Читать книгу Bitte, gib nicht auf. - Denise Docekal - Страница 11

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Acht

Als die Vorlesung endlich zu Ende war, entdeckte ich zum ersten Mal an diesem Tag Susi. Sie saß nur wenige Reihen unter uns und kniff verwunderte die Augen zusammen, als sie merkte, neben wem ich saß.

Na großartig. Jetzt würde sie mich bestimmt gleich ausfragen, was ich neben dem Typen machte, mit dem ich mich eineinhalb Jahre nur gestritten hatte.

Sobald ich die Reihe, in der wir gesessen hatten, verlassen hatte, war sie auch schon bei mir: „Was zum Teufel machst du denn bei Winter?“, sie musterte ihn abschätzig und machte einen Hehl daraus, dass sie Adam kein Stück über den Weg traute.

„Es war sonst kein Platz mehr frei.“, das war eine ehrliche Antwort. Sonst hätte ich mich im Leben nicht zu ihm gesetzt.

„Aha.“, ihr Blick ruhte immer noch auf Adam.

„Susanne, richtig?“, fragte Adam und sah sie nun auch an. Sein Blick war genauso feindselig, wie der von Susi.

„Mhm.“, war ihre ganze Antwort: „Ein Wunder, dass ihr euch nicht die Köpfe eingeschlagen habt in den letzten zwei Stunden.“

Das wunderte mich ehrlich gesagt auch.

„Seitdem Mary mich mit einem Buch verprügeln wollte, sind wir richtig dicke Freunde geworden, nicht?“, Winter grinste mich an und ich quittierte seine Antwort mit einem einfach Augenverdrehen.

„Wie bitte?“, Susi sah zwischen uns beiden hin und her. Hätte Adam nicht einfach die Klappe halten können?

„Keine große Sache.“, versuchte ich die Situation zu entschärfen: „War ein Missverständnis.“

„Mhm.“, offenbar war Susis Wortschatz gerade stark begrenzt. Es wunderte mich ehrlich gesagt ein wenig, wie feindselig sie Adam gegenüberstand. Ich meine, sie wusste, dass ich mich nie mit ihm verstanden hatte und war logischerweise immer auf meiner Seite gewesen – immerhin war sie meine beste Freundin. Aber es passte nicht zu ihr, dass sie einen Menschen spüren ließ, dass sie ihn nicht mochte. Normalerweise war sie sogar zu den anstrengendsten Idioten immer noch freundlich.

Außer Adam gegenüber.

„Wie auch immer.“, Susi schüttelte den Kopf: „Ich habe seit gestern fünf Mal versucht dich anzurufen. Wenn du heute nicht zur Vorlesung erschienen wärst, hätte ich dir einen Besuch abgestattet.“

Oh Mann.

„Tut mir leid. Mein Handy ist immer noch leer. Ich sollte das Ding wohl endlich mal aufladen.“, die ganze Wahrheit war das nicht. Ich meine, mein Telefon hatte mittlerweile ziemlich sicher keinen Akku mehr, aber eigentlich hatte ich es das ganze Wochenende über abgeschaltet gehabt.

„Okay. Ist alles okay bei dir? Deine Augen wirken ein wenig glasig.“

Ich nickte und lächelte sie an, in der Hoffnung, dass sie es mir abkaufte: „Ja, klar. Hab nur ein paar Kopfschmerzen von der Gehirnersch-“, oh verdammt.

„Gehirnerschütterung?“, Susis Augen weiteten sich: „Wie bitte? Was ist passiert? Warst du beim Arzt? Ist alles okay?“

Am liebsten hätte ich meinen Schädel in diesem Moment gegen die nächste Wand gedonnert. Fest und laut.

„Ja, alles bestens. Wirklich. Es war nicht der Rede wert und mir geht’s auch schon wieder gut.“

„Warst du beim Arzt?“, in Susis Blick erkannte ich den puren Horror.

