Читать книгу Die Magier von Stonehenge Teil II. - Denise Devillard - Страница 11
4.Kapitel Verborgenes
Оглавление„Eines steht fest. Ich muss zurück in die Vergangenheit, um der Sache wirklich auf den Grund gehen zu können!“ Matthews Mimik ließ Elisabeth wissen, dass es keinen anderen Ausweg gab. „Aber wie stellst du dir das bitte vor? Soll ich dann hier die ganze Zeit alleine auf dich warten und hoffen, dass du vielleicht wieder lebend zurückkommst?“
Sie war stinksauer. So hatte sie sich ihr Leben mit ihm ganz bestimmt nicht vorgestellt. Die Wendung, die das Alles jetzt genommen hatte, gefiel ihr gar nicht. Nichts war mehr so, wie es begonnen hatte. Zweifel an seiner Liebe zu ihr, nagten in ihrer Brust. War ihm die Magie so viel wichtiger als sie? Konnten sie nicht auch ohne all dem auskommen und einen anderen Weg finden, um in Ruhe leben zu können? Ihre Gefühlswelt geriet mehr und mehr ins Wanken. Sie war sich nicht mehr sicher. Hatte sie das Richtige getan? Oder hatte ihr Vater vielleicht doch recht? War er wirklich der Mann, für den sie ihn gehalten hatte? Ihre Gefühle spielten derzeit völlig verrückt. Es zerriss sie förmlich von innen. Ob es nur an den Hormonen lag, dass sie sich nicht wirklich wohl fühlte? Im Moment schien alles nur noch ins Chaos zu stürzen. Wenn Matthew nicht hier war, blieb sie stets zurück in der ohnmächtigen Stille der Einsamkeit. Mit den Angestellten wechselte sie auch immer nur die nötigsten Worte. Sie war allein. Umgeben von Menschen und dennoch ganz allein mit sich und ihren flüsternden Gedanken. Stimmen des Argwohns und düsteren Vorahnungen. Sie traute der Zukunft nicht mehr. Zu viele Dinge waren schon geschehen, die nichts Gutes erahnen ließen. Sie hatte große Angst um ihr ungeborenes Kind. Was, wenn Matthew nicht die Stärke besaß, diesen Dämon zu besiegen, der ihrer aller Leben bedrohte? Sie wagte gar nicht, an die Konsequenzen zu denken. Nicht auszudenken, wenn er wirklich versagen würde.
„Sieh mal Schatz, du hast doch auch noch das Amulett von mir. Trage es am besten bei Tag und Nacht. Und verlasse niemals Mangeniohood! Dann kann dir eigentlich nichts geschehen, denke ich.“ „Du denkst?“ Mit großen Augen sah sie ihn an. „Das heißt, du bist dir nicht sicher, nicht wahr?“ Matthew zögerte. Er wusste, dass er ihr das nicht garantieren konnte, aber es gab derzeit auch keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen. So versuchte er, sie zu beruhigen. Es war nicht gut für das Kind, wenn sie sich ständig Sorgen machte und Angst hatte. „Hmm, doch, eigentlich schon. Bisher ist doch auch nie etwas passiert. Oder ist in meiner Abwesenheit bisher jemals Etwas vorgefallen?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er ihr tief in die Augen und nahm ihr zartes Gesicht in seine Hände. Elisabeth schüttelte den Kopf. „Na siehst du. Dann wird das wohl auch so bleiben. Mach dir keine Sorgen Schatz, es wird schon gut gehen. Ich bin auch so schnell wie möglich wieder zurück. Versprochen!“ Seine himmelblauen Augen, spiegelten eindringlich seine tiefe Liebe zu ihr wider. Als sie das bemerkte, brach ihr Widerstand ein, und sie schlang ihre Arme um ihn. „Versprich mir bitte, dass du auf dich Acht gibst“, flüsterte sie leise. Matthew hob ihr Kinn, sah tief in ihre rehbraunen, sorgenvollen Augen und antwortete überzeugend: „Versprochen!“ Er hielt sie ganz fest umschlungen und streichelte über ihr Haar. „Niemals würde ich dich alleine lassen, wenn es nicht absolut nötig wäre“, schoss es durch seinen Kopf. „Ich muss jetzt gehen“, flüsterte er leise und küsste sie zum Abschied. Dann verschwand er aus der Tür und Elisabeth blieb alleine zurück.
Matthew jagte Sunday durch die Wälder in vollem Galopp. Er war nahezu eins mit dem Körper des muskulösen Tieres. Jede ihrer Bewegungen verschmolzen ineinander. Das Pferd schnaubte schwer und seine kraftvollen Hufe rieben den Boden auf. Gras und Erdbrocken flogen durch die Luft. Er hatte keine Zeit zu verlieren.
Am hohen Felsen angekommen, war deutlich erkennbar, dass Sunday eine Pause nötig hatte. „Schon gut“, flüsterte er und strich der Stute über den Rücken „ich brauche dich jetzt nicht mehr. Lauf nach Hause!“ Er klatschte ihr auf das Hinterteil und versetzte sie in Gang. Sunday sah ihn erst verwundert an, dann aber setzte sie sich doch in Bewegung und trabte langsam nach Hause.
Als sein Pferd in der Dämmerung des Morgens verschwunden war, öffnete er den Felsen: „Merlinus ostende mihi secretum! Notam fac mihi viam, et aperuerit mihi aditus! Aperi mihi, quid in occulto! Solve velum!“ Die steinerne unsichtbare Pforte öffnete sich und gab ihm den Weg frei. Er hob seine Rechte und murmelte leise: „Lux!“ Das strahlend helle Licht quoll aus seiner Hand und leuchtete ihm die Treppe hinunter. Ächzend schloss sich der Zugang hinter ihm. Die Fackeln an den Wänden entzündeten sich der Reihe nach wie von unsichtbarer Hand, als er den Boden der Halle betrat. Er schritt durch die große Halle bis zu der Wand, hinter der Myrddins Arbeitszimmer verborgen war. Er hob seine Hände und sprach mit lauter Stimme: „Occulta te ostium apertum in me! Ostende mihi, secretum!“ Worauf sich die verborgene steinerne Tür öffnete und ihn gewähren ließ. Matthew sah sich um und überlegte. Was sollte er nun mitnehmen? Was würde er bauchen? Er wusste ja noch nicht einmal, wohin ihn sein Weg führen würde. Nachdenklich stand er vor der Truhe. Abermals hob er seine Hände und sprach: „Aperire abscondita det mihi ad te! Ostende mihi, quid es protegens!“ Ruckartig öffnete sich der Deckel der Truhe und gab ihm den Inhalt frei. Matthew nahm den Mantel, den Ring aus der Schatulle und auch den Stab heraus. Er hatte sich für sein Vorhaben sicherheitshalber in ältere Gewänder gekleidet, die er mit einem Zauberspruch zu sich gerufen hatte. Er wollte nur verhindern, dass er auffiel, falls ihn doch einmal jemand sehen sollte. Man wusste ja nie. Er trug ein weißes Hemd mit langen weiten Ärmeln, darüber ein schwarzes Wams, das mit metallenen goldgefärbten Schnallen verschlossen war. Eine Hose aus schwarzem Samt, die nur bis über seine Knie reichte und mit Bändern an den Seiten geschnürt wurde. Des Mantels, den er darüber gezogen hatte, entledigte er sich, hängte ihn über die Sessellehne und tauschte ihn gegen Myrddins blauen Mantel mit der Sternenkarte am Rücken. Dann nahm er Myrddins Stab zur Hand. Dieser war aus Eichenholz geschnitzt worden und von augenscheinlich gewachsenen Ranken, mehrmals umwunden. Auf seiner Spitze thronte eine durchsichtige Kugel gleich einem sonderbaren Glas, das aber keines war. Eher glich sie einem Kristall, wenn er ihr Innerstes betrachtete. Kaum hatte seine Hand den Stab ergriffen, fing die Kugel an zu leuchten. Ihr pulsierendes sanftes Licht erhellte den Raum. Er ließ das Licht in seiner Rechten verlöschen, steckte sich den Ring an seinen rechten Mittelfinger, drehte ihn und schloss die Spange am Mantel. Dann konzentrierte er sich auf die Steine in Pembroke. In nur einem Bruchteil einer Sekunde war er verschwunden.
Umgehend fand er sich dann auch bei den Steinen in Pembroke wieder. Nachdem er sich umgesehen und festgestellt hatte, dass er unbeobachtet geblieben war, trat er an die Stelle, wo das erste Zugangstor verborgen lag, und sprach: „Et incipit occultatum viam tuam. Tres enim sunt duo duo unum sint, sicut!“ Sofort zog es ihn mit sich und er landete vor dem zweiten Tor, an dem er seinen Spruch wiederholte. Kaum ausgesprochen, landete er in der kleinen Eingangskammer unter der Erde, in der das Kreuz mit dem Häkchen an der Wand prangte. Dann beschwor er zusätzlich sein magisches Licht, damit er mehr sehen konnte in dem Dunkel, das ihn umgab. Einen Moment lang, blieb er regungslos stehen und lauschte, ob jemand anwesend war. Doch alles schien ruhig zu sein. Leise ging er durch den Bogengang bis zur größeren Kammer. Dann legte er seine Rechte an die gleiche Stelle an der Wand wie beim ersten Mal. Worauf sich die steinerne Wand öffnete und ihm den Weg frei gab zu der Kammer, in dem er die Requisiten gefunden hatte, beim letzten Mal. Dann begann er zu suchen. Er wusste nicht genau, wonach er eigentlich suchen sollte, aber er wusste auch, dass er es wissen würde, wenn er es fand. Der Raum war gar nicht so klein, wie er ihn vom ersten Mal in Erinnerung hatte. Überall lagen jede Menge alte Gewänder, Schwerter, Degen, Kettenhemden und die verschiedensten Waffen aller Epochen. Etwas ratlos blickte er sich um, bis plötzlich etwas seine Aufmerksamkeit erregte. In der Ecke stand eine große alte hölzerne Truhe mit schweren Eisenbeschlägen. Sie war halb verdeckt von einer alten Satteldecke. Matthew zog die Decke weg und versuchte, die Truhe zu öffnen. Nach einem Schloss suchte er jedoch vergeblich. Vermutlich wurde sie durch einen Zauber geschützt. Er überlegte kurz, und hielt dann seine Linke beschwörend über die Truhe und sprach: „Ut et vos dimittere mihi content! Fracta fuit amet circumdet te! Aperi tibi!“ Dann hörte er, wie es knackte und der Deckel nachgab. Er hob seine Rechte höher, damit er besser sehen konnte. Als er den Deckel angehoben hatte, fiel sein Blick auf einen Berg von Dokumenten. Weil er seine beiden Hände jedoch brauchte, rief er eine große Kerze herbei, die er entzündete und auf dem Boden abstellte. „Lucerna Adventum! Adolebitque!“ Als das Licht in seiner Rechten erloschen war, kramte er in den Dokumenten. Überwiegend waren es uralte Pläne, die er jedoch nicht zuordnen konnte. Daher suchte er zuerst nach irgendeinem Hinweis, der ihm weiterhalf. Was ihm jedoch sofort ins Auge fiel, war dasselbe Zeichen, das draußen beim Eingang an der Wand prangte. Es war auf vielen der Pläne zu finden. Jedoch wusste er immer noch nicht, was es zu bedeuten hatte. Matthew überlegte. Ob es auffiel, wenn er einige der Pläne mitnahm? Er konnte ja nicht ahnen, wie oft Paymon und seine unterwürfigen Diener tatsächlich hierher kamen, und auch in die Truhe sahen. Er konnte ja noch nicht einmal nachvollziehen, in welcher Zeit er das letzte Mal auf sie getroffen war. Dafür gab es keinerlei Anhaltspunkte. Es war schwierig, eine Zeit dafür zuzuordnen. Denn woran sollte er dies festmachen? Das war wirklich ein Problem. Denn bei allen seinen zukünftigen Zeitreisen würde er kaum jedes Mal einen Kalender vorfinden. Nachdenklich betrachtete er die alten Papiere. Manche schienen Wegbezeichnungen zu sein, andere wiederum hatten markierte Stellen in Bauplänen von Gebäuden. Aber fast immer waren es diese Kreuze mit dem roten Häkchen. Er bekam immer mehr den Eindruck, als dass diese Pläne für die Suche nach etwas ganz Bestimmten dienten. Wofür sonst hätte man all diese Pläne zusammengetragen? Was bedeuteten denn all diese seltsamen Kreuze?
