Читать книгу Die Magier von Stonehenge Teil II. - Denise Devillard - Страница 9
2. Kapitel Die Suche
ОглавлениеMit einem Satz schwang sich Matthew auf Sunday und ritt los. Er trieb das Pferd an und jagte es durch die Wälder, bis sie beide ganz verschwitzt an Myrddins Versteck ankamen. „Ich weiß, aber ich hatte es eilig“, sagte er leise zu seinem Pferd, das völlig außer Atem war. „Ruh dich aus, ich werde eine Weile brauchen.“
Er band es an einem Ast fest und machte sich auf den Weg zu der versteckten Öffnung im Felsen. Matthew hatte schlecht geschlafen letzte Nacht und unentwegt über seinen Traum nachgedacht. Wenn es wahr wäre, dann musste er ja einfach nur nach dem Buch suchen, von dem Myrddin gesprochen hatte.
Matthew trat vor den Felsen hin, erhob seine Arme konzentriert und sprach: „Merlinus ostende mihi secretum! Notam fac mihi viam, et aperuerit mihi aditus! Aperi mihi, quid in occulto! Solve velum!“
Der Felsen gab ihm daraufhin sofort den Weg zur Treppe frei, die nach unten führte in Merlins Refugium. Matthew hob seine Rechte und sprach: „Lux!“ Ein heller Lichtstrahl quoll aus seiner Hand und leuchtete ihm den Weg. Nachdem er ganz unten die letzte Treppenstufe erreicht hatte, entzündeten sich die Fackeln in der Halle an den Wänden von selbst, sodass er sein eigenes magisches Licht nicht mehr benötigte. Am hinteren Ende der Halle angekommen, hob er seine Arme und rief: „Occulta te ostium apertum in me! Ostende mihi, secretum!“
Die durch einen starken Zauber verborgene Tür, öffnete sich mit ächzendem Laut und gab ihm den Weg zu Myrddins Allerheiligstem frei. Voller Hoffnung, machte er sich sogleich auf die Suche nach dem verborgenen Buch.
Matthew probierte verschiedene Zaubersprüche, die ihm passend erschienen, an unterschiedlichen Stellen in der Kammer und auch in der Halle aus. Doch nichts rührte sich. Langsam begann er zu bezweifeln, dass der Traum tatsächlich eine Botschaft gewesen war. Seine Sorgen mussten ihm wohl doch einen Streich gespielt haben. Resigniert setzte er sich auf den alten Stuhl Myrddins und grübelte. Wenn es dieses schwarze Buch gab, wo konnte es dann sein? Es gab inzwischen keine Stelle mehr, wo er noch nicht danach gesucht hatte. In Matthew keimte der Gedanke, dass er irgendetwas falsch machte. Aber was? Sein Blick schweifte nachdenklich über die Bücher und Gegenstände, die im Raum waren. „Wo bist du nur?“, fragte er laut. Da fiel ihm plötzlich wieder ein Detail ein, was Myrddin im Traum erwähnt hatte. Der Ring und der Mantel…
Er schnellte aus dem Stuhl hoch und ging auf die alte Truhe zu, die in der Ecke stand. Matthew legte seine Hand darauf und sprach: „Aperire abscondita det mihi ad te! Ostende mihi, quid es protegens.“ Kaum ausgesprochen, schoben sich die Eisenriegel wie von Geisterhand zurück und gaben ihm den Inhalt der Truhe frei. Stück für Stück nahm er heraus und legte alles vor sich auf den Boden. Als er den ganzen Inhalt ausgebreitet hatte, betrachtete er die Sachen und überlegte fieberhaft, was ihm davon weiterhelfen konnte. Myrddin hatte Ring und Mantel erwähnt, aber wie genau er sie benutzen konnte, hatte er ihm nicht verraten. Nachdenklich schweifte sein Blick über den Inhalt der Truhe. Da lagen Myrddins magischer Zauberstab, die silberne Schatulle, die den Ring in sich barg, der Mantel und zwei alte Karten. Er hob die Karten auf und betrachtete sie eingehend. Die Landschaft, die darauf eingezeichnet war, kannte er nicht. Und die wenigen Worte, die er auf ihnen finden konnte, waren in Cymraeg/ alt walisisch geschrieben. Der Sinn dahinter blieb ihm noch gänzlich verborgen und so legte er sie wieder beiseite. Stattdessen nahm er den schweren blauen Mantel und legte ihn sich um seine Schultern. Im gleichen Moment fühlte er eine unbändige Kraft in sich aufsteigen. Alte, ihm sehr bekannte Gefühle von unbezwingbarer Macht stiegen in ihm hoch. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Hatte der Mantel etwa ähnliche Kräfte wie das Amulett? Matthew war ganz fixiert darauf, dass, wenn er das Buch fand, er alle Informationen bekam, die er brauchte. Er musste es einfach nur finden. Vielleicht waren der Ring und der Mantel der Schlüssel dazu.
Vorsichtig hängte er den Mantel über den alten Stuhl und öffnete die Schatulle mit dem Ring. Damals, als er die Truhe das erste Mal geöffnet hatte, hatte er weder den Ring noch den Mantel ausprobiert. Aber ein unbestimmtes Gefühl trieb ihn dazu, es jetzt zu versuchen. Also nahm er ihn aus der Schatulle, wickelte das Leinentuch, in das er gehüllt war auf, und steckte ihn sich an die rechte Hand. Plötzlich begannen sich seine Augen zu verändern und seine Sicht verschob sich völlig. Es war, als ob sich ein unsichtbarer Schleier über seine Augen legte, der alles seltsam verzerrte. Alles um ihn herum wirkte plötzlich so unwirklich und wie in Trance. Überrascht und ein wenig schwindlig nahm er ihn ab und setzte sich auf den Stuhl. Was war das? Er verstand die Magie nicht, die dem Ring innewohnte. Wozu sollte das gut sein? Eine solche Magie war ihm bisher unbekannt. Doch ihm war klar, dass er nicht aufgeben konnte, da Myrddin ja gesagt hatte, dass der Ring ebenso wie der Mantel, ihm bei der Suche helfen würden. Zumindest hatte er das so verstanden. Also versuchte er es noch einmal und steckte ihn an seinen Finger. Matthew versuchte, sich ganz auf seine Kraft zu konzentrieren und zu erspüren, wozu der Ring fähig war. Alles vor ihm verschwamm zusehends, doch er wollte diesmal nicht aufgeben und wartete ab, was geschehen würde. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Sicht plötzlich veränderte. Schlagartig sah er ganz plötzlich Myrddin vor sich, wie er auf seinem Stuhl am Schreibtisch saß und in ein Buch schrieb. Alles wirkte wie vor sehr langer Zeit, und das Mobiliar im Raum schien noch ganz neu und kaum benutzt zu sein. Auch Myrddin sah um vieles jünger aus als in seinem Traum. Da dämmerte es ihm langsam, wozu der Ring gemacht worden war. Ja, es konnte nicht anders sein! Um seinen Verdacht zu bestätigen, nahm er ihn abermals ab. Dann konzentrierte er sich auf das Buch, steckte ihn wieder an und wartete ab. Es dauerte wieder eine Weile, dann gab er ihm den Blick frei auf das, worauf er so gehofft hatte. Er beobachtete Myrddin, wie er einen Schutzzauber über ein schwarz gebundenes Buch legte, das daraufhin vor seinen Augen augenblicklich verschwand. Matthew merkte sich den Spruch und wartete weiter ab. Da nahm Myrddin den Mantel aus der Truhe, schwang ihn über seine Schultern und war urplötzlich gleichsam verschwunden. Er rieb sich die Augen, weil er dachte, er hätte etwas übersehen, doch alles blieb, wie es war. Matthew wurde bewusst, dass der Ring ihm nicht nur die Vergangenheit allgemein, sondern ihm stets das zeigte, woran er gerade dachte. Und wenn dem wirklich so war, dann konnte er vielleicht auch das Versteck der Schwarzmagier in Pembroke mit seiner Hilfe finden. Er besann sich ganz auf das Zeichen, das er in Pembroke damals gesehen hatte. Dann steckte er den Ring wieder an und wartete. Nach einer Weile klärte sich seine Sicht und er sah, wie drei Männer in lange weiße Mäntel gehüllt auf ihn zukamen. Sie murmelten einen Zauberspruch, worauf sich ein unsichtbares Tor öffnete, das sie mit sich fortriss. Sie blieben danach verschwunden und so nahm Matthew den Ring wieder ab. Seine Vermutung hatte sich bestätigt. Der Ring konnte ihm genau die Ereignisse aus der Vergangenheit zeigen, die er wollte. Matthew war ganz aufgeregt und zuversichtlicher als zuvor, einen Weg zu finden, wie er Paymon bekämpfen konnte. Er wusste natürlich, dass dies eine ganze Zeit dauern würde, sich all das Wissen anzueignen, aber dazu war er bereit. Denn letztendlich hing ihr Leben davon ab.
Nachdem er alles wieder weggeräumt und wieder mit einem Schutzzauber belegt hatte, verließ er das Versteck Myrddins und machte sich auf den Heimweg.
Daheim angekommen, empfing ihn schon Elisabeth mit sorgenvollem Blick. „Wo warst du denn so lange Matt?“ Ihr Unterton war nicht zu überhören. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht!“ „Tut mir leid, Elisabeth, aber ich musste unbedingt herausfinden, ob etwas an dem Traum wahr ist“, entgegnete ihr Matthew ein wenig schuldbewusst, weil er sie so lange allein gelassen hatte. „Aber“, fügte er gleich hinzu, „ich denke, ich habe einen guten Weg gefunden.“ Er sah sie mit verheißungsvollem Blick an und lächelte ihr zu. Elisabeth sah ihn überrascht an. „Wirklich?“ „Ja, ich bin ganz zuversichtlich“, sagte Matthew bestimmt und umfasste ihre Taille, um sie mit sich fortzuziehen. „Lass nur, das Pferd kann Jonathan in den Stall bringen. Komm mit, ich muss dir alles erzählen.“ Elisabeth ließ die Zügel los und folgte ihrem Mann ins Haus.
Nachdem sie sich sorgsam vergewissert hatten, ob sie niemand beobachtete, verschwanden sie im Schlafzimmer und versperrten die Tür. „Jetzt komm schon, erzähl“, sagte Elisabeth aufgeregt. Matthew grinste über das ganze Gesicht und sagte leise: „Du wirst es mir nicht glauben, was ich vorhin erlebt habe. Bestimmt erinnerst du dich an die Truhe in Myrddins Versteck oder?“ Elisabeth nickte. „Klar kenne ich die. Aber die Sachen hast du doch bis jetzt noch nie benutzt oder?“ „Ja, bis heute“, sagte Matthew bedeutungsvoll. „Na komm schon, spann mich nicht auf die Folter, Matt, erzähle!“, sagte Elisabeth sichtlich gereizt. Sie hoffte so sehr, dass Matt einen Weg gefunden hatte, sie vor Paymon zu schützen. Andernfalls hatten sie sehr bald schon das nächste Problem. Aber sie wusste noch nicht, wie sie es Matthew am schonendsten beibringen konnte. Sie wusste sehr genau, dass es momentan nicht sinnvoll war, ihn abzulenken. Deshalb hatte sie beschlossen, es ihm noch nicht zu sagen und auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten. Sie schwieg gespannt, als Matthew zu erzählen begann. „Also hör zu“, begann er, „ich habe dir doch erzählt, dass ich von Myrddin geträumt habe. Er hatte einige Dinge darin erwähnt, die ich heute versucht habe herauszufinden. Anfangs war es ein wenig seltsam, aber ich habe nach mehrmaligen Versuchen mit seinem Ring herausgefunden, dass er mir bestimmte Ereignisse aus der Vergangenheit zeigen kann.“ Elisabeth starrte ihn ungläubig mit großen Augen an. „Wirklich?“ „Oh ja. Ich war selbst sehr überrascht, weil ich mit so was nie gerechnet hätte, aber es lässt sich nicht anders erklären, was ich gesehen habe, als ich ihn trug.“ Er erklärte ihr ganz genau bis ins Detail, was sich zugetragen hatte. Elisabeth bemerkte, dass er seit langer Zeit wieder voller Hoffnung war. Das gab auch ihr neuen Mut und Hoffnung, dass doch noch alles gut werden würde. Sie war sehr froh über diese Neuigkeiten. „Ich bin zuversichtlich, dass ich jetzt einen Weg finden werde, uns aus dieser grässlichen Misere zu befreien, Schatz“, beendete Matthew seinen Bericht. „Das hoffe ich sehr Matt. Aber komm jetzt, du musst etwas essen, du Zauberlehrling“, meinte sie scherzhaft und zwinkerte ihm belustigt zu. „Pah, von wegen Zauberlehrling“, antwortete Matthew und spielte mit unterdrücktem Lächeln den Beleidigten „ich werde dir schon noch beweisen, dass ich viel mehr kann als du denkst.“ „Aber das weiß ich doch Schatz, ich wollte dich doch nur aufziehen damit“, lachte sie. Sie zog ihn mit sich in die Küche und richtete ihm sein Abendbrot. Es war schon spät geworden und Matthew hatte vor lauter Wissbegierde nicht einmal bemerkt, wie sehr sein Magen nach Nahrung verlangte. An diesem Abend schliefen sie eng umschlungen ein und Matthew fand seine verdiente Ruhe.
Das laute Geschrei einer Krähe riss ihn früh morgens aus dem Schlaf. Er rieb sich müde die Augen und bemerkte, dass Elisabeth noch schlief. Ganz leise, um sie nicht aufzuwecken, zog er sich eilig an und schloss hinter sich die Tür. Er schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier, damit sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, wenn sie erwachte. Im ganzen Haus war es noch still und so huschte er leise in die Küche, aß eine Kleinigkeit und machte sich auf den Weg zum Stall. Sunday begrüßte ihn leise schnaubend und rieb ihre Nüstern an seinem Hals. „Na, meine Gute, hast du dich gut ausgeruht?“ Er tätschelte ihren schlanken Hals, sattelte sie und führte sie aus dem Stall. Gekonnt schwang er sich auf ihren Rücken und trieb sie an. Sunday glitt auf leisen Hufen dahin, sodass niemand mitbekam, dass er Mangeniohood verließ. Bestimmt war Elisabeth nicht erfreut, dass er schon wieder weg war, aber sie wusste ja auch warum. Sunday galoppierte in hohem Tempo durch die Wälder. Kein Mensch war um diese Zeit unterwegs und so erreichten sie ungesehen den Felsen.
„Merlinus ostende mihi secretum! Notam fac mihi viam, et aperuerit mihi aditus! Aperi mihi, quid in occulto! Solve velum!“ Matthew hob die Arme und der Felsen gab ihm abermals den Weg frei. „Lux!“ Begleitet von dem magischen Licht aus seiner Hand, stieg er die Treppe hinunter. Die Fackeln entzündeten sich und spendeten ihm Licht, als er in der Halle ankam. Schnurstracks ging er auf Myrddins Raum zu, hob seine Hand und rief: „Occulta te ostium apertum in me! Ostende mihi, secretum!“ Die Tür öffnete sich ächzend und gab ihm den Weg frei. Matthew öffnete mit dem Zauberspruch wie gehabt die Truhe, und nahm den Ring und den Mantel an sich. Er warf den Mantel über seine Schultern und schloss die goldene Spange, die am Kragen angebracht war. Dann wartete er gespannt ab. Aber nichts geschah, außer dass er diese unbändige Kraft wieder verspürte, die der Mantel barg. Er versuchte es mit einem Zauberspruch. „Dona mihi praesidium! Dona mihi magicae potentiae tuae!“ Matthew sah sich um und konnte keine Veränderung erkennen. „Seltsam“, dachte er. Etwas irritiert steckte er den Ring auf seinen rechten Ringfinger. Plötzlich riss ihn etwas fort und er fand sich unmittelbar in Pembroke vor den Steinen hockend wieder. „Was in aller Welt“,…er konnte nicht erkennen, was genau passiert war, da er die mächtige Magie des Mantels noch nicht wirklich begriff. Bis jetzt hatte er ja nur in der Vision von Myrddin gesehen, dass dieser damit plötzlich verschwunden war, ohne auch nur ein Wort auszusprechen. Er besah die Steine, die reihum vor ihm lagen, und grübelte. Der Ring hatte ihm die Vergangenheit gezeigt, aber mit dem Mantel konnte er offenbar selbst dorthin reisen. Schnell wurde ihm klar, dass der Mantel in Verbindung mit dem Ring, ihm Möglichkeiten eröffnen würde, an die er nicht einmal im Traum gewagt hatte zu denken.
Theoretisch konnte er nun an jedem erdenklichen Ereignis im Lauf der Geschichte teilnehmen. Matthew dachte da vor allem an seine eigene Familiengeschichte. Auf diese Weise konnte er sicherlich bei Weitem mehr herausfinden, als er je gehofft hatte.
Er versuchte nun, das zweite Tor zu erreichen, in dem er die drei Männer verschwinden hatte sehen. Er sprach den Zauberspruch nach, den auch sie benutzt hatten. „Et incipit occultatum viam tuam. Tres enim sunt duo duo unum sint, sicut!“ Kaum ausgesprochen, riss ihn abermals etwas fort und zog ihn mit heftiger Kraft in eine dunkle Kammer aus Stein, die weit unter der Erde zu liegen schien. Er sah absolut nichts, in dieser abgrundtiefen Dunkelheit, sodass er sein magisches Licht benötigte, um etwas erkennen zu können. „Lux!“ Der Lichtkegel, der seiner Hand entsprang, beleuchtete hell die Kammer, und sein Blick fiel sofort auf ein Zeichen, das ihm wohlbekannt war. Es war dasselbe, welches er oben bei den Steinen gesehen hatte. Dieses merkwürdige X mit einem kleinen Haken an der rechten Seite. Was es bedeutete, wusste er jedoch nicht zu sagen. Es prangte in roter Farbe an der Wand gleich am Eingang, wenn man den Raum betrat. Sein Blick schweifte durch den kleinen Raum, der sehr grob behauen war. Langsam schritt er durch den Bogengang, der weiter nach hinten führte. Er mündete in einem weiteren, etwas größeren Raum, in dem nichts zu sehen war, als die kahlen Steinmauern. Verwundert sah Matthew sich um und stand vor der Wand am Ende des Raumes. Was nun? Nirgends waren Anhaltspunkte zu entdecken, dass es hier noch eine weitere Tür oder andere Räume gab. Er drehte sich zur Wand und legte instinktiv seine Hand darauf.
Plötzlich schob sich vor ihm die steinerne Wand zur Seite und eröffnete ihm den Weg in eine große Kammer. Matthew trat hindurch und sah überrascht, dass hier verteilt auf vielen Holzregalen, die unterschiedlichsten Gewänder aus verschiedenen Epochen, fein säuberlich geordnet lagen. Man hatte fast den Eindruck, als wäre man in die Requisitenkammer eines Theaters gelangt. Aber wozu hatte man diese Sachen hier gesammelt? Waren es nur Überbleibsel aus den verschiedenen Zeitaltern? Oder hatte es damit eine ganz besondere Bewandtnis?
Matthew trat an eines der Regale näher heran und musterte eingehend, die glänzend silberne Rüstung, die hier lag. Auf dem Brustpanzer war noch ein roter Löwe zu erkennen, der schon ein wenig verblasst war. Daneben lagen alte, schwere, eiserne Waffen, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Als er nach einem langen Schwert mit einer seltsamen Inschrift greifen wollte, hörte er plötzlich Stimmen. Matthew erschrak fast zu Tode. Er versteckte sich blitzschnell hinter einem der Regale, das bis obenhin voll mit Gewändern bepackt war. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und sein Blut pochte wild in seinen Adern. Er wusste, dass er keine Möglichkeit hatte, hier ungesehen zu entkommen.
„Hole uns die Kleidung der Templer, Namtar! Und beeile dich! Wir müssen sofort wieder zurückkehren! Das muss um jeden Preis verhindert werden!“
„Ja sofort, Herr.“
Matthew zuckte erschrocken zusammen, als er Paymons Stimme vernahm, die durch den Gang hallte wie ein Donnergrollen. Namtar? Sein Großvater war also bei Paymon und noch am Leben? Niemand hatte mehr etwas von ihm gehört oder gesehen, seit der Sonnenwende in Stonehenge. Manch einer vermutete, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Obwohl Matthew das immer bezweifelt hatte. Und jetzt verbrachte er, wohl offensichtlich sein Leben, als unterwürfiger Speichellecker von Paymon, den er einst hatte stürzen wollen, mit seiner Hilfe. Doch die weitaus größere Frage, die ihn nun beschäftigte, war, wann waren Paymon und Namtar hier? In welcher Zeit war er überhaupt hier gelandet? Oder lag das, was er hier sah, etwa schon viel länger zurück? Er wusste es nicht zu sagen. Das Ganze war noch sehr irritierend für ihn, doch er hatte jetzt keine Sekunde Zeit, um eingehender darüber nachzudenken. Die Gefahr, die hinter dem Gang auf ihn lauerte, war zu groß. Matthew lauschte angespannt den Schritten, die auf ihn zukamen. Was, wenn er ihn entdecken würde? Er wusste ganz genau, dass er im Moment noch nicht soweit war, Paymon zu bekämpfen. Dafür brauchte es noch viel mehr, als er bis jetzt konnte. Er würde mit großer Wahrscheinlichkeit gnadenlos unterliegen und vernichtet werden. Das Klappern der Schuhe, die auf ihn zukamen, wurde immer lauter. Matthew hielt den Atem an, als er hörte, wie sich die Wand öffnete. Namtar durfte ihn auf keinen Fall hier entdecken, sonst wäre alles mit einem Schlag vorbei, und er konnte Elisabeth nicht mehr schützen. Er erstarrte in hockender Stellung hinter dem Regal und wartete. Namtar kam auf ihn zu und schob ein Regal zur Seite, um an das Hintere zu gelangen. Er wühlte in den Sachen, die darauf lagen, und griff sich zwei Kettenhemden samt weißem Überwurf, die mit einem roten Kreuz auf der Brust versehen waren. Dazu noch zwei lange Schwerter mit goldenem Griff.
Als er sich schon auf den Rückweg machen wollte, hielt er plötzlich inne. Namtar spürte förmlich, dass etwas nicht in Ordnung war. Er hatte das eindringliche Gefühl, dass er beobachtet wurde. Aber er konnte niemanden sehen. Seine schmalen hinterlistigen Augen wanderten durch das Halbdunkel. Um seinen Verdacht, dass sich hier jemand unerlaubt aufhielt, zu überprüfen, wandte er den Zauberspruch an, der den vermuteten Eindringling enttarnen sollte. „Arată-te! Velum dissolve!“ Aber nichts rührte sich. Abwartend und hoch angespannt stand er da, mit den Sachen in seinen Händen. Sie konnten sich unerwartete Zwischenfälle nicht leisten. Die Zeit drängte.
Matthews Herz war fast stehen geblieben, als sein Großvater das Regal zur Seite geschoben hatte. Er stand nun genau einen knappen halben Meter vor ihm. Wenn er sich nur einige Zentimeter vorwärtsbewegte, würde er ihn unweigerlich berühren. Aber warum konnte er ihn nicht sehen? Und warum hatte Namtars Zauberspruch ihn nicht enttarnt? Es schien, als hätte der Mantel wesentlich stärkere Zauberkräfte, die solche Sprüche wirkungslos machten. Wie erstarrt hockte er da und wartete.
Namtar warf noch einmal einen scharfen Blick ringsum, dann wandte er sich der Tür zu und verließ die Kammer. Er hatte sich wohl geirrt und sein Verstand spielte ihm Streiche. „Wo bleibst du, Namtar?!“ Die herrische Stimme seines Meisters, schallte ungeduldig durch den Gang. „Ich komme schon, Herr“, gab er untertänig zurück und beeilte sich, ihm die Sachen zu bringen. „Du Narr! Was lässt du mich so lange warten?! Nimm die Sachen und komm!“ „Ja Herr, aber…“ Namtar unterbrach sich, dann schluckte er seine Worte im letzten Moment doch lieber hinunter, als sich vor Paymon lächerlich zu machen, und folgte ihm hinaus. Es war eigentlich unmöglich, dass sich jemand hier aufhielt außer ihnen beiden. Was hatte er sich nur gedacht!
Matthew wartete, bis er keinen Laut mehr vernahm, dann erhob er sich leise und sah zu der Tür. Sie war wieder verschlossen und es schien, als wäre er wieder allein. Er atmete tief durch und entspannte sich langsam. Er hatte noch einmal Glück gehabt! Er horchte noch einmal, dann trat er durch die Tür in den Gang hinaus. Niemand war mehr zu hören. Erleichtert konzentrierte er sich auf Myrddins Versteck in der Gegenwart, schloss die Spange am Mantel, drehte mit seiner Linken den Ring, und verschwand umgehend. Nichts blieb zurück, was davon kündete, dass er je hier gewesen war.
Dort angekommen, ließ er sich erschöpft von der Anspannung auf dem Stuhl nieder und überlegte. Warum hatte ihn Namtar nicht sehen können? Er streifte Ring und Mantel ab und legte sie zurück in die Truhe. Für heute hatte er genug an Aufregungen. Um Haaresbreite war er einer Katastrophe entronnen. Zuviel war heute schon vorgefallen. Ermattet ritt er auf Sunday nach Mangeniohood zurück.
Elisabeth wartete schon seit Stunden auf Matthew und stand am Fenster, als sie die herangaloppierenden Hufe Sundays hörte. Erleichtert lief sie ihm entgegen. „Da bist du ja endlich!“ „Ja sorry Schatz, aber ich hatte ein paar Probleme“, gab Matthew müde zurück, stieg vom Pferd und umarmte sie. Sein ernster Blick gefiel ihr nicht. „Was ist geschehen, Matt?“ „Nicht hier“, antwortete Matthew und zog sie mit sich ins Haus.
Nachdem er ihr alles erzählt hatte, sagte Elisabeth nachdenklich: „Ich will gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn sie dich erwischt hätten. Mir gefällt das Alles nicht. Kannst du ihnen nicht so lange aus dem Weg gehen, bis du eine Möglichkeit gefunden hast, ihn zu bekämpfen?“ Matthew sah sie nachdenklich an. Die Angst um ihn stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass sie dort sein würden. Das war doch keine Absicht.“ Sie nahm seine Hand in die ihre und sagte leise: „Matt, ich mache mir wirklich große Sorgen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas geschieht. Bitte sei in Zukunft vorsichtiger.“ Daraufhin nahm er sie liebevoll in seine Arme und sagte: „Mach dir keine Sorgen, es wird schon nichts passieren.“ Elisabeth schluckte schwer. Sie musste es ihm jetzt einfach sagen, damit er besser auf sich Acht gab. Es machte keinen Sinn, es noch länger hinauszuzögern. „Ich muss dir etwas erzählen Matt.“ Er sah sie stirnrunzelnd an und antwortete: „Was ist los?“ Sie räusperte sich, sah ihm tief in die Augen und sagte: „Wir bekommen ein Kind. Und wenn alles gut geht, kommt das Kind im Winter auf die Welt.“
„Du bist schwanger?“ Matthew war wirklich sehr überrascht und erfreut zugleich. Elisabeth nickte stumm. „Aber das ist ja großartig!“ „Na ja, schon…aber in Anbetracht der Umstände…“ gab sie zu bedenken. „Ach was, du wirst sehen, wir schaffen das“, sagte er und drückte sie so fest, dass es ihr schon fast wehtat. „Matt, nicht so fest!“ „Sorry Schatz, aber ich freue mich riesig! Ich werde Vater!“ Sein Gesicht strahlte geradezu. Das hatte er nicht so schnell erwartet. Er hob Elisabeth in die Luft und wirbelte sie herum vor Freude. „Nicht so wild Matt!“, rief sie. „Lass mich wieder runter, sonst wird mir noch übel.“ „Oh sorry, Schatz, das wollte ich nicht, aber ich freue mich so!“ Er stellte sie vorsichtig auf dem Boden ab und umarmte sie noch einmal voller Liebe.
Elisabeth war froh, dass er sich so darüber freute, aber dennoch machte sie sich Sorgen. „Bitte sei in Zukunft vorsichtiger. Du musst jetzt auch an das Kind denken“, sagte sie eindringlich, und legte die Betonung auf den letzten Satz. „Versprochen Schatz, das werde ich. Ich werde mich jetzt mehr auf das Buch konzentrieren, dann komme ich hoffentlich schneller voran.“ Ganz beseelt, lag er an diesem Abend neben Elisabeth und malte sich schon aus, wie es sein würde, Vater zu sein. Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen, der alles verändern sollte.
Am nächsten Morgen erwachte er gut ausgeschlafen und voller Hoffnung. Die ersten Sonnenstrahlen lagen über dem Rosengarten, als er sich draußen mit einer Tasse Kaffee in der Hand, auf einem der Stühle niederließ. Der jähe Schrei eines Adlers, der hoch über ihm zu kreisen schien, riss ihn aus seiner morgendlichen Gemütlichkeit. Matthew hatte das unbestimmte Gefühl, als würde er von dem Vogel beobachtet. Doch gleichgültig, wer ihn geschickt hatte, niemand von ihnen konnte Mangeniohood betreten und ihnen schaden. Dafür hatte Myrddin gesorgt. Mangeniohood war geschütztes Land. Und es reichte bis in die tiefen Wälder, weit hinter dem Felsen. Matthew dachte über den gestrigen Tag nach. Warum hatte er Paymon und Namtar dort angetroffen? War er tatsächlich in der Vergangenheit gelandet oder war es doch die Gegenwart gewesen? Wenn er davon ausging, dass er sich zuvor lediglich auf die Zeichen konzentriert hatte, war beides möglich. So konnte er nicht genau sagen, ob Namtar tatsächlich noch lebte. Es bestand in Anbetracht der Ereignisse in Stonehenge, ebenso die Möglichkeit, dass Paymon ihn inzwischen vernichtet hatte. Bisher hatte ihn niemand mehr gesehen, sodass man eher davon ausgehen konnte. Matthew überlegte lange, dann beschloss er, nach Cardiff Castle zu fahren. Auch wenn es riskant für ihn war. Vielleicht fand er dort Antworten, die ihm weiterhelfen konnten. Er stieg in seinen alten Wagen und machte sich auf den Weg. Nach fast einer Stunde Fahrt, wegen des Frühverkehrs, kam er am Haupttor an.
Henry erschien umgehend an der Haustüre und empfing ihn überschwänglich herzlich. „Master Matthew! Welche Freude sie zu sehen!“ Seinem betagten Gesicht war anzumerken, dass er sich über seinen Besuch wirklich freute. „Hallo Henry! Wie geht es ihnen?“, gab Matthew freundlich zurück. „Oh, danke der Nachfrage, Master Matthew, Sir, es geht mir gut, nur mein Rücken macht mir langsam wirklich zu schaffen.“ Matthew legte seine Hand auf dessen Schulter und sagte: „Dann sollten sie sich vielleicht besser langsam in den Ruhestand begeben, Henry.“ Henry schüttelte den Kopf und antwortet ihm: „Oh nein, Sir, Cardiff Castle ist inzwischen wie mein zu Zuhause, es fällt mir schwer, mich davon zu trennen nach so langer Zeit. Außerdem muss ich doch hier nach dem Rechten sehen, sonst geht alles drunter und drüber, wenn niemand da ist, der die Aufsicht hat. Seit der gnädige Herr verschwunden ist, habe ich das alleinige Kommando übernommen, damit alles seinen gewohnten Gang weitergeht, bis er zurückkommt, oder man weiß, was mit ihm ist. Wenn ich das nicht gemacht hätte, … nicht auszudenken.“ Er machte mit seiner Hand eine Andeutung, die Matthew verdeutlichte, dass er die Dienerschaft meinte. „Ok, dann ist es ja gut, dass sie noch da sind, Henry. Ich danke ihnen für ihr Bemühen.“ „Aber gerne Sir, es ist doch meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alles geregelt bleibt.“ Matthew nickte zustimmend und folgte ihm ins Haus. „Haben sie denn alle ihre Löhne bekommen, Henry? Wer macht das jetzt, wenn mein Großvater abwesend ist?“ Henry antwortete: „Ja Sir, Dr. Kinley, der Rechtsanwalt hat das jetzt alles übernommen. Alles läuft wie zuvor weiter.“ „Gut, gut, dann bin ich ja beruhigt.“ „Ja, nur ist es hier sehr einsam geworden. Außer den Bediensteten kommt nur mehr sehr selten jemand vorbei.“ Matthew wandte sich zu ihm um und sagte: „Tut mir leid Henry, aber ich hatte leider auch keine Zeit. Die Umstände machten meine Anwesenheit auf Mangeniohood erforderlich. Wie sie ja wissen, hat mir mein Großvater das Gut übertragen, und diese Aufgabe nehme ich sehr ernst.“ Henry nickte, aber man sah ihm an, dass er ihn gerne öfter hier gesehen hätte. Allein schon wegen des Geredes, das hier seit dem Verschwinden von Sir Raven vorherrschte. Henry entzündete ein Feuer im Kamin, nachdem er hinter ihm die Bibliothek betreten hatte. Sir Matthew de Clare konnte sich hier völlig frei bewegen und tun und lassen, was er wollte. Das hatte ihm Sir Raven vor Monaten noch eingeschärft und daran hielt er sich bis heute. Er würde ihm jeden Wunsch erfüllen, sofern er dies vermochte. Seit sein Herr verschwunden war, war es sehr still um Cardiff Castle geworden, und er hatte alle Mühe, die Diener unter Kontrolle zu halten. Fast jeder dachte, er könnte nun tun, was er wollte, weil kein Herr mehr im Hause war. Nur Belinda die Köchin stand ihm stets zur Seite, sie unterstütze ihn, wo sie konnte.
Nachdem Henry ihn allein in der Bibliothek zurückgelassen hatte, versperrte Matthew die Tür und öffnete die Geheimtür zum Versteck, hinter der Bibliothek. Er wollte dort nach Hinweisen suchen. Er sah sich lange um, dann fand er seine Aufzeichnungen in einem Buch, das am Regal stand. Er las, bis er überrascht auf einen Absatz stieß, der ihn hellhörig werden ließ. Es ging dabei augenscheinlich um seine Mutter Mary und ihren Geliebten. „Von nun an wird er sie nie mehr belästigen. Die Gefahr wurde beseitigt und er ruht nun auf ewig in unheiliger Erde. Sein Geist wird keine Ruhe finden, solange ich es nicht gestatte.“
Da fiel Matthew wieder ein, was er schon fast vergessen hatte. Der Stein! Es war lange her, seit er im Garten damals einen Spaziergang gemacht hatte, und zufällig auf diesen seltsamen Stein gestoßen war. Dicht überwachsen mit Moos, hatte er ihn übersehen und war darüber gestolpert. Und nachdem er das Moos abgekratzt hatte, waren ein Pentagramm und eine alte Schrift zum Vorschein gekommen. „Vae Victis!“ „Wehe dem Besiegten!“ Damals hatte er nicht begriffen, worauf er da zufällig gestoßen war. Aber jetzt dämmerte es ihm langsam. Matthews Verdacht ließ sein Blut wie wild durch seine Adern schießen, so aufgewühlt war er innerlich. Hatte es dieser Bastard wirklich gewagt? Er konnte es kaum glauben, musste sich aber gleichzeitig eingestehen, dass er so Einiges nie von ihm erwartet hätte, was dann letztlich doch zur traurigen Gewissheit geworden war. Das würde auch das plötzliche Verschwinden seines Vaters erklären. Niemand hatte je wieder etwas von ihm gehört oder gesehen. Schwer atmend vor Zorn, der ihn zusehends überkam, verließ er den Raum und machte sich auf den Weg zum hinteren Garten. Keiner der Angestellten ließ sich blicken, so konnte er ungesehen in den Garten gelangen, um seinem Verdacht nachzugehen.
Matthew durchdrang nur schwer das dichte Gestrüpp. Der Garten war ungepflegt und wirkte inzwischen wie ein Urwald. Überall wucherte das Unkraut und man konnte kaum noch etwas von den Steinplatten sehen, die einst als Weg gelegt worden waren. Es war auch sehr dunkel, denn das Licht fand kaum ein Durchkommen durch die hohen Bäume, die ihn umsäumten. Mühsam und fluchend, weil ihm mancher Ast ins Gesicht schlug, kämpfte er sich durch das Dickicht, bis er endlich an die Stelle gelangte. Als er da so stand und auf den dicht mit Moos bewachsenen Stein sah, dachte er mit Abscheu an seinen Großvater, Sir Raven de Clare, der auch gleichzeitig Namtar war. Die Unterschiede ihrer Charaktere war viel zu groß, als das sich hier Gemeinsamkeiten finden ließen. Obwohl er lange selbst diesen Weg beschritten hatte, aber dazu wäre er nicht fähig gewesen. Wie konnte er nur?! Was hatte er ihm getan, dass er zu solchen Mitteln gegriffen hatte? Sein eigener Schwiegersohn!
Er musste versuchen, dem Geist seines Vaters zu helfen, auch wenn es ihn davor ekelte. Wenn er seinem Vater helfen wollte, dann musste er sein Grab öffnen. Also stellte er sich über die Platte und versuchte sie mit aller Kraft anzuheben. Doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Namtar musste sie wohl mit einer magischen Zauberformel belegt haben. Matthew überlegte, wie er den Zauber durchbrechen konnte. Er hob seine Arme, holte seine Kraft aus seinem tiefen Bewusstsein nach oben, und rief: „Precipio audieritis me Ut fiat et sponte protegens quod petis!“ Da schob sich ächzend die Platte ein wenig auf die Seite und gab den Zugang frei. Matthews Magengrube machte sich unangenehm bemerkbar. Der ekelhafte Gestank, der in seine Nase strömte, brachte ihn beinah dazu, sich zu übergeben. Er schob mit aller Kraft die Platte beiseite und sah nach unten in die Gruft, die sich ihm nun offenbarte. Da er kaum etwas sehen konnte, entzündete er sein magisches Licht in seiner Rechten und beleuchtete damit die steinerne Kammer. Da stockte ihm der Atem, als er seinen Vater, oder was noch von ihm übrig war, vor sich am Boden liegen sah. Man konnte noch gut erkennen, dass er hinuntergestoßen worden war, so wie er da lag. Mit gebrochenem Genick und weit von sich gestreckten Gliedern. Matthew schluckte. Unbändiger Hass gegen Namtar breitete sich in ihm aus. Hätte er damals schon davon gewusst, hätte er ihn bestimmt niemals am Leben gelassen. Nun wünschte er sich, dass Paymon das für ihn erledigt hatte. Denn Gnade hatte er nicht verdient. Großvater oder nicht, das hier ging einfach zu weit.
Matthew stieg hinunter in die Kammer und nahm das schwere Pentagramm aus Eisen ab, das man auf den Leichnam gelegt hatte. Er atmete schwer. Es war sehr stickig und frische Luft strömte nur langsam in das Innere der tiefen Kammer, die, gute drei Meter unter der Erde lag. Er wagte es nicht, den Leichnam zu berühren, und betrachtete ihn nur still. Sein Herz war schwer von Trauer und hasserfüllt zugleich, als er sah, wie plötzlich ein kleines, hell strahlendes Licht von oben in die Kammer schwebte und sich auf dem leblosen Körper niederließ. Es breitete sich rasch aus und umhüllte den ganzen Leichnam. Matthew hockte wie erstarrt neben dem Leichnam, und sah erstaunt zu, wie sich aus ihm plötzlich der Geist seines Vaters erhob. In Licht getaucht und hell schimmernd schwebte er vor ihm und streckte langsam seine Hand nach ihm aus. Seine Augen verrieten tiefe Dankbarkeit, dass er seine Seele von dem teuflischen Bann befreit hatte. Es schien, als wüsste er sehr genau, wer Matthew war. Doch kein Laut kam über seine Lippen und das Licht zog ihn zusehends fort nach oben gen Himmel, bis er gänzlich verschwunden war.
Matthew freute sich, dass sein Vater nun endlich seine letzte Ruhe gefunden hatte. Wenigstes das hatte er noch für ihn tun können. Mit gemischten Gefühlen von Trauer, Zorn und Freude, machte er sich daran, das Grab wieder zu verschließen. In Gedanken versunken, stand er vor dem leeren Grab seines Vaters und schwor sich in diesem Augenblick, dass, wenn er Namtar je wiedersehen würde, er ihn töten würde für diese Tat. Er würde ihn diesmal keinesfalls mehr ungestraft davonkommen lassen.
Matthew verabschiedete sich von Henry und verließ Cardiff Castle. In Gedanken versunken fuhr er nach Hause. Fieberhaft überlegte er, wie er das schwarze Buch finden konnte. In Myrddins Versteck hatte er es nicht finden können. Wo konnte es noch versteckt sein? Es gab doch sonst keinen Ort, wo Myrddin es ausreichend hätte schützen können, außer…
Schlagartig wurde ihm bewusst, dass es ja nicht nur Myrddins Versteck unter dem Felsen gab. Mangeniohood war ja genauso stark geschützt wie der Felsen. War es möglich, dass Myrddin es dort versteckt hatte? War es die ganze Zeit über vor seiner Nase gewesen, und er hatte keine Ahnung davon gehabt? Matthew stieg abrupt aufs Gaspedal. Er wollte so schnell wie möglich nach Hause, um der Sache auf den Grund zu gehen. Noch nie hatte er an diese einfache aber logische Möglichkeit gedacht. Er musste jeder Chance nachgehen, um das für ihn so wichtige Buch zu finden. Mit quietschenden Reifen bog der Wagen in die Einfahrt von Mangeniohood. Matthew sprang aus dem Auto und lief ins Haus.
Elisabeth sah ihn erschrocken an, als er die Tür aufriss und sagte: „Vielleicht ist es hier!“ „Was meinst du?“ „Na, das schwarze Buch!“ „Du denkst, dass es hier auf Mangeniohood versteckt ist? Aber das wäre doch…“
„Ja, ich weiß“, antwortete er, „aber darin liegt doch aber auch vielleicht der Sinn. Niemand würde doch vermuten, dass es hier ist. Jeder würde doch denken, dass es in Myrddins Versteck ist, aber nicht hier, vor aller Augen.“ Elisabeth sah ihn an, überlegte und sagte dann: „Wenn man es so betrachtet, könntest du vielleicht sogar recht haben. Aber wo könnte es hier sein? Hier gibt es doch keine Möglichkeit für ein Versteck. Oder doch?“ Sie sah ihn etwas ratlos an. „Das dachte ich zuerst auch, aber vielleicht haben wir auch etwas übersehen“, gab er nachdenklich zurück. Ich bin mir trotzdem ziemlich sicher, dass es hier irgendwo verborgen ist. Es muss einfach hier sein!“
„Na dann hoffen wir mal, dass du recht hast“, antwortete sie ein wenig zweifelnd. „Ich werde mich heute einmal ganz genau umsehen. Vielleicht ist mir auch manches noch gar nie aufgefallen, weil ich daran auch noch nie gedacht habe. Bestimmt gibt es auch hier irgendetwas, wo man so ein Buch verstecken könnte. Ein Buch braucht ja nicht so viel Platz. Und wenn man bedenkt, dass ihm dieses Buch wohl sehr wichtig war, könnte ich mir gut vorstellen, dass er es lieber in seiner Nähe wusste. Dann hätte er sofort reagieren können, wenn jemand versucht hätte, es zu stehlen. Insofern, könntest du vielleicht sogar recht haben.“
Nach dem Abendessen trieb es ihn förmlich in den Garten. Er hatte so ein unbestimmtes Gefühl... Dieser war allerdings extrem groß, und reichte fast bis an die umliegenden Wälder. Die Möglichkeiten waren schier unbegrenzt. Unter jedem Baum, jedem Strauch… es konnte wirklich überall sein. Wie sollte er es hier nur je finden?? Die ganze Situation schien hoffnungslos.
Matthew durchstreifte langsam und hoch konzentriert, den üppig mit Büschen und Hecken verwachsenen Garten. Seine blauen Augen schweiften umher, wie die eines Löwen auf der Jagd. Er drehte sich langsam im Kreis um sich selbst und überlegte fieberhaft. Irgendetwas hatte er bis jetzt übersehen, dessen war er sich sicher. Wo hätte Myrddin ein solches Buch wohl am ehesten versteckt? Es musste dort besonders gut geschützt sein, sodass niemand vermuten würde….
Stunde um Stunde verging. Matthew wanderte langsam durch den hinteren Teil des Gartens. Alles war hier schon sehr dicht verwachsen, sodass kaum noch ein Durchkommen war. Nein, hier konnte es nicht sein! Es war auch einfach schon zu weit weg vom Haus. Er überlegte intensiv. Was gab es hier noch? Im Garten standen viele römische Statuen und große Blumenkübel aus Stein. Aber würde er es in so etwas versteckt haben? Kopfschüttelnd ging er zurück in Richtung des Hauses und sah sich immer wieder genau um. Außer den üblichen Gartenzierden gab es hier nichts, was darauf schließen ließ, dass es hier sein könnte. Und er wusste ja nicht einmal, wie lange diese Dinge hier überhaupt schon standen. Bestimmt wurden sie erst sehr viel später angeschafft. Plötzlich kam ihm eine Idee. Es gab doch diese alten Pläne vom Haus, die er damals kaum beachtet hatte, als er das Gut dann übernahm. Vielleicht konnten sie ihm dabei helfen, herauszufinden, was es schon sehr viel länger hier gab. Er konnte ja schlecht jede Figur untergraben. Das wäre zudem viel zu auffällig. Die Angestellten würden unangenehme Fragen stellen. Das kam nicht infrage. Also musste er einen anderen Weg suchen.
Er ging zurück zum Haus und suchte im Büro nach den alten Plänen. Viele davon waren aus den Fünfzigern, in denen man anscheinend einiges verändert hatte. Aus dieser Zeit stammten wohl auch die zahlreichen Statuen. Matthew verglich zahllose alte Pläne, bis er auf einen stieß, auf dem kein Datum eingetragen war. Die Zeichnung war noch mit Tinte ausgeführt und auch die Überschrift war anders. „MAGICIS TERRA“ stand darüber in großen Buchstaben. Das musste es sein! Aufgeregt begutachtete Matthew ganz genau den Plan und verglich ihn mit den restlichen. Jedes neuere Detail kreuzte er rot an, bis nur noch zwei davon übrig blieben, die auf beiden Plänen vorhanden waren. Worum es sich hierbei handelte, musste er jedoch erst herausfinden.
Die Dämmerung war schon hereingebrochen, als sich Matthew auf den Weg machte, um die erste der beiden markierten Stellen zu suchen. Ungefähr an der Stelle, die im Plan eingezeichnet war, stand eine uralte große Eiche. Unter dieser fand er einen offensichtlich sehr alten Bildstock. Matthew betrachtete eingehend die Malerei, auf der man nur noch schwach einen Mann erkennen konnte, der auf einem Pferd saß und eine Rüstung trug. Da die Malerei schon sehr verwittert war, konnte er nicht erkennen, was der Mann in der Hand hielt. Aber auf der Rüstung selbst konnte er noch ein rotes Kreuz erahnen, das teilweise noch erhalten war. Unter dem Bild war ein Löwenkopf aus Stein, der einen verwitterten Eisenring im Maul trug. Matthew zog die Augenbrauen hoch. Schon wieder ein Abbild der Templer? Aber warum? Und warum ausgerechnet auf Myrddins Land? Verwundert suchte er den Boden rund um den Bildstock ab, fand aber keinerlei Hinweise darauf, dass sich hier etwas finden ließe. Entweder war er hier an der falschen Stelle oder es war wirklich gut versteckt. So beschloss er, nach der zweiten Markierung auf dem Plan zu suchen, die wohl etwas weiter nördlich zu liegen schien. Also ging er ein ganzes Stück zurück und verglich den Plan mit dem heutigen Garten.
Da er kaum noch etwas sehen konnte, weil es schon ziemlich dunkel geworden war, gestaltete sich die Suche zunehmend schwieriger. Er kämpfte sich durch dichtes Buschwerk und blieb mehrmals an den Dornen der vielen Rosenstöcke hängen, die hier überall zwischen dem Gestrüpp wuchsen. Ihr intensiver betörender Geruch, lag schwer über der noch warmen Sommerluft. Ratlos lehnte er sich an einen alten Ahornbaum, der eigentlich schon ganz in der Nähe der Stelle sein musste. Doch er konnte nichts sehen außer Bäume und Gestrüpp. Müde von der langen Suche, setzte er sich ins weiche Moos, das den dicken Baum umgab. Den Plan in der Hand versuchte er, herauszufinden, ob er vielleicht falsch lag, was die Markierung betraf. Da bemerkte er erst, dass oberhalb der Markierung zusätzlich noch ein Buchstabe eingezeichnet war. In der Hektik musste er es völlig übersehen haben. Ein großes M, allerdings winzig klein geschrieben. Da fiel ihm wieder ein, dass er diesen Buchstaben schon einmal gesehen hatte, in einem Buch in der Bibliothek auf Cardiff Castle. Aber auch da war es nur als Anmerkung erwähnt worden, ohne weitere Hinweise. Was hatte dieses M nur zu bedeuten? Stand es für Myrddin? Er nahm an, dass dies wohl so sein musste.
Ein wenig frustriert darüber, dass er noch nichts herausgefunden hatte, machte er sich auf den Rückweg zum Haus. In dieser Dunkelheit hatte er keine Chance, etwas zu sehen, was so verborgen lag. Und da die Gefahr gesehen zu werden zu groß war, konnte er sein Magica Lux hier nicht verwenden. Das würde bei den Angestellten nur zu Gerede führen und das wollte er vermeiden. Als er zurückkam, sah er, dass Elisabeth schon zu Bett gegangen war. Er machte es sich auf der Couch gemütlich und ließ seine Gedanken schweifen.
Warum war auf dem Land Myrddins eine Abbildung eines Templers? Was hatte diese hier zu suchen? Matthew wusste, dass Myrddin in der Mitte des fünften Jahrhunderts gelebt hatte, und die Templer hatte es seines Wissens nach erst sehr viel später gegeben. War das alles nur Zufall? Vielleicht war das Land aber auch einem der hier ansässigen Grafen oder Barone zugefallen, der auf die eine oder andere Weise, zu dem Orden der Templer eine Verbindung hatte. Vermutlich war es so. Sonst hatte er keine Erklärung dafür.
Es ärgerte ihn, dass er seine Suche hatte abbrechen müssen. Die Zeit schritt voran und er brauchte dringend Antworten. Jeder Tag, der ohne neue Erkenntnisse verging, war ein verlorener. Er beschloss, am nächsten Morgen, wenn alle noch schliefen, sich erneut auf die Suche zu machen.
Schon vor dem ersten Hahnenschrei erwachte er. Die Sonne warf ihre ersten Sonnenstrahlen über das Land und tauchte den Himmel in ein zartgoldenes Rosa. Noch in der Kleidung vom Vorabend, lag er auf der Couch und erhob sich leise, um Elisabeth nicht zu wecken. Matthew nahm seinen Plan mit und ging wieder in den Garten hinaus.
Der jähe Schrei des Adlers, der abermals über seinem Haupt zu kreisen schien, ließ ihn zusammenzucken. Das bestätigte seinen Verdacht, dass Paymon ihn beobachten ließ. Matthew hatte kein gutes Gefühl dabei. Wenn er nun doch etwas finden sollte, würde Paymon umgehend davon erfahren, und das wollte er vermeiden. Denn genau das war sein Vorteil. Solange er nicht wusste, was Matthew zur Verfügung stand, konnte er ihn nicht einschätzen. Er überlegte eine kurze Weile. Dann sah er grinsend hinauf zu dem Vogel. Was Paymon wohl nicht bedacht hatte, war, dass er ihm auf diese Weise sehr eindeutig zeigte, dass er noch immer keinen Weg gefunden hatte, dieses geschützte Land zu betreten. Das gab Matthew wiederum ein sehr beruhigendes Gefühl. Solange Paymon auf Mangeniohood nicht eindringen konnte, waren auch seine Frau und sein Ungeborenes in Sicherheit. Das verschaffte ihm wiederum Zeit. Matthew beschloss, es für den Moment dabei zu belassen, und ging zurück zum Haus. Schließlich konnte das Buch überall sein und im Haus konnte er ihn nicht beobachten lassen.
Im Büro suchte er auf allen alten Unterlagen und Plänen, die er finden konnte, noch einmal ganz genau. Er wollte keine Möglichkeit außer Betracht lassen.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Elisabeth zur Tür hereinsah. „Was machst du denn da?“, fragte sie neugierig. Matthew sah sie lächelnd an und antwortete: „Guten Morgen Liebes, ich suche nach Hinweisen. Ich habe heute Morgen Paymons Späher wieder am Himmel gesehen und dachte, es wäre wohl momentan sinnvoller, die Suche drinnen fortzuführen.“ Elisabeth nickte nur und verschwand aus der Tür. Sie wollte ihn nicht von seiner Arbeit ablenken. Dazu hing viel zu viel davon ab. Intuitiv strich sie sich über ihren Bauch. „Dein Papa tut alles dafür, damit du in Sicherheit bist“, flüsterte sie leise und ging zurück ins Schlafzimmer. Sie brauchte ein wenig Ruhe, denn sie litt zurzeit unter heftiger Morgenübelkeit. Sie schlüpfte zurück ins Bett und versuchte, noch ein wenig zu schlafen, bis ihr Magen sich beruhigt hatte.
Matthew war ganz vertieft in seine Unterlagen. Auf den Plänen vom Haus an sich, hatte er noch nichts Auffälliges entdecken können, aber das mochte nichts heißen. Konnte auch gut sein, dass man dies absichtlich nicht aufgezeichnet hatte, um Neugierige fernzuhalten.
Berge an alten Zetteln und Anmerkungen durchforstete er stundenlang. Bücher, die mit der Buchhaltung des Haushalts gefüllt waren, brachten auch kein wirkliches Ergebnis, bis auf einen kleinen Eintrag, der vom 4. März des Jahres 1886 stammte, der Matthew stutzig machte. Hierin war nur kurz und knapp vermerkt, dass man offenbar eine Renovierung im Kellergewölbe bezahlt hatte. Im Keller? Da wurde Matthew hellhörig, denn er wusste nichts von einem Keller. So wie sich das Gehöft jetzt darstellte, war es nie unterkellert worden. Verwundert betrachtete er eingehend diesen alten Eintrag. Hatte man den Keller, den es offenbar einst hier gegeben hatte, zugemauert? Und wenn ja, dann warum? Einen Keller benutzte man früher auch, um Lebensmittel zu lagern und zu kühlen. Warum also sollte man genau diesen dann zumauern? Das war nicht logisch nachvollziehbar. Er beschloss, den Verwalter zu fragen, der schon sehr lange hier lebte. Jonathan Barker versorgte gerade die Pferde im Stall, als Matthew ihn aufsuchte. „Jonathan, sie brauche ich kurz, ich habe da eine Frage.“ „Ja Sir, gerne wenn ich ihnen helfen kann.“ „Jonathan, wissen sie zufällig, ob das Haus schon einmal umgebaut wurde, oder vielleicht auch einmal unterkellert war, in früheren Zeiten?“ Jonathans verdutzter Blick war unübersehbar. „Wozu möchten sie denn das wissen, Sir?“ „Ach, ich wollte nur mehr über die Geschichte des Gehöfts erfahren und hatte mir überlegt, ob man nicht einen Keller bauen sollte. Das wäre doch für so manche Dinge sicherlich sehr praktisch, wegen der kühlen Lagerung. Dann könnten wir dort Weine und Obst besser lagern.“ Auf die Schnelle war Matthew nichts Besseres eingefallen, um weitere Fragen zu vermeiden. Jonathan nickte, nahm seine Mütze ab und fuhr sich nachdenklich durch seine noch wenig vorhandenen grauen Haare. „Hmm, da müsste ich mal überlegen“,…
„Tun sie das und sagen sie mir Bescheid, wenn ihnen was dazu einfallen sollte.“ Matthew drehte sich um und ging zum Haupthaus zurück. „Das mache ich!“, rief ihm sein Verwalter noch nach. „Seltsame Frage“, murmelte Jonathan vor sich hin und widmete sich dann wieder seiner Arbeit.
„Schatz?“, rief Matthew gedämpft. Er wusste nicht, ob Elisabeth vielleicht noch schlief, er wollte sie auf keinen Fall wecken. „Hier bin ich“, schallte es aus der Küche zurück. „Ach, du bist schon auf?“ „Ja, genug geschlafen, es geht schon wieder.“ „Geht es dir besser?“, fragte Matthew. „Ja ein wenig. Ich muss wohl damit leben, dass mir jetzt öfter übel sein wird.“ Sie schmunzelte. Matthew antwortete ihr: „Das würde ich dir gerne abnehmen, wenn ich das könnte, Schatz, aber leider“,….
„Ist schon gut. Das ist nun mal das, was wir Frauen alleine zu tragen haben. Ihr Männer würdet das doch gar nicht aushalten, seien wir doch mal ehrlich!“, scherzte sie und kniff ihn lachend in die Seite. Matthew schnaubte erbost und gab sich pikiert. „Pah“, was ihr könnt, das können wir doch schon lange. Das starke Geschlecht sind immer noch wir Männer, die euch beschützen müssen. Ohne uns wärd ihr doch hoffnungslos verloren, gib es doch zu!“ Er lachte schallend und nahm sie fest in die Arme. Elisabeth zierte sich zuerst entrüstet und spielte die Unnahbare, um sich dann doch von ihm küssen zu lassen. „Ach du“,… „du bist wie alle Männer, ihr denkt, ihr seid die Allergrößten nicht wahr?“, sagte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, nachdem er sie wieder losgelassen hatte. „Ohne uns Frauen wüsstet ihr doch gar nicht, was ihr tun sollt. Zudem würde so mancher Mann verhungern und in Bergen von Dreck untergehen, wenn es uns nicht geben würde.“ Sie lachte lauthals, drehte sich um und fing elegant das Geschirrtuch auf, das ihr Matthew gespielt entrüstet entgegenwarf. „Nun ist es aber genug“, lachte er und schlug wieder einen ernsteren Ton an. „Um auf unser Problem nun wieder zurückzukommen, ich werde mich die Tage weiter damit beschäftigen, aber ich werde mich dazu eher hier im Haus umsehen. Ich habe da was ganz Interessantes gefunden in den Büchern, das mich stutzig gemacht hat.“ „Ach ja?“, fragte Elisabeth. „Ja, ich habe einen Eintrag über eine Renovierung des „Kellergewölbes“ gefunden. „Des was?“ Sie sah ihn verwundert an. „Wo sollte denn der sein? Ich habe hier noch keinen Keller gesehen bisher.“ Matthew nickte vielsagend. „Und genau das ist der Punkt, der mich auch gewundert hat.“ Elisabeth sah ihn fragend an. „Aber wo bitte willst du danach suchen, wenn es gar keinen gibt?“ Matthew atmete tief durch und überlegte. „Ich denke, ich warte ab, bis Jonathan mir vielleicht mehr sagen kann.“ „Jonathan? Was hat er damit zu tun?“ „Ich habe gedacht, ich frage ihn einfach, ob er mehr über das Haus und seine Geschichte weiß, könnte doch sein, wo er doch schon so lange hier lebt“, antwortete Matthew nachdenklich. „Vielleicht haben wir ja Glück, wer weiß. Sehr viele Ansatzpunkte haben wir in dem Fall ja leider nicht.“ Elisabeth nickte. „Das stimmt allerdings, ich wüsste nicht, wo ich hier danach suchen sollte.“
Matthew ließ seine Frau in der Küche zurück und verzog sich wieder in sein Büro. Der Berg an Dokumenten musste ja trotzdem noch genau durchleuchtet werden. So oder so. Wenn Jonathan ihm keine weiteren Hinweise geben konnte, waren diese Aufzeichnungen sein einziger Ausgangspunkt. Matthew verbrachte deshalb den Rest des Tages, in einem Gewühl an Zetteln und alten Büchern. Manches war schon reichlich vergilbt und damit fast unleserlich geworden. Stück für Stück legte er zur Seite, was er schon durchgesehen hatte. Bisher hatte er keine neuen Hinweise mehr finden können. Etwas ermattet knipste er die Schreibtischlampe an, denn es war draußen schon dunkel geworden. Er wollte sich gerade an das letzte Buch machen, als überraschend Jonathan hereinstürmte. „Sir! Entschuldigen sie bitte, dass ich sie bei der Arbeit störe, aber mir ist gerade eben wieder etwas eingefallen, was ich fast schon vergessen hatte!“ Matthew war ein klein wenig erschrocken aufgrund des plötzlichen Überfalls. „Oh, Jonathan…ja bitte setzen sie sich“, er verwies auf den Stuhl seinem Schreibtisch gegenüber und lächelte ihm ermunternd zu. „Erzählen sie bitte, ich bin ganz Ohr.“
Jonathan räusperte sich verlegen. Er kam sich gerade ein wenig lächerlich vor, wie ein altes Tratsch Weib, das nichts Besseres zu tun hatte, als altes Geschwätz weiterzuerzählen. Er überlegte, wie er seinem Chef das am besten erzählen sollte, ohne, dass der ihn für wunderlich hielt. Nur zögerlich begann er zu berichten, was man ihm damals mitgeteilt hatte. „Also das war so“,…… „es ist wirklich schon ewig lange her. Ich war damals noch ein kleiner Junge, aber ich habe hier mit meiner Familie ganz in der Nähe gelebt. Sir, ich kann ihnen wirklich nicht genau sagen, ob da etwas dran ist oder nicht, aber man hat sich damals so einiges im Dorf erzählt über Mangeniohood.“ „Ist schon ok, Jonathan, fahren sie nur fort“, gab Matthew, der nun sehr neugierig geworden war, zurück.
„Also das war so“,… begann Jonathan betont ernst, als ob es sich um das größte Geheimnis überhaupt handeln würde. „Ich war eben noch ein kleiner Junge und vielleicht spielt hier auch meine Fantasie mit hinein, oder mein mangelndes Erinnerungsvermögen, weil es so lange her ist, aber ich glaube mich daran zu erinnern, was mir einst ein sehr alter Mann, der hier lange gearbeitet hatte, erzählt hat. Matthew sah dem Alten gespannt in die Augen und bemerkte, dass er sich wirklich große Mühe gab, sich zu erinnern, um nichts Falsches zu sagen. Dieser alte Mann hat mir erzählt, dass er mit einigen anderen Männern, unter dem Haus eine große Grube gegraben hat. Er hat davon berichtet, weil er sich sehr über den geringen Tagelohn, der ihnen für diese schwere Arbeit bezahlt wurde, geärgert hatte. Obwohl sie, laut ihm, dazu verpflichtet worden waren, über ihre Arbeit, die sie verrichteten, zu schweigen. Meine Eltern dachten damals, der Alte wollte sich nur wichtigmachen, deshalb hatte man ihm auch nie so wirklich Glauben geschenkt. Na, auf jeden Fall hatte ich mich damals vor dem Haus zu ihm gesetzt, und er hat mir einige sehr merkwürdige Dinge erzählt. Später dann, als ich schon größer war, habe ich mir dann gedacht, dass er mir einfach nur eine spannende Geschichte erzählen wollte, wie man sie Kindern eben gerne erzählt. Ich habe dann auch nie mehr daran gedacht, bis sie mich vorhin danach gefragt hatten.“ Jonathan war sich merklich unsicher, was er hier zum Besten gab. Er wollte sein Ansehen nicht verlieren und als Märchenerzähler dastehen, dem man dann nur mehr mit einer gewissen Vorsicht Glauben schenkte. Matthew spürte seine Ängste und Bedenken und versuchte, sie ihm zu nehmen. „Ist schon gut Jonathan, sie brauchen sich nichts dabei denken, es wird außer mir niemand davon erfahren, was sie mir hier unter vier Augen erzählen. Versprochen. Und ob da wirklich etwas Wahres dran ist, werden wir dann ja sehen. Nur Mut, erzählen sie ruhig weiter.“
Jonathan fasst sich erneut ein Herz und begann zu erzählen: „Ich erinnere mich daran, dass er davon sprach, dass drei Leute bei dieser Arbeit gestorben sind, aber keiner wusste warum. Sie wurden immer einzeln tot in der Grube liegend gefunden, ohne Hinweise darauf, was ihnen zugestoßen war. Sie hatten keine Verletzungen oder Blut an ihren leblosen Körpern. Die Leute dachten, sie hätten sich wohl einfach überanstrengt und wären einem Herzinfarkt erlegen, aber der Alte, war da ganz anderer Ansicht. Zu dieser Zeit gab es ja auch niemanden, der das überprüft hätte. Ein einfacher Arbeiter zählte zu dieser Zeit gar nichts und so beerdigte man sie einfach in aller Stille und schwieg darüber. Die Leute im Dorf wussten ja auch gar nicht genau, was sie da eigentlich taten. Man sagte ihnen nur, dass der alte Baron, dem das alles damals gehörte, sie hatte kommen lassen, für Renovierungsarbeiten am Haus. Alle, die hier beschäftigt waren, kamen nicht aus unserer Gegend, sondern waren von weit hergekommen. Sie schliefen in der alten Scheune und wurden dort auch verköstigt, sodass sie so wenig wie möglich Kontakt zu den Leuten im Dorf hatten.“ Jonathan machte dann eine bedeutsame Pause, bevor er weitersprach. „Ich weiß wie gesagt nicht, ob das stimmt und ich weiß nicht, wie ich das jetzt sagen soll, ohne dass sie mich für verrückt halten, aber der Alte sagte mir noch etwas ganz im Vertrauen und ich glaube, das hat er nur mir erzählt, denn ich habe nie von einem anderen darüber etwas gehört.“ Er atmete hörbar tief ein, bevor er leise weitererzählte. „Ich hatte seither als kleiner Junge lange Zeit große Angst vor diesem Haus und habe es deswegen immer vermieden, hierher zu kommen.“ Matthew wurde langsam ungeduldig. „Aber was war denn nun der Grund dafür? Nun rücken sie schon raus mit der Sprache Jonathan! Ich werde sie schon nicht auslachen oder ihnen den Kopf abreißen, also sagen sie schon“…
„Ja Sir, tut mir leid, es ist nur so, … also er sagte, dass es hier spuckt, das hat er selber erlebt.“ Nun war es raus und Jonathan senkte verlegen den Kopf. Matthew bewahrte seine Haltung und gab sich ganz locker, um Jonathan nicht noch mehr zu verunsichern. Dass er über derartige Dinge nur zu gut Bescheid wusste, konnte er ihm schlecht sagen. Matthews Neugierde war nun endgültig geweckt, er wollte mehr darüber wissen. „Ok und hat er ihnen auch erzählt, was genau er dort erlebt hat?“ Jonathans Finger bearbeiteten nervös den Stoff seiner Kappe, an der er sich festhielt, als könnte sie ihm Halt geben. „Ja. Er erzählte mir, dass er dort allein die Nachtwache verbracht hatte, bei der sie sich abwechselten. Und eines Nachts, als er da so alleine auf einem Hocker saß in der Grube, hörte er plötzlich so ein Flüstern. Er dachte zuerst, es seien die anderen und sah sich um, aber da war niemand außer ihm. Dann sah er plötzlich eine Gestalt, die fast durchsichtig wirkte und von einem schwachen Licht umringt war. Er sagte, es sei ein sehr alter Mann gewesen mit langem weißem Bart.“ Matthew nickte, ihm war sofort bewusst, um wen es sich dabei handeln musste. „Und hat er auch etwas zu ihm gesagt?“ Jonathan schüttelte den Kopf. „Nein, Sir, davon weiß ich nichts, darüber hat er mir nichts erzählt. Er sagte nur, dass er große Angst bekam und davongelaufen sei. Mehr weiß ich nicht darüber.“ Matthew gab nicht so schnell auf und fragte ihn: „Und hat er nichts darüber erzählt, wofür sie diese Grube gegraben haben, oder was danach geschah?“ „Nein, Sir, das war wirklich alles, was er mir erzählt hat, mehr weiß ich auch nicht.“
„Ok, danke Jonathan, sie können dann gehen. Und sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, von mir erfährt keiner was über diese Geschichte.“ Jonathan erhob sich von dem Stuhl und nickte nur kurz, dann verließ er sein Büro. Wohl fühlte er sich nicht wirklich dabei, schließlich hatte er einen guten Ruf zu verlieren.
Matthew grübelte. Was war wirklich dran an dieser Geschichte? Ohne nähere Angaben, wo diese Grube gegraben worden war und wozu, konnte er nicht viel ausrichten. Etwas zu suchen, dessen Ort man nicht kannte, war alles andere als einfach. Wo konnte man dieses Kellergewölbe, das es sicherlich schließlich geworden war, gegraben haben? Er ging noch einmal die Pläne vom Haus durch, irgendein Hinweis musste doch zu finden sein, sei er auch noch so gering. Und eines war auch klar, wenn es wirklich stimmte, dass dem alten Mann damals Myrddin erschienen war, dann musste es auch einen triftigen Grund dafür geben. Wenn man dies dabei in Betracht zog, konnte diese Geschichte wirklich wahr sein. Das war definitiv eine intensive Suche wert. Matthew wollte nicht unnütz Zeit verschwenden, er wusste ja nicht, wie viel ihm noch blieb. Also ging er nun akribisch die Pläne des Gehöfts durch, das in den Jahren immer mal wieder ausgebaut worden war. Er verglich jedes auch noch so geringe Detail, um dem Ganzen auf die Spur zu kommen. Es musste sich einfach etwas finden lassen. Viele Stunden vergingen, ehe er einen winzig kleinen Unterschied in einem alten Plan entdeckte. Auf einem neueren Plan war an derselben Stelle des älteren, keine Türe eingezeichnet worden. Auf beiden war allerdings auch kein Raum dahinter verzeichnet, dass dies erklären konnte. Es musste also dort ein Raum existiert haben, sonst hätte wohl kaum jemand an dieser Stelle eine Türe eingezeichnet. Matthew faltete den Plan zusammen und nahm ihn mit ins Wohnzimmer, wo Elisabeth vor dem Kamin saß und las. Als er den Raum betrat, sah sie nur kurz hoch und fragte: „Na, gibt’s neue Erkenntnisse?“ „Das nehme ich mal an“, entgegnete er. „Was heißt das?“ Matthew erzählte ihr, wovon Jonathan berichtet und was er auf dem Plan entdeckt hatte. Sie runzelte die Stirn und sagte: „Und denkst, dass da wirklich ein Raum dahinter ist? Wo sollte denn der sein?“ Matthew überlegte. „Na ja, ich weiß doch jetzt, wo genau die sein soll, und an der Stelle werde ich eben suchen.“ „Na, da bin ich aber mal gespannt“, antwortete sie zweifelnd und zog ihre Augenbrauen hoch. Sie war ja selber oft genug im Haus unterwegs, aber sie konnte sich nicht vorstellen, wo das sein könnte. „Ich will nur vermeiden, dass es jemand sieht, deshalb warte ich, bis alle schlafen gegangen sind, dann fange ich heute noch an“, sagte er leise. „Ok, ist gut, ich gehe heute ohnehin früh ins Bett, ich bin doch schon sehr müde. Man glaubt gar nicht, wie anstrengend so eine Schwangerschaft sein kann.“ „Das glaube ich dir gerne, mein Liebling. Ruh dich nur aus, das ist gut für euch zwei.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, strich ihr liebevoll übers Haar und ging zurück in sein Büro.
Als dann endlich im Haus alles still war nachts, machte sich Matthew an die Arbeit. Er nahm den Plan mit und ging in den hinteren Trakt, der an den Garten grenzte. Auf dieser Seite war auch die Tür eingezeichnet. Jetzt musste er nur noch diesen Zugang finden. Er ging durch die hohen Räume, die dort nebeneinanderlagen.
Jede Mauer klopfte er leise ab, um festzustellen, ob dahinter noch ein Raum war. Doch es klang nicht dumpf wie erwartet, sondern immer sehr hell. So kam er nicht weiter. Er holte den Plan hervor und breitete ihn auf dem kleinen Tisch an der Wand aus. Dann verglich er seinen Standort mit dem Plan. „Ach Mist!“, fluchte er leise vor sich hin. Er hatte sich mit dem Raum vertan. Der, den er suchte, lag neben dem, in dem er gerade stand. Er schloss leise die Tür hinter sich den Plan in der Hand und betrat den daneben. Nachdem er, dessen Türe leise hinter sich zugemacht hatte, knipste er das Licht an und sah sich genau um. In diesem kleinen, in allen Ecken mit Spinnweben überzogenen Raum, standen fast keine Möbel. Nur ein alter Schrank an der Wand, dessen Front in Richtung der Türe zeigte, ein kleines, staubiges Tischchen und ein sehr alter Stuhl aus Holz, auf dem ebenfalls eine dicke Staubschicht lag. Dafür war der Boden mit mehreren sehr alten, aber schönen Teppichen ausgelegt worden. Nur ein Bild hing an der Seitenwand. Es musste das Porträt des Barons sein, von dem Jonathan gesprochen hatte. Matthew war das Gesicht auf dem alten Ölgemälde gänzlich unbekannt. Grübelnd nahm der den Plan zur Hand. Hier war keine zweite Tür und es gab auch sichtlich nichts, was darauf hindeutete, dass es je eine gegeben hätte. Er versuchte, den Plan mit dem Raum genau abzugleichen. Missmutig und stirnrunzelnd stand er da und überlegte fieberhaft. Er drehte sich um seine eigene Achse und suchte nach einem kleinen Hinweis. Dabei blieb er mit seinen teuren, genagelten Herrenschuhen am Teppich hängen, und zog ihn unabsichtlich mit, sodass dieser Falten warf und Matthew rücklings stolperte. „Au verdammt!“, schimpfte er mit flüsternder Stimme. „Jetzt falle ich schon über meine eigenen Füße.“ Als er sich aufrappelte und seine Taschenlampe, die er vorsorglich mitgenommen hatte, aufhob, schob er mit dem Fuß den Teppich wieder zurück. Dabei bemerkte er, dass der Teppich an der Unterseite an etwas hängen blieb, und sich nur schwer zurückschieben ließ, an seinen Platz. Das erregte seine Aufmerksamkeit.
Mit beiden Händen zog er den Teppich weg, von seinem Platz in die Mitte des Raumes. Was er dann sah, zeichnete ein strahlendes Lächeln in sein Gesicht. „Ich wusste es doch!“, murmelte er leise. Zu seinen Füßen lag ein Zugang, der nach unten zu führen schien. Die schwarze hölzerne Klappe, war so gut in den Boden eingearbeitet worden, dass man es fast gar nicht bemerkte. Es wirkte eher, als wäre der alte Holzboden einmal unsachgemäß teilweise erneuert worden. Deshalb wusste wohl auch niemand mehr davon. All jene, die vielleicht davon gewusst haben könnten, waren längst verstorben. Und in diese Räume kam so gut wie nie jemand, da man sie schon lange nicht mehr benutzte. Die Räume, die man hauptsächlich nutzte, lagen alle auf der vorderen Seite und in den oberen Stockwerken. Aber hier hatte selbst Matthew nur einen kurzen Blick hineingeworfen, als er den Hof übernommen hatte. Er war auch viel zu klein und zudem unbeheizt, als dass man ihn als Wohnraum hätte nutzen können. Matthew kniete sich auf den Boden und versuchte, die Klappe zu öffnen, was jedoch scheiterte. Sie war gerade einmal so groß, dass ein Mensch von normaler Statur hindurchschlüpfen konnte. Ein Griff war in weiser Voraussicht nicht eingebaut worden, wie man das eigentlich von solchen Bodenklappen üblicherweise kannte. Matthew war sofort klar, dass dieser Zugang durch Magie geschützt war, um jeden unberechtigten Zutritt zu verhindern.
Seine Ungeduld wuchs, er wollte unbedingt sehen, was darunter verborgen lag. Das trieb ihn dazu, seine eigenen Regeln zu brechen. Sonst wandte er seine Kräfte niemals an im eigenen Haus, außer in ganz seinen privaten Räumen, wenn er Mangeniohood verlassen oder betreten wollte. Doch es war tiefste Nacht und alle schliefen, sodass er es riskieren konnte, ohne beobachtet zu werden. Er überlegte, welcher der Zaubersprüche hier am wirkungsvollsten sein könnte.
Dann hob er seine Rechte und sprach leise aber bestimmt: „Obvius aperuerit mihi ianuam!“ Der Boden fing an zu vibrieren, aber die Klappe öffnete sich nicht. An normalen Zugängen hätte der Spruch eigentlich funktionieren müssen, aber dieser hier, schien zusätzlich mit einem Schutzzauber belegt worden zu sein. Also versuchte es Matthew noch einmal. Er stellte sich genau über der Klappe auf, hob beide Hände und sprach: „Merlinus ostende mihi secretum! Notam fac mihi viam, et aperuerit mihi aditus! Aperi mihi, quid in occulto!“
Plötzlich löste sich die Klappe auf einer Seite und gab mit einem Ruck den Weg frei. Matthew hob sie an und öffnete sie vorsichtig. Dann ging er zurück zur Türe und versperrte sie sorgsam, um etwaige unliebsame Überraschungen auszuschließen. Dann nahm er seine Taschenlampe zur Hand und versuchte, in der pechschwarzen Dunkelheit unter ihm etwas zu erkennen. Es sah so aus, als wäre unter ihm alles aus schwarzem Felsen gehauen. Schwarz wie die Nacht und doch leicht glänzendes Gestein. Er kletterte durch die Öffnung und ließ sich hinuntersinken, bis seine Füße den glatten steinigen Boden berührten. Eine Art Treppe war unter der Klappe so angelegt worden, dass man den erhöhten Boden erreichen konnte, ohne springen zu müssen, denn der Raum war im Allgemeinen eigentlich viel höher. Matthew stieg weiter nach unten, bis er den eigentlichen Fußboden erreicht hatte. Dann sah er sich in allen Richtungen um. Das schwarze Gestein schluckte förmlich das Licht seiner Lampe, sodass er nur mit Mühe sehen konnte. „Unnütz“, murmelte er, warf sie beiseite, hob seine Hand und sprach: „Lux!“ Das Licht, das aus seiner Hand quoll, erleuchtete jetzt hell den ganzen Raum, sodass er nun gut erkennen konnte, wo er sich befand. Er drehte sich langsam um, hob seine Hand mit dem Licht etwas höher und starrte abrupt wie gebannt auf das, was plötzlich vor ihm stand. „Endlich“, murmelte er.