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Ahnungen, Abenteuer und Analdrüsen
ОглавлениеSie behielt ihren Namen, als sie zu uns kam: Trixie. Manchmal sagte ich scherzhaft, der Name klinge eher nach einer Stripperin als nach einem Hund. Man sagte uns, wir könnten den Namen ändern. Trixie könne man schnell beibringen, auf einen neuen Namen zu hören. Doch der Name mochte zwar eher nach einer Stripperin als nach einem Hund klingen, aber noch mehr klang er wie der Name einer Elfe oder Fee. Elfen und Feen sind zauberhafte Wesen, und das war auch Trixie.
Sie kam nicht als Welpe zu uns, sondern als eine hervorragend erzogene junge Dame von drei Jahren. Wegen einer Ellbogenoperation hatte sie sich vorzeitig von ihrer Laufbahn als Assistenzhund verabschieden müssen. Vorher hatte sie sich um eine schöne junge Frau namens Jenna gekümmert, die bei einem Verkehrsunfall beide Beine verloren hatte. Trixie hatte ihren Dienst bei Jenna zu der Zeit aufgenommen, als Jenna im Abschlussjahr ihres Studiums ein Lehrpraktikum an einer Grundschule absolvieren musste. Im Klassenzimmer hatte sie großen Eindruck auf die Schülerinnen und Schüler gemacht.
Seit 1990 unterstützen Gerda und ich das Southwest Chapter of Canine Companions for Independence (Südwest-Niederlassung der Hundebegleitung für Unabhängigkeit). Diese bemerkenswerte Einrichtung zieht Assistenzhunde auf und trainiert sie für vier unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten.
Einen Hund in einem »Service Team« bringt man mit einem körperlich behinderten Jugendlichen oder Erwachsenen zusammen. Das kann zum Beispiel ein querschnittgelähmter Mensch sein oder jemand, dessen Lähmung sich auf alle vier Gliedmaßen erstreckt. Der Hund übernimmt dann solche Aufgaben wie den Fahrstuhl zu holen, Türen zu öffnen, heruntergefallene Gegenstände zu apportieren, die jemand, der im Rollstuhl sitzt, nicht erreichen kann. Manche Erwachsene, die nicht allein leben konnten, bevor sie einen Assistenzhund erhielten, erlangten dadurch Unabhängigkeit. Kinder im Rollstuhl gewinnen Selbstvertrauen – und einen neuen besten Freund.
In einem »Skilled Companion Team« (Team aus hochbegabten Gefährten) unterstützen diese Hunde ein Kind oder einen Erwachsenen, wenn dieser Mensch in seiner Entwicklung oder körperlich behindert ist. Oft wird dabei auch die Person einbezogen, die am meisten für den Behinderten oder die Behinderte sorgt. Meistens ist das ein Elternteil. Der Hund hilft bei vielen Aufgaben, aber in erster Linie ist er der Gefährte der Behinderten und baut eine liebevolle Beziehung zu ihnen auf. Solche Hunde können bei einem autistischen Kind oder einem Kind mit einem Katzenschreisyndrom (CDC-Syndrom) geradezu Wunder bewirken.
In einem »Hearing Team« (Hör-Team) macht der Hund seinen tauben oder schwerhörigen Gefährten auf das Klingeln des Weckers, Rauchalarm, die Türglocke und andere Geräusche aufmerksam.
In »Facility Teams« (Unterstützungsteams) setzt man Hunde beispielsweise als Helfer für Lehrer, Reha-Experten, Betreuer in Kliniken, in Klassen mit Schülerinnen und Schülern, die unter Entwicklungsstörungen leiden, oder in Pflegeheimen ein. Auch diese Hunde wirken Tag für Tag Wunder.
Die Assistenzhunde, die Canine Companions for Independence (CCI) an behinderte Menschen vergibt, leisten wegen ihrer besonderen Ausbildung großartige Arbeit, aber die außergewöhnlichsten Leistungen erbringen sie vielleicht einfach aufgrund der Eigenschaften, die sie als Hunde nun einmal haben.
