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SAMSTAG Wild lebend

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Der Swimmingpool im Garten der Ferienvilla glich weniger einem dieser tristen blauen Pools, wie man sie aus Urlaubsprospekten kennt, als einem Teich. Einem Teich in Form eines Rechtecks, den eine italienische Steinmetzfamilie aus Antibes aus dem Stein gehauen hatte. Der Körper trieb am tiefen Ende, wo das Wasser im Schatten einer Reihe von Pinien kühl blieb.

»Ist es ein Bär?« Joe Jacobs deutete vage Richtung Wasser. Er spürte, wie sich die Sonne in das Hemd einbrannte, das sein indischer Schneider für ihn aus einem Ballen Rohseide angefertigt hatte. Sein Rücken brannte wie Feuer. In dieser Juli-Hitzewelle schmolzen selbst die Straßen.

Seine Tochter, Nina Jacobs, vierzehn Jahre alt, stand in ihrem neuen, mit Kirschen bedruckten Bikini am Poolrand und warf ihrer Mutter einen ängstlichen Blick zu. Isabel Jacobs öffnete gerade den Reißverschluss ihrer Jeans, als wolle sie ins Wasser springen. Gleichzeitig sah Nina, wie Mitchell und Laura, Freunde der Familie, mit denen sie einen Sommer lang diese Villa teilten, ihre Teetassen abstellten und zu den Steinstufen gingen, die am seichten Ende in den Pool führten. Laura, eine schlanke, eins neunzig große Riesin, schleuderte ihre Sandalen von sich und watete bis zu den Knien ins Wasser. Eine abgewetzte gelbe Luftmatratze stieß gegen den moosbewachsenen Beckenrand und trieb die Bienen auseinander, die dort in verschiedenen Stadien des Todeskampfs schwammen.

»Was glaubst du, was es ist, Isabel?«

Von dort, wo sie stand, sah Nina, dass es eine Frau war, die da nackt unter der Wasseroberfläche trieb. Sie schwamm auf dem Bauch, die Arme von sich gestreckt wie ein Seestern, und ihre langen Haare umspielten ihren Körper wie Seegras.

»Jozef glaubt, es sei ein Bär«, antwortete Isabel im distanzierten Ton einer Kriegskorrespondentin.

»Wenn es ein Bär ist, werde ich ihn erschießen müssen.« Mitchell hatte vor kurzem auf dem Flohmarkt in Nizza zwei alte persische Pistolen gekauft und war ständig auf der Suche nach etwas, worauf er schießen konnte.

Gestern hatten sie alle über einen Zeitungsartikel diskutiert, in dem von einer 94 Kilogramm schweren Bärin berichtet wurde, die in Los Angeles aus den Bergen herabgestiegen war und ein Bad im Pool eines Hollywoodschauspielers genommen hatte. Dem Tierschutzverein von Los Angeles zufolge war die Bärin läufig. Der Schauspieler verständigte die Polizei. Die Bärin wurde mit einem Narkosegewehr betäubt und dann in den nahen Bergen ausgesetzt. Joe Jacobs hatte laut darüber nachgedacht, wie es sich anfühlen mochte, wenn man betäubt wurde und dann heimstolpern musste. Hatte das Tier jemals nach Hause gefunden? Hatte es in seiner Benommenheit den Weg vergessen und zu halluzinieren angefangen? War die Bärin aufgrund des »chemischen Käfigs«, der im Betäubungspfeil enthaltenen Barbiturate, vielleicht ganz wacklig auf den Beinen gewesen? Hatte das Betäubungsmittel der Bärin am Ende geholfen, mit dem Stress des Lebens zurechtzukommen und ihre Aufgewühltheit zu bezähmen, sodass sie nun die Behörden bekniete, ihr kleine Beutetiere hinzuwerfen, in die man Barbiturate gespritzt hatte? Joe hatte seine Tirade erst beendet, als Mitchell ihm auf die Zehen trat. Aus Mitchells Sicht war es sehr, sehr schwer, den Dichterarsch, den seine Leser als JHJ kannten (und den mit Ausnahme seiner Frau alle anderen Joe nannten), dazu zu bewegen, sein blödes Maul zu halten.

