Читать книгу Suche Frosch mit Krone - Denise Remisberger - Страница 5
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ОглавлениеDer verhängnisvolle Abend stand vor der nicht mehr ganz so sicher scheinenden Tür, und schon riefen die ersten Klingeltöne zum Gefühleverstecken auf.
Karla setzte die coole Miene auf, welche hervorragend zu ihrem langen schwarzen Trägerkleid aus dicker Baumwolle passte und gab sich einen Ruck. Sie schaute noch mal schnell in den barocken Wandspiegel, kam sich vor wie eine Schlossbesitzerin ohne Bargeld und zerzauste ihr kastanienbraunes gerades Haar, das ihr fast bis zu den Schultern reichte. Sie war ungeschminkt, genau wie ihre Redeweise. Ausgenommen natürlich die eigenen Herzensangelegenheiten, über die sie nie sprach. Die lagen unter einer dicken Make-up-Paste verborgen und warteten geduldig auf ihr Coming-out.
Sie kamen alle aufs Mal – auch Zorro, der Drache. Die Horde, die im Treppenhaus, das dringend einer Renovation bedurfte, laut grölte, hatte sich zuerst in der üblen Stammknelle, die in einer Einbahnstrasse im ältesten Teil Zürichs vor sich hin roch, getroffen und trug jetzt den weltoffenen Duft von Philip Morris in die heimelige Küche, wo er gar nichts verloren hatte, denn Endena und Karla waren Nichtraucherinnen. Wo gab es das noch.
Karla sah allen in die glasigen Augen ausser einem – ihre Begrüssung für jenen nuschelte sie vor sich hin und starrte dabei auf sein stets um zwei Knöpfe geöffnetes Hemd. Als sie bemerkte, dass er ihr seine Hand hinhielt, ergriff sie diese und verlagerte ihren Blick auf seinen Mund. Die Berührung ihrer Hände war zwar nicht das, was sie erwartet hatte, doch sein spöttisches Lächeln auf dem erotischen Mund liess ihre gespielte Coolness beinahe abblättern. Sie besann sich deshalb in ihrer Not auf ihren stets griffbereiten Sarkasmus, der sich ihrem Zugriff immer dann besonders schmeichlerisch anbot, wenn sie eigentlich ihre Gefühle zeigen sollte: „Hast du das, was du ausspucken solltest, zuhause gelassen?“ Er wusste selbstverständlich nicht, was sie meinte, und sein Spott ging augenblicklich in Verärgerung über. Karla lächelte befriedigt. Sie hätte am liebsten in seinen roten Haaren herumgewütet und ihn in den Hals gebissen, doch sie behielt ihre vampirischen Neigungen für sich. Irgendwann einmal …
Dann gab sie sich genussvoll der Begrüssung der weniger aufwühlenden Figuren hin.
Am „Bunten Abend“ wurde Kreatives erzeugt. Endena, in einem dunkelvioletten Minikleid mit grünen Punkten darauf und mit dicken schwarzen Woll-Leggins darunter, war gerade dabei, sich auf die Farbe Gelb zu konzentrieren, als Gustav ihr etwas ins Ohr flüsterte. Er besass eine frappierende Ähnlichkeit mit Dalí in jungen Jahren und in seinem Blick schimmerte manchmal etwas Morbides. Sein Ziegenbärtchen kräuselte sich an den Enden und passte zu seinen schwarzen Überwasserhosen, die von grauen Hosenträgern gehalten wurden. An den Füssen trug er robuste Stiefel, die bei seiner dünnen Figur für die richtige Ausgewogenheit sorgten. Als er noch jünger war, nannten ihn seine Bekannten „die kleine Fledermaus". Kurz nach der Fledermauszeit, vor Jahren, waren er und Karla „das“ Paar. Sie stritten zwar täglich, doch alle anderen hielten ihre Beziehung für ideal.
Endena hörte ihn trotz seines exzentrischen Äusseren erst beim zweiten Anlauf. Ihr Gesicht verzog sich zu einem „Spinnst du?!", und er zog sich daraufhin hüstelnd zurück. Sie tat zwar so, wie wenn sie sich wieder auf die Farbe Gelb konzentrieren würde, doch dieses schüchterne, aber äusserst direkte „Du übst eine starke Anziehungskraft auf mich aus, weisst du“ liess sie nicht mehr los.
Der Erfinder dieser nicht sonderlich originellen Phrase betrieb das Spiel mit den Farben etwas professioneller – er besuchte die medizinisch-technische Abteilung der Kunstgewerbeschule. Dort durfte er Autopsien zeichnen und andere nette Sachen. Ihm gefielen Endenas Werke, von denen ein paar im Gang aufgehängt waren, so gut wie sie selber, auch wenn die Bilder eher von Feinheit und Sensibilität denn von Mord und Totschlag zeugten. Sie konnte mit den hellen Farben eine klingende Elfenwelt aufs Papier zaubern. Gustav fühlte sich äusserst geknickt. Doch im Grunde seines Herzens liebte er störrische Frauen. Er wusste allerdings nicht, dass der Hauptgrund für ihre distanzierte Haltung ihm gegenüber ihre Zuneigung zu Roberto war.
Karla hatte ihr Malpapier auf den Boden gelegt und kniete zwischen ihren ausgebreiteten Farben, ohne Rücksicht auf zukünftige Flecken. Sie sass in dem einen Winkel, von dem aus sie einerseits Zorro unbemerkt beobachten konnte, und wo sie sich andererseits in seinem Blickfeld befand – schliesslich wollte sie auch von ihm gesehen werden.
Zorro trug eine selbst gemachte Hose mit aufgenähten Blumenmuster-Pads und ein oranges langes Batikhemd – gekauft. Er lehnte sitzend an der Wand und schien sich zu langweilen. Er war nicht der Typ, der Kreativität in der Öffentlichkeit produzieren konnte. Die Angst, damit nicht anzukommen, war zu gross. Da tat er lieber nichts.
Karla spähte gerade zwischen ihren Haaren hindurch, als er sie anglotzte. Sie wurde sich ihrer Leidenschaftlichkeit auf einen Schlag wieder bewusst, blieb jedoch sitzen, wo sie war, knirschte unvernehmlich mit den Zähnen und warf die Farbe Rot auf ihr Bild.
Unser Zorro war nun nicht gerade unsensibel, auch wenn er sich immer grosse Mühe gab, wie der Coolste von allen zu wirken. Er bemerkte also Karlas innere Zerrissenheit, aber da er noch keinerlei Erfahrung mit dem Schönen Geschlecht hatte, interpretierte er natürlich alles falsch. „Sie findet mich völlig daneben“, sagte er sich. Sein sinnlicher Mund, der mit grosszügigem Schwung in sein Gesicht gezeichnet war, verzog sich zu einem grimmigen Strich, was seine erotische Ausstrahlung leicht beeinträchtigte. Dann nahm er einen tiefen Schluck „Feldschlösschen“ und einen noch tieferen Zug „Schwarzen“ und atmete tief durch. „Das nützt auch nichts!“, musste er sich nach anfänglicher Umnebelung zynisch eingestehen.
Inzwischen war Endena mit ihrem Bild, das an eine gleissende Sonne, aus der Unterwasserperspektive betrachtet, erinnerte, fertig geworden und wanderte im Raum umher – im materiellen, versteht sich, denn sie hielt weder was von „Schwarzem“ noch von „Grün Gestreiftem". Sie wollte die Werke der andern inspizieren. Sie fing dann auch gleich mit Remos Gemälde an.
Remo machte auf „verkannter Yuppie“. Er bemühte sich, mit seinen khakifarbenen Sakkos sportlich-elegant zu wirken, doch da er sich kein wirklich teures Material leisten konnte, wiesen seine Klamotten so viele Knitterfalten auf, dass er eher an jemanden erinnerte, der die abgetragenen Kleider seines grossen Bruders gnädigerweise vermacht bekommen hatte.
Der nach zwei Jahren Trennung immer noch in seine Ex-Freundin verliebte Arme hatte sich wieder mal herzzerreissend auf dem Papier ausgelassen. Das Bild war in rosa Tönen gefasst und stellte eine langstielige Rose dar – was sonst.
Endena fragte sich, wieso unglücklich Verliebte immer so fantasielos sein müssen.
Remo hockte also davor und sinnierte mit verzweifeltem Romeoblick, der zu seinen glatt nach hinten gegelten, schwarz gefärbten Haaren hervorragend passte. Sein angeborener Schleierblick, den euphemistischere Menschen als „verträumt“ bezeichnen würden, wurde durch seine Brille mit dem Metallgestell und den kleinen runden Gläsern auf die Ebene der klaren Wahrnehmung getäuscht. Ohne Brille, also in Wahrheit, sah er die Welt verschwommen und illusorisch.
Endena grinste bereits, als sie zu sprechen anfing. „Remo, du solltest dir eine neue Flamme zulegen.“ Er zuckte zusammen, doch sie fuhr unbeirrt fort: „Warst du nicht vor einer Woche mit dieser Arbeitskollegin von der Bank im Ausgang?“
Remo arbeitete nämlich widerwillig als Händler in einer dieser verrufenen Schweizer Grossbanken und trug schon seit mehreren Jahren das Problem des Nicht-loslassen-Könnens mit sich herum.
Nach Endenas Frage sprang er auf die Füsse, fuchtelte mit den Armen herum und rechtfertigte sich ungerechtfertigt: „Ich habe sie nicht abgeschleppt! Ich bin nicht so einer!“
„Eben“, war die knappe Antwort.
Endena liess ihn stehen, wo er war und ging auf die Toilette. Dort begegnete sie Karla, die gerade eine scheussliche Grimasse vor dem Spiegel zog. „Hast du ein Problem?“ „Rotschöpfchen nervt mich!“ „Schon wieder?“ „Immer noch!“
Karla stürmte in die Küche, um sich einen Kamillentee zur allgemeinen Beruhigung zu brauen und stiess dabei heftig mit Zorro zusammen, dem vor Schreck die Pommes-Chips-Tüte aus der Hand fiel und knisternd auf dem Boden ankam.
„Hi", grinste er schelmisch, wobei seine spitzen Schneidezähne entblösst wurden. Sein Selbstvertrauen hatte in der Zwischenzeit wieder etwas zugenommen.
Karla verzog zuerst den Mund zu purer Missbilligung, packte dann ein Büschel roter Haare und küsste ihre Nervensäge heftig auf den Mund, der sich ihrem ohne Widerrede öffnete. Dann riss sie sich los und torkelte völlig verwirrt über ihren Mangel an Selbstkontrolle zu ihrem Bild zurück.
Zorro war nicht weniger verwirrt – schliesslich hatte er sich vor Kurzem noch eingeredet, dass sie ihn nicht mögen würde. Sein Herz flatterte, seine Hände zitterten und er fühlte eine prickelnde Energie sich in seinem Körper ausbreiten. „Gibt es das wirklich?“, fragte er sich, hilflos seinen Sinnen ausgeliefert, die seiner sonstigen Kopflastigkeit so fremd waren.