Tom Hollenstein, ein Freund und Vorstandsmitglied des CCI Südwest, erlitt im Alter von vierundzwanzig Jahren bei einem Verkehrsunfall eine sehr schwere Rückenverletzung. Dieser hochgewachsene, gutaussehende, umgängliche und mitteilsame Mann musste plötzlich im Rollstuhl sitzen und wieder bei seinen Eltern wohnen. Tom ist einer der willensstärksten Menschen, denen ich je begegnet bin, und die Einschränkung seiner Unabhängigkeit konnte er nicht lange ertragen.
Als er seinen ersten Assistenzhund namens Weaver bekam, übernahm er wieder die Kontrolle über sein Leben, zog vom Haus seiner Eltern in eine eigene Wohnung um, fand Arbeit und schaute niemals zurück.
Weaver war etwas ganz Besonderes, und die Beziehung, die sich zwischen Mensch und Hund, Tom und Weaver, entwickelte, war noch tiefer als üblich. Tom hat einmal gesagt, hätte er die Wahl gehabt, niemals eine Behinderung zu bekommen oder aber niemals Weaver gekannt zu haben, hätte er sich für den Hund entschieden und die Rückenverletzung auf sich genommen.
Tom spricht nicht leichtfertig über solche Dinge. Er meint, was er sagt. Er erzählte mir, dass er, als er seinen vierbeinigen Gefährten verlor, in seiner Trauer überaus tiefe Gefühle in sich entdeckte, die er in seinem Inneren gar nicht vermutet hatte.
Vom CCI las ich erstmals, als ich Recherchen für meinen Roman Mitternacht anstellte, da in diesem Roman ein Protagonist vorkommt, der an einen Rollstuhl gebunden ist. Von der Arbeit dieser Organisation war ich so angetan, dass ich dem Gefährten des Behinderten, dem fiktiven Hund namens Moose, als Hintergrund die Ausbildung als Assistenzhund beim CCI mitgab.
Mitternacht war mein erstes Buch, das den Spitzenplatz auf der Bestsellerliste erreichte. Das erregte die Aufmerksamkeit des CCI und man fragte bei mir an, ob ich nicht in der Taschenbuchausgabe auf den Schlussseiten des Buches einen Hinweis auf die Arbeit des CCI einfügen könne, um für die Organisation zu werben. Außerdem bat man mich, die Adresse der CCI-Bundeszentrale im kalifornischen Santa Rosa anzugeben. Diesen Wünschen kam ich gern nach, und das führte, lange ehe Trixie zur Welt kam, zu Gerdas und meiner persönlichen Verbindung zur CCI-Niederlassung für den Südwesten der Vereinigten Staaten.
Zwar musste sich Trixie mit zweieinhalb Jahren aus ihrer Helfertätigkeit für Jenna zurückziehen, doch mit drei Jahren wurde sie bei Gerda und mir zu einem Assistenzhund anderer Art. Auf vielfache Weise führte sie nämlich »Reparaturarbeiten« an uns durch.
Eine Frau namens Judi Pierson leitete damals den Südwestverband des CCI. Schon oft hatte sie Gerda und mich dazu ermutigt, einen von dessen Trainingsprogramm freigestellten Hund zu uns zu nehmen. Nicht jeder Welpe besitzt das Talent und Temperament oder die körperlichen Voraussetzungen dafür, die vollen zwei Trainingsjahre bis zur Abschlussprüfung durchzustehen. Stets ziehen Freiwillige die vom CCI überprüften Welpen von der achten Woche an groß, nachdem der Züchter sie bei ihnen abgegeben hat. Diese Freiwilligen haben den Hund etwa sechzehn Monate lang bei sich und lehren ihn zu sitzen, am Platz zu bleiben, sich niederzulegen, bei Fuß zu gehen, an lockerer Leine oder ganz ohne Leine mitzukommen, auf Befehl hin sein Geschäft zu verrichten und andere grundlegende Dinge.
Wenn sich der Hund dabei bewährt hat, verbringt er sechs Monate auf dem CCI-Campus und durchläuft dort ein intensives Training. Dadurch erwirbt er Fähigkeiten und Fertigkeiten, die über die meinigen weit hinausreichen. Jeder, der mich kennt, wird diese Aussage ohne zu zögern bestätigen.