Da fiel im wieder ein, dass es in der Bibliothek auf Cardiff Castle einige alte Bücher gab, die ihm da vielleicht weiterhelfen konnten. Er beschloss, nur einen der Pläne mitzunehmen, da dies wohl weniger auffallen würde. Er faltete ihn zusammen und verbarg ihn unter seinem Mantel. Dann ließ er die Kerze spurlos verschwinden, schloss die Spange an seinem Mantel und drehte am Ring. Umgehend fand er sich in der Bibliothek von Cardiff Castle wieder. Er versperrte sofort die Tür, ging zu den Bücherregalen, und nahm das in braunes Leder gebundene Buch mit Gold Prägung heraus, in dem er Hinweise zu finden hoffte. Schon damals war es ihm sehr hilfreich gewesen. Er breitete den Plan auf dem Schreibtisch vor sich aus und schlug das Buch auf. Es war ein sehr altes Buch in Korinth Schrift mit leicht vergilbten Blättern. Es mussten nahezu knapp tausend Seiten sein. Ganz genau konnte man dies nicht feststellen, weil das Buch keine Seitenangaben hatte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Seite für Seite durchzugehen.
Nach ca. zwei Stunden, stieß er dann plötzlich beim Überfliegen der Blätter, wieder auf die Bezeichnung: >>Orden der Täuschung<< diesmal allerdings in lateinischer Schrift. Er stutzte und las sich die betreffende Seite genau durch. Als er damit fertig war, reifte in ihm immer mehr der Gedanke, dass es sich hierbei vielleicht um den Templerorden handeln könnte. Und als er die Seite umblätterte, fand er unter dem letzten Satz zu dem Thema dasselbe Kreuz mit dem roten Häkchen. Matthew schob das Buch zur Seite und überlegte, was er selbst über sie wusste. Er hatte sich früher nie großartig mit solchen Geschichtsthemen beschäftigt. Er wusste über die Templer eigentlich nur, dass sie die Kreuzzüge im Auftrag des Papstes begonnen hatten, um die Pilger zu schützen. Doch wenigstens konnte er nun endlich dieses Zeichen zuordnen. Um mehr über den Orden zu erfahren, suchte er nun nach einem Buch, in dem die Geschichte derer, zu finden war. Es dauerte nicht lange, bis er ganz weit oben im letzten Regal an der Wand, eines fand. Eines musste man Sir Raven lassen, er hatte wirklich eine hervorragend bestückte Bibliothek. Das war Matthew nun eine große Hilfe.
Er nahm das eher neuere Buch zur Hand und begann zu lesen….
Die Geschichte des Templerordens
Nach dem Ende des ersten Kreuzzuges 1099 und der Eroberung von Jerusalem gründen die Ritter Hugues de Payens, Godefroi de Saint Omer, Hugo aus der Champagne und sechs weitere Ritter 1118 die Bruderschaft der »Pauperes Commilitones Christi«, die Armen Soldaten Christi. König Balduin II. von Jerusalem, ein Vetter Gottfrieds von Bouillon, weist ihnen 1119 einige Gebäude im Bereich des ehemaligen Tempels Salomons als Unterkunft zu. Fortan wird die Bruderschaft als Ritter vom Tempel zu Jerusalem bezeichnet. Sie verkörpert die erste Verschmelzung der Grundsätze des Mönchtums und der Ritterschaft…
Matthew legte das Buch nach einer halben Stunde zur Seite und schüttelte den Kopf. Was für ein verrückter Haufen! Aber was hatte Paymon mit denen zu tun? Ein Dämon, der sich für einen christlichen Orden interessierte? Das war absolut paradox! Hier stimmte Etwas nicht! Wenn sich Paymon so sehr für sie interessierte, mussten sie etwas besessen haben, das er unbedingt haben wollte. Die große Preisfrage war nur, wonach genau er suchte und wofür? Ein Schriftstück? Oder ein Gegenstand? Matthew grübelte. In dem Buch über die Templer hatte er nichts Auffallendes finden können, was Paymon so wichtig sein könnte, dass er einen derartigen Aufwand betrieb. Zudem machte es eines deutlich, nämlich, dass er trotz seiner gewaltigen Kräfte, offenbar keine andere Möglichkeit besaß. Matthews Interesse war nun vollends geweckt. Das Ganze schien ihm eigentlich fast unmöglich. Dieser Gegenstand musste wahrlich etwas ganz Besonderes sein. Sonst wäre er längst schon in Paymons teuflischen Händen gelandet. Da er aber keine Hinweise in dem Buch finden konnte, beschloss er, genau danach zu suchen. Es gab nur eine Möglichkeit und das war der Orden selbst. Er musste selbst in die Vergangenheit reisen, um mehr darüber herauszufinden.
Doch in welches Jahr sollte er überhaupt reisen? Die Anfangsjahre würden vermutlich kaum ein Ergebnis bringen. Wenn er es schaffte, in eines der letzteren Jahre zu reisen, zu dem Zeitpunkt, als die Templer angeblich ihre Schätze in Sicherheit gebracht hatten, wären seine Chancen bestimmt größer, etwas herauszufinden. Die Frage war nur, wie er dies bewerkstelligen sollte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als es einfach auszuprobieren. Dazu war jedoch vorher ein Testlauf nötig. So konzentrierte er sich auf das vergangene Jahr, schloss die Spange des Mantels, drehte an dem Ring und war in derselben Sekunde verschwunden.
In wenigen Augenblicken tauchte er unversehens in seinem Büro, in der Firma seines Großvaters wieder auf. Er zuckte zusammen, als Miss Boldwin seine Sekretärin den Raum betrat. Sie ging an ihm vorbei zu seinem Schreibtisch, holte einige Unterlagen, nahm seine Kaffeetasse mit und verließ wieder den Raum. Kaum, dass sie verschwunden war, atmete Matthew tief durch. Er war es noch nicht gewohnt, dass der Mantel ihn für andere unsichtbar machte. Dann trat er an seinen Schreibtisch und betrachtete seinen Kalender. Es hatte funktioniert! Das war einfach gewesen. Aber was war, wenn er zu einem Ereignis reisen wollte, von dem ihm kein Zeitpunkt bekannt war? Reichte es, wenn er an das Ereignis selbst dachte? Nachdenklich schloss er die Spange am Mantel, drehte an dem Ring und verschwand aus dem Büro. Ihm wurde immer mehr bewusst, dass dies kein leichtes Unterfangen war. Vielleicht braucht er aber auch nur noch einiges an Übung und die Lösung des Problems, würde sich von selbst ergeben.
Es war bereits tief in der Nacht, als er umgehend in der Kammer unter dem Haus in seiner Gegenwart wieder erschien. Er hatte sich dazu entschlossen, in dem schwarzen Buch Myrddins noch einmal nach Hinweisen zu suchen. Denn ihm war klar, dass, wenn es sich um einen Gegenstand von vor so langer Zeit handelte, nach dem Paymon suchte, es vielleicht einen Hinweis enthalten könnte. Nachdem er den magischen Schutz des Schreins aufgelöst hatte, nahm er das Buch zur Hand und blätterte so lange darin, bis er eine Beschreibung fand, die seine Aufmerksamkeit erregte. Sie war in Cymraeg geschrieben und erzählte von der Suche eines Gegenstandes, der jedoch nicht näher definiert worden war. Myrddin hatte dafür die Bezeichnung „Eitem gyfrinachol“ gewählt. Es bedeutete in etwa „geheimer Gegenstand“. Ob es sich dabei um dasselbe handelte, wonach Paymon suchte? Er hatte keine Ahnung. Da er dieses Rätsel im Moment nicht lösen konnte, legte er das Buch wieder zurück und den Schutzzauber wieder darüber.
Es war ihm ungeheuer wichtig, zuerst Paymons Beweggründe herauszufinden. Dies hatte die oberste Priorität für ihn, da dieses Ding vielleicht auch für ihn eine Lösung im Kampf gegen Paymon sein könnte. Was auch immer es war. Um jedoch sein eigenes Risiko zu minimieren, wollte er diesmal vierzig Jahre in der Zeit zurückgehen, als er selbst noch nicht gelebt hatte. Somit würde auch niemand der Schwarzmagier mit ihm zu dieser Zeit dort rechnen. Innerlich gewappnet, schloss er die Spange am Mantel, drehte den Ring am Finger und verschwand abermals umgehend in der Dunkelheit.
Als er wieder in der Mitte des Steinkreises in Pembroke aufschlug, zuckte er unwillkürlich zusammen. Instinktiv versteckte er sich hinter einem der großen Steine. Noch immer war es nicht in seinem Kopf angelangt, dass man ihn mit Myrddins Mantel nicht sehen konnte. Er hielt den Atem an und beobachtete zwei Männer, die gerade im Begriff waren, das erste Tor zu betreten. Matthew überlegte nicht lange, reagierte blitzschnell und folgte ihnen durch das Tor. Sie bemerkten ihn nicht. Wie ein dunkler Schatten folgte er ihren Schritten. Die Gesichter der beiden waren ihm unbekannt. Was seine Annahme erhärtete, dass er in der richtigen Zeit gelandet war vor seiner Geburt. Stets einen Sicherheitsabstand einhaltend, folgte er ihnen bis in die Requisitenkammer und achtete sehr darauf, nicht das kleinste Geräusch zu verursachen. In der Kammer angekommen, stellte er sich sofort neben die Truhe in die hintere Ecke, um zu vermeiden, dass auch nur eine ihrer Bewegungen ihn berührte. Matthew musterte sie im Schein der Fackel, die sie angezündet hatten. Beide Männer trugen komplett schwarze Kleidung unter ihren weißen Umhängen, die mit Goldstickereien umrandet waren. Und auf ihren Rücken prangte ein großes rotes Templerkreuz. Jeder der beiden trug an seiner rechten Seite ein langes eisernes Schwert. Beide hatten langes, durch ein Band gebändigtes Haar und einen breiten Schnurrbart. Auffallend waren jedoch ihre extrem dunklen, starren Augen, die von dicken dunklen Augenbrauen gekrönt wurden. Matthew verharrte regungslos in der Ecke und atmete, so leise er nur konnte. Er wurde fast eins mit der kalten, steinernen Wand hinter ihm. Myrddins Stab unter seinem Mantel verborgen, lauschte er bis in seine Haarspitzen angespannt, ihren Worten. „Wo sind sie?“, fragte einer der beiden. „Wahrscheinlich in der Truhe“, gab der andere zurück. Der Mann kam auf Matthew zu, hielt seine Hand ausgestreckt über der Truhe und sagte: „In nomine Magistri ego praecipio tibi ut aperias te ipsum!“ Der Truhendeckel sprang auf und der Mann öffnete sie. Matthew hielt den Atem an. Er hatte in dem Moment keinerlei Möglichkeit auszuweichen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Doch zu seinem Glück waren die Männer so mit ihrem Auftrag beschäftigt, dass sie nichts bemerkten. Der Mann zog zwei alte Schriftrollen aus der Truhe, verschloss sie und legte erneut einen Schutzzauber um sie. „Warum braucht er die Zweite eigentlich?“, fragte der andere. „Soviel ich weiß, als Tauschmittel für einen Informanten. Der wird jedoch Augen machen, sobald er merken wird, dass man ihn betrogen und er seine Seele sinnlos verkauft hat.“ Er grinste breit und fügte noch hinzu: „Wie dumm und einfältig doch diese Menschen sind, nicht wahr? Für Gold verkaufen sie einfach alles, selbst ihre Großmutter würden sie dafür verraten!“ Der andere lachte und stimmte ihm zu. „Das ist wohl wahr. Der Meister hat ganze Arbeit geleistet, das muss man wirklich sagen. Wir sollten uns beeilen, sonst zürnt er uns wieder.“ Er gab ihm ein Handzeichen sich zu beeilen, dann schickten sie sich an, den Raum zu verlassen. Matthew reagierte sofort, ohne zu überlegen, und folgte ihnen. Diese Chance, genau dort hinzukommen wo er vielleicht mehr erfahren konnte, musste er einfach nutzen.