Nina schaute zu, wie ihre Mutter einen Kopfsprung in das trübgrüne Wasser machte und zu der Frau hinschwamm. Wahrscheinlich rettete ihre Mutter ständig irgendwelche Leute, die mit aufgedunsenem Körper in einem Fluss trieben. Wenn sie in einer Nachrichtensendung auftrat, gingen angeblich die Einschaltquoten nach oben. Ihre Mutter verschwand nach Nordirland, in den Libanon oder nach Kuwait, und dann kam sie zurück, als wäre sie nur mal eben Milch holen gewesen. Wer auch immer die Frau im Pool war – gleich würde Isabel Jacobs sie am Knöchel packen. Plötzlich spritzte das Wasser so heftig, dass Nina zu ihrem Vater rannte, der seine Hand auf ihre sonnenverbrannte Schulter legte, woraufhin sie laut aufschrie. Als aus dem Wasser mit weit aufgerissenem, nach Luft ringendem Mund ein Kopf auftauchte, glaubte sie eine Schrecksekunde lang, das Brüllen einer Bärin zu hören.

Eine Frau mit tropfenden, hüftlangen Haaren stieg aus dem Pool und rannte zu einem der Plastikliegestühle. Sie sah aus wie Anfang zwanzig, aber das war schwer zu sagen, weil sie auf der Suche nach ihrem Kleid hektisch von einem Stuhl zum anderen hüpfte. Das Kleid war aufs Pflaster gefallen, aber keiner kam ihr zu Hilfe, weil alle ihren nackten Körper anstarrten. Nina war von der glühenden Hitze ganz benommen. Der bittersüße Geruch von Lavendel stieg ihr in die Nase, schnürte ihr die Luft ab, und der keuchende Atem der Frau vermischte sich mit dem Summen der Bienen in den welkenden Blumen. Sie fragte sich, ob sie einen Sonnenstich hatte, denn ihr war, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Verschwommen sah sie, dass die Frau für jemanden, der so dünn war, überraschend volle und runde Brüste hatte. Ihre langen Oberschenkel waren mit den Gelenken ihrer hervorstehenden Hüften verbunden wie die Beine der Puppen, die sie als Kind hin und her gedreht hatte. Das Einzige, was an dieser Frau echt wirkte, war das Dreieck blonder Schamhaare, das in der Sonne glitzerte. Nina verschränkte bei ihrem Anblick die Arme vor der Brust und machte einen Buckel. Am liebsten hätte sie ihren eigenen Körper unsichtbar gemacht.

»Ihr Kleidliegt da drüben.« Joe Jacobs deutete auf das Knäuel aus zerknittertem blauem Baumwollstoff unter dem Liegestuhl. Sie hatten sie alle peinlich lange angestarrt. Die Frau nahm das dünne Kleidchen und streifte es resolut über den Kopf.

»Danke. Ich bin übrigens Kitty Finch.«

Genau genommen sagte sie: Ich bin Kah Kah Kah, und stotterte eine Ewigkeit so weiter, bis sie schließlich bei Kitty Finch anlangte. Sie konnten es alle gar nicht erwarten, dass sie endlich sagte, wer sie war.

Nina bemerkte, dass ihre Mutter noch im Wasser war. Als sie über die Steintreppe herausstieg, war ihr nasser Badeanzug mit silbernen Piniennadeln übersät.

»Ich bin Isabel. Mein Mann dachte, Sie wären eine Bärin.«

Joe Jacobs presste die Lippen aufeinander, um nicht aufzulachen.

»Natürlich dachte ich nicht, dass sie eine Bärin ist.«

Die Augen von Kitty Finch waren so grau wie die getönten Scheiben von Mitchells Mietwagen, einem Mercedes, der vor der Villa auf dem Kies geparkt war.

»Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich in den Pool gesprungen bin. Ich bin gerade angekommen, und es ist sooo heiß. Es gab ein Missverständnis bei den Mietzeiten.«

»Was für ein Missverständnis?« Laura starrte die junge Frau feindselig an, als hätte sie gerade einen Strafzettel von ihr bekommen.

»Na ja, ich dachte, ich wohne hier von diesem Samstag an zwei Wochen. Aber der Hausmeister ...«

»Sofern man einen arbeitsscheuen, bekifften Mistkerl wie Jürgen einen Hausmeister nennen kann.« Die bloße Erwähnung von Jürgens Namen ließ Mitchell angewidert in Schweiß ausbrechen.

»Mmh. Jürgen sagt, ich hätte die Daten durcheinandergebracht, und jetzt krieg ich die Anzahlung nicht zurück.«

Jürgen war ein deutscher Hippie, der es nie mit irgendetwas genau nahm. Er bezeichnete sich als »Naturmenschen« und war immerzu in Hermann Hesses »Siddhartha« vertieft.