Falls der Hund diese Ausbildung aus irgendeinem Grund nicht bewältigen kann, kann ihr Erstbetreuer, der ihn zunächst großgezogen hat, auf Wunsch wieder zu sich nehmen. Diese Freiwilligen kann man nur bewundern. Zwangsläufig verliebt man sich ja in die Welpen, wenn man sie von der achten Woche an betreut und ausbildet. Und doch geben diese Freiwilligen ihre Schützlinge bereitwillig zur Fortgeschrittenenausbildung ans CCI ab. Oft nehmen sie dann einen anderen Welpen bei sich auf und durchleben denselben Trennungsschmerz aufs Neue, da ihnen das CCI so überaus wichtig ist. Manche von ihnen haben schon zwanzig Welpen oder mehr großgezogen, und es kann einem nur Ehrfurcht einflößen, wie viele Menschenleben sie dadurch verändert haben.
Gelegentlich sind diese Freiwilligen jedoch nicht in der Lage, einem weiteren Hündchen ein Heim zu geben, da sich ihre Lebenssituation inzwischen verändert hat. In einem solchen Fall muss für den vom Ausbildungsprogramm freigestellten Hund ein neues Zuhause gefunden werden.
Jahr für Jahr drängte uns Judi, einen solchen Hund bei uns aufzunehmen. Wir hätten gern zugesagt, fürchteten jedoch, dem Hund nicht die Aufmerksamkeit und die Zeit geben zu können, die er brauchen würde. Wieder und wieder teilten wir Judi – und einander – mit, wir hätten dazu leider zu viel zu tun, deshalb müssten wir damit warten, bis meine Arbeit als Schriftsteller in ruhigere Fahrwasser geriet.
Im August 1998 vollendete ich den Roman Im Bann der Dunkelheit, den Folgeroman zu Geschöpfe der Nacht – eines meiner vielen Bücher, in denen ein Hund zu den wichtigen Protagonisten zählt. Jedes Mal, wenn ich eine Geschichte schrieb, in der ein Hund vorkam, wuchs meine Sehnsucht nach einem eigenen Hund. Genau wie die Rezensenten behaupteten meine Leserinnen und Leser, ich hätte eine unheimliche Geschicklichkeit, überzeugend über Hunde oder sogar aus deren Sicht zu schreiben. Wenn ein Hund zu meinen Handlungsträgern gehörte, fühlte ich mich stets besonders inspiriert. Es kam mir so vor, als wollte mir ein Schutzengel mitteilen, Hunde seien als wesentlicher Bestandteil meines Lebens vorgesehen, ich müsse nur auf diese Eingebung hören.
Während eines Abendessens mit Gerda, kurz vor Monatsende, brachte ich das Thema zur Sprache und sagte: »Ständig meinen wir, wir hätten zu viel um die Ohren, um einen Hund in unser Leben zu lassen. Aber ich fürchte, wir werden immer zu viel zu tun haben, selbst wenn wir neunzig Jahre alt sind. Vielleicht sollten wir es einfach machen, ob sehr beschäftigt oder nicht, und dann dafür sorgen, dass es irgendwie passt.«
Wir hatten niemals Kinder gehabt. Gerda und ich begannen unsere berufliche Zusammenarbeit 1974. Seitdem waren wir Tag für Tag zusammen gewesen, buchstäblich den ganzen Tag lang und auch nachts. In den zweiunddreißig Jahren unserer Ehe waren wir nur zwei Mal kurz voneinander getrennt gewesen. Wir waren ein festes, aufeinander eingespieltes Team und hatten große Bedenken davor, eine weitere Person im Haus zu haben. Uns war nämlich klar, dass ein Hund, genauso wie ein Kind, eine weitere Person sein würde, um die man sich kümmern musste.
Am Ende des Abendessens waren wir uns einig. Wir waren zwar nicht auf einen Hund vorbereitet, aber nun würden wir uns darauf vorbereiten.
Im September 1998 rief ich Judi an und teilte ihr mit, dass wir, wenn sie das nächste Mal ein Zuhause für einen Hund suchte, diesen Hund bei uns aufnehmen würden.
»Welche Art von Hund wollt ihr denn?«, fragte sie. »Einen besonders anschmiegsamen oder lieber einen anderen?«
Da »besonders anschmiegsam« in meinen Ohren leicht abstoßend klang, tendierte ich spontan zu einem anderen Hund. Aber offensichtlich war ich nicht sehr gut über die Begrifflichkeiten von Hundehaltern informiert, also bat ich sie um eine genauere Definition von »anschmiegsam«.
»Einen Labrador Retriever würde man eher nicht als einen besonders anschmiegsamen Hund bezeichnen«, erklärte Judi. »Diese Hunderasse hat sehr viel Energie und möchte stets gern etwas zu tun haben. Im Unterschied dazu spielt ein Golden Retriever gern und ist voller Energie, wenn ihm danach ist. Aber er ist auch glücklich, wenn er nur herumliegt, beobachtet, schmust oder ein Nickerchen macht. Ein Golden Retriever ist ein pflegeleichter, anschmiegsamer Hund.«
Ich hatte Golden Retriever immer schon wegen ihres wunderschönen Fells, ihrer humorvollen, sanften und edlen Gesichter und ihres freundlichen Wesens bewundert. Ich war dreiundfünfzig Jahre alt, und obwohl ich regelmäßig Sport trieb und nach wie vor einen Taillenumfang von etwa sechsundsiebzig Zentimetern hatte, verfolgte mich die unermüdlich aktive American Association of Retired Persons (Amerikanische Vereinigung von Rentnern und Pensionären) bereits mit monatlichen Postwurfsendungen, durch die sie mir nachdrücklich ins Gedächtnis rief, dass ich meine Augen nicht vor meinem zunehmenden Alter verschließen dürfe. Ich müsse mich also mit der Tatsache meiner Sterblichkeit auseinandersetzen und ihrem Verein beitreten. Außerdem würde ich dann in den Genuss aller Preisnachlässe für Senioren kommen, und das schließe den Zahnersatz und die Bestattungsvorbereitung ein.
Ich kam zu dem Schluss, dass ein anschmiegsamer Hund genau das Tier – und vielleicht das einzig mögliche Tier – war, mit dem ich zurechtkommen würde.
Judi sagte, das CCI habe derzeit mehrere freigestellte Golden Retriever, man könne mühelos einen für uns finden. Da sie gerade für zwei Wochen in Urlaub fahren wollte, machten wir aus, dass sie uns den Hund in vierzehn Tagen in unser Haus am Hafen von Newport und nicht zu unserem Hauptwohnsitz bringen würde.
Das Strandhaus hatten wir als Anreiz für möglichst arbeitsfreie Wochenenden gekauft. Mittlerweile waren wir nämlich wahre Workaholics, die alle sieben Tage der Woche an ihren Schreibtischen in den Arbeitszimmern festklebten. Der Aufwand zu packen und dann wegzufahren – selbst wenn es nur zu einem so nahegelegenen Ziel wie Santa Barbara war –, überwog inzwischen die Vorteile, mal von dieser Arbeit wegzukommen. Aber wenn wir zu Hause blieben, konnten wir dem Arbeitsdrang schlicht nicht widerstehen.
Der Strand bot eine völlig andere Umgebung als die Hügellandschaft, in der wir lebten, und wir konnten in weniger als einer halben Stunde dort sein. Wenn wir Kleidung und persönliche Gegenstände einfach in unserem Zweithaus ließen, nicht packen mussten und keine Arbeit mitnahmen, würden wir es wohl schaffen, aus der Tretmühle auszubrechen. Von Freitagnachmittag bis zum Sonntagabend wollten wir uns am Wasser entspannen und dann ausgeruht zum Haus auf dem Hügel zurückkehren.
So dachten wir uns das.
Unser Strandhaus lag am Balboa Peninsula Point des kalifornischen Newport Beach und bot Aussicht auf einen Pier und Kai des Hafens. Ein hervorragender Architekt, Paul Williams, hatte das Haus 1936 entworfen. Wir ließen es in seinen ursprünglichen Zustand im Artdéco-Stil zurückversetzen, möblierten es und freuten uns auf die künftig auf fünfzig Stunden begrenzten Arbeitswochen.
Uns und anderen gegenüber bezeichneten unsere Freunde und Verwandte, die sich dort aufhielten, das Haus als zauberhaft und sagten, es sei der erholsamste Ort, den sie jemals kennengelernt hätten. Aber in den sechs Jahren, in denen wir dieses Haus besaßen, schafften Gerda und ich es nur dreißig Mal, im Strandhaus zu übernachten. Vito und Lynn, Gerdas Bruder und dessen Frau, die den ganzen Weg von Michigan nach Kalifornien auf sich nahmen, übernachteten dort viel häufiger als wir und genossen ihren Urlaub unmittelbar am Strand.