Derjenige, der die Schriftrollen an sich genommen hatte, öffnete das Tor: „Et incipit occultatum viam tuam. Tres enim sunt duo duo unum sint, sicut!“ Matthew stellte sich ganz dicht hinter sie und folgte ihnen blitzschnell durch das Tor, bevor es sich gleich darauf hinter ihm wieder schloss.
Dann wartete er ganz still hinter ihnen, als sie wieder bei den Steinen gelandet waren. Er beobachtete, wie der andere plötzlich seine Rechte mit gespreizten Fingern hob und Zauberformeln murmelte: „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique!“ Da öffnete sich ein Riss in der Zeitachse und ein heftiger Wind kam auf. Matthew ließ sie keinen Augenblick aus den Augen und stellte sich ganz knapp hinter ihn. Von einem ohrenbetäubenden Dröhnen und Summen begleitet, setzten sie ihre Füße direkt in den mächtigen Luftstrom, der sich rasend schnell drehte, und sie alle drei mitriss in den Wirbel der Zeit.
Es war ihm, als würde man all seine Glieder ausreißen wollen, so stark war die Kraft, der er, durch den Sog der Zeitachse, ausgesetzt wurde. Dieser Zeitsprung kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Jedoch waren es nur wenige Sekunden, die vergangen waren, ehe sie in der anderen Zeitschleife wieder eintraten. Die Schwärze der Nacht umfing sie, als der Zeitwirbel sich um sie aufgelöst hatte und verschwand. Als er wieder Boden unter seinen Füßen spürte, wich er drei Schritte zurück, um Abstand zu ihnen zu halten. Jedes noch so kleine Geräusch konnte ihn verraten. In dem schwachen Licht des Mondes konnte er kaum erkennen, wo sie sich befanden. Ringsum standen überall riesige Bäume, deren Wipfel er in der Finsternis nicht sehen konnte. Der Schrei einer Eule fand in dem Dunkel seinen Widerhall. Matthew folgte ihnen den kleinen Waldweg entlang, bis sie an eine Lichtung kamen. Er zuckte merklich zusammen, als er schon von weitem Paymons drohende teuflische Stimme vernahm. Sie vermischte sich mit dem durchdringenden Gejammer und Flehen einer anderen männlichen Stimme. Als sie nach einigen Minuten an der Lichtung angelangt waren, erblickte er im fahlen Licht einen alten Mann, der vor Paymon auf dem Boden kniete. Ihm war, als hätte er diesen Mann schon einmal irgendwo gesehen. Paymon sah seine Diener kommen und ließ den Alten zurück, der inzwischen verstummt war und nicht wagte, sich zu rühren. Eilig kam er auf sie zu. „Warum hat das so lange gedauert?!“, zischte er zornig. „Es tut mir leid Herr, ich konnte sie nicht gleich finden. Ich hoffe, es sind die Richtigen.“ Er übergab ihm mit gesenktem Kopf die Pergamentrollen und wich vor ihm einen Schritt zurück. Beide Männer wussten nur zu gut, was passieren konnte, wenn Paymon wütend wurde. Der Mann warf dem anderen einen vorwurfsvollen Blick zu und flüsterte: „Habe ich es dir nicht gesagt?“ „Still jetzt!“, fuhr Paymon dazwischen. Dann wandte er sich von ihnen ab und ging zurück zu dem Alten. Er steckte eines der Schriftstücke in seinen Mantel, das andere überflog er kurz prüfend, und hielt es dann dem alten Mann hin. „Sieh her!“, zischte er ihn unbarmherzig an. „Das ist die Urkunde! Unterschreib sie, dann lasse ich dich und deine Tochter am Leben!“ Der Alte wusste nicht mehr ein noch aus. Was sollte er nur tun? Paymon hatte ihn besiegt und forderte nun alles, was seit Generationen im Besitz seiner Familie war. Weigerte er sich, wären das Leben seiner Tochter und sein eigenes verwirkt. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf alles zu verzichten, wenn er das Leben seiner Tochter schützen wollte. Seines war ihm nicht so wichtig, aber sie musste weiterleben, koste es, was es wollte. Paymon spürte, dass der Widerstand des Alten endgültig gebrochen war. Er schnippte nur kurz mit zwei Fingern, zog dann eine Schreibfeder aus dem Nichts hervor und hielt sie dem Alten samt dem Pergamentpapier unter die Nase. Der alte Mann war dermaßen verängstigt, dass er resigniert unterschrieb.
Matthew beobachtete die ganze Szene in sicherem Abstand. Hass stieg in ihm auf. Er sah, wie gequält der alte Mann war. Aber was konnte man von einem Dämon anderes erwarten? Seine feurigen glühenden Augen verrieten Häme, Spott und Abscheu, die er gegenüber den Menschen empfand. „Na geht doch“, rief Paymon, als der Alte unterschrieben hatte. Auf eine Gestik seinerseits hin, entfernten seine Diener den Alten. „Und lass alles, was man brauchen kann, im Schloss!“, rief ihm Paymon noch spöttisch nach.
Matthew verbarg sich hinter einem der Bäume, um Paymons Aufmerksamkeit nicht zu erregen. Er wollte im Moment noch keinen Kampf mit ihm riskieren. In erster Linie galt es für ihn herauszufinden, was hinter diesen Plänen steckte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt nicht den Hauch einer Ahnung, wer dieser alte Mann eigentlich war.
Nur einen Moment später kamen Paymons Gesellen zurück. Matthew wunderte sich, wohin sie den Alten gebracht hatten, da sie in so kurzer Zeit schon wiederauftauchten. Oder hatten sie ihn vielleicht getötet? Man konnte wohl oder übel davon ausgehen, dass sie mit ihm kurzen Prozess gemacht hatten.
Paymon wandte sich den beiden zu und sagte: „Ich wusste doch, dass der Alte unterschreibt. Denn noch einmal, hätte er sich bestimmt nicht auf einen Kampf mit mir eingelassen. Er wusste ganz genau, dass er keine Chance hat gegen mich.“ Sein teuflisch hämisches Grinsen zog sich bis zu seinen spitzen Ohren. Dann befahl er ihnen: „Beobachtet seine Tochter, ich will wissen, was sie tut. Sie ist jetzt die Einzige, die noch übrig ist. Aber da uns nur die männlichen Nachkommen gefährlich werden könnten, reicht es, sie im Auge zu behalten.“ Mit einer kurzen Handbewegung schickte er sie weg. Und als die beiden verschwunden waren, hob er seine Rechte und verschwand ebenfalls. Zurück blieb nur ein feuriger Rauchdampf, der einen unangenehmen Gestank verbreitete.
Ein wenig ratlos blieb Matthew allein zurück. Wohin sollte er jetzt gehen, da nun alle verschwunden waren? Er überlegte kurz, dann schloss er die Spange an seinem Mantel, drehte an seinem Ring, hob Myrddins Stab und rief: „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique!“ Im selben Augenblick verließ der diese Zeitachse.
Noch keinen genauen Plan im Kopf, aber dennoch mit Mut und Entschlossenheit gewappnet, traf er wenige Sekunden später im Paris des beginnenden 14. Jahrhunderts ein. Nachdem er wusste, dass Jacques de Molay, der Großmeister der Templer am 18. März 1314 auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, hatte Matthew das Jahr davor für seine Reise gewählt. Ihm war klar, dass er nur auf diesem Weg mehr herausfinden konnte.
Zum Glück war er für andere nicht sichtbar, als er in einem der alten Pariser Stadtviertel wie ein Blitz plötzlich erschien. Er fand sich auf einem großen, mit Steinen gepflasterten Platz wieder, in dessen Mitte eine große Säule in den Himmel ragte. Es war für Matthew ein sehr ungewohntes Bild, die vielen Menschen in ihren zeitgenössischen Kleidern zu sehen, die teils sehr ärmlich waren. Im Lichte des strahlend blauen Himmels, der Paris umgab, schien ihm diese Szene wie aus einem Film. Etwas befremdet sah er sich die Umgebung genauer an. Unbeachtet des geschäftigen Treibens auf den Straßen, verbreiteten die hoch hinausragenden herrschaftlichen Häuser, die die Straßen säumten, das gewisse Flair dieser Epoche. Beeindruckende, schmuckvolle Bauten, die den Anschein hatten, als wären sie nur zu dem Zweck erbaut worden, der armen Bevölkerung ihre Macht zu demonstrieren. Matthew wanderte durch die Straßen, und bewunderte die einfachen Menschen dieser Zeit, die wahrlich kein leichtes Leben führten. Dieses Bild von alten fast zahnlosen Männern in zerrissener Kleidung, blassen mageren kleinen Kindern, die die noblen Damen und Herren der Gesellschaft auf den Straßen anbettelten, bewegte ihn. Auch die Dirnen in ihren sehr offensichtlich mühsam aufgehübschten, aber abgetragenen berüschten Kleidern, die in beinah allen Seitengassen an den Häuserwänden lehnten, konnte er nicht übersehen. Ein sehr offenkundiges Bild der Gesellschaft dieser Zeit. Sehr unangenehm stieg ihm der beißende Geruch des Unrats, der überall einfach auf die Gassen geschüttet wurde, in die Nase.
Darauf achtend, dass er an Niemandem anstieß, ging er durch viele Straßen und Gassen, bis er im Vorbeigehen plötzlich ein Gespräch zweier Männer hörte, das sein Interesse weckte. Dem Anschein nach waren es einfache Handwerker, die sich leise unterhielten. Sie konnten ja nicht ahnen, dass sie von einem Unsichtbaren belauscht wurden. Matthew stellte sich in sicherem Abstand neben sie und folgte gespannt ihrem Gespräch.
„Es ist eine Schande, was Phillip zu tun bereit ist, um seine Schulden bei ihnen zu tilgen. Mir scheint, er fürchtet sie geradezu. Er hat ihre Anführer alle in der Burg Chinon einkerkern lassen. Aber der Papst hat die alleinige Macht, um über sie zu richten, nicht der König!“ Der andere Mann nickte zustimmend und sah sich kurz um, ob ihm jemand zuhörte, bevor er antwortete: „Es ist unmöglich, von dort zu entkommen. Wenn Papst Clemens nicht einschreitet und den König nicht in seine Schranken verweist, befürchte ich das Schlimmste. Schon vor drei Jahren hat Phillip 54 Templer auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen. Warum sollte er bei ihren Anführern davon ablassen? Er ist wie der Teufel, der seine Macht mit allen Mitteln ausübt! Man munkelt, dass er auch Papst Bonifatius VIII. auf dem Gewissen haben soll. Seine rechte Hand Guillaume de Nogaret war zu derselben Zeit in Rom, den Rest kann man sich denken.“ Er hielt kurz inne und sah sich um, bevor er fortfuhr: „Aber ich kann einfach nicht glauben, dass die Anschuldigungen wahr sind. Der Orden untersteht allein dem Papst und der hätte doch längst etwas davon erfahren, wenn dies wirklich so wäre. Der hat doch überall seine Spitzel!“ Ersterer nickte zustimmend und antwortete leise: „Wir können nur abwarten, es hilft nichts. Wir können nichts dagegen tun. Auch ich glaube nicht daran, was der oberste Ankläger vorgetragen hat. Ich kenne einen von ihnen und er hat mir nie den Anschein gemacht, dass er dem Bild dessen entsprechen würde. Aber wir müssen vorsichtig sein, seine Häscher sind überall. Wir sollten versuchen, nicht aufzufallen.“ Er warf seinem Gegenüber einen vielsagenden Blick zu und setzte seinen Weg fort, ohne sich noch einmal umzudrehen. Der andere setzte seinen Weg in die Gegenrichtung fort und Matthew blieb nachdenklich zurück. Das war für ihn ein mehr als wichtiger Hinweis gewesen. Er hatte zuvor angenommen, dass man die Anführer in Paris inhaftiert hatte. Also begab er sich in eine stille Ecke in einer der vielen kleinen Gassen. Dann hob er seine Arme in voller Konzentration auf Freitag den 13. Oktober 1307, den Tag, an dem die Templer per Dekret des Königs landesweit verhaftet worden waren. „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique!“ Im selben Augenblick fand er sich auf dem Wall einer Festung wieder und konnte gerade noch dem Wächter ausweichen, der schnurstracks auf ihn zukam. Er sprang schnell zur Seite, um ihn ja nicht zu berühren. „Das war knapp!“, dachte er. Die schwache Sonne am Firmament konnte die kühle Feuchtigkeit, die merklich in seine Kleidung kroch, kaum wettmachen. Es fröstelte ihn. Als er einen Blick über die Zinnen der alten Steinmauern hinweg warf, stellte er fest, dass ein ganzer Tross an königlichen Soldaten mit Gefangenen im Anmarsch auf die Burg war. Man konnte schon von Weitem an den weißen Gewändern mit den roten Kreuzen auf der Brust erkennen, dass es die Templer waren, die man hierher brachte. Matthew war ein wenig nervös. Er musste sich hinunterbegeben und beobachten, wohin sie gebracht wurden. Sie suchen zu müssen in dieser großen Burg, mit ihren überaus dicken Mauern, würde sonst Stunden in Anspruch nehmen. Zudem war das Risiko, entdeckt zu werden, größer. Also machte er sich auf den Weg und stieg leise die Wendeltreppe hinunter, die ihn bis zu den Wehrgängen führte, bis er vor einer dicken schweren Holztür mit eisernen Beschlägen stand. Er konnte ja schlecht einfach die Tür aufmachen. Das würde sofort auffallen, wenn sich die Tür augenscheinlich von ganz alleine öffnete und wieder schloss. Deshalb legte er seine Hand auf die Tür und flüsterte ganz leise, sodass es niemand hören konnte: „Magia terrae, Magicis ignis, in abulant, in Aerem!“ Da verwandelte sich das dicke Holz der Tür in eine schwammige durchsichtige Konsistenz, die nur er sehen konnte. Sobald er hindurch gegangen war, erlosch der Zauber und die Tür sah wieder völlig normal aus wie zuvor. Nun stand er in einer Art Wach Raum für die diensthabenden Soldaten. Da wohl gerade eine Ablöse stattfand, wartete er kurz, dann ging er knapp hinter dem Soldaten nach unten, der seinen Dienst quittiert hatte. Zum Glück hatte er leise Gummisohlen auf seinen Schuhen, die jeden Laut schluckten, auf dem steinernen Boden. Matthew ging solange hinter ihm her und mit durch jede Tür, die sich ihnen in den Weg stellte, bis sie das Innere der Burg erreicht hatten. Er horchte. Stimmen von mehreren Menschen drangen an sein Ohr. Er ging auf sie zu durch den langen Gang, der auf die Ostseite führte, bis die Stimmen immer lauter wurden. Sie schienen aus einer großen Halle zu kommen, die hinter der breiten doppelten Bogen Tür lag, vor der er nun stand. Er sah sich kurz um, ob jemand kam, dann legte er seine Hand auf die Tür und murmelte ganz leise: „Magia terrae, Magicis ignis, in abulant, in aerem!“ Das Holz verwandelte sich wieder in eine durchlässige Masse und ließ ihn gewähren. Als er den Raum dann betrat, wurde er etwas nervös. Der Anblick von so vielen bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, die auf beiden Seiten der Halle aufgereiht standen, behagte ihm nicht. In dem Moment war er sehr froh darüber, dass der Mantel Myrddins ihn unsichtbar machte. Matthew stellte sich in die rechte hintere Ecke der Halle und beobachtete die Szenerie. Ganz vorne sah Matthew einen Mann mittleren Alters, mit sehr ebenmäßigen Gesichtszügen, listigen dunklen Augen, die von schmalen hohen Augenbrauen gekrönt waren, in auffallend edler Gewandung verziert mit goldenen Lilien. Er saß auf einem Thronstuhl und hörte dem Ankläger aufmerksam zu. Der Ankläger war ein hagerer älterer Mann in wenig schmuckvoller Kleidung. Er war keine anmutige Erscheinung. Sein Antlitz war von tiefen Furchen durchgraben, mit einer überaus großen langen Nase, einem spitzen Doppelkinn und einer überdimensional wulstigen Unterlippe. Die sieben Templer, die in der Mitte, schwer von Soldaten bewacht und in Ketten gelegt, vor ihnen auf den Knien lagen, mussten allem Anschein nach die Großmeister und Würdenträger des Ordens sein, das konnte man an ihrer Kleidung erkennen. Matthew nahm an, dass das König Philipp IV. war, den man auch le Bel (den Schönen) nannte mit seinem, ihm ganz ergebenem Berater und Kanzler, Guillaume de Nogaret. Dieser nötigte die Templer der Reihe nach, die Taten, die ihnen angelastet wurden, zuzugeben, und drohte ihnen mit der Pein der Folter. Sie wurden der Häresie, Ketzerei und der Sodomie bezichtigt.
Die Templer schwiegen zu den Ausführungen Nogarets bis auf Jacques de Molay, dem Großmeister, der zu allen Anklagepunkten wiederholt sagte: „Nein das stimmt nicht, das haben wir nicht getan, dafür verbürge ich mich.“
Matthew sah den gleichgültigen Blick Phillips, der damit offenbar schon gerechnet hatte. Dass das ganz in seinem Sinne war, konnte man sich denken. Ihm ging es allein darum, den Orden zu zerschlagen, seine Schulden bei ihm dadurch zu tilgen und sein Geld beschlagnahmen zu können, um die leeren Staatskassen zu füllen. Sicherlich hoffte er auch darauf, deren geheime Schätze in die Finger zu bekommen, von denen man sich erzählte. Matthew hatte in dem Buch auf Cardiff Castle einiges darüber gelesen. Nun da er selbst vor dem König stand, konnte er dem Bild, das in dem Buch beschrieben war, nur beipflichten. Das war ein überaus kluger, aber auch sehr habgieriger Mann, der über Leichen ging, wenn es zu seinem Vorteil war.
Nachdem die erste Befragung keinerlei Erfolg aufweisen konnte, brachte man die Gefangenen in den Turm. Matthew folgte dem Tross und achtete stets auf Abstand, damit niemand an ihn stieß. Als die Tür hinter ihnen verschlossen wurde, sagte Geoffroy de Charnay, einer der Templer, zum Großmeister Jacques de Molay: „Meister, was sollen wir nun tun? Ihr wisst, dass aus dieser Burg keine Flucht möglich ist.“ Der Großmeister sah ihn an und wandte ein: „Bestimmt ist das alles nur ein Missverständnis. Ich vertraue auf seine Heiligkeit Papst Clemens. Er wird das sicherlich aufklären. Wir haben nichts Anstößiges getan, das man uns vorwerfen könnte. Seid versichert, dass Gott dafür sorgen wird, damit man uns freispricht.“ Geoffroy senkte nachdenklich seinen Blick. Er schien wenig überzeugt. Wohl ahnte er, was auf sie zukommen würde. Die anderen saßen auf dem kalten Boden und schwiegen. Ihr Gesichtsausdruck war vielsagend. Sie wussten, wozu der König im Stande war. Und ihnen war auch klar, dass es hier nicht allein um die Vorwürfe ging, sondern um ihr Vermögen, ihre inzwischen große Macht, und um den seit Jahren andauernden Streit zwischen dem Papst und dem König, wegen der Steuern. Er brauchte Geld, viel Geld. Und um sein Ziel zu erreichen, würde er sie mit Sicherheit leichtfertig dafür opfern.
Auf Einladung Papst Clemens hin, waren sie zu Gesprächen nach Paris, aus Zypern gekommen. Dort hatten sie seit der Niederlage in Jerusalem, ihre Hauptzentrale errichtet. Hatte er davon gewusst, dass man sie verhaften würde? Die Männer waren allesamt in schweren Gedanken versunken, als Jacques de Molay plötzlich ganz leise zu Geoffroy sagte: „Wir müssen eine Möglichkeit finden, eine Nachricht zu überbringen. Es steht zu viel auf dem Spiel.“ Er warf ihm einen ernsten Blick zu und Geoffroy verstand sofort, worauf er anspielte. Nur die obersten Eingeweihten des Ordens wussten um die Geheimnisse der Schätze, die sie vor Jahren gefunden hatten.
Da wurde Matthew hellhörig. Ihm war ebenfalls sofort klar, worum es hier ging. Auch wenn er keine Ahnung davon hatte, was sie tatsächlich als so wertvoll betrachteten. Aber nur aus diesem Grund, war er schließlich hier. Um herauszufinden, wonach Paymon bis heute suchte. Ganz leise, um nur ja kein Geräusch zu verursachen, schlich er sich ganz nah an die beiden heran und wartete.
Jacques erhob sich und klopfte an die Tür, die schwer verriegelt war. Ein Wärter öffnete die Schauklappe in der schweren Eisentür. „Was wollt ihr?“, fragte er mit grimmiger Stimme. „Glaubt ihr an Gott?“, fragte Jacques den Wärter. Überrascht von dieser ungewöhnlichen Frage, gab dieser zur Antwort: „Ja,…sicherlich, warum fragt ihr mich das?“ Jacques ließ nicht locker und fragte weiter: „Glaubt ihr auch an die heilige katholische Kirche?“ Etwas verwirrt gab der Wärter zurück: „Ähm, ja….aber natürlich.“ Jacques nickte zufrieden, ließ ihn keine Sekunde aus den Augen und fuhr dann leise fort: „Dann helft uns Mann! In Gottes Namen!“ Der Wärter schluckte sichtlich und kratzte sich irritiert am Kopf. „Aber das kann ich nicht tun, das kann mich meinen Kopf kosten, das wisst ihr!“ Doch Jacques de Molay gab nicht auf und sagte zu ihm: „Wenn ihr an Gott und die heilige Kirche glaubt, dann müsst ihr auch an uns glauben und auf unserer Seite stehen! Wir sind zu Unrecht hier eingesperrt worden! Wir haben nichts Anstößiges oder Verbotenes getan! Es liegt nun an Euch, uns zu helfen. Ich verlange von euch nicht, uns freizulassen, versteht mich recht, ich möchte von euch nur, dass ihr eine Nachricht überbringt.“ Der Wärter sah sich nach beiden Seiten um, ob ihn jemand beobachtete, dann nickte er nur kurz. „Ist gut.“ Dann verschloss er die Klappe. Jacques hoffte, dass der Mann hielt, was er zugesagt hatte. Gut eine halbe Stunde verging, ehe der Wärter die Klappe wieder öffnete. Jacques ging zur Tür und nahm Papier, Feder und ein kleines Tintenfass entgegen, welche der Wärter ihm hindurch reichte. „Gebt mir Bescheid, wenn ihr fertig seid. Klopft drei Mal leise an die Tür“, fügte der Wärter flüsternd hinzu. Jacques nickte und der Wärter verschloss die Klappe erneut.
Matthew ging wie auf rohen Eiern zu dem Großmeister, der sich hingesetzt hatte, um einen Brief zu verfassen, und sah ihm dabei zu, wie er schrieb.
„Ein sehr langer kalter Winter kommt zu uns früher als erwartet. Die Leben spendende Sonne verlässt noch einmal ihre Bahn und sinkt hinab ins Reich der Finsternis. Das Rauschen des Meeres schienet uns beruhigend, gleich einer sanften Woge. Das Auge des Adlers muss den ewigen Himmel verlassen, um erneut aufzusteigen, in einem fernen Land. Feuer und Speer werden seinen schweren Weg begleiten und behüten vor aller Gefahr. Dominus vobiscum! J.M.
Matthew runzelte die Stirn. Was sollten diese Zeilen bedeuten? Sie glichen einem Rätsel, das er nicht verstand. Mit Sicherheit eine Geheimbotschaft, die nur die Auserwählten obersten Templer, zu deuten wussten.
Jacques de Molay faltete den Brief dreimal zusammen, erhob sich und klopfte dreimal leise an die Tür. Der Wärter hatte wohl schon darauf gewartet und öffnete sofort die Klappe in der Tür, um den Brief und die Schreibutensilien zu entgegen zu nehmen. „Gottes Hand über euch, wenn ihr auch nur ein Wort zu jemandem darüber verliert! Übergebt diesen Brief nur persönlich an Sergeant Dumont! Ihr findet ihn abends in der kleinen letzten Taverne, vor dem nördlichen Stadttor von Paris.“ Der Wärter wirkte etwas eingeschüchtert. Er versteckte den Brief unter seiner Gardeuniform und antwortete leise: „Jawohl eure Gnaden. Ich werde mich nach Beendigung meines Dienstes sogleich auf den Weg machen.“ Dann verschloss er wieder die Klappe. Jacques angespannte Gesichtszüge ließen vermuten, dass er zweifelte, ob der Wärter Wort hielt. Dennoch blieb ihm keine Wahl. Als er sich neben Geoffroy de Charnay niederließ, sagte dieser zu ihm: „Hoffen wir auf die Hilfe des Papstes, und dass die Nachricht sie rechtzeitig erreicht.“ Jacques nickte und antwortete resigniert: „Euer Wort in Gottes Ohr!“ Er warf einen Blick in die Runde und schwieg. Er betrachtete die anderen Brüder. Was konnte er ihnen sagen, dass ihren Mut und ihre Hoffnung am Leben erhielt? In seinem Innersten wusste er jedoch genau, dass es für den Papst unumgänglich war, dem König zu folgen, wollte er nicht selbst als Ketzer geächtet, oder gar ebenfalls ermordet werden wie Bonifatius. Dennoch klammerte er sich an die vage Hoffnung auf Rettung. So setzte er sich still und schwieg wie seine Schwertbrüder.
Matthew grübelte. Was sollte er nun tun? Abwarten, was hier weiterhin geschah, oder dem Boten dorthin folgen, wohin er geschickt worden war? Er entschloss sich für Letzteres. Um jedoch nicht aufzufallen, entschied er sich für einen Zauber, der die Männer erstarren und vergessen ließ, was sie sehen oder hören hätten können. Konzentriert hob er seine Rechte und murmelte: „Obliviscatur te vidimus et audivimus! Obvelare cogitationes tuae! Luminis dicam terrae!“ Die Männer schienen daraufhin wie paralysiert zu sein und Matthew legte zufrieden seine Hand auf die Tür. „Magia terrae, Magicis ignis, in abulant, in aerem!“ Die schwere Eisentür gehorchte seinem Befehl und ließ ihn hindurch.
Er wandelte leise durch die Gänge und Wendeltreppen, bis er den hinteren kleinen Ausgang erreicht hatte, über den er die Burg verließ. Als er ins Freie trat, atmete er ganz bewusst tief durch. Es war sehr anstrengend, die ganze Zeit über nicht den kleinsten Laut von sich zu geben. Dem kleinen Pfad zur Burg folgend, ging er bis zu einem großen Stein, der da in einigem Abstand zur Burg lag, und setzte sich. Es konnte seine Zeit dauern, bis der Wärter die Burg verließ. Doch sobald er dies tat, würde er ihm folgen. Sein Blick schweifte nachdenklich rings um die Burg. Es war ein schönes und vor allem strategisch gut ausgesuchtes Plätzchen, auf dem man sie errichtet hatte. Jeder, der hierherkam, wurde bereits von Weitem sofort gesehen. Matthews Magen machte sich bemerkbar. Er hatte ganz darauf vergessen, etwas zu sich zu nehmen, seitdem er aufgebrochen war. Da er jedoch nicht seinen Platz verlassen konnte, nahm er seine Kräfte zu Hilfe und murmelte beschwörend: „Assum pullum, veniat ad me!“ Er hielt seine Linke weit von sich gestreckt und wartete. Da erschien in seiner Hand urplötzlich ein Teller mit gebratenem Hühnchen und Kartoffeln, das jedoch nur er sehen konnte. Es war manchmal sehr praktisch, dass er auf diese Weise Dinge zu sich rufen konnte. Auch wenn sich diese nicht selbst herstellten, sondern irgendjemandem weggenommen wurden. Gerecht oder nicht, er brauchte schließlich etwas zu essen, um seine Kräfte zu stärken.
Das Licht entschwand langsam im Nebel, der sich ausgebreitet hatte, und die Dämmerung brach heran. Vom nahe gelegenen Wald hallte der Ruf eines Käuzchens, als er plötzlich die Umrisse der Gestalt eines Mannes sah, der ihm entgegenkam. Matthew kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Der Nebel schluckte alles Licht und Finsternis breitete sich aus. Aufmerksam, den Blick auf die Gestalt gerichtet, wartete Matthew, bis der Mann ganz nahe an ihn herangekommen war. Als er sah, dass es derselbe Wärter war, folgte er ihm leisen Schrittes, den Weg hinunter bis ins nächste Dorf. Nur wenige Menschen waren zu sehen. Der Wärter winkte einen Kutscher heran, stieg ein und rief ihm zu: „Nach Paris!“ Matthew reagierte blitzschnell und sprang hinten auf die Kutsche auf. Er musste sich gut festhalten, als der Kutscher die Pferde lauthals antrieb und sich die Kutsche in Bewegung setzte. Da er in der anderen Hand Myrddins Stab halten musste, war das mehr als anstrengend. Die einsame schmale Landstraße führte sie durch die Stille der ländlichen Dunkelheit, die nur selten von den Vögeln der Wälder, die sie auf ihrem Weg durchkreuzten, durchbrochen wurde.
Matthew sah schon aus der Ferne die Lichter der Stadt als sie nach einiger Zeit Paris erreichten. Als die Kutsche dann am Stadttor hielt und der Wärter ausstieg, sprang Matthew ebenfalls ab, um ihm zu folgen. Der Mann blieb stehen, wartete, bis die Kutsche gänzlich verschwunden war, und schien abzuwägen, ob er seinen gefährlichen Auftrag wirklich erfüllen sollte. Der Wärter sah sich nach der kleinen Taverne um, die man ihm beschrieben hatte. Danach wandte er sich um und beobachtete die Wachablöse, die gerade am Stadttor stattfand. Dann zog er seinen breiten Hut tiefer ins Gesicht, sodass ihn niemand in dem fahlen Licht erkennen konnte. Ihm war wohl bewusst, wie gefährlich sein Auftrag war. Würde man ihn dabei ertappen, wäre dies sein sicheres Ende. Er setzte seinen Weg fort und ging in die kleine Seitengasse nahe dem Stadttor, bis er schon von Weitem den grölenden Gesang eines älteren, stark betrunkenen Mannes vernahm. Er hielt darauf zu und sah, dass der Mann gerade aus einer Wirtschaft gekommen war, die nicht größer schien, als ein kleiner Stall. Da in der Nähe nirgends eine zweite erblicken konnte, nahm er an, dass er hier richtig war. Nervös betrat er die Taverne und setzte sich an einen kleinen Tisch, der ganz hinten in einer kleinen Nische stand, von wo aus er alles gut beobachten und sich einen Überblick verschaffen konnte.
Der Wirt, ein korpulenter älterer Mann mit Glatze, kam an seinen Tisch und fragte nach seinen Wünschen. „Einen schönen Abend, der Herr! Was darf ich ihnen bringen? Unsere Küche ist vorzüglich und unser Wein schmeckt wunderbar.“ Der Wärter verzog seine Lippen kaum merklich zu einem gedrungenen Lächeln und erwiderte: „Bringt mir nur einen Becher Wein, das genügt mir vollends.“ Der Wirt nickte stumm und verschwand. Der Wärter beobachtete indessen die Leute, die sich um die Tische scharrten. Allesamt Bauern, Handwerker und Tagelöhner, die sich ihren Frust des Lebens, begleitet von lautstarkem Geschwätz, hinter die Binde kippten. Aber einen Sergeanten konnte er nicht entdecken. Als der Wirt mit seinem Wein zurückkehrte, fragte er ihn: „Guter Wirt, kennt ihr zufällig Sergeant Dumont? Er ist ein guter Freund von mir und ich sollte ihn hier heute Abend treffen.“ Es war für ihn besser, den Wirt glauben zu machen, es wäre ein guter Freund, damit er nicht auf unerwünschte Gedanken käme, die ihm schaden konnten. Der Wirt lächelte plötzlich sehr freundlich und antwortete ihm: „Oh ja, mein Herr, Sergeant Dumont ist bei uns ein gern gesehener Gast, er verkehrt fast täglich in unserem Hause. Heute war er noch nicht da, aber er müsste eigentlich sehr bald hier eintreffen, in der nächsten Stunde.“ Der Wärter bedankte sich freundlich für die Auskunft und der Wirt verschwand hinter seinen Tresen. Er musste jetzt nur noch warten, bis dieser Dumont hier auftauchte und er ihm den Brief übergeben konnte, dann würde er hier ganz schnell verschwinden. Er überlegte, ob es für ihn danach vielleicht besser wäre, seinen Dienst hinkünftig an anderer Stelle zu verrichten, als in der Burg. Er wollte eventuellen weiteren Bitten des Großmeisters zuvorkommen. Dazu war ihm sein Leben zu lieb.
Matthew, der ihm die ganze Zeit über auf den Fersen geblieben war, saß an einem leeren Tisch ihm gegenüber und beobachtete still die Szene.
Als eine knappe Stunde später, ein Mann in Uniform die Taverne betrat, war beiden sofort klar, wer dieser Mann war. Und als jener sich dann an einen Tisch am Eingang setzen wollte, flüsterte ihm der Wirt, der ihn freundlich begrüßt hatte, etwas ins Ohr. Daraufhin wandte sich der Sergeant um und sah zu dem Wärter. Nach den Worten des Wirtes, wunderte sich Sergeant Dumont, denn er hatte niemanden hier erwartet. Als der Wärter ihm aber mit ernstem Blick zunickte, ging er an seinen Tisch. Der Wärter wies ihn an, Platz zu nehmen, und fragte leise, kaum hörbar: „Ich nehme an, Sergeant Dumont? Der Sergeant nickte und antwortete: „Ja. Mit wem habe ich die Ehre?“ Der Wärter schüttelte den Kopf. „Das tut nichts zur Sache. Ich bin nur ein Bote. Das hier ist von Jacques de Molay“, flüsterte er ihm zu. „Ihr werdet wissen, was zu tun ist.“ Dann überreichte er ihm unter dem Tisch den Brief und verließ, so schnell er konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, die Taverne. Sergeant Dumont ließ den Brief sofort in seiner Tasche verschwinden und sah sich um, ob sie jemand dabei beobachtet hatte. Als der Name gefallen war, war ihm sofort klar, was er zu tun beauftragt worden war. Nachdem er gehört hatte, dass sie die Templer verhaftet hatten, war er einer jener Männer, die darauf warteten, kontaktiert zu werden. Lange Zeit zuvor schon, waren die Fäden gezogen worden, um ein Netz über ganz Europa zu spannen, das nur wenigen Eingeweihten bekannt war. Vor Jahren schon, war man an ihn herangetreten und er hatte bei seinem Leben geschworen, dem Orden im Geheimen zu dienen, was auch immer geschehen mochte. Er war felsenfest davon überzeugt, dass einzig Richtige zu tun, auch wenn das gleichbedeutend mit Verrat am König war.
Um nicht aufzufallen, aß er noch sein gewohntes sein Abendmahl, trank den Wein und bezahlte dem Wirt wie immer ein gutes Trinkgeld, bevor er die Taverne verließ und in die schützende Dunkelheit der Nacht entschwand. Matthew folgte ihm gespannt. Er fühlte sich wie in einem Krimi, als er sich an dessen Fersen heftete.
Sergeant Dumont ging, sich immer wieder umblickend, zu seinem Pferd, das an einem Holzpfosten gegenüber angebunden war. Mit einem Satz schwang er sich auf das Tier und gab ihm etwas unsanft die Sporen, sodass das Tier zuckte, sich aber sofort in Bewegung setzte. Matthew konnte ihm nur noch nachsehen, so schnell war er in der Finsternis verschwunden. Ohne Aufmerksamkeit zu erregen, war es ihm nicht möglich, ihn weiter zu verfolgen. Selbst wenn ein Pferd unsichtbar wäre, würde man das Donnern der Hufe dennoch hören können. Resigniert blieb er zurück und überlegte, was er nun tun sollte.
Matthew hatte Sehnsucht nach Elisabeth und fragte sich, ob es ihr gut ging. Durch den ständigen Zeitschleifen Wechsel, wusste er nicht, wie lange er schon von zu Hause fort gewesen war. Es wurde Zeit, nach Hause zurückzukehren, ausgiebig zu schlafen, essen und sich von den Strapazen zu erholen. Denn die Magie forderte wie immer auch ihren Tribut von seiner Kraft. Und das nicht zu wenig. Er musste zurück in seine aktuelle Gegenwart. Also schloss er die Spange an Myrddins Umhang, drehte am Ring, hob er seine Rechte und sprach leise: „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique! Ad mihi in re praesenti! Turn ad tempus!“ Der Wirbel der Zeitschleife öffnete sich und zog ihn mit sich.
Ihm war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, dass er jedes Mal, wenn er eine andere Zeitschleife betrat, viel Zeit verlor. Er konnte in seine Gegenwart nicht zu demselben Zeitpunkt zurückkehren, an dem er sie betreten hatte. Denn seine eigene Lebenszeit ließ sich nicht aufhalten dadurch. Sie lief dennoch stetig weiter wie eine tickende Uhr. Sonst hätte ein Magier ewig leben können, würde ihm dies gelingen. Und das war so nicht vorgesehen.
Elisabeth saß auf der Couch und sah gelangweilt in den Fernseher. So lange schon war Matthew nun weg. Sie war einsam und fühlte sich im Stich gelassen. Auch wenn sie wusste, worum es ging. Ihre Tage vergingen und einer glich dem anderen, ohne besondere Vorkommnisse. Sie streckte müde ihre Beine aus und lehnte sich zurück. Ihr fehlte es zwar an Nichts und die Angestellten erfüllten ihr jeden Wunsch, aber dennoch konnte ihr niemand Matthew ersetzen. Plötzlich hörte sie ein leises Säuseln, das immer lauter wurde und sich zu einem kleinen Wirbelsturm im Zimmer ausdehnte. Loses Papier und Zeitschriften, die am Tisch lagen, flogen durchs Zimmer. Elisabeth bekam einen Schreck und sprang von der Couch auf. Als sie plötzlich sah, dass in dem massiven Luftwirbel Matthew erschien, rief sie überrascht: „Matt!“ Der Wirbel legte sich langsam und Matthew stand vor ihr in voller Größe, in Myrddins Mantel und mit seinem Stab. „Hallo Schatz!“ Er grinste und nahm sie in die Arme. „Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr erschreckt, ich wollte nur gleich nach Hause, ich bin schrecklich müde. Das kostet mich alles sehr viel Kraft.“ Elisabeth entgegnete müde: „Na ja erschreckt habe ich mich schon, ich wusste ja nicht, was los ist, aber es geht mir gut.“ „Dann ist es ja gut“, sagte Matthew beruhigt. „Hast du etwas zu essen für mich? Ich habe großen Hunger.“ Elisabeth nickte. „In der Küche steht noch was am Herd.“ „Ok dann gehe ich gleich mal und esse was.“ Und schon war er in der Küche verschwunden. „Männer“, dachte Elisabeth, „denken immer nur ans Essen.“ Sie musste lächeln bei dem Gedanken. Insgeheim war sie nur sehr froh darüber, dass er wieder zu Hause war.
Als er wieder in der Tür erschien, fragte sie ihn: „Und was hast du erreicht, wo warst du die ganze Zeit über so lange? Was hast du getan? Erzähl schon.“ Matthew runzelte die Stirn. „Was heißt hier so lange? Bin ich nicht an demselben Tag zurückgekommen, als ich gegangen bin?“ „Aber nein Matt, es sind inzwischen schon über zwei Monate vergangen!“ Beinah geschockt sah er sie an: „Du willst mich verkohlen oder? Das kann doch nicht sein! Ich hatte mich absichtlich auf denselben Tag konzentriert, an dem ich gegangen bin.“ Sie schüttelte vehement ihren Kopf. „Nein, will ich nicht, glaube es mir, es ist wirklich so.“ Matthew starrte sie ungläubig an. „Das heißt also, ich kann nicht zum selben Zeitpunkt zurückkehren, an dem ich gegangen bin, die Zeit läuft trotz allem weiter! Das wusste ich nicht. In Myrddins Buch stand darüber nichts. Das Problem ist auch, dass, wenn ich von einer Zeitschleife in die nächste einsteige, ich nicht mehr weiß, wie viel Zeit tatsächlich vergangen ist. Das ist schier unmöglich festzustellen.“ Er setzte sich neben sie auf die Couch und wirkte nachdenklich. „Und was war jetzt? Hast du etwas herausgefunden?“ Elisabeth platzte vor Neugierde. Da erzählte ihr Matthew, was er alles erlebt hatte. Sie hörte gespannt zu und versuchte, es sich bildlich vorzustellen. Von den Templern hatte sie früher schon mal etwas gelesen. Aber selbst dort zu sein und es mitzuerleben, musste doch etwas völlig anderes sein.
„Blöd, dass ich den Sergeanten aus den Augen verloren habe. Ich hätte zu gerne gewusst, wohin er geritten ist. Aber ohne Pferd“… „da muss ich das nächste Mal an anderer Stelle ansetzen, um mehr herauszufinden.“ Er wandte sich ihr zu und fragte: „Und bei dir? War alles in Ordnung oder gab es irgendwelche Vorkommnisse?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, alles in Ordnung, nur schrecklich langweilig.“ „Ja das kann ich mir denken, tut mir leid Schatz, aber du weißt ja“, …… „ich muss das tun.“ Sie nickte und bemühte sich, ihm ein zaghaftes Lächeln zu schenken, obgleich ihr nicht danach war. „Ich weiß. Das werde ich wohl oder übel hinnehmen müssen, mir bleibt ja auch keine andere Wahl, wie es scheint.“ Matthew nickte betrübt. „Das stimmt. Tut mir leid.“ Er wünschte sich ebenfalls, es gäbe eine andere Lösung, aber dem war nicht so. Zudem musste er auch demnächst wieder weg. Er wollte sie nicht alleine lassen, aber was blieb ihm übrig?
„Ich gehe mal rüber ins Büro. Ich muss mir überlegen, wie ich jetzt weiter vorgehe.“ Sie nickte stumm und er schloss die Tür hinter sich. Matthew grübelte stundenlang. Wohin sollte er als Nächstes gehen? Oder besser gesagt wann? Er hatte begrenzte Möglichkeiten, was die Verfolgung von Personen anging, das war nun klar. Er musste sich eine Lösung für dieses Problem einfallen lassen.
Als er so darüber nachdachte und das Erlebte Revue passieren ließ, musste er wieder an diesen alten Mann denken, den Paymon drangsaliert hatte. Was war mit ihm wohl danach geschehen und wer war er? Seine Neugierde war geweckt. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich dazu berufen, dass er dieser Geschichte nachgehen musste. Also beschloss er, die Templer einstweilen ruhen zu lassen, um herauszufinden, wer der alte Mann nun gewesen war. An diesem Abend schliefen sie eng aneinander gekuschelt ein.
Am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster fielen, erwachte Matthew. Elisabeth erwachte ebenfalls, als er sich leise aus dem Bett stehlen wollte. „Was machst du?“, fragte sie müde. „Ich werde mich wieder auf die Suche begeben. Ich muss wissen, wer der alte Mann war. Ich werde das Gefühl nicht los, dass dies für mich sehr wichtig ist. Warum auch immer. Schlaf du weiter, es ist noch zu früh zum Aufstehen Schatz.“ Elisabeth war zu müde zum Diskutieren und legte sich wieder hin, um weiterzuschlafen. Matthew ging in sein Büro und zog die Kleider wieder an, die er dort deponiert hatte. Dann frühstückte er noch ausgiebig und machte sich dabei Gedanken, wo er am besten ansetzen sollte. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder er stellte sich diesmal direkt neben den Mann hin, um herauszufinden, was in dem Vertrag stand, oder er verfolgte anschließend die zwei Männer, die ihn weggebracht hatten. Wobei Ersteres ihm erfolgversprechender schien. Er musste herausbekommen, was Paymon so wichtig war, dass er einen alten Mann dermaßen quälte. Also beschloss er, in dieselbe Zeit zu dem Ereignis zurückzureisen, was in etwa vierzig Jahre her sein musste. Ganz genau wusste er es nicht, da er ja nur den beiden Gefolgsleuten Paymons gefolgt war.
Er nahm den Stab in seine Hand, schloss die Spange am Mantel, drehte an seinem Ring und konzentrierte sich auf das, was er gesehen hatte. „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique!“ Umgehend öffnete sich die Zeitschleife und riss ihn mit sich.
Als er wieder Boden unter seinen Füßen verspürte, ging er wie beim ersten Mal, hinter den beiden Gefolgsleuten den Weg entlang. Da er aber nun schon wusste, wo Paymon sich aufhielt, nahm er eine Abkürzung durch den Wald. So leise er nur konnte, schlich er über die Lichtung, bis er den alten Mann erreicht hatte, und stellte sich knapp neben ihm hin. In selben Moment bemerkte er, dass Paymon kurz innehielt und sich mit gerunzelter Stirn eingehend umsah. Er sah genau in seine Richtung. Nur knappe drei Meter trennten sie voneinander. Matthew hielt den Atem an. Konnte er etwa spüren, dass er hier war? Sehen konnte er ihn bestimmt nicht, das wusste er inzwischen. Da hob Paymon plötzlich zornig seine Rechte und rief instinktiv: „Arată-te! Velum dissolve!“ Matthew war wie erstarrt. Ihm war sofort klar, dass er wohl spüren musste, dass jemand hier war, wenn er den Enttarnungszauber anwandte. Er machte sich innerlich schon zum Kampf bereit, falls es dazu kommen sollte. Paymon starrte immer noch in seine Richtung und wartete. Seine schwarzen Augen blitzten wütend. Doch es geschah nichts. Er konnte ihn nach wie vor nicht sehen. Die Magie von Myrddins Mantel konnte er nicht aufheben. Matthew bewegte sich keinen Millimeter, versuchte nicht zu atmen, und wartete ab, was er tun würde. „Zeige dich du Feigling! Ich weiß genau, dass du hier bist! Wer immer du auch bist!“ Wutentbrannt darüber, dass seine Magie nicht zu wirken schien, stampfte Paymon auf den weichen Waldboden. Seine zwei Gehilfen kamen nun näher und einer der beiden fragte: „Meister, ist etwas nicht in Ordnung?“ „Ihr Idioten merkt ihr denn nicht, dass uns jemand beobachtet?!“, herrschte er sie an. Unterwürfig gab der andere zur Antwort: „Aber Meister, wir sehen nichts und spüren auch nichts. Vielleicht habt ihr euch auch getäuscht. Sonst hätten eure starken Kräfte ihn doch längst enttarnt, nicht wahr?“ Paymon wandte sich zu ihm um. Er war geschmeichelt und geneigt ihm Glauben zu schenken. Denn es stimmte, was der Mann sagte. Er hatte bisher noch jeden enttarnen können. Hatte er sich etwa tatsächlich getäuscht? Er wollte vor seinen Gefolgsleuten nicht lächerlich wirken und antwortete deshalb: „Ich bin mir sicher, da war jemand. Aber er hat wohl Angst bekommen und ist jetzt verschwunden. Also denn, lasst uns nun fortfahren.“
Der alte Mann kniete in etwa drei Metern Abstand vor ihm auf dem Boden. Er spürte Matthew ebenfalls, sagte aber kein Wort. Er wusste, dass er gegen Paymon ohnehin nichts mehr ausrichten hätte können. Sein klägliches Versagen im Kampf gegen ihn, lastete schwer auf seiner Seele. Das, wozu er bestimmt gewesen war, hatte er nicht erfüllen können. Er war nur noch darauf bedacht, seine einzige Tochter zu beschützen, soweit es ihm möglich war. Und wer auch immer sie nun beobachtete, es würde an seiner ausweglosen Situation kaum etwas ändern.
Matthew tat der Mann leid, wer auch immer er war. Er stand immer noch wie angewurzelt neben ihm und beobachtete die Szene. Er musste herausfinden, worum es hier eigentlich ging.
Paymon indessen nahm von seinem Gehilfen das Pergament entgegen. Er schnippte mit den Fingern seiner Rechten, in der darauf die Schreibfeder erschien, dann hielt er ihm Papier und Feder hin. „Unterschreibe, wenn dir das Leben deiner Tochter etwas wert ist!“ Der alte Mann nahm das Pergament und die Feder entgegen, atmete tief durch, dann setzte er seine Unterschrift darunter. Er ahnte wohl schon, was folgen sollte.
Matthew beugte sich im gleichen Moment über ihn und begann zu lesen. Er fühlte einen schmerzhaften Stich in seinem Herzen, als er den Namen las, der in dem Vertrag ganz oben angeführt war. >> Sir Raven de Clare 8. Earl of Pembroke << Es war ein Vertrag zwischen ihm und Paymon, der zum Inhalt hatte, dass seine Tochter von Paymon nicht weiter behelligt wurde, wenn er sein ganzes Eigentum an Paymon übergab. Und das war Cardiff Castle, samt allen Ländereien!
Geschockt taumelte Matthew zurück und brachte sofort Abstand zwischen sich und die anderen. Damit hatte er ganz bestimmt nicht gerechnet! Der alte Mann war offenbar sein richtiger Großvater gewesen! Nun hatte er den Beweis schwarz auf weiß, dass der, der sich jahrelang als sein Großvater ausgegeben hatte, ein Betrüger war! Ein ganz offensichtlich von Paymon erwählter Gefolgsmann, der dazu ausersehen war, ihn nach England zu locken, um ihn in den Kreis der Fünf zu integrieren und damit ihre absolute Macht zu vervollständigen. Alles war eine einzige Lüge gewesen! Tief getroffen von der Schmach, die man ihm angetan hatte, lief er, so schnell seine Füße ihn tragen konnten, davon. Sobald er genug Abstand zu ihnen eingenommen hatte, hob er seine Hand, drehte am Ring und murmelte leise: „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique! Ad mihi in re praesenti! Turn ad tempus!“
„Du bist nach fünf Tagen schon zurück?“, fragte Elisabeth, als er im Wirbelwind der Zeiten zu Hause eintraf. Sie bemerkte, dass er völlig verstört wirkte und fragte: „Was ist passiert Matthew?“
Er legte den Stab zur Seite, nahm den Mantel ab und setzte sich auf die Couch. Elisabeth spürte sofort, dass etwas Schwerwiegendes geschehen sein musste. Denn so hatte sie ihn noch nie gesehen. Seine Augen wirkten, als hätte er gerade den Teufel persönlich gesehen. „Bist du auf Paymon getroffen?“, hakte sie nach. Matthew nickte stumm. „Was ist denn jetzt passiert, sag schon Matt!“ Er wandte ihr sein Gesicht zu und antwortete: „Alles war eine Lüge!“ „Was hat das zu bedeuten?“ Sie wusste nicht, wovon er eigentlich sprach. „Mein sogenannter Großvater!“ Sein Mund verzog sich zu einem geringschätzigen spöttischen Ausdruck. „Alles war von Anfang an eine Lüge!“, wiederholte er. Jetzt verstand sie endlich, worauf er anspielte. „Dann ist er es also nicht gewesen?“ „Nein, er war es nie!“ Ihre Stirn legte sich in Falten, als sie fragte: „Ja, aber wer war es dann?“ Matthew zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich nehme an, er war nur ein Gefolgsmann Paymons, wer sonst würde so etwas tun?“ Sie nickte. „Das wird wohl so sein. Ich kann mir sonst auch nicht vorstellen, wer sonst Interesse daran hätte, dich so sehr zu täuschen.“
„Ich hatte ja früher schon diesen Verdacht. Aber ich wollte es einfach nicht glauben. Ein Teil von mir hat wohl immer noch gehofft. Ich habe mir wohl zu sehr eine Familie gewünscht.“ Er senkte den Kopf und wirkte schwer enttäuscht. Elisabeth legte ihre Hand auf seine Schulter. „Sei nicht traurig Matt, du hast doch immer noch mich. Und vergiss nicht, wir sind bald zu dritt.“ Sie lächelte ihn an und bemühte sich ihn aufzumuntern. „Ich weiß, aber verstehst du nicht? Ich bin von Anfang an hierhergelockt, getäuscht und betrogen worden! Ich war von Anfang an nur Mittel zum Zweck! Hätte man mich einfach in Ruhe gelassen, wäre ich heute noch auf meiner Farm und wäre glücklich, weil ich mit all dem nichts zu tun hätte. Dann müsste ich jetzt nicht gegen einen Dämon um unser Leben kämpfen!“ Verärgert, deprimiert und gänzlich ernüchtert, schlug er mit der Faust auf den Tisch vor ihm. Im Moment war gerade alles etwas zu viel für ihn. Er musste das alles erst verdauen, bevor er weitermachen konnte. Es traf ihn schwer, dass man ihn so dermaßen ausgenutzt hatte. Der Mann, der sich als sein Großvater ausgegeben hatte, hatte mit ihm jahrelang nur gespielt und seinen Wunsch nach einer Familie benutzt, um ihn sich gefügig zu machen. Nichts davon war wahr! Er war blind gewesen. Er hatte es einfach nicht glauben wollen! Doch das war jetzt endgültig vorbei, da er nun endlich die ganze Wahrheit kannte!
Vielleicht musste er es auch mit eigenen Augen sehen, um sich dessen wirklich bewusst zu werden. Seine zukünftigen Entscheidungen und Handlungen waren davon abhängig. Die Endgültigkeit dieser Erkenntnis änderte auch ihn selbst.
Die unausweichliche Frage, die sich ihm jetzt dennoch aufdrängte, war, wer dann tatsächlich, am Tod seiner Mutter die Schuld trug. Man hatte ihm jahrelang erzählt, sie sei durch einen Autounfall gestorben. Doch nachdem er jetzt wusste, was Paymon getan hatte, glaubte er nicht mehr daran. Es drängte ihn, der Sache auf den Grund zu gehen. Er musste einfach wissen, ob Paymon auch am Tod seiner Mutter Schuld war. In schweren Gedanken verloren, saß er stundenlang im Wohnzimmer. Er war sich natürlich bewusst, dass er in die Geschichte selbst nicht eingreifen durfte. Man konnte zwar alles miterleben, aber ein Eingreifen, würde den Verlauf der Geschichte verändern und das war ihm nicht erlaubt. Das hatte Myrddin auch in seinem Buch ausdrücklich klar gemacht. Nur zu gern hätte er dies geändert. Dann wäre seine Mutter vielleicht heute noch am Leben.
Elisabeth überließ ihn weitgehend sich selbst. Sie spürte, wie es in ihm arbeitete. Bevor sie zu Bett ging, gab sie ihm noch einen Kuss auf die Wange und sagte leise: „Mach nicht zu lange Schatz, du brauchst deinen Schlaf.“ Matthew nickte nur. Zu sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt. Es war nicht leicht für ihn. Wenn er zu diesem einen Tag in die Vergangenheit zurückreiste, wäre das für ihn sicherlich mit sehr viel Schmerz verbunden. Mitzuerleben wie seine eigene Mutter angefahren wurde, …das musste er sich gut überlegen. Damals hatte er nicht so viel davon mitbekommen, er war schließlich erst fünf Jahre alt gewesen. Und man hatte ihn weitgehend davon ferngehalten. Aber er wusste genau, um welche Zeit der Unfall stattgefunden hatte, aus den Unterlagen des Protokolls, aus ihrem Nachlass. Das war nicht das Problem. Das Problem war seine eigene Angst, davor, es mit eigenen Augen zu sehen. Weil er nicht wusste, wie er darauf reagieren würde. Wollte er sich das wirklich selber antun? Dem gegenüber stand, dass es nur diesen Weg gab, wollte er herausfinden, ob Paymon seine Finger im Spiel gehabt hatte. Er hatte seinem Großvater zugesichert, dass er sie in Ruhe lassen würde, wenn er ihm alles überschrieb, was er besaß. Aber das Wort eines Dämons ist wohl kaum etwas wert. Wer sagt denn, dass er sich an diese Vereinbarung gehalten hatte? Niemand hätte ihn daran hindern können, sein Wort zu brechen. Daher war der Verdacht sehr naheliegend. Doch herausfinden konnte er dies nur, wenn er selbst vor Ort war. Nachdem er eine Zeit mit sich selbst gerungen hatte, ob er sich das antun wollte, entschied er sich doch, es zu tun. Ihm war jedoch bewusst, dass er dazu zuerst wieder Kraft tanken musste, also ging er zuerst in die Küche, um etwas zu essen, und anschließend gleich ins Bett.
Am nächsten Morgen erwachte er durch den Schrei des Adlers, der am Himmel seine Bahnen zog. Als er durchs Fenster zum Himmel sah, war es ihm, als hätte er gerade deshalb in diesem Augenblick die endgültige Entscheidung getroffen. Es gab keinen anderen Weg für ihn. Er musste endlich wissen, was mit seiner richtigen Familie geschehen war. Die eigenen Wurzeln der Familie, und alle damit zusammenhängenden Ereignisse, definierten das Selbst eines Menschen. Das war auch bei ihm nicht anders. Denn das ist schließlich das, was einen Menschen ausmacht. Seine Herkunft, seinen Charakter, seine Begabungen und Talente. Zudem wusste er über seine Familie so gut wie nichts. Wer waren sie gewesen? Welchen Charakter hatten sie gehabt und welche Ziele hatten sie verfolgt? Er versuchte, sich an seinen Traum damals zu erinnern,
in dem er seine Mutter gesehen hatte. Was hatte sie damals gesagt? >> Es tut mir sehr leid, dass ich dich schon in jungen Jahren zurücklassen musste. Ich hätte dir so vieles noch sagen müssen, aber dazu kam es leider nicht mehr. Sie haben dafür gesorgt. Nun ist es an dir, dich zu entscheiden. Du bist nun in dem Alter, in dem du reif genug dafür bist. Ich wünschte, ich könnte dich lehren, was du wissen musst. Suche deinen Weg mein Sohn, es ist allein deine Entscheidung. Aber ich hoffe inständig, dass du den richtigen Weg erwählst. Alles wird zu dir kommen, wenn du so weit bist. Achte auf die Zeichen!“ <<
Er überlegte. Welche Zeichen sie wohl gemeint hatte? Und was genau bedeutete das: >> Sie haben dafür gesorgt? << War das der Hinweis auf ihre Ermordung gewesen? Damals hatte er diesem Satz keine nähere Bedeutung beigemessen. Wie auch, er hatte ja noch keine Ahnung von alldem gehabt. Heute jedoch, wurde ihm immer mehr bewusst, dass sie ihm vielleicht mehr damit sagen hatte wollen.
Der Adler kreiste immer noch über dem Haus. Die fahle, vom Nebel begleitete Sonne, wärmte kaum mehr die Tage. Der Sommer neigte sich dem Ende zu und ließ den Herbst gewähren.
Matthew zog sich leise an, weil er Elisabeth nicht wecken wollte. Doch sie erwachte dennoch und fragte schlaftrunken: „Was machst du?“ „Ich muss einer bestimmten Sache auf den Grund gehen. Ich bin bald zurück“, antwortete er. Sie verzog wenig begeistert ihre Mundwinkel, drehte sich auf die Seite und schlief weiter.
Als Matthew wenig später nur, Myrddins Mantel um seine Schultern schwang, bekam sie nichts mehr davon mit. Leise verließ er das Schlafzimmer und ging in sein Büro. Er verschloss die Tür, hob seine Arme und konzentrierte sich auf den Morgen von dem Tag, an dem seine Mutter von dem Auto angefahren wurde. „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique!“ Der Zeitwirbel öffnete sich und Matthew war verschwunden.
Als er in Sun Valley, Idaho wenig später wieder in die Zeitschleife wieder eintrat, fand er sich in ihrer alten Wohnung wieder, in der er mit seiner Mutter als kleines Kind gelebt hatte. Seine Mutter saß gerade am Küchentisch beim Frühstück. Daneben, mit frechem Schopf und einem Grinsen im Gesicht, er selbst, mit fünf Jahren. Matthew musste unwillkürlich lächeln. Was für ein kleiner vorwitziger Bengel er doch gewesen war. Als er seine Mutter so betrachtete, kamen bei ihm wieder Erinnerungen hoch. Es war so lange her…
Er hatte beinah vergessen, wie sie ausgesehen hatte. Sie war sehr schlank gewesen, hatte lange dunkle Haare und wunderschöne blaue Augen gehabt. Etwas bedrückt betrachtete er sie still. Warum nur musste sie sterben? Er schüttelte unwillkürlich den Kopf und löste sich abrupt aus seinen Gedanken der Vergangenheit und besann sich wieder darauf, warum er hier war. Er verließ fast fluchtartig die Wohnung und ging die Straße entlang bis zu der Kreuzung, an dem der Unfall damals geschehen war. Allein darauf musste er sich jetzt konzentrieren.
Fast eine Stunde schon, stand er an einen Baum gelehnt an der Kreuzung und beobachtete das Umfeld. Nichts entging seinem Blick. Jede Bewegung der Leute, die vorübergingen, verfolgte er akribisch. Die Zeit verrann und der Zeitpunkt des Unfalls rückte immer näher. Nur noch fünf Minuten, bis es geschehen würde. Matthew wurde immer nervöser. Er musste sich innerlich darauf einstellen, was gleich geschehen würde. Der wenige Verkehr, der hier vorüber rollte, war gut überschaubar. Plötzlich sah er seine Mutter auf dem Gehsteig kommen. Sie trug eine Tasche am Arm und wirkte fröhlich. Als sie gerade die Straße überqueren wollte, kam wie aus heiterem Himmel ein Auto aus der Seitengasse geschossen und riss sie mit sich, sodass sie in hohem Bogen über das Auto flog und auf der Straße bewusstlos liegen blieb. Matthew stockte der Atem. Er sah ihre blutenden Wunden am Kopf, Beinen und Händen und es zerriss ihn förmlich. Sein Herz schlug wie wild und seine Hände zitterten bei dem Anblick ihres zerschmetterten Körpers. Kurze Zeit später, traf ein Rettungswagen ein und brachte seine Mutter ins Krankenhaus. Die Polizei sicherte die Unfallstelle und verhörte den Fahrer des Unfallwagens, der geschockt wirkte. Alles in allem war es zwar ein schrecklicher Unfall gewesen, aber er konnte nichts Ungewöhnliches daran feststellen, was seine Theorie bestätigt hätte.
Fast wie in Trance beobachtete er die Arbeit der Polizei, und den Auflauf, der sich am Straßenrand gebildet hatte. Die Leute tuschelten, hielten sich geschockt die Hand vor den Mund, oder schimpften über den rücksichtslosen Fahrer des Unfallwagens. Matthew musterte die Menge, in der er zu entdecken hoffte, wonach er gesucht hatte. Hinweise auf ein Mordkomplott. Als sich die Menge, langsam auflöste, die Polizei den Wagen entfernt und den Fahrer mitgenommen hatte, verließ auch er die Unglücksstelle. Er konnte in dem Moment nicht sagen, ob er enttäuscht oder froh darüber war, dass Paymon ganz offensichtlich keine Schuld am Tod seiner Mutter trug. Nachdenklich ging er die Straße entlang und beobachtete die Menschen. Er erkannte manche Gesichter wieder und empfand plötzlich so etwas wie Heimweh nach der Stadt, in der er so lange gelebt hatte. Seine ganze Kindheit hatte er hier verbracht. Es war keine leichte Zeit für ihn damals, als er nach dem Tod seiner Mutter ins Heim kam. Als Vollwaise ganz ohne Familie, hatte er sich sehr verlassen gefühlt. Er dachte an Sally, die als Betreuerin im Heim gearbeitet, und ihn dann eines Tages herausgeholt hatte, zu sich und ihrem Mann Tom, der für ihn später so eine Art Vaterersatz wurde. Was wäre nur aus ihm geworden, hätten sie das nicht getan? Er war den beiden bis zum heutigen Tag sehr dankbar.
Als er so seinen Gedanken nachhing, beschloss er noch einmal, ins Krankenhaus zu gehen, um von seiner Mutter Abschied zu nehmen. Er hob seine Rechte über den Kopf, konzentrierte sich darauf und murmelte: „Lux Onerariis!“ Binnen Sekunden erschien er dann im Krankenhaus, von einem Lichtstrahl begleitet, den zum Glück niemand sehen konnte, dank Myrddins Mantel. Dann machte er sich auf die Suche nach seiner Mutter. Durch ein Gespräch der Krankenschwestern bekam er mit, dass sie noch im OP lag. Also setzte er sich auf einen Stuhl und wartete vor der Tür. Fast drei Stunden später, wurde sie auf einem Krankenbett herausgefahren und auf die Intensivstation gebracht. Mit wehem Herzen folgte er ihr und setzte sich leise auf einen Stuhl neben ihr Bett, nachdem Arzt und Schwestern das Zimmer wieder verlassen hatten. Seine Mutter war an mehreren Monitoren angeschlossen worden und das regelmäßige Piepsen der Geräte, wirkte auf ihn grausam quälend. Zu gerne hätte er sie länger in seinem Leben gehabt. Doch er konnte absolut nichts daran ändern, wie alles gekommen war. Auch wenn er dies von Herzen gerne getan hätte, es war ihm verboten, den Ablauf der Geschichte zu ändern, da die Folgen unabsehbar wären.
Myrddin hatte dies ausdrücklich in seinem Buch vermerkt >> Vetiti sumus auctore voluerunt!!! << Und wenn der größte Meister der Magie dies forderte, dann musste auch er sich daranhalten. Denn, wer wusste schon, was die Folgen für ihn mit sich bringen konnten. Vielleicht hätte er dann noch größere Probleme, als er ohnehin schon hatte. Nein, das war einfach viel zu riskant. Zumal er sich mit dem Tod seiner Mutter schon lange abgefunden hatte, auch wenn es ihn jetzt, wo er direkt dabei war, bis ins Herz traf. Für ihn war nur wichtig gewesen, herauszufinden, ob Paymon Wort gehalten hatte oder nicht. Das hatte sich somit bestätigt, und ihm blieb nur noch, sich von seiner Mutter für immer zu verabschieden, bevor er ging.
Als seine Mutter am nächsten Tag ihre Augen aufschlug, keimte in ihm leise Hoffnung, die er sofort wieder beiseiteschob, weil er den Ausgang doch kannte. Ihre inneren Verletzungen waren sehr schwer gewesen und der Arzt wirkte sehr skeptisch, ob sie sich davon jemals wieder erholen würde. Matthew wich ihr keine Sekunde von der Seite, und beobachtete wie Menschen kamen, sie besuchten, ihre Hand hielten und ihr gut zu redeten. Man brachte Blumen und Geschenke mit und die mitleidigen, hilflosen Blicke der Leute zeigten deutlich, wie es um sie stand. Tags darauf, kam Sally und holte den Schlüssel von ihrer Wohnung. So bekam Matthew das Gespräch, wovon sie in ihren Brief damals berichtet hatte, persönlich mit. Alles war genau so, wie sie es geschildert hatte. Seine Mutter war extrem schwach, aber sie wechselte ein paar Worte mit ihr, bevor sie wieder einschlief, was man den starken Medikamenten zuschrieb, die sie bekam. Es wurde Abend und die Besuchszeit war vorbei. Matthew verließ ihr Zimmer stets nur, um sich etwas zu essen zu besorgen. Als er an diesem Abend, von dem er wusste, dass er ihr letzter gewesen war, wieder zurück in ihr Zimmer kam, taumelte er plötzlich geschockt zurück. Als er durch die Tür gekommen war, dachte er zuerst, es wäre der Arzt, weil er einen weißen Kittel trug, doch als der sich umdrehte, blieb ihm fast das Herz stehen bei seinem Anblick. Sein Herz klopfte bis zum Hals und sein Blut fing vor Wut an zu kochen, als er das Gesicht Namtars erkannte, der sich an einem der Geräte zu schaffen machte. Dieser jedoch, sah und bemerkte ihn nicht. Matthew musste sich mit aller Kraft beherrschen, die ihm zur Verfügung stand! Er ballte seine Fäuste und zitterte am ganzen Leib vor Wut und Zorn, der in jedem Moment gleich zu eskalieren drohte. Hass stieg in ihm hoch. Abgrundtiefer Hass! Wie konnte dieser Mann ihr das nur antun? Was hatte sie ihm getan, dass er sie ermorden musste? Sie war doch nur eine liebevolle Frau gewesen, die niemandem etwas getan hatte! Warum sie? Wie erstarrt beobachtete er, wie Namtar mit einer Spritze in den Infusionsschlauch stach, etwas hineinspritzte, und sie nach ca. drei Minuten dann plötzlich zu atmen aufhörte. Als der Alarm der Geräte losging, hob Namtar seine Hand und murmelte: „Lux Onearis!“ Dann war er verschwunden. So war auch niemand mehr hier, als wenige Sekunden später Arzt und Schwester ins Zimmer stürmten. Der Arzt konnte nur noch den Tod seiner Mutter feststellen und schrieb es ihren schweren Verletzungen zu. Niemand hatte auch nur den leisesten Verdacht geschöpft, da man wusste, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hing.
Matthew stand wie erstarrt die ganze Zeit in der hinteren Ecke, um keinem in die Quere zu kommen, und beobachtete den Ablauf, bis man seine Mutter abholte und im Sterberaum aufbahrte. Er folgte ihrem leblosen Körper und gedachte ihrer still, nachdem er mit ihr alleine war. Tränen der Hilflosigkeit liefen über seine Wangen. „Es tut mir so leid Mama“…. flüsterte er ins Dunkel hinein. Traurig schloss er die Spange am Mantel, drehte an seinem Ring und flüsterte: „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique! Ad mihi in re praesenti! Turn ad tempus!“