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3 Netze

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Wir verkauften das Haus. Ein langes gemeinsames Leben abzuwickeln und einzupacken war eine Aktion, die die Zeit fast unheimlich verzerrte; es riss mich zurück zum Abschied von Südafrika, dem Land meiner Geburt, aus dem wir fortgingen, als ich neun war, und es riss mich nach vorn in ein unbekanntes Leben, das mich jetzt, mit fünfzig, erwartete. Ich löste das Zuhause auf, für dessen Schaffung ich einen großen Teil meiner Lebensenergie aufgewendet hatte.

Wenn vom Märchen des schönen Heims, in dem Glück und Behagen von Mann und Kind immer vorgehen, die Tapeten abgerissen werden, kommt dahinter eine unbedankte, ungeliebte, vernachlässigte, erschöpfte Frau zum Vorschein. Um ein Heim zu schaffen, das allen wohltut und gut funktioniert, braucht es Geschick, Zeit, Hingabe und Einfühlungsvermögen. Vor allem zeugt es von kolossaler Selbstlosigkeit, Architektin des Wohls aller anderen zu sein. Diese Aufgabe gilt noch heute vorwiegend als Frauenarbeit, weshalb alle möglichen Wörter benutzt werden, um den Kraftakt kleinzureden. Wurde die Ehefrau und Mutter von der Gesellschaft geschwängert, spielt sie Ehefrau-und-Mutter für alle. Sie hat die Geschichte gebaut, die das alte Patriarchat für die heterosexuelle Kernfamilie entworfen hat, und dabei natürlich auch ein paar zeitgemäße eigene Dekostücke untergebracht. Wenn die Frau sich im schönen Heim nicht mehr daheim fühlt, beginnt die größere Geschichte von Gesellschaft und weiblicher Unzufriedenheit. Solange die Frau von der Gesellschaftsgeschichte, die sie mit Hoffnung, Stolz, Glück, Ambivalenz und Zorn inszeniert hat, nicht zu tief in die Knie gezwungen ist, wird sie die Geschichte verändern.

Das Heim einer Familie aufzulösen ist, als zerlegte man eine Uhr. So viel Zeit haben die verschiedenen Dimensionen dieses Zuhauses durchlaufen! Angeblich kann ein Fuchs aus vierzig Metern Entfernung das Ticken einer Uhr hören. In unserem Zuhause hing in der Küche eine Wanduhr, die keine vierzig Meter vom Garten entfernt war – ihr Ticken müssen die Füchse mehr als zehn Jahre lang gehört haben. Jetzt war sie eingepackt, mit dem Gesicht nach unten in einer Kiste.

Als die Türen des Umzugswagens zugeschlagen wurden und der Fahrer den Motor anließ, sah mich meine freundliche Nachbarin im Garten stehen und fragte, ob ich mich bei ihr ein bisschen ausruhen wolle. Eine Stunde lag ich auf ihrem Sofa, und als ich gehen wollte, fragte sie: »Was ist das eigentlich?« Sie zeigte auf die zwei Kescher aus den Kindheitstagen meiner Töchter. Ich hatte sie nicht eingepackt; der eine war gelb, der andere blau, beide noch sandverkrustet. Mit diesen Netzen hatten sie, wenn wir am Meer Ferien machten, kleine Fischchen geangelt, waren kniehoch ins Wasser gewatet und hatten auf Ungeheuerliches gewartet, das ihres Weges käme. Jetzt lehnten die Kescher, an anderthalb Meter langen Stangen hängend, verträumt am viktorianischen Erkerfenster meiner Nachbarin.

Ihr Vater und ich waren uns einig, dass wir getrennt leben, aber am Leben unserer Kinder immer gemeinsam teilhaben würden. Es gibt nur liebevolle und lieblose Elternhäuser. Zu Bruch ging die patriarchale Geschichte. Dennoch werden die meisten Kinder, die in ihr aufgewachsen sind, ihrerseits unbedingt eine Neuauflage der Geschichte schreiben wollen, wie alle.

Was das Leben kostet

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