Wir sind schon so lange an die Tretmühle gewöhnt, dass wir eine unverbrüchliche Zuneigung zu ihr entwickelt haben – metaphorisch gesprochen: zu ihrem Geruch nach feuchtem Granit, zu dem leisen Rumpeln, wenn sich das Rad dreht und dreht, zu dem sanften Kitzel in der Nase, wenn die Arbeit voranschreitet. Ich habe das Glück, dass mich Sprache verzückt und ich meine Arbeit als sinnvoll empfinde.
Am Tag von Trixies Ankunft war das Strandhaus noch so neu für uns, dass wir immer noch meinten, wir würden künftig an den Wochenenden in unserem Häuschen am Pier faulenzen, Wein trinken, uns in der Freizeit die Broschüren der Seniorenvereinigung American Association of Retired Persons vornehmen und uns die Artikel zu den Vorzügen von Ballaststoffen in der Nahrung und den Gefahren zu schnellen Autofahrens einverleiben.
Schon damals hatte ich mehrere Bücher geschrieben, in denen Hunde Haupt- oder Nebendarsteller gewesen waren – von Brandzeichen bis zu Drachentränen. Unsere Freunde wussten, wie sehr wir uns einen Hund wünschten. Sie wussten aber auch, dass Gerda und ich seit langem an ein Leben zu zweit gewöhnt waren. Manche dieser Freunde nahmen an, es werde uns schwerfallen, den Partner so vollständig mit einem Hund zu teilen, wie dieser Hund es verlangen würde.
Am Morgen des Tages, an dem Trixie eintreffen sollte, suchte ich die Baustelle auf, wo gerade ein neues Haus für uns entstand. Der Generalauftragnehmer für das Projekt, Mike Martin, war ein Freund, der während der langen Baujahre für Gerda und mich fast zu einem Bruder wurde. Mike war ein Hüne von circa 1 Meter 95 Größe und wirkte kraft seiner Persönlichkeit sogar noch größer. Er war stämmig und stark, aber sanftmütig – ein Mann der leisen Töne, der gern lachte. Mit seinen fünfzig Jahren hatte er bereits weiße Haare, trug jedoch stets helle Sportschuhe, Jeans und die diskret gemusterten Hawaii-Hemden von Reyn Spooner. Mike war ein charismatischer Mensch, doch zugleich bescheiden, eine Kombination, der ich nur selten in meinem Leben begegnet bin. Und seine Freunde lagen ihm sehr am Herzen.
Während wir aus dem Bauwagen traten, um uns um irgendein Problem zu kümmern, das meine Anwesenheit auf der Baustelle erforderte, sagte Mike mit besorgter Miene: »Weißt du, mit einem Hund, egal welchem, selbst wenn es einer dieser Hunde vom CCI ist, wird es bei euch nicht mehr so ordentlich zugehen, wie ihr es gern habt. Es wird euch ein bisschen verrückt machen.«
Bei unseren Freunden haben Gerda und ich den Ruf, ungewöhnlich penibel zu sein. Ich habe das nie ganz verstanden, denn keiner unserer Freunde ist, verglichen mit uns, schlampig oder nachlässig. Mike und seine Frau Edie hatten zwei Hunde und hielten ihr Haus trotzdem makellos sauber und ordentlich. Als Schöpfer exquisiter Hot Rods, modernisierter Oldtimer, war Mike besessen von Details, und das zeigte sich auch auf jedem Quadratmeter der Wohnfläche des Hauses, das er für uns baute.
Und doch gab er mir in seiner für ihn typischen Anteilnahme zu bedenken, dass jeder Hund als Hausgenosse zwangsläufig viel Unordnung mit sich bringt, und meinte, irgendwann werde mir wohl ein Nervenzusammenbruch drohen.