Mitchell drohte ihr mit dem Finger. »Es gibt Schlimmeres, als seine Anzahlung nicht zurückzubekommen. Wir hätten Sie beinahe betäuben und in die Berge hinaufkarren lassen.«

Kitty Finch hob ihr linkes Bein an und zog langsam einen Dorn aus der Fußsohle. Ihre grauen Augen suchten nach Nina, die sich noch immer hinter ihrem Vater versteckt hielt. Dann lächelte sie.

»Ich mag deinen Bikini.« Sie hatte schiefe, gegeneinander verschobene Vorderzähne, und ihr trocknendes Haar wellte sich zu kupferfarbenen Locken. »Wie heißt du?«

»Nina.«

»Findest du, ich sehe aus wie eine Bärin, Nina?« Sie krümmte ihre rechte Hand, als wäre es eine Tatze, und schlug damit nach dem wolkenlosen, blauen Himmel. Ihre Fingernägel waren dunkelgrün lackiert.

Nina schüttelte den Kopf, verschluckte sich an ihrem eigenen Speichel und fing an zu husten. Alle setzten sich. Mitchell auf den hässlichen blauen Stuhl, weil es der breiteste und er der dickste war, Laura auf den rosa Korbstuhl, Isabel und Joe auf die beiden weißen Plastikliegen. Nina hockte sich bei ihrem Vater auf die Stuhlkante und spielte an den fünf silbernen Zehenringen herum, die ihr Jürgen am Morgen geschenkt hatte. Alle saßen im Schatten, nur nicht Kitty Finch, die sich verlegen auf den glühendheißen Pflastersteinen niederkauerte.

»Sie haben keinen Stuhl. Ich hol Ihnen einen.« Isabel wrang die Spitzen ihrer nassen schwarzen Haare aus. Wassertropfen glitzerten auf ihrer Schulter und rannen dann wie eine Schlange ihren Arm hinab.

Kitty schüttelte den Kopf und errötete. »Oh, keine Umstände, bah bah bitte. Ich warte nur, bis Jürgen zurückkommt und mir den Namen meines Hotels sagt, dann bin ich weg.«

»Aber natürlich müssen Sie sich setzen.«

Laura sah verdutzt und mit einem unguten Gefühl zu, wie Isabel einen schweren Holzstuhl voller Staub und Spinnweben zum Pool zerrte. Es war einiges im Weg: ein roter Eimer, ein kaputter Blumentopf, zwei in Betonklötzen steckende Sonnenschirme. Keiner half ihr, weil sie nicht so recht wussten, was sie vorhatte. Isabel, die es irgendwie geschafft hatte, ihre nassen Haare mit einem Haarclip in Form einer Lilie hochzustecken, stellte den Holzstuhl allen Ernstes zwischen ihren Liegestuhl und den ihres Mannes.

Kitty Finch blickte nervös von Isabel zu Joe, so als sei ihr nicht ganz klar, ob ihr dieser Stuhl nun angeboten oder aufgenötigt wurde. Sie wischte viel zu lange mit dem Saum ihres Kleides die Spinnweben ab und setzte sich dann endlich hin. Laura faltete die Hände im Schoß, als bereite sie sich auf ein Vorstellungsgespräch mit einer Bewerberin vor.

»Waren Sie schon mal hier?«

»Ja, ich komme seit Jahren hierher.«

»Arbeiten Sie?« Mitchell spuckte einen Olivenstein in eine Schüssel.

»Gewissermaßen. Ich bin Botanikerin.«

Joe strich sich über die kleine Stelle am Kinn, wo er sich beim Rasieren geschnitten hatte, und lächelte sie an. »In Ihrem Beruf gibt es ein paar schöne, eigentümliche Wörter.«

Seine Stimme war überraschend sanft, als ahne er, dass Kitty Finch es als beleidigend empfand, wie Laura und Mitchell sie verhörten.

»Ja. Joe mag Wörter, die ai-gön-thüm-lich sind. Er ist nämlich ein Dichter.« Mitchell sprach »eigentümlich« aus, als ahme er einen dümmlichen Aristokraten nach.

Joe lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. »Ignorieren Sie ihn einfach, Kitty.« Er klang auf eine unerklärliche Weise verletzt. »Für Mitchell ist alles ai-gön-thüm-lich. Seltsamerweise gibt ihm das ein Gefühl der Überlegenheit.«

Mitchell stopfte sich fünf Oliven in den Mund und spuckte die Steine Richtung Joe, als wären es Kugeln aus einer seiner kleineren Pistolen.

