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Affen-Knabenkraut … Und rot noch dazu!

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War es Liebe? Er hatte ihr zum zweiten Mal eine Blume geschenkt. Ein Affen-Knabenkraut. Und rot noch dazu!

Seitdem hatte sie die fachkundige Literatur über diese Art von Orchideen eingehend studiert. Behalten hatte sie das Bild eines permanent weiter wachsenden Sprosses, den sie geistig und prompt in die Versinnbildlichung seiner Liebe zu ihr verwandelt hatte. Er liebte sie also.

Ihr Herz schlug Purzelbäume. Im Sekundentakt. Sie fühlte, träumte, bebte, lebte und dachte wie das siebzehnjährige Mädchen, das sie einst gewesen war. Vor 80 Jahren. Und noch mehr: Wenn sie in den Spiegel sah, begegnete ihr das vertraute Gesicht jenes ängstlichen, dennoch wild entschlossenen Wesens aus dem Jahr 1953. Großartig. Die blonden Strähnen. Die leuchtenden Augen. Wie Glasperlen. Die Stupsnase. Die Sommersprossen. Kurzum: Sie fühlte sich wie Gretchen vor dem großen Treffen mit Faust.

In der Nacht – sie konnte es nicht anders – verließ sie heimlich ihr Schlafzimmer und begab sich in das Reich des heiß Begehrten. Sie wollte fühlen was er fühlte, riechen was er roch, sehen was er sah. In Reih und Glied standen seine Schützlinge auf der Fensterbank ihres Lustschlosses, das sie „Le petit Trianon“ getauft hatte, in leuchtendem Gelb, zartem Orange, verführerischem Rot, unschuldigem Weiß. Sie fragte sich erneut, ob die Reihenfolge etwas zu bedeuten hatte, zumal vor jedem Topf ein Schildchen stand, auf das eine zarte Hand - seine Hand! - weibliche Namen aufgeschrieben hatte: Sophia, Dunja, Foedora, Tanja ... Jeder Blume hatte er einen Russischen Vornamen verpasst. Was hatte dies zu bedeuten? Sie wurde neugierig, schlug das Heft auf, das auf seinem Schreibtisch lag. Akribisch waren die Gießmengen, die Gießzeiten, die Temperatur und die Feuchtigkeit der Orchideen aufgeführt worden. Tanja, Donnerstag, 9.43 Uhr, fünfundzwanzig Träufeleinheiten, Feuchtigkeit 61 %, Temperatur: 24 Grad Celsius.

Schwungvoll wand sich die Schrift unter ihren feuchten Augen. Einen besonderen Gefallen fand sie an den Rundungen der Ziffern. Ein eindeutiges Zeichen für Sinnlichkeit. Der Liebesknabe war ein Hedonist! Sie malte sich aus, wie er morgens seine Halbgöttinnen mit einem leichten Anheben der Blüten begrüßte:

Guten Morgen Agatha,

Wie geht es dir ? Tanja,

Na, Dunja, immer noch schön munter?

Sophia, heute schenkst du mir deine Blütenpracht!

Ein verführerischer Kerl der raffiniertesten Sorte! Ah, wie gern sie eine seiner Blumen gewesen wäre! So sehr sehnte sie sich nach seiner warmen Hand, so sehr dass ihr die Knie versagten. Sie musste sich hinsetzen, nahm an seinem Schreibtisch Platz und versuchte ihr wild tobendes Herz zur Räson zu bringen. Und plötzlich fühlte sie mit der Hand den Stoff an ihrer rechten Seite. Die Schürze, SEINE Schürze lag auf der Lehne, in einem zarten verwaschenen Blau, unschuldig und artig wie die Flügel eines Engels. Sie nahm sie in die Hände, führte den Stoff zu ihrer Nase, senkte die Lider und atmete tief ein. Es roch himmlisch! Nach Schweiß, Vanille, heißen Verführungen, die zu noch heißeren Versprechungen führten, nach Erde, Ton, Kreide, Tinte und Liebesspielen, nach verflochtenen Händen, Armen, Körpern, nach Genuss, Vergnügen und Liebesakt. Sie schnüffelte so lange bis sie selig und erschöpft auf dem Stuhl einschlief.

Mein Krampf

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