Es stimmt ja, dass wir unsere Strümpfe und Socken lieber falten, als sie zusammenzurollen, und unsere Unterwäsche bügeln, dass ich seit Jahren Jeans nur mit Bügelfalte trage, dass ich vor einem festlichen Abendessen ein Maßband dazu nutze, sicherzustellen, dass der Abstand von Gedeck zu Gedeck und bei jedem Bestandteil des Gedecks stets derselbe ist, dass Gerda sich lieber mit Honig überziehen und an einen Pfahl auf einem Ameisenhügel binden lassen würde, als zu Bett zu gehen, wenn noch irgendein benutzter Löffel in der Küchenspüle liegt, dass wir, sollte ein Gast bei uns Wasserflecken an seinem Weinglas entdecken, genauso beschämt wären, als hätte dieser Gast irgendeinen zusammengedrückten Leichnam in unserer großen Abfallpresse entdeckt. Aber nichts davon bedeutet, dass wir unter Ordnungswahn leiden. Es bedeutet lediglich, dass wir uns um solche Dinge kümmern.
Auf Mikes Befürchtung, wir könnten zu ordnungsliebend sein, um mit einem Golden Retriever zurechtzukommen, reagierte ich mit den Worten: »Dieser Hund ist gut ausgebildet und völlig stubenrein.«
»Das meine ich ja gar nicht damit«, sagte Mike.
»Uns ist klar, dass der Hund haart. Wir werden sein Fell jeden Morgen gründlich durchbürsten.«
»Ich denke dabei auch nicht an Hundehaare.«
»Er wird jeden Donnerstag zu einem Hundepfleger gehen, wo man ihn baden und auch jede andere Körperpflege mit ihm anstellen wird. Also werde ich niemals selbst auf seine Analdrüsen drücken müssen.«
»Auch daran denke ich dabei nicht«, meinte Mike. »Obwohl mir ja meistens Analdrüsen in den Sinn kommen, wenn ich an dich denke.«
»Du bist gefeuert«, gab ich zurück.
»Das müsste mich ja eigentlich beunruhigen. Aber wer außer mir würde für dich arbeiten wollen?«
»Vielleicht jemand, der tatsächlich schon mal ein Haus errichtet hat«, antwortete ich.
Ehe Mike sich zehn Jahre lang den Aufgaben widmete, die Planungen und Bauarbeiten für unser Haus zu übernehmen – einschließlich der vierjährigen Arbeit mit drei Architekten, bevor der dritte schließlich das lieferte, was wir uns wünschten –, war er erst Maurer und dann ein Vertragsunternehmer für den Bau von Swimmingpools gewesen. Unser Haus war das Erste, das er baute, und die beiden Architekten, deren Pläne wir dann nicht verwendeten, versuchten ständig, uns dazu zu bringen, ihm zu kündigen. Das war einer der Gründe dafür, dass Gerda und ich sie ziehen ließen.
Im Laufe der Jahre haben wir gelernt, dass die wichtigste Eigenschaft eines Menschen seine Persönlichkeit ist. Wenn ein Mensch vom Charakter her aufrichtig ist – was stets Ehr- und Pflichtgefühl und strenge Ansprüche an sich selbst beinhaltet –, wird er oder sie einen niemals enttäuschen. Natürlich spielt auch die berufliche Erfahrung eine Rolle, aber ein erfahrener Hausbauer ohne aufrichtigen Charakter ist wie eine ewige Falltür unter den eigenen Füßen, die nur darauf wartet, dass man sie betritt. Als wir Mike fragten, ob er ein derart komplexes Bauprojekt wie das unsere übernehmen könne, sagte er ohne zu zögern zu, und wir beauftragten ihn voller Vertrauen in ihn damit. Wir haben es niemals bereut.
Am Morgen vor Trixies Ankunft sagte Mike im Laufe der liebevollen wechselseitigen Neckerei, die typisch für Gerdas und meinen Umgang mit den meisten Freunden ist: »Mit ordentlich meine ich, dass deine Tage nicht mehr so strukturiert verlaufen werden, wie du’s gewöhnt bist. Und du wirst deine Zeit nicht mehr so effizient wie früher nutzen können. Du wirst entdecken, wie es ist, ein ganz normaler Mensch zu sein, nachdem du all diese Jahre über so verdammt anomal warst.«
»Ich betrachte mich als erfreulich anormal«, erwiderte ich.
»Tja, da hast du recht«, meinte Mike.
»Der Hund wird nicht ein Zehntel so viel Chaos in mein Leben bringen, wie du es getan hast«, prognostizierte ich. »Und da man ihn einmal in der Woche baden wird, wird er auch besser riechen als du.«
»Nun passiert es schon wieder«, gab Mike zurück. »Schon wieder muss ich an Analdrüsen denken.«