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Kuckucks-Knabenkraut und Lustschloss

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Am Abend zu Hause verlief das Abendessen stürmisch. Herr Krampf Vater wetterte gegen die schlechte Wirtschaftslage, die Kriege in dem Balkan, die Invasoren, die schiefe Weltordnung, die noch schiefere Menschheit und die Suppe, die nicht wie sonst schmeckte. Und vor allem machte ihm die Parteikasse Sorgen. Sie sei fast leer und er sollte dafür sorgen, dass ein bisschen drin bleibt, soviel um den Kassenboden nicht zu sehen.

Und nun war sein Sohn Gärtner … Bei der reichsten Frau Deutschlands. Ihm kamen die Tränen.

Und auch in den Augen der Mutter glitzerte die salzhaltige Körperflüssigkeit, als sie zu ihrem Mann sah, allerdings von einem anderen Kaliber. Glückseligkeit, Stolz und eine gewisse Genugtuung kullerten ihr die Wangen herunter: Der Sohn - ihr Sohn! - hatte eine anständige Arbeit in einem anständigen Haushalt! Er rettete, züchtete, pflegte zierliche Pflanzenwesen und zierte mit Liebe und Hingabe die Fensterbänke der Menschheit. Und siehe da: Wie bescheiden er vor ihr seine Suppe löffelte!

- „Mama“, brach Aloys die beredte Stille, „kann ich den Lüftungsmesser haben? Und auch den Temperaturmesser brauche ich.“

- „Aber natürlich, mein Sohn“, antwortete die Mutter, während sie still auf seine Hand sah wie diese, kahl, zierlich, weiß wie Alabaster, unschuldig wie die des Heilands, den Löffel zum Mund führte.

Mehr sagte er nicht. Er sagte nicht, dass er gelbe Flecken auf dem braunroten Sitter und braune auf dem Kuckucksknabenkraut bemerkt hatte, dass er die Raumtemperatur in dem Gewächshaus der guten Frau Rosenthaler auf 24,5 Grad Celsius schätzte und die Luftfeuchtigkeit auf 48%. Alles in allem keine zufriedenstellenden Kulturbedingungen. Er sagte nicht, dass er vorhatte, seine Schützlinge von dem Gewächshaus in das Trianon zu bringen. Eine dringende Angelegenheit. Er musste sie retten. Das war seine Pflicht.

- „Aber ja, natürlich“, willigte Frau Rosenthaler ein auf die Bitte ihres Gärtners, die Orchideen umzusiedeln.

- „Sie kommen in mein Trianon!“, sagte die alte Dame strahlend, „alle Orchideen, wenn Sie möchten.“

Und er eilte sich am nächsten Tag, die Töpfe von dem maroden Gewächshaus in das auf Deutsch Lustschloss genannte Refugium zu befördern.

Mitten in seiner Rettungsaktion machte sich Irina, die dritte Zofe, an ihn heran. Sie hatte auf den günstigsten Augenblick gewartet. Die ganze Zeit war sie hin und her an seiner Seite gerückt, hatte ihm zunächst flüchtig dann eingehend gedehnte Blicke zugeworfen. Und auf einmal legte sie los: „Haben Ihnen die anderen gesagt, was hier abläuft, Herr Krampf?“

- „Mit den Orchideen?“

- „Nein, mit uns.“

- „Die Herrin hat einen großen Haschmich im Kopp, das haben Sie gemerkt oder haben Sie es nicht gemerkt?“

- „Ich weiß nicht was sie im Kopf hat. Ich kümmere mich um die Orchideen“, antwortete er.

- „Sie hat Alzheimer, die Alte, schon lange. Nun muss ich Sie aufklären. Die Alte hat mitgekriegt, dass wir in Deutschland die Deutsche Mark wieder eingeführt haben, aber mit dem Wechselkurs zwischen Euro und D Mark kommt sie nicht klar.“

- „Das ist doch einfach“, erwiderte Aloys. „Eine DM entspricht 0,4566957 Euro oder umgekehrt ein Euro entspricht 2,1896418 DM“.

- „Und wir“, fuhr Irina fort, „das heißt ich, der Butler, der Chauffeur, die Köchinnen, die fünf Diener, die anderen Zofen und der Privatsekretär kriegen das Doppelte von dem was uns zusteht oder, besser gesagt, das Doppelte von dem Zehnfachen oder das Zehnfache von dem Doppelten, ich weiß nicht mehr genau. So haben wir entschieden. Und zehn Prozent zusätzlich kriegt der Privatsekretär, weil er die Gehälter überweist.“

- „Aber Fräulein Irina, das Doppelte von dem Zehnfachen und das Zehnfache von dem Doppelten kommt auf das Gleiche hinaus und, wenn Sie nicht in Verlegenheit geraten wollen, sagen Sie einfach das Zwanzigfache.“

- „Das Zwanzigfache, ja … Aber ich kriege am wenigsten“.

Sie begann zu weinen. „Weil ich die Jüngste bin. Das ist voll ungerecht.“

- „Voll ungerecht“, wiederholte er, „weil Sie die Jüngste sind.“

- „Das Alter sollte keine Rolle spielen ... Achtung! Sie kommt.“

In nullkommanichts verschwand die Zofe durch die Gartentür nach draußen. Frau Rosenthaler stand im Türrahmen und blickte selig in den großen Saal ihres Trianons hinein. Sie bat den Gärtner eine Tasse Tee mit ihr zu teilen.

Er willigte ein, aber erst nach Vollendung seiner Arbeit.

- „Aber natürlich, Herr Krampf.“

Auf einem schwarzen Barocksofa in einer Ecke des Zimmers nahm sie gemächlich Platz, klemmte ihren Gehstock zwischen den Beinen ein, legte beide Hände auf den versilberten Knauf und das Kinn darauf. Vor ihr stand ein runder niedriger Mahagoni Tisch, mit Tassen und einer Teekanne gedeckt, links und rechts von Barock Stühlen, mit rotem Samt gepolstert, umgeben.

Eine Zofe eilte mit einer Torte herbei. Frau Rosenthaler winkte ab und machte ihr klar, die Herrin sei von nun an für jedermann unabkömmlich.

Sie seufzte. Gedehnt und hoffnungsvoll. Der Gärtner eilte beschwingt von dem Vorraum, wo die Diener seinem Wunsch folgend die Pflanzen gebracht hatten, eine Orchidee in den Armen, um sie auf eine einfache improvisierte Ablage vor dem Fenster, das die ganze Breite des Schlösschens einnahm, zu stellen.

Nach links drehte er zuerst seinen Schützling, dann nach rechts, wieder nach links … und bemerkte dabei nicht die eingehende Beobachtung seiner Herrin.

Ob es da eine Logik gäbe bei diesen Drehungen, fragte sie sich. Auch hatte sie noch nie einen Menschen gesehen, der so in seine Arbeit vertieft war. Wie besessen, so kam es ihr vor, platzierte er die Töpfe nach einer Rangordnung, die nicht der Gattung entsprach, sondern eher der Anzahl der Schaften und der Blüten. Mit einem kleinen Hüpfer der Freude zwischendurch holte er aus dem Vorraum die nächste Blume an der Reihe.

Der Mann sei nett, meinte Rosamunde Rosenthaler, nicht sehr hübsch, aber nett. Immerhin.

Die blonden Locken, die runde Brille, alles an ihm erinnerte sie an eine Art von jungen Intellektuellen, die man Anfang des letzten Jahrhunderts in Wiener Kaffeehäusern hätte begegnen können. Sie schlief bei dem Gedanken ein.

Als sie die Augen aufschlug, saß er vor ihr und lächelte sie an.

Er sagte: „117 Orchideen.“

- „Prima“, erwiderte sie und setzte sich aufrecht.

Fieberhaft ließ sie die Perlen einer in einem breiten Dekolleté halb verschwundenen Kette zwischen ihren schmalen Fingern gleiten.

- „Ich hatte vier Männer“, hob sie ohne Umschweife an, „alle vier tot. Ich weiß nicht mehr so recht, ob sie in Unfällen gestorben sind oder ob ich sie umgebracht habe. Das ist nicht auszuschließen. Wenn ich das sage, meinen sie alle ich wäre nicht ganz bei Sinnen. Keiner glaubt mir.“

- „Oh doch“, antwortete Aloys, „ich glaube Ihnen, Frau Rosenthaler. Warum sollte das nicht wahr sein?“

- „Sie sind ein guter Mensch, Herr Krampf. Wissen Sie, was Mensch in Jiddisch heißt?“

- „Nein.“

- „In Jiddisch heißt Mensch „guter Mann“. Also sind Sie in meinen Augen ein guter Mann.“

- „Dann heißt guter Mensch guter guter Mann.“

- „Und Humor besitzen Sie auch.“ Sie lachte.

Dann seufzte sie gedehnt, führte die Tasse zu ihren Lippen und bevor sie ihren Tee auf den Tisch abstellte, sagte sie entschlossen: „Fast fühle ich mich verpflichtet, Ihnen ein bisschen von meinem Leben zu erzählen.“

Er schwieg.

- „Ich hatte eine furchtbare Kindheit“, begann sie zu erzählen. Sie hatte den Diamanten am Ende ihrer Perlenkette in die Hand genommen und streichelte ihn mit den Fingerkuppen. „Mein Vater war Bänker und meine Mutter Gräfin. Nach meinem Biographen jedenfalls. Die Biographie ist noch nicht veröffentlicht worden. Nach eigenem Erleben weiß ich nicht wer meine Eltern waren. Ich weiß nichts mehr von meiner Kindheit. Von meinem Leben weiß ich nur, was der Biograph gesponnen hat. Ich habe viermal geheiratet. Mein erster Mann starb an einer Überdosis Zyankali, einem Überbleibsel aus der Nazi-Zeit. Der Fall wurde als Suizid bewertet. Gustav hieß er. Der zweite … Eine undichte Stelle am Benzintank seines Autos. An die Explosion kann ich mich auch nicht erinnern. Ich habe einen tiefen Schlaf. Seitdem fahre ich nur Modelle eines deutschen Fabrikates. Der Vorname ... Mark oder Markus. Ein feiner Kerl.“

Sie seufzte, trank einen Schluck Tee und erzählte weiter: „Der dritte war Jäger. Das hat die Sache vereinfacht. Zu früher Stunde im grünen Wald. Bing! Und Adieu Morris. Der Vierte war zäh, zäh wie eine Zecke und kräftig wie ein Buchenstamm. Eine Herausforderung. Jedenfalls ist er musterhaft gestorben, wie ich es gemacht hätte, wenn ich vor gehabt hätte, ihn umzubringen. Eine kleine Kreuzfahrt. Ein großes Fass Bier. Er liebte Bier. Puff! Und Adieu Philipp. Und heute? Heute bin ich furchtbar allein, verlassen und verstoßen.“

Sie weinte.

- „Ich will wieder von einem Mann begehrt werden, wie jede Frau. Jede Frau hat es verdient, begehrt zu werden“, sagte sie, während sie die Tränen an ihren Augen mit einem weißen Leinentuch abtupfte.

- „Ja, jede Frau!“, bestätigte Aloys Krampf.

- „Waren Sie schon mit einer Frau zusammen, Herr Krampf?“

- „Ja, mit meiner Mutter.“

- „Aber ich meine, abgesehen von Ihrer Mutter?“

- „Ach, Sie meinen eine Liebesbeziehung wie Sie, Frau Rosenthaler, mit Ihren vier Männern?“

- „Ja, das meine ich.“

- „Nein. So was habe ich nie gehabt.“

- „Und vielleicht eine Beziehung einer anderen Art ...“

- „Welcher Art?“

- „Also … Eine körperliche Annäherung?“

- „Sie meinen mit Sex?“

- „Ja.“

- „Nein, Frau Rosenthaler, so was auch nicht.“

- „Aber ...“

- „Aber?“

- „Ich habe die Orchideen.“

Sie schwieg. Er trank. Er schwieg. Sie trank.

- „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie Aloys nenne?“, fragte sie nach einer Weile.

- „Aber, Frau Rosenthaler, ich heiße Aloys. Sie müssen mich Aloys nennen.“

Mein Krampf

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