»Vielleicht« – Joe beugte sich jetzt vor – »könnten Sie uns inzwischen erzählen, was Sie über Kotyledonen wissen?«

»Klar.« Kitty zwinkerte Nina zu. »Kotyledonen sind die ersten Blätter einer Jungpflanze.« Ihr Stottern war wie weggeblasen.

»Richtig. Jetzt zu meinem Lieblingswort ... Wie würden Sie ein Blatt beschreiben?«

»Kitty«, sagte Laura eindringlich, »es gibt massenweise Hotels hier. Es wäre besser, Sie suchten sich eins.«

Als Jürgen endlich durchs Tor kam, die silbernen Rastalocken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, berichtete er ihnen, bis Donnerstag seien sämtliche Hotels im Dorf ausgebucht.

»Dann müssen Sie bis Donnerstag hierbleiben.« Isabel sagte das zögernd, als glaube sie es selbst nicht so ganz. »Soweit ich weiß, gibt es hinten im Haus noch ein freies Zimmer.«

Kitty runzelte die Stirn und lehnte sich in ihrem neuen Stuhl zurück.

»Also ... Ja. Danke. Geht das für alle in Ordnung? Bitte sagen Sie, wenn es Ihnen etwas ausmacht.«

Nina hatte den Eindruck, als bitte sie geradezu darum, dass es ihnen etwas ausmache. Kitty Finch lief rot an und verkrampfte gleichzeitig die Zehen. Ninas Herz raste. Es war ganz hysterisch, so heftig klopfte es in ihrer Brust. Sie blickte zu Laura und sah, dass sie die Hände rang. Laura war kurz davor zu sagen, dass es ihr durchaus etwas ausmache. Sie und Mitchell hatten ihren Laden in Euston für den ganzen Sommer dichtgemacht, wohl wissend, dass die Fenster, die in diesem Jahr bereits mindestens dreimal von Dieben und Drogenabhängigen eingeschlagen worden waren, bei ihrer Rückkehr aus dem Urlaub erneut eingeschlagen sein würden. Sie waren an die Côte d’Azur gekommen, um der Sinnlosigkeit zu entfliehen, ständig zerbrochenes Glas austauschen zu müssen. Sie merkte, wie sie sich um Worte mühte. Diese junge Frau war ein Fenster, das nur darauf wartete, dass jemand einstieg. Ein Fenster, das allem Anschein nach ohnehin einen Sprung hatte. Sie war sich nicht sicher, aber sie hatte den Eindruck, dass Joe Jacobs bereits einen Fuß in den Spalt geschoben und dass seine Frau ihm dabei geholfen hatte. Sie räusperte sich, um ihre Meinung zu sagen, aber ihre Meinung war so unaussprechlich, dass der Hausmeisterhippie ihr zuvorkam.

»Soll ich deine Reisetaschen in dein Zimmer bringen, Kitty Ket?«

Alle schauten in die Richtung, in die Jürgens nikotingelber Finger zeigte. Rechts neben der Terrassentür standen zwei blaue Stofftaschen.

»Danke, Jürgen«, entließ ihn Kitty, als sei er ihr Kammerdiener.

Er bückte sich und nahm ihre Taschen.

»Was ist das für ein Kraut?« Er hob ein Büschel Blütenpflanzen hoch, die in die zweite blaue Tasche gestopft waren.

»Ach, die hab ich auf dem Friedhof neben Claudes Café gefunden.«

Jürgen schien beeindruckt.

»Du musst sie die Kitty-Ket-Pflanze nennen. Das ist eine historische Geschichte. Pflanzensammler haben die Pflanzen, die sie entdeckt haben, oft nach sich benannt.«

»Ja.« Sie schaute an ihm vorbei in die dunklen Augen von Joe Jacobs, als wollte sie sagen: »Kitty Ket ist Jürgens Spitzname für mich.«

Isabel ging zum Poolrand und sprang kopfüber ins Wasser. Während sie knapp unter der Wasseroberfläche dahinglitt, die Arme nach vorne gestreckt, sah sie auf dem Grund des Pools ihre Armbanduhr liegen. Sie tauchte zu den grünen Fliesen hinab und holte sie herauf. Als sie wieder an die Oberfläche kam, sah sie, dass die alte englische Frau von nebenan ihr vom Balkon aus zuwinkte. Sie winkte zurück und stellte dann fest, dass Madeleine Sheridan Mitchell zuwinkte, der ihren Namen rief.

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