Читать книгу Darius - Dennis Borscheid - Страница 4
Kapitel 1
Оглавление„Geht die Sonne auf oder unter?“, fragte ich Ente.
„Ich hoffe unter, ich kann diese Helligkeit nicht ertragen.“, antwortete er mir leicht lallend. Beziehungsweise schwer lallend, aber da ich genauso betrunken wie er war, konnten wir uns besser verstehen als es die hohen Herrschaften, die mit gerümpfter Nase an uns vorbeigingen, gekonnt hätten.
„Was auch immer, ich muss nach Hause.“, sagte ich.
„Gute Idee.“, entgegnete er und lief in seinem typischen Gang, der ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte, die Straße herunter. Manche sagen, er lief auf diese Art auf Grund einer Kriegsverletzung. Zufällig sind es diejenigen mit denen Ente gezecht hatte.
Ich warf meine Hand hoch und drehte mich in die entgegengesetzte Richtung um. Dann zerbrach die Welt in zwei. Ein Dröhnen fuhr aus dem Himmel auf mich nieder. Der höllische Klang kam vom Glockenturm der Kathedrale und rief zum Gebet.
Scheiße! dachte ich.
Nicht nur weil jeder Schlag der Glocke gleich einem Hammerschlag auf meinen Kopf war, sondern es auch hieß, dass es Morgen war. Und das wiederrum hieß, dass ich spät dran war. Diese Kette von Erkenntnissen ließ mich in Schweiß ausbrechen, als ich die Straße mehr schlecht als recht herunterlief.
Als ich durch die Tür trat, schlug mir der Geruch von Wein entgegen. Und es sagt viel über meine Gefühlslage aus, dass ich dankend ablehnte.
Am Fenster stand, dickbäuchig und glatzköpfig {oder dickköpfig und glatzbäuchig}, der Baron. Neben ihm hing dünn und vollhaarig, ein Portrait seinesgleichen. Um welchen Baron es in meinen Gedichten ging, überlasse ich euch zu erraten. Meine Gedichte. Es war schon länger Zeit, dass ich eins verfasst hatte. Zumindest eines über Margoza. Zumindest eins, dass ihm gefallen würde.
Deshalb war ich auch mit Ente in der Schänke gelandet, um Inspiration zu finden. Und deshalb fand dieses Treffen statt, um mein neustes inspiriertes Werk vorzustellen. Es war der Abgabetermin. An dem ich mein Gedicht oder mein höfisches Leben abgab.
„Nun Darius, wo ist es?“, fragte Margoza.
„Es ist hier.“, antwortete ich. Margoza drehte sich um.
„Wo?“
„Hier“, sagte ich und zeigte mit dem Finger auf meine Schläfe. Margoza zog die Augen zusammen. „Darius ich bin nicht in der Stimmung.“
Bist du es je? Sie nannten Margoza auch den Roten Baron – ein entschlossener Verfechter der beschriebenen Hinrichtungen.
„Ich muss es nur finden, Herr.“
„Du hattest zwei Monate Zeit es zu finden. Vielleicht sollte ich deinen Kopf aufmachen und selbst ein wenig suchen?“ Plötzlich war mir doch nach Wein.
„Das wird nicht nötig sein. Gebt mir noch eine Woche. Ich spüre es in meinem Kopf.“
„Sicher, dass es nicht der Kater ist?“
„Nein es bahnt sich etwas an!“
„Oh, das tut es auf jeden Fall.“ Seine Miene ließ keine Zweifel darüber was er damit meinte.
Nach Schlaf war mir nicht mehr zumute. Ich wanderte durch die Straßen der Stadt, auf der Suche nach irgendetwas, dass mich zu einem Gedicht inspirieren würde.
Doch tief in mir wusste ich, dass ich über jede Eigenschaft, Eigenart und eigene Erfindung unseres Herrschers geschrieben hatte. Ich hatte seine Entschlossenheit mit dem Hammerschlag des Schmiedes verglichen, der beständig das Eisen in die richtige Form bringt. Ich hatte seine Gnade {eine seiner Erfindungen} angepriesen und seine Rechtschaffenheit {eine meiner Erfindungen} als Vorbild für die Welt gemacht. Und so viel mehr noch.
Kurz gesagt, ich hatte keine Ideen mehr. Ich war raus. Verdammt. Versteht mich nicht falsch. Ich war noch voller Ideen. Ich hatte große Pläne worüber ich noch schreiben wollte. Nichts davon hatte mit Baron Rafael Margoza zu tun. Leider kann man mit Träumen nicht das Essen oder den Wein bezahlen.
Eine Woche später.
Eine Idee. Eine Idee. Eine Idee. Wie schwierig kann das sein? Unser Herrscher ist so weise, selbst eine Art und Weise... Ein weiteres Papier landete zusammengeknüllt in der Ecke, wo sich schon ein Haufen bis zur Klinke der Zimmertür stapelte. Wieder ging die Sonne auf, und wieder hatte ich Kopfschmerzen. Doch dieses Mal jedoch hatte ich nicht die Nacht durchzecht, sondern durchgearbeitet. Gearbeitet! Ich war mit den Nerven am Ende. Die Glocke der Kathedrale erklang. Geschlagen ließ ich den Kopf in meine Hände fallen. Es war vorbei. Ich hatte nichts. Seufzend stand ich auf. Lass es uns hinter uns bringen.
Ich ging die Straße von meiner schönen Wohnung hinauf zum Schloss des Barons. Auf dem Markt herrschte schon reger Betrieb. Händler priesen lautstark ihre Waren an, und die Einkäufer versuchten diese Waren ebenso laut herunterzuhandeln. In diesem Moment erschienen mir ihre harten, anstrengenden Leben verlockend. Soweit war es schon. Kopfschüttelnd ging ich weiter.
„Ihr seht besorgt aus, Herr.“ sprach eine Stimme mich von der Seite an.
„Es ist wirklich nicht schwer, dass zu erkennen. Wenn ihr also Wahrsager seid, wisst, ich habe keine Zeit und kein Interesse.“
„Nichts dergleichen bin ich.“
„Ich habe auch im Moment für keine Mixtur, Tinktur, Elixir oder Zaubertrank gebrauch.“
„Nichts dergleichen verkaufe ich.“
„Was ist es denn das ihr mir andrehen wollt?“
„Eine Lösung.“
„Fahr zur.…“
„Hört mich an! Nehmt dieses Amulett. Wenn ihr nicht alles bekommt, was ihr wollt, kommt zum Brauhaus zum geschlagenen Krieger. Ich werde es zurücknehmen.“
„Und wenn es funktioniert?“
„Kommt ebenfalls dorthin. Nur dann mit genügend Geschichten, um uns bis zum Morgengrauen zu unterhalten.“
„Falls es nicht funktioniert beginnt im Morgengrauen eine ganz andere Unterhaltung, mit mir in der tragischen Hauptrolle.“
„Es wird funktionieren. Der Stein spricht. Hört zu.“
Was hatte ich zu verlieren? Mein Leben? Gut, das war vielleicht überzogen, doch was ist ein Leben ohne Wein und Sonnenschein? Ich bin ein Künstler, Gottverdammt!
Grummelnd nahm ich das Amulett an mich und hängte es mir um den Hals. Es war kühl und schwer – ein wunderbares Gegengewicht zu dem imaginären Strick, der sich mit jedem vergangenen Tag um meinen Hals zog.
„Wie fühlt es sich an?“, fragte der Händler.
„Es ist ein verdammter Stein.“, antwortete ich. Und das war nicht übertrieben. Es war wirklich unscheinbar. Ich hätte nur eine Hand Steine vom Boden aufsammeln müssen und ich hätte vier identische Exemplare gefunden. Das einzige was ihn von einem normalen Kieselstein unterschied, war eine einzelne Rune, die wohl von einem Kind auf den Stein gekratzt wurde.
„Was bedeutet die Rune?“, fragte ich.
„Gebrochen.“, antwortete der kleine Mann.
„Und dass soll mir weiterhelfen?!“
„Man kann vieles brechen, mit positivem Effekt. Wie einen Fluch.“
„Oder ein Genick.“, entgegnete ich.
„Habt Vertrauen. Und es sieht gut an euch aus.“
„Ja, es bringt wirklich Kopf und Hals zusammen. Hoffen wir, dass es so bleibt.“
„Heute Abend im Brauhaus zum geschlagenen Krieger.“
„Hoffen wir, dass es bald nicht zum erhängten Dichter heißt.“
„Hab vertrauen. Der Stein spricht.“, sprach der kleine Mann und verschwand in der Menge.
„Hoffentlich reimt er auch.“, murmelte ich zu mir selbst.
Niemals fiel mir auf, wie schnell ich das Amulett akzeptiert hatte, pre-mortum Verzweiflung hin oder her.
Die Stadt Margoza in der ich zu dieser Zeit weilte und ich hatten eine ganz besondere Beziehung:
Sie hatte schon vor ihrer Einnahme durch den Barons ihre beste Zeit auf dieser Welt hinter sich, und ich die meine in ihr. Versteht mich nicht falsch, ich bin ein absoluter Stadtmensch, doch auf Grund der letzten Entwicklungen in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass es an der Zeit war zu verschwinden. Nur wollte ich mich nicht demselben Schicksal unterwerfen das Margoza ereilen würde.
Denn wenn mich die Geschichte (die ich gelesen habe) eins gelehrt hat, dann, dass eine Stadt, die in einer Nacht dem Erdboden gleichgemacht wird, im kollektiven Gedächtnis die Jahrhunderte überdauert, jedoch die Stadt, welche über Jahrhunderte im Erdboden verschwindet, innerhalb einer Generation vergessen wird. Wir Menschen lieben wirklich das Spektakel. Das soll nicht heißen, dass ich einen schnellen Tod einem langsamen Dahinraffen vorziehen würde – das Thema Tod betrachte ich lieber aus der Ferne, physisch und zeitlich. Mein Ziel war es jede Form von Verfall, Verkommen und
Verletzungen zu vermeiden, bisher mit großem Erfolg. Bisher.
Eine weitere Ähnlichkeit, die mich mit dieser Stadt verband, war, dass wir beide wirklich viel Potenzial besaßen. Margoza lag wie alle großen Städte dieser Region am Fluss Siepem, der auch das goldene Band genannt wurde, denn er galt als wichtigster Handelsweg diesseits der Roten Berge, aus deren heißen Tiefen er entsprang. Der Siepem verband die Gold- und Silbermienen der Roten Berge im Norden mit den Hafenstädten des antylischen Meeres, welche die Schätze der Länder Hinter Dem Horizont in das Land brachten.
Was Margoza jedoch von den anderen Handelsstädten unterschied, war, dass es neben dem Handel noch ein weiterer wichtiger Kontenpunkt gewesen war {leider muss ich, ähnlich wie die Fassaden dieser tragischen Stadt, nun in die Vergangenheit abgleiten}: Es war die Stadt der Vier gewesen. Die Vier waren keine Wesen an sich, es waren Institutionen. Die Institutionen der hohen Künste: Der Schreib- und Malkunst, sowie der Musik und des Schauspiels. Noch heute sieht man Fresken ihrer Gründer an den öffentlichen Plätzen, doch immer seltener erkennen die vorbeigehenden Leute die Gesichter und noch seltener die Geschichte hinter diesen. Auch die zahlreichen Bühnen der Stadt, auf denen zu ihren Glanzzeiten Schausteller aller Disziplinen ihren Weg zum Ruhm {oder Blamage} gefunden hatten, waren inzwischen entweder verfallen oder zweckentfremdet worden {manche fungieren inzwischen als Schafställe, eine merkwürdige Parallele zu ihrem vorigen Nutzen}. Es ist nicht unbedingt ihre Schuld, nach dem letzten Krieg und der beinahe Zerstörung Margozas hatten ihre Bewohner anderes im Kopf als die schönen Künste (ein weiterer Grund für meine Ablehnung von jeglicher gefahrbehafteten Situation), und der Baron selbst hatte diese Abneigung zu seinen Gunsten genutzt und jede Form von Kunst den Geldhahn zugedreht. Und da Kunst auf die Gunst von Gönnern angewiesen ist, bedeutete dies das Ende der Vier.
Und da die Zyklen zwischen Frieden und Krieg immer kürzer wurden, wurde auch das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung immer kleiner. Es wird zwar häufig gesagt, das Wort sei schärfer als das Schwert, jedoch wird in der Hitze des Gefechts eher selten nach einem Dichter oder Geschichtsschreiber gerufen (Ihr seht, die Logik meiner beruflichen Wahl ist Wasserdicht). Margoza war deshalb in seiner Glanzzeit auch ein kulturelles Zentrum gewesen, mit prachtvollen Theatern, großen Bibliotheken und kunstvollen Gärten. Doch so wie ich auch, wurde es von seinen Oberen so geschunden und zweckentfremdet, dass unsere Fassade (architektonisch, beziehungsweise lyrisch) in arge Mitleidenschaft gezogen worden war. Doch was soll man tun, wenn der Grundstein seines geistigen Theaters entfernt wird, und zur Erbauung eines literarischen Wehrturms verwendet wird? Man freut sich, dass man weiterhin aufrecht steht und ab und zu einen neuen Anstrich erhält.
Wo ich gerade von neuen Anstrichen spreche.
Auch das Anwesen des Barons war nicht mehr das glorreiche Selbst das es einst sicherlich gewesen war – und auch so war sein Herrscher. Selbst die Banner, in so vielen Schlachten siegreich empor gereckt, hingen schlaff und durchlöchