und müsse aus der Bar geschafft werden, ehe sie schließe. Wenn die Bar nur wenige Kilometer von unserem Haus entfernt lag, zogen meine Mutter und ich zu Fuß los und verfrachteten meinen Vater in sein Auto. Einmal fragte eine an der Theke hockende Frau bei einer solchen Gelegenheit, ob meine Mutter sie auf der Rückfahrt zu Hause absetzen könne. Ihr Date habe sie im Stich gelassen. Die dralle Blondine hatte eine so straffe Dauerwellenfrisur, dass diese ein brauchbarer Stoßdämpfer gewesen wäre, hätte ihr jemand mit einem Vorschlaghammer eins über den Kopf gezogen. Und ich spürte, dass meine sanfte Mutter tatsächlich bedauerte, keinen Vorschlaghammer dabei zu haben.

Aber damals war ich noch zu jung, um mir zusammenzureimen, dass der Dating-Partner der Blondine sie nicht sitzengelassen hatte, sondern aus den Latschen gekippt und mein Vater war. Diese Erkenntnis erfolgte bei mir erst am folgenden Abend, während ich im Bett lag und hörte, wie sich meine Eltern im Erdgeschoss wegen der Blondine mit der Betondauerwelle stritten.

Aufgrund solcher nachmitternächtlichen Exkursionen zur Bergung meines Vaters und anderer demütigender Erlebnisse, die mit dessen Verhalten zu tun hatten, waren meine Kindheit und Jugend von Scham geprägt. Da die Schwächen meines Vaters weithin bekannt waren, zuckte ich jedes Mal zusammen, wenn man mich fragte, ob ich der Sohn von Ray Koontz sei. Statt direkt zu antworten, erwiderte ich dann, meine Mutter sei Florence Koontz, denn mit ihr verband niemand irgendetwas Peinliches.

Von dem Moment an, als mich zwei meiner Tanten in der Wiege erblickten, waren sie davon überzeugt, dass ich sicher genauso ein Nichtsnutz wie mein Vater werden würde. Wenn sie mich mit meinen sieben Jahren zufällig dabei erwischten, dass ich verträumt in der Sommersonne lag und faulenzte, bewölkten sich ihre Gesichter und sie erklärten feierlich: »Ganz der Vater!« – so als würden andere Siebenjährige bereits ihre ersten einhundert Dollar als Bedienung an einem Limonade-Stand verdienen oder in einem Pflegeheim als Freiwillige Bettpfannen leeren.

Das mangelnde Interesse meines Vaters an mir, seine Anfälle von Tobsucht und Gewalttätigkeit, wenn er getrunken hatte, seine Drohungen, sich – und uns – umzubringen, der Kummer und die Angst, die er meiner Mutter machte: Nichts davon setzte mir so zu wie die Scham, die meine Mutter und ich empfanden, weil er sich in aller Öffentlichkeit betrank, den Frauen nachstellte, oft ungeheuer angab und noch andere Dinge tat, die ihn zum Gegenstand von Klatsch und Gespött machten.

In meiner Highschool-Zeit war ich ein schüchterner, unsicherer Junge und kompensierte meine Minderwertigkeitskomplexe dadurch, dass ich schlagfertig war, Witze riss und den Klassenclown spielte. Meine Sprachfähigkeiten waren mir Schutz und Schild.

Nirgendwo in meinem damaligen Leben trat meine Schüchternheit so offen zutage wie im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Wenn ich ein Mädchen um ein Treffen bat und sie ablehnte, fragte ich grundsätzlich kein zweites Mal. Vielleicht tat ihr die Absage sogar aufrichtig leid. Es mochte sich sogar als wahr herausstellen, dass ihre Mutter im Krankenhaus lag, ihr Vater wegen einem doppelten Beinbruch bewegungsunfähig war und ihre geliebte Schwester im 23. Jahrhundert festsaß, nachdem sie an einem geheimen Zeitreise-Experiment der Regierung teilgenommen hatte. Aber ich ging in jedem einzelnen Fall davon aus, dass sie, wenn sie mich ansah, meinen Vater vor Augen haben musste und lieber ihre Haare angesengt hätte, als meine Einladung zum Schultanz auf Socken in der Turnhalle, gefolgt von Milkshakes im Dairy Queen, anzunehmen.

Doch dann tauchte in meinem Abschlussjahr in der Highschool Gerda Cerra auf. Schon vorher hatten mich bestimmte Mädchen angezogen, bezaubert und fasziniert, aber nie zuvor hatte mich jemand so verzückt und geradezu hingerissen. Eigentlich hielt ich es ja bei jedem, der nach 1890 geboren war, für unmöglich, von einem Menschen hingerissen zu sein. Gerda jedoch war zierlich, anmutig, schön und hatte eine so weiche Stimme, dass jedes Wort von ihr vertraulich und sogar romantisch wirkte. Sogar wenn sie sagte: »Dir hängt irgendetwas aus der Nase«, schlug mein Herz schneller. Und nicht zuletzt kam mir ihre unerschütterliche Gelassenheit nicht von dieser Welt vor.

Dass ich ihr so schüchtern, wie ich war, in meiner Verliebtheit ständig nachlief, und zwar von der ersten Verabredung in der zwölften Klasse bis zum Heiratsantrag, zeigt, welche Wirkung sie auf mich hatte – insbesondere wenn man bedenkt, dass sie mich vier Mal abwies. Zum ersten Mal geschah das, als sie hörte, an welchem Abend ich sie ins Kino ausführen wollte. Sie behauptete, an diesem Abend müsse sie in einer Reinigung arbeiten. Hätte bei meinen früheren Annäherungsversuchen ein Mädchen ein Treffen mit der Begründung abgelehnt, sie sei wegen ihres Gipskorsetts bewegungsunfähig, wäre ich selbst in einem solchen Fall davon ausgegangen, dass sie mich abstoßend finden müsse. Und danach wäre ich ihr aus dem Weg gegangen. Doch Gerda lud ich eine Woche später ein zweites Mal ein.

Diesmal teilte Gerda mir mit, an dem fraglichen Abend arbeite sie im Kino am Stand mit den Erfrischungsgetränken. Diese junge Frau maß entweder dem Wort »fleißig« eine völlig neue Bedeutung zu oder konnte sich nicht mehr daran erinnern, dass sie in der vorangegangenen Woche einen Job in einer Reinigung als Ausrede benutzt hatte.

Nachdem ich zwei Wochen gebraucht hatte, um erneut Mut zu fassen, bat ich sie erneut um ein Treffen. Diesmal erfuhr ich, sie habe für den fraglichen Abend einen Job als Babysitterin angenommen. Sie wirkte dabei durchaus ehrlich, aber schließlich hatte sogar Hitler glaubwürdig gewirkt, als er behauptete, er werde nicht in Polen einfallen – und wir wissen ja, wie das ausging. Da ich jedoch nicht glaubte, dass Gerda eine Invasion in Polen beabsichtigte, machte ich mir vor, immer noch eine Chance bei ihr zu haben, und nahm ihre Absage mit Anstand hin. Ich fürchtete allerdings, Gerda könne sich von mir belästigt, wenn nicht sogar in die Ecke gedrängt fühlen, so dass sie meine vierte Einladung wütend ablehnen würde. Deshalb grübelte ich wochenlang vor mich hin, ehe ich sie bat, mich zu einer Veranstaltung zu begleiten, an der sie sowieso teilnehmen musste. Jahr für Jahr hatte man sie zur Jahrgangssprecherin gewählt, deshalb lud ich sie zum Ball der elften Klassen ein.

Nun lehnte sie mit der Begründung ab, sie habe an diesem Abend zu tun. Soweit ich mich erinnere, erwiderte ich daraufhin in ernstem Ton (allerdings muss ich ehrlicherweise zugeben, dass es wohl eher wie ein wehleidiges Gejammer herauskam): »Aber du musst doch zu diesem Ball gehen. Es ist der Ball der elften Klassen, und du bist deren Jahrgangssprecherin!«

»Oh, natürlich gehe ich hin«, erklärte sie. »Aber anfangs habe ich damit zu tun, Eintrittskarten zu verkaufen. Danach habe ich eine Schicht beim Auflegen der Schallplatten übernommen, später verkaufe ich Getränke und am Schluss helfe ich beim Aufräumen der Turnhalle.«

Ich erklärte, diese vier Dinge zählten zu meinen Lieblingsbeschäftigungen bei einem Date. Nun blieb ihr kein Ausweg mehr, mich abzuwimmeln. Höchstens hätte sie mich mit ihrer Handtasche schlagen oder nach der Polizei rufen können. Doch sie lächelte und sagte nur: »In Ordnung.« Und wegen ihrer weichen Stimme klangen ihre Worte so, als hätte sie mir ewige Liebe geschworen. Da mir in diesem Augenblick auch nichts aus der Nase hing, kam ich mir so weltmännisch vor wie Cary Grant.

Irgendwann erfuhr ich, dass Gerdas Vater Bedfords Schuster war. Er war aus Italien in die Vereinigten Staaten eingewandert und hatte viele Anschauungen der Alten Welt bewahrt, einschließlich der Auffassung, dass Kinder, sobald sie das Teenageralter erreichen, arbeiten sollten. Gerda hatte tatsächlich Teilzeit-Jobs in einer Reinigung und im örtlichen Kino und ergänzte diese Einnahmen durch Babysitten. Schon mit dreizehn Jahren kaufte sie ihre Kleidung von eigenem Geld oder sie besorgte sich Stoffe, um sie selbst zu nähen, da sie gut schneidern konnte.

Bei unserer ersten Verabredung fanden wir zwischen dem Verkauf von Eintrittskarten, dem Auflegen von Schallplatten, dem Getränkeverkauf und dem Aufräumen der Turnhalle nur Zeit für einen einzigen Tanz, lachten aber viel miteinander. Doch nachdem ich sie bis zu ihrer Haustür begleitet und ihr Gute Nacht gewünscht hatte, fragte ich mich trotzdem voller Sorge, welchen Eindruck ich auf sie gemacht hatte. Ich dachte kurz daran, nach Hause zu eilen, um sie anzurufen und sie um eine regelrechte Bewertung unseres Treffens zu bitten, kam jedoch zu dem Schluss, dass ich sie damit, allzu sehr auf Selbstbestätigung aus, nur bedrängen würde.

Der folgende Tag, ein Sonntag, zog sich so unendlich lange hin, als hätte sich die Erdrotation dramatisch verlangsamt. Am Montagmorgen lag ich bereits vor Gerdas Schulspind auf der Lauer, als sie auf dem Gang vor ihrem Klassenzimmer auftauchte. Fast erwartete ich von ihr nur ein höfliches Hallo und ein völliges Übergehen des Schulballs, als könnte sie sich an nichts erinnern. Doch stattdessen verkündete sie, sie habe während unserer fünf gemeinsamen Stunden so viel lachen müssen, dass am Sonntagmorgen ihre Bauchmuskeln geschmerzt hätten. Ich war ja stets davon ausgegangen, dass Mädchen die Treffen mit mir als qualvoll empfinden müssten, aber Gerdas Muskelkater war für sie eine offensichtlich nicht unangenehme Qual. Und so setzten wir unsere Treffen fort und lachten viel miteinander. Schließlich bat ich sie, mich zu heiraten, und sie nahm meinen Antrag an.

Kurz nach Studienabschluss und nach unserer Heirat nahm ich die Arbeit in einem staatlichen Projekt zur Bekämpfung von Armut auf und war dort sieben Monate tätig – lange genug, um festzustellen, dass solche Programme nur diejenigen bereichern, die sie verwalten, doch ansonsten eher noch größere Armut bewirken. Außerdem führte die geringe Bezahlung dazu, dass sich meine Armut mehr als ein halbes Jahr fortsetzte.

Gerda hatte zwar Buchhaltung gelernt, kannte sich im Rechnungswesen aus und hatte ein paar Jahre in einer Bank gejobbt, konnte aber keine ihrer Ausbildung entsprechende Stelle in unserem winzigen Wohnort Saxton finden, der in den Appalachen lag. Ich unterrichtete dort sozial benachteiligte Kinder. Notgedrungen nahm Gerda einen Job als Akkordarbeiterin in einer Schuhfabrik an. An jedem Werktag bestieg sie um 4 Uhr früh einen Firmenbus, der sie mit einer Fahrtzeit von fünfundvierzig Minuten über die Berge zur Produktionsstätte brachte.

Als wir heirateten, besaßen wir nur ein paar hundert Dollar, einen Gebrauchtwagen und unsere Kleidung. Von den wenigen Häusern, die man in Saxton mieten konnte, war nur ein einziges vollständig mit Sanitäranlagen ausgestattet. Da ich die Lebensweise, in der Plumpsklo und Kellerdusche das Badezimmer ersetzt hatten, vor zehn Jahren zum Glück hinter mir gelassen hatte, wollte ich auf keinen Fall zu einem solchen Leben zurückkehren. Die Monatsmiete für unser Haus betrug fünfundsechzig Dollar – eigentlich mehr, als Gerda und ich uns leisten konnten. Aber wir knauserten bei anderen Ausgaben, um das Geld aufzubringen.

Das Haus war weder mit einem Kühlschrank noch mit einem Herd ausgestattet. Deshalb kauften wir einen gebrauchten Kühlschrank und eine einzige elektrische Kochplatte. Wir hatten kein Kochfeld und auch keinen Backofen, doch Gerda bereitete trotzdem wunderbare Mahlzeiten zu. Sie konnte auf der Platte sogar rösten, braten und backen, nur nicht Pasteten, da deren Füllung dann unten anbrannte, während die Oberseite lauwarm blieb. In finanzieller Hinsicht war das für uns ein prekäres Jahr, in dem wir beide viele Überstunden machten. Dennoch waren wir glücklich, weil wir zusammen waren.

Wir zogen schließlich von Saxton weg und in den Umkreis von Harrisburg. Dort unterrichtete ich achtzehn Monate lang Englisch in einer Highschool, bis Gerda mir ein Angebot machte, das unser beider Leben veränderte. In meiner Freizeit hatte ich mich als Schriftsteller versucht und ein paar Kurzgeschichten und zwei Romane in Taschenbuchformat an Verlage verkauft. »Du wärst doch gern ein Vollzeit-Autor«, sagte Gerda. »Also kündige deine Stelle als Lehrer. Ich werde uns fünf Jahre lang über Wasser halten. Wenn du es in fünf Jahren nicht schaffst, wirst du es niemals schaffen.« Manchmal behaupte ich, ich hätte versucht, meine Bewährungsfrist auf sieben Jahre auszudehnen, Gerda sei jedoch eine knallharte Verhandlungsführerin gewesen.

Nach all diesen Jahren empfinde ich Demut angesichts ihres Glaubens an mich und der Liebe, die ihr Angebot beflügelte. Wenn man unsere damalige Situation berücksichtigt – eine wackelige finanzielle Situation, begrenzte Zukunftsaussichten, mehr Ablehnungen als Annahmen von Manuskripten bei Verlagen –, wirkt Gerdas Vertrauen wirklich außergewöhnlich. Zwar hoffe ich, dass ich im Laufe der Jahre zu einem Mann geworden bin, der ihr dasselbe Angebot machen würde, wäre ich mathematisch begabt und Gerda sprachbegabt, doch Demut empfinde ich, weil ich in jener Zeit kein so guter Mann war. Da ich in Armut, gepaart mit psychischer und physischer Gewalttätigkeit, aufgewachsen war, stets beschämt durch die Eskapaden meines Vaters, wurde ich in meinen Zwanzigerjahren zu einem Mann, der fast so viel Selbstbestätigung brauchte wie ein Kind. Verzweifelt musste ich mich ständig selbst beweisen, und eine Folge davon war, dass ich in geschäftlicher Hinsicht viele falsche Entscheidungen traf. Ich war allzu sehr darauf aus, Menschen zu vertrauen, die mein Vertrauen nicht verdienten, glaubte offenkundig falschen Versprechungen und nahm schlechte Ratschläge an, wenn sie von Leuten kamen, die sich in der jeweiligen Angelegenheit auszukennen schienen – und zwar besonders dann, wenn diese Menschen mich durch Lob manipulierten. Gerda, die von jeher ausgezeichnete Menschenkenntnis besaß, merkte bei jedem Vorfall, an welchem Punkt ich auf Glatteis geriet, und versuchte vorsichtig, mich auf sicheres Gelände zu führen. Doch ich brauchte viel zu viele Jahre dafür zu erkennen, dass die einzige Akzeptanz, die (abgesehen von der Gottes) zählte, die meiner Frau war. Mein ganzes Erwachsenenleben hindurch ist Gerda für mich ein Leitstern geblieben.

Als einige von Gerdas und meinen Familienangehörigen sowie Bekannte von uns erfuhren, dass ich jetzt die ganze Zeit Geschichten und Romane schrieb, während Gerda den Schinken, die Eier und die Kartoffeln nach Hause brachte, betrachteten sie diese Entwicklung als Beweis dafür, dass ich genau wie mein Vater ein Nichtsnutz war. Sie bemitleideten Gerda – und mich provozierten sie gelegentlich.

Aus vielerlei Gründen konnten und wollten Gerda und ich nicht die Möglichkeit einräumen, dass ich scheitern könnte. Am Ende meiner fünf Bewährungsjahre kündigte Gerda ihre Arbeitsstelle, damit wir zusammenarbeiten konnten. Sie verwaltete unsere Finanzen, übernahm die Recherchen für meine Bücher und entlastete mich von all den Anforderungen des Alltags und Berufslebens, die mir die kreative Energie raubten und meine Finger von der Schreibmaschine fernhielten.

Inzwischen hatten wir ein beachtliches monatliches Einkommen, wenn wir auch kein Vermögen besaßen. Während der folgenden fünf Jahre wurde ich besser in dem, was ich schrieb, doch die handwerklichen und künstlerischen Verbesserungen fanden nur selten Niederschlag in höheren Honoraren.

Nach einem Frühling in Pennsylvania, in dem wir vierzig Tage lang keinen blauen Himmel gesehen hatten (sehr biblisch!), zogen wir nicht nur des besseren Wetters wegen nach Kalifornien um, sondern auch deswegen, weil ich dort vielleicht Drehbücher würde verfassen können. Bei meinen ersten Vorstößen in Hollywood empfand ich das Filmgeschäft jedoch als unbefriedigend und deprimierend. Uns war damals durchaus klar, dass Schriftsteller kommen und gehen und ich eher früher als später einer der Autoren sein würde, die weg vom Fenster und vergessen sind, falls meine Bücher sich nicht gut verkauften und nicht wesentlich zum Geschäftserfolg eines Verlages beitrugen.

Doch ab 1980 ging es aufwärts. Während ich das hier schreibe, 29 Jahre später, nähern sich die weltweiten Verkäufe meiner Bücher der Zahl von 400 Millionen Exemplaren. Die Kritiker sind größtenteils freundlich mit mir umgegangen, und die Leserinnen und Leser sogar noch freundlicher. Neben einer Leidenschaft für die englische Sprache und einer unverbrüchlichen Liebe zum Geschichtenerzählen setzte dieser Erfolg Durchhaltevermögen und unzählige Stunden harter Arbeit voraus. Mein Leben ist genau wie Gerdas Leben stets von harter Arbeit geprägt gewesen. Unser Arbeitspensum umfasst mindestens sechzig Stunden pro Woche, oft auch siebzig, und manchmal mehr.

Wenn das letzte Stündlein schlägt, verabschiedet man sich von dieser Welt, wie uns unser Glaube sagt, am besten ins Gebet versenkt oder in die von uns gewählte Arbeit vertieft. Gerda und ich haben ohne jeden Groll akzeptiert, dass der Menschheit seit der Vertreibung aus dem Paradies Arbeit auferlegt ist. Wenn man sie redlich und gewissenhaft verrichtet, bedeutet Arbeit Gehorsam gegenüber der göttlichen Ordnung und ist eine Form von Buße.

Während wir uns der Arbeit widmeten, sprachen wir viele Jahre lang darüber, uns einen Hund anzuschaffen. Selbst in den Zeiten, als wir sehr wenig Geld hatten, umgaben wir uns mit schönen Dingen – mit billigen Drucken anstelle von echten Ölgemälden, Pressglas anstelle von Glaskunst aus der Kristallerie Daum –, weil Schönheit die sorgenvolle Seele beruhigt und inspiriert. Ein Hund kann ein lebendes Kunstwerk sein, eine ständige Erinnerung an die wunderbare Gestaltung und die atemberaubenden Details der Natur: Schönheit auf vier Pfoten. Außerdem wurde uns von Jahr zu Jahr deutlicher bewusst, dass diese Welt ein höchst geheimnisvoller Ort ist.

Und nichts bestätigte uns das Wunder der Existenz deutlicher als das, was wir zwischen Hunden und behinderten Menschen in der Einrichtung Canine Companions for Independence (Begleitung durch Hunde für Unabhängigkeit) geschehen sahen. Dieses Zentrum bildet Hunde zu Begleitern und Helfern von Blinden und anderen behinderten Menschen aus.

Wenn man als Beschützer und Gefährte mit einem Hund zusammenlebt, ist das eine Möglichkeit, das Mysterium dieser Welt genauer zu erforschen – jedenfalls sehen Gerda und ich das so. Uns war klar, dass man Hunde nicht besonders liebt, wenn man sie vor allem draußen im Garten oder Hof hält. Hunde sind Rudeltiere, dazu geboren, innerhalb einer Familie zu leben. Deshalb verlangt ein Hund fast so viel Zeit von einem wie ein Kind. Wir zögerten, unsere Familie auf diese Weise zu erweitern – nicht nur wegen unseres straffen Arbeitspensums, sondern auch, weil wir nach mehr als dreißig Ehejahren einen bestimmten Lebensrhythmus hatten, der gut funktionierte, und befürchteten, dass ein Hund ihn vielleicht durcheinanderbringen würde.

Doch im September 1998 trat schließlich eine Hündin in unser Leben. Während der folgenden neun Jahre verblüffte und verwunderte sie uns häufig, stets machte sie uns Freude, und im Laufe der Zeit weckte sie in uns ein Gefühl für das Wunderbare, das uns unser ganzes restliches Leben lang begleiten wird. So wie jeder Mann und jede Frau nicht nur Geschlecht und Körper haben, sondern auch Lebewesen mit einem Geist sind (der in dieser oder jener Hinsicht kleinere oder größere negative Seiten aufweisen kann), besaß auch diese Hündin Geist. Und dieser Geist war so unverdorben und rein, wie es kein menschlicher Geist jemals sein kann. Von allen Einflüssen dieser Welt, die mich zu einem besseren Menschen gemacht haben, übte diese Hündin – gleich nach meiner Frau Gerda – den größten Einfluss auf mich aus. Und sie gab Gerda genauso viel wie mir.

Diese Hündin war so fröhlich, wie es Hunde ihrer Rasse nur sein können. Sie besaß alle Vorzüge ihrer Art und war so ohne Falsch wie fast alle Hunde. Aber sie war auch unheimlich intelligent und manchmal auf eine Weise, die einem Hund überhaupt nicht ähnlich sah, zu ernsthaftem Verhalten fähig. Dieses Verhalten entsprang nicht irgendeiner Laune, sondern war eine feierliche Ernsthaftigkeit, so als hätte sie in diesem oder jenem Augenblick eine wichtige Wahrheit entdeckt und wollte, dass man diese Wahrheit ebenfalls erkannte.

Gerda und ich waren nicht die Einzigen, die Zeugen dieses Verhaltens wurden. Und je mehr ich mir dessen bewusst wurde und auch Bemerkungen anderer Menschen dazu hörte, desto offener wurde ich für die Veränderungen, die diese besondere Hündin in mir auslösen sollte.

Nun war Trixie Teil unseres Lebens.



TRIXIE

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