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Die Partei

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Am Montag sollte sie ihn wieder sehen. Aber Montag war der Tag der Lagebesprechung mit ihrem Kompetenzteam. Um Punkt neun Uhr erschien eine Kohorte von grauen Männern in dem roten Salon.

Fünf Bittsteller in Nadelstreifen: der Banker, der Vermögensberater und Buchhalter und Generalsekretär der Partei, der Notar, der Arzt und der Privatsekretär nahmen an der Längsseite eines Ebenholztisches Platz. Sie an der anderen Seite.

Sie wollte es schnell hinter sich bringen und zu ihrem Gärtner eilen. Das Gute dabei war, dass der Blick auf die Männer ihr purzelndes Herz beruhigt hatte.

Nach den Formalitätsfloskeln über das Wetter und ihre Gesundheit, ergriff der Banker das Wort: „Verehrte Frau Rosenthaler, die Fusion zwischen zwei Ihrer stärksten Konkurrenten für 180 Milliarden DM vergangene Woche ist leider nicht spurlos an dem Konzern Rosenthaler & Blumenbeet vorbei gegangen. Die Namen der beiden fusionierenden Konzerne mögen nicht sehr bekannt sein, ihre Produkte schon. Die neue entstandene Holding wird Rosemarie die Glückspille und Fatomas die Antifett-Pille vertreiben. Beide werden Schatten auf die Rosenthaler Produkte werfen. Die Fusion wird sich für uns negativ am Börsenmarkt bemerkbar machen. Aber nicht lang und nichts Gravierendes. Ein paar Prozente. Nicht mehr. Das wird sich legen.“

„FUSION“, das Wort hallte in Frau Rosenthalers Kopf wider. „eine Fusion sehnte sie herbei zwischen ihr und ihrem Orchideenknaben.“

- „Außerdem“, ergänzte der Vermögensberater, „wir haben bestens vorgesorgt, indem wir das Schweizer Konto aus dem Erlös des Verkaufs Ihrer Hotels um 30% aufgestockt haben.“

In einem Hotel sollte es nicht geschehen, dachte sie, lieber in einem Gartenhäuschen ... Wie in Goethes Faust … Der erste Kuss ...

„Das heißt“, setzte der Vermögensberater fort, „wir werden nicht nur die Turbulenzen am Aktienmarkt auffangen, wir werden eine Steuerersparnis um die 27% erwirtschaften. Das ist eine erfreuliche Nachricht.“

Mit den Turbulenzen der letzten Nacht war sie noch am kämpfen, mit gewissen Nachwehen. Die Erinnerung an den Gärtner ging durch alle ihrer Glieder, trieb mit dem Gedächtnis ein wollüstiges Spiel. In seinen Armen wähnte sie sich in dem kleinen Trianon im Schatten der Orchideen, auch wenn die Stiele und die Blüten zu zart waren um Schatten zu werfen.

- „Ich bin verliebt“, sagte sie den Herren, seelenglücklich mit einem vor Vergnügen dahin schmelzenden Lächeln.

- „Und?“, wollte sie die ratlosen Gesichter ihrer Gegenüber erfragen.

- „Und was?“, fragte der Banker stutzig.

- „Was sagen Sie dazu?“, wollte sie wissen.

Ein hinter der Hand prustendes Lachen brach aus ihnen heraus.

Dann sagte der Arzt: „Das ist Ihr gutes Recht. Heiraten werden Sie sowieso nicht mehr.“

- „Wer weiß ...“, erwiderte Frau Rosenthaler.

- „Wer ist der … ?“, fragte der Notar zögerlich.

- „Der Glückliche?“ ergänzte schmunzelnd der Privatsekretär.

- „Erwarten Sie nicht von mir, dass ich den Namen preisgebe“, antwortete sie. “Der Knabe ist mir zu heilig, um belästigt zu werden.“

Sie erstarrten, blickten einander an und gaben einen tiefen Seufzer von sich.

Nichts konnte sie dieser Männergesellschaft abgewinnen. Sie waren ihr zu bärtig, zu langweilig, zu spröde in ihrer Redegewandtheit, während er, der Meister der Orchideen, ihr mehr denn je als ein glänzend glatt göttlicher Knabe erschien. Und das Seltsame daran war, was der Knabe mit ihr gemacht hatte. Des Öfteren hatte sie gemerkt, dass sie in einer besseren physischen Verfassung war. Sie ging nicht mehr so gebückt. Auch hatte sich die Hüfte schon lange nicht mehr gemeldet. Und wie oft war sie vor der Zeit mit dem Gartenknaben außer Puste gewesen! Derlei geschah nicht mehr. Und überhaupt seltsame Dinge hatten sich zugetragen, die sie in ihrem Innersten bewahrte. Das Bild, das ihr vor drei, vier Tagen im Spiegel begegnet war, ihr eigenes Antlitz erkannte sie nicht mehr.

„Wer bist du?“, erinnerte sie sich gefragt zu haben vor der leuchtenden Kraft eines Blickes, der ihr wie ein heiliger Schein vorkam. Sie erinnerte sich ... Die Haut unter ihren Fingerkuppen fühlte sich sanft und glatt an und das Lächeln, das plötzlich ihr Gesicht zierte, empfand sie wie einen Strahl der Wärme und Glückseligkeit. Sie wähnte sich im Traum oder eher in einem Roman.

Sie fuhr mit der Hand durch ihre weißen Haare - auf ihre dichte Mähne war sie immer stolz gewesen - und sah vergnügt auf die von dem Notar aus einer Aktentasche eifrig herausgefischten Dokumente.

- „So“, sagte der Notar, „dann machen wir mit der testamentarischen Verfügung weiter. Ich habe hier die neue Fassung. Da stimmt alles, wie wir es das letzte Mal besprochen haben. 30 Prozent an Greenpeace, 30 Prozent an den Tierschutz, 30 Prozent an die Kirche und der Rest an die schutzbedürftigen Kinder, so war das. Das Ganze soll in eine Stiftung fließen, die Ihr Vermögen so zu sagen verwalten und aufteilen wird. So war das. Es wäre allerdings überlegenswert …“ Er räusperte sich. „Ich meine, wir haben lange überlegt, wie wir am effizientesten, langfristigsten und vernünftigsten im Sinne Ihres Konzerns, Ihres Rufes und der Menschheit handeln sollten. Und wir sind zu dem Schluss gekommen: Wenn es der größte allerletzte Wunsch eines Menschen ist, die Welt der Pflanzen, der Tiere, der Christen und der Kinder zu bereichern, dann ist es ratsam, sich umzuschauen, ob es nicht bereits auf der Erde eine bestehende Organisation gibt, die sich um die Welt der Pflanzen, der Tiere, der Christen und der Kinder sorgt. Und die gibt es tatsächlich. Das ist das erfreuliche. Das ist, das wird Sie nicht wundern, die Partei, die größte Partei Deutschlands, die Neue Völkische Partei. Die einzige Organisation, die sich gleichermaßen um die Pflanzen, die Tiere, die Christen und die Kinder sorgt. Weshalb wir vorschlagen, das Geld vorsorglich für eine gerechte Verteilung in die Partei fließen zu lassen.“

- „Die Partei würde so zu sagen als Stiftung fungieren“, ergänzte der Privatsekretär.

- „Es würde also keinen Unterschied machen“, fügte der Vermögensberater hinzu.

Dass mein Leben so schnell einen Wandel erfahren würde, hätte ich nicht gedacht, sinnierte Frau Rosenthaler und rührte mit dem Löffel in ihrer Kaffeetasse.

- „Das ist eine Metamorphose!“, brach es aus ihr hervor. „Psychisch wie körperlich. Ich will leben!“

- „Aber, Frau Rosenthaler“, meldete sich der Arzt, „jeder will leben. Über die Länge entscheidet leider keiner. Es gibt eine biologische Uhr gegen die man nicht angehen kann. Der Körper unterliegt nun mal gewissen Verschleißprozessen, denen man nicht ausweichen kann, auch wenn man an der Spitze eines der größten Pharma-Konzerne der Welt steht. Es gibt eine Zeit, um an das Leben zu denken und eine, um an das Sterben zu denken. Das ist der Gang der Dinge.“

- „Ich liebe, also lebe ich“, deklamierte sie, lachte aus voller Kehle, nahm die Papiere in die Hände, formte sie zu einer Kugel und warf sie in die Luft.

- „Frau Rosenthaler“, schrie der Notar, „Ihr Testament!“

- „Ich will kein Testament, keine Pflanzen, keine Kinder, keine Christen. Ich will leben und sie kommen in dreißig Jahren wieder.“

Mit einem trockenen Händedruck verabschiedete sie das Kompetenzteam. Sie blieb eine Weile an dem Tisch sitzen. Ein Gedanke hatte sie gestreift, während sie auf die Männer gesehen hatte: Ob der Knabe, den sie im Gegensatz zu den anderen Spezies seiner Zunft sanft, makellos und liebenswürdig erlebt hatte, ob er jemals in seinem Leben mit dem sexuellen Trieb in Berührung gekommen sei? Nach seinen Andeutungen und Aussagen wohl nicht. Sie nahm sich vor, ihn behutsam aufzuklären.

Mein Krampf

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