„Ja, war ich. Sie hat mir Schmerztabletten gegeben und mich dann nach Hause geschickt.“, dass ich die Schmerztabletten nicht nehmen konnte, ließ ich einfach mal unter den Tisch fallen.

„Allein? Sollte man bei einer Gehirnerschütterung nicht eigentlich nicht allein sein?“

Oh Mann.

Adam räusperte sich neben mir: „Ich habe auf sie aufgepasst. Es war alles gut und es sind keine der Symptome aufgetaucht, bei denen Mary wieder ins Krankenhaus fahren hätte müssen.“

Jetzt war Susi völlig am ausflippen. Wir standen in einem leeren Hörsaal und Susis wuchs plötzlich gefühlt um gute zwei Meter in die Höhe: „Wie, du hast auf sie aufgepasst? Was zum Teufel ist passiert? Was hast du ihr getan, du Mistkerl?“

„Susi.“, flüsterte ich und versuchte sie zu beruhigen: „Er hat mir gar nichts getan. Er hat nur zufällig gesehen, wie ich mich verletzt habe und mich ins Krankenhaus gebracht. Adam war so freundlich und ist über Nacht bei mir geblieben, um mich zu überwachen. Nicht der Rede wert. Wirklich!“, warum klangen diese Worte nur so falsch für mich.

Vergangene Nacht war so viel mehr passiert, als dass er nur auf mich aufgepasst hätte. Er hat viel mehr für mich getan. Was genau, konnte ich noch nicht wirklich benennen.

„Warum hast du mich nicht angerufen?“, na super, jetzt hörte sie sich auch noch beleidigt an.

„Tut mir leid.“, ich versuchte nun mit einem leichten Lächeln zu schlichten: „Ich habe nicht großartig nachgedacht und er war eben gerade da. Falls ich jemals wieder eine Gehirnerschütterung haben sollte, ruf ich als allererstes dich an, versprochen.“

Susi ließ ihren Blick noch ein paar Mal zwischen Adam und mir wandern, bis sie nickte und ihren Rucksack nahm: „Okay. Ähm, ich muss los.“

„Okay.“, sie klang alles andere als okay: „Ich schalte mein Handy an, sobald ich daheim bin, okay? Wir können ja später noch schreiben.“, das war das erste Mal seit Monaten, dass ich Kontakt zu einem anderen Menschen suchte. Aber das hier war auch eine ganz neue Situation. Susi war noch nie so sauer auf mich gewesen, auch wenn sie es nicht offen zeigte.

„Klar. Ich melde mich bei dir.“, sie sah nochmal zu Adam: „Was dagegen, wenn ich noch kurz mit Winter unter vier Augen rede?“

Ja, eigentlich schon., wollte ich schreien, aber stattdessen nickte ich nur und verließ den Raum.

Ich wollte wahrscheinlich gar nicht wissen, was sie Adam jetzt an den Kopf warf.

Keine zwei Minuten später schoss Susi aus dem Hörsaal, verabschiedete sich kurz angebunden von mir und verließ das Institutsgebäude. Adam folgte ihr nur wenige Sekunden später, blieb allerdings vor mir stehen.

Er lächelte einfach nur.

Warum zum Teufel lächelte er?

Ich ging hier fast an die Decke, weil ich nicht wusste, was Susi ihm gesagt hatte.

„Und?“, wollte ich wissen, als ich merkte, dass er eindeutig nicht von selbst mit der Sprache rausrücken würde: „Was hat sie gesagt?“

„Ach, war nichts Interessantes.“, er zuckte nur mit der Schulter und begab sich Richtung Ausgang.

Schnell folgte ich ihm. Was sollte das heißen „nichts Interessantes“?

„Hey, Stopp!“, rief ich laut und blieb vor seiner Nase wieder stehen: „Ich will wissen, was sie zu dir gesagt hat.“

Adam lachte. Er hatte unglaublich gerade Zähne. Keine Ahnung, warum ich das gerade dachte.

„Nur, dass sie mir die Eier abreißen würde, wenn ich dich verletze. Und, dass sie mich beobachten wird, weil sie mir nicht über den Weg traut.“, er zuckte mit den Schultern: „Das mit den Eiern abreißen hat sie so bildhaft dargestellt, dass ich mich frage, ob sie das schon mal einem Typen angetan hat. Wenn ja, dann hoffe ich sehr, dass es der arme Kerl auch wirklich verdient hat.“

Wie bitte?

„Susi hat zu dir gesagt, dass sie dir die Eier abreißen würde?“, ich wusste nicht mal, dass solche Worte in Susis Vokabular existierten.

„Wie gesagt, sie hat es ein wenig besser verbildlicht. Aber zusammengefasst – ja.“, Adam konnte sich das Grinsen wirklich nicht verkneifen: „Du hast eine wirklich brutale Freundin, Mary.“

Schien so.

Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet.

Adam und ich kamen gemeinsam bei unserer Haltestelle an. Während der Fahrt in der Straßenbahn hatten wir uns kaum unterhalten. Nicht, dass mich das störte. Es war nur komisch.

Ich konnte Adam Winter einfach nicht einschätzen. Im einen Moment war er unglaublich gesprächig und wollte über alles mögliche quatschen, im nächsten hing er selbst seinen Gedanken nach und schien seine Umwelt kaum wahrzunehmen.

Dieser Mann verwirrte mich einfach.

Gerade wollte ich ansetzen, um mich schnell bei Adam zu verabschieden, um in meine Wohnung flüchten zu können, da kam mir er mir schon zuvor: „Willst du noch mitkommen?“

Mitkommen?

„Wohin sollte ich mitkommen wollen?“, abschätzig musterte ich ihn.

Was hatte Adam Winter vor?

„Ich muss jetzt gleich in der Buchhandlung arbeiten. Wenn du willst, kannst du mitkommen. Die nächste Schicht habe ich allein und wir haben eine recht gemütliche Ecke zum Lesen und Entspannen.“, er nickte hinüber zum Laden. Gerade waren die Rollläden ausgefahren und ein paar Menschen standen darunter, lasen Klappentexte von Büchern, die draußen in Bücherwannen lagen und flüchteten vor der prallen Septembersonne.

„Ich weiß nicht. Ich sollte wirklich heim.“, wich ich aus und blickte in die Richtung, die mich in meine eigenen vier Wände führen würde. Obwohl ich wusste, wie einsam ich mich in diesen vier Wänden fühlen würde.

„Ach komm schon. Was willst du denn allein zu Hause machen? Wir haben am Freitag, nachdem du mit deiner Mum weg warst, noch eine riesige Ladung an neuen Büchern bekommen. Großteils Ersterscheinungen. Ich glaube, da sind ein paar dabei, die dich wirklich interessieren könnten.“

„Und du glaubst zu wissen, was für einen Buchgeschmack ich habe?“, ich zog die Brauen fragend hoch.

Adam lachte: „Teilweise. So ganz habe ich dich noch nicht durchschaut, Mary Vogel. Aber du könntest mir deinen Büchergeschmack ja bei einer Tasse Kaffee erklären und ich suche eine paar nach deinem Geschmack raus. Klingt das nach einem Deal?“

Deal?

Was für eine Art Deal sollte das denn bitte sein?

„Warum tust du das?“, ich verstand ihn einfach nicht: „Warum lädst du mich ein zu dir in die Buchhandlung zu kommen?“

Jetzt wirkte sein Blick tatsächlich ein wenig zerstreut. Noch nie hatte ich einen solchen Gesichtsausdruck bei ihm gesehen. Adam war einer der selbstbewusstesten Menschen, die ich kannte. Er hatte immer eine Antwort parat. Ihn jetzt einen Moment sprachlos zu sehen, überraschte mich. Und erfüllte mich ehrlich gesagt mit einer gewissen Genugtuung. Seufzend fuhr sich Adam durchs Gesicht, bevor er erwiderte: „Schau, ich will ehrlich zu dir sein. Allein sein kann manchmal wirklich schön und angenehm sein. Es kann aber auch unglaublich schmerzen und einen um den Verstand bringen. Ich will dir nur einen Ort geben, an dem du nicht allein sein willst. Falls du jetzt nicht mitkommen willst, ist das okay. Aber sei dir bitte einfach bewusst, dass du jederzeit in die Buchhandlung kommen kannst, um dort ein paar Stunden totzuschlagen. Selbst wenn ich mal alleine dort bin, fühle ich mich nie einsam.“

Wow.

Was antwortete man auf so etwas?

Nie im Leben hätte ich eine solch tiefgründige Aussage aus Adam Winters Mund erwartet. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass Adam Winter mir tatsächlich helfen wollte.

„Okay.“, gab ich klein bei. Auch, weil ich selbst einfach nicht allein sein wollte im Moment: „Ich komme mit. Mit dem Kaffee hast du mich überredet.“

Ein breites Grinsen breitete sich auf Adams Gesicht aus und er legte einen Arm um meine Schulter: „Du wirst es nicht bereuen, glaub mir, Mary.“

Wie auch bei den letzten Malen, verzauberte mich der Laden, nachdem ich eingetreten war. Auf den ersten Blick schien es, als ob ein pures Chaos herrschen würde, aber nach nur wenigen Momenten erkannte man die Ordnung und das System, das hinter diesem Chaos steckte.

„Mit Milch?“, fragte mich Adam, als er zur Kaffeemaschine ging.

Hinter der Kasse stand noch eine ältere Dame, die mich freundlich gegrüßt hatte, als ich eingetreten war.

„Ja, bitte.“, rief ich. Adam war bereits bei der Kaffeemaschine angekommen und drückte ein paar Knöpfe.

„Adam, Schätzchen, hier liegt die Liste mit den Bestellungen, die heute wahrscheinlich abgeholt werden. Außerdem kommt heute noch ein Lieferant, der ein paar Exemplare von diesem neuen österreichischen Thriller liefern soll. Und Frau Weinwurm war heute schon da – also brauchst du dir, um sie keinen Kopf mehr zu machen.“, sie zwinkerte Adam zu, da dieser sich bei dem Namen dieser Frau Weinwurm umgedreht hatte.

„Halleluja.“, brummte er.

Jetzt wurde ich aber neugierig: „Wer ist Frau Weinwurm?“

Die Frau hinter der Kasse grinste mich an. War das etwa ein dreckiges Grinsen? „Frau Weinwurm ist eine unserer Stammkundinnen, die sich am liebsten von unserem lieben Adam beraten lässt. Und eins muss ich sagen, mit ihren Mitte Fünfzig ist sie noch gut in Schuss.“

Adam stöhnte genervt auf und wechselte die Tassen bei der Kaffeemaschine: „Kann schon sein, ich bin trotzdem nicht darauf aus ihr nochmal erklären zu müssen, dass ich auf Frauen in meinem Alter stehe, und nicht auf solche, die meine Mutter oder sogar beinahe meine Großmutter sein könnten.“

Die Buchhändlerin lachte hell und fing an, ihre Tasche hinter dem Tresen zu packen: „Ach mein Lieber. Aber dafür lässt sie immer ein nettes Trinkgeld für dich da.“

„Fühlt sich irgendwie komisch an, es anzunehmen.“, gab er zu, ich sah aber genau, dass er grinste.

„Bei dir alles klar? Brauchst du noch was?“, die Frau hatte ihre Tasche um ihre Schulter gehängt und erhob sich, um den Laden zu verlassen.

„Nein, danke, Karin. Wir sehen uns.“

„Bis bald, mein Lieber.“, sie winkte ihm und schenkte auch mir noch ein Lächeln zum Abschied. Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, stand Adam auch schon vor mir und drückte mir meine Tasse in die Hand.

Der Kaffee roch köstlich.

„Deine Kollegin ist nett.“, sagte ich, bevor ich an meinem Heißgetränk nippte.

Hm, der war ja großartig!

„Gerne. Und auch gern geschehen für den Geschmack. Als ich hier angefangen habe zu arbeiten, habe ich mich für gute Bohnen eingesetzt. Der Kaffee früher war kaum trinkbar.“, auch Adam nahm einen Schluck: „Ja, Karin ist toll. Sie sind alle tolle Menschen.“, er ging hinter den Tresen und tippte etwas in die Tastatur des Computers.

„Wie lang arbeitest du schon hier?“, fragte ich und folgte ihm, blieb aber vorm Tresen stehen.

„Puh, ich glaube schon fast vier Jahre. Ich habe in der Schule angefangen, damals natürlich mit total wenigen Stunden und meistens nur samstags. Dann habe ich ein Jahr Pause gemacht vom Lernen. Weil ich zum Glück untauglich war und deshalb nicht zum Bundesheer musste, habe ich in dem Jahr Vollzeit hier gearbeitet. Als ich mit meinem Studium begonnen habe, habe ich die Stunden zwar wieder runtergeschraubt, verbringe aber trotzdem fast jede freie Sekunde hier.“, konzentriert las er etwas am Bildschirm.

„Oh.“, war alles was ich antwortete.

So hätte ich Adam nie – wirklich niemals – eingeschätzt.

„Mhm.“, er hob wieder seinen Blick: „Ist ein toller Job. Und wenn nichts zu tun ist, darf ich lernen, lesen oder sonst was machen.“, er zuckte mit den Schultern: „Also eine Win-Win-Situation.“

„Ich glaube dir, dass das ein toller Job ist.“, ich drehte mich um, um einen Blick auf all diese wunderbaren Bücher werfen zu können: „Den ganzen Tag von ihnen umgeben zu sein muss wirklich schön sein.“

„Du sprichst über Bücher, als wären sie deine Freunde.“

Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich ihm wieder zu: „Sind sie auch irgendwie. Sie haben mir in vielen Situationen geholfen. Und sie sind loyal, was man nicht von allen Freunden sagen kann.“

Adam nickte zustimmend: „Versteh mich nicht falsch, ich mag das. Ich rede auch meistens von ihnen so, als wären sie Menschen.“

Ich grinste ihn glücklich an.

Ich hatte noch nicht sehr viele Menschen getroffen, die in diesem Bereich ähnlich dachten wie ich.

Bisher waren es immer mein Bruder und ich gewesen, die unsere Bücher als Kumpels betrachtet hatten.

Ich machte wieder einen Schluck von meinem Kaffee. Mir brannte schon seit heute Morgen eine ganz spezielle Frage auf der Zunge. Die ganze Zeit schon überlegte ich, ob ich sie ihm stellen soll oder wie ich sie ihm stellen sollte.

Nun atmete ich tief durch und sprach sie aus: „Du hast gesagt, dass du weißt, wie es ist, sich die Schuld am Tod eines geliebten Menschen zu geben. Woher weißt du, wie sich das anfühlt?“

Adams Finger, die gerade noch über die Tastatur geflogen waren, erstarrten. Seine gesamte Körperhaltung wirkte direkt angespannter als zuvor. Er räusperte sich, sprach aber trotzdem mit einer rauen Stimme, als ob er gerade eine Packung Zigaretten geraucht hätte: „Meine Mutter ... also, sie ist gestorben, weil sie mich geboren hat. Sie hat meine Geburt damals nicht überlebt. Ihr Herz hat einfach aufgehört zu schlagen.“, er schluckte hart: „Wenn du Geburtstag hast, am Todestag deiner Mutter, dann fängst du an darüber nachzudenken und dir die Schuld dafür zu geben.“, sein Blick glitt zu mir: „Ich habe wirklich lang gebraucht, um zu verstehen, dass ich keine Schuld an ihrem Tod hatte. Die hatte niemand. Auch wenn es unglaublich weh tut, sich das einzugestehen, aber es gab keine Möglichkeit zu sie zu retten.“

Oh mein Gott.

Das war eines der letzten Dinge, mit denen ich gerechnet hatte. Eigentlich hatte ich eine Geschichte über seinen Hund aus Kinderzeiten oder ähnliches erwartet.

„Tut mir leid, dass du sie nie kennen lernen konntest.“, flüsterte ich leise, weil ich das Gefühl hatte, dass ein zu lautes Wort die Welt einstürzen lassen würde.

Adam schien so, als wolle er das ganze abtun, aber dann sah er mir in die Augen und nickte: „Danke.“, sprach er genauso leise weiter: „Und Mary, wir sind nicht an dem schuld, was anderen passiert. Wir können das Leben nicht beeinflussen. Es passiert einfach.“

Ich wollte ihm so gern glauben. Ihm zustimmen und sagen „Ja, alles wird wieder gut.“, aber es ging nicht. Denn ja, er war nicht schuld am Tod seiner Mutter. Er hätte den Ausgang nie beeinflussen können. Aber ich hätte Markus retten können. Ich hätte dafür sorgen können, dass er heute noch am Leben wäre.

Aber auch das sprach ich nicht aus.

Stattdessen trank ich weiter meinen Kaffee und fing an, mich ein wenig durch die Bücher zu wühlen.

Adam zeigte mir in den nächsten paar Stunden einen ganzen Haufen Neuerscheinungen – er hatte recht, da waren wirklich viele nach meinem Geschmack dabei – kümmerte sich um vereinzelte Kunden, die kamen und unterhielt sich die restliche Zeit mit mir über Bücher. Er kannte sich wirklich gut aus – bei so gut wie jedem einzelnen Genre. Als hätte er von jedem einzelnen eine Vielzahl an Büchern gelesen. Irgendwann fing er an mich auszufragen, bei welchen Genres ich mich am wohlsten fühlte.

Zwischendurch holte ich uns vom asiatischen Take-Away Mittagessen und Adam nahm eine Lieferung entgegen, die wir gemeinsam in die Regale räumten.

Er hatte Recht behalten.

Ich fühlte mich in diesem Buchladen wirklich pudelwohl. Selbst, wenn Adam sich um Kunden kümmerte oder kurz ins Hinterzimmer ging, fühlte ich mich nicht ein einziges Mal einsam. Das war eine nette Abwechslung, auch wenn mich kurz darauf schon wieder das schlechte Gewissen plagte.

Es war nicht fair, Markus für so viele Stunden in die hinterste Ecke meines Kopfes zu rücken. Es war nicht fair, ohne ihn zu lachen.

Ich fühlte mich wie die schlechteste Schwester der Welt.

„Als ich fünfzehn war, habe ich diesen Autor über alles geliebt. Jedes seiner Bücher habe ich auf einen Zug verschlungen. Ich war ein paar Wochen echt down, als mir klar geworden ist, dass ich alles von ihm gelesen hatte.“, sagte Adam gerade, während er die Neuerscheinungen ins Regal räumte.

„Dann hast du ja was zu tun.“, ich sah ihn mit einem eingefrorenen Grinsen an. Meine Gedanken waren gerade noch wo ganz anders gewesen, wodurch ich einen Moment brauchte, um verstehen zu können, von welchem Autor Adam sprach.

Lachend legte er eines der Exemplare zur Seite und räumte den Rest ein. Nun warf ich einen genaueren Blick auf das Buch.

Der Autor war auch einer von Markus‘ Lieblingsschriftstellern gewesen. Auch er hatte eine Phase gehabt, in der er nichts anderes gelesen hatte, als seine Bücher.

Die Erinnerung an damals schmerzte. Markus hatte immer total begeistert von den Büchern gesprochen, hatte mir stundenlang von der Handlung berichtet. Und da das Ende meist offen war, haben wir uns anschließend ständig darüber unterhalten, wie das Buch wohl weitergehen würde.

Ich vermisste diese Unterhaltungen.

„Hast du auch solche Autoren? Ich meine solche, von denen du nicht genug kriegen kannst?“, Adam nahm den leeren Karton und faltete ihn zusammen.

Ich überlegte einen Moment. Hatte ich solche Autoren gehabt. Klar, von einigen hatte ich mehrere Bücher gelesen. Aber es gab nur eine Autorin, bei der ich wirklich heulen musste, als ich gemerkt habe, dass es von ihr keine weiteren Bücher mehr gab.

Ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf: „Es ist ein wenig mainstream.“

Adam grinste: „Oh, doch nicht etwa diese Twilight-Tante, oder?“

Ich schüttelte lachend den Kopf: „Nein. J.K. Rowling. Harry Potter hat mich durch meine Kindheit begleitet und auch ihre anderen Bücher habe ich aufgesaugt.“, wurde ich gerade rot?

„Das muss dir nicht peinlich sein. Ich habe Harry Potter auch geliebt. Hin und wieder lese ich einzelne Bücher heute nochmal.“, er musterte mich einen Moment lang: „Du erinnerst mich sogar ein wenig an Hermine.“

Augenverdrehend ging ich an ihm vorbei, um den Müll von der Leseecke aufzusammeln, den wir vorhin mit unserem Essen gemacht hatten.

„Wirklich.“, rief er aus der Kammer, in der er gerade die Kartons entsorgte: „Du bist eine genauso große Klugscheißerin wie sie!“

„Hey!“, ich stemmte meine Hände in die Hüfte, als er wieder rauskam: „Ich will dich nur daran erinnern, dass Hermine öfter als einmal die Ärsche von Harry und Ron gerettet hat. Für mich war sie die eigentliche Heldin der Bücher. Rowling hätte die Bücher ‚Hermine Granger‘ und nicht ‚Harry Potter‘ nennen sollen.“

Grinsend kam Adam näher: „Dann würden die Bücher von einem Schlammblut handeln, die die ganze Zeit ihren besonderen Freund retten muss. Hört sich für mich nach einer etwas komischen Storyline an.“

„Schlammblut? Sag mir nicht, dass du Pro-Slytherin bist.“

Adams Lachen wurde lauter: „Na und ob. Gut, Schlammblut habe ich nur gesagt, um dich aufzuziehen. Lass mich raten, was du bist. Ich tippe auf Ravenclaw.“

Ha: „Falsch geschätzt. Gryffindor.“

Augenverdrehend ließ sich Adam auf seinen Platz hinter Kasse fallen: „War ja klar.“

Und diesmal entkam mir ein Lachen. Ein lautes, ehrliches und starkes Lachen. Adams Gesichtsausdruck änderte sich sofort von grinsend, zu überrascht. Und als ich merkte, was ich hier gerade tat, hielt ich mir sofort die Hände vor den Mund. Mein Lachen erstarb in meiner Kehle und ich konnte es nicht fassen, was ich gerade getan hatte.

Adam schien mir meine Gefühle regelrecht ablesen zu können: „Du musst kein schlechtes Gewissen haben, weil du glücklich bist.“

Ich schluckte hart.

Das hier war nicht richtig. Es war falsch. Mehr als falsch!

„Ich ... ich sollte langsam heimgehen.“

„Mary.“, setzte er an, aber da hatte ich mir schon meine Tasche auf die Schulter geschoben und ging zur Tür.

„Danke, Adam.“, sagte ich nur und flüchtete anschließend.

Sobald ich in meiner Wohnung angelangt war, kamen die Tränen, die sich in dicken Fluten über meine Wangen ergossen.

Bitte, gib nicht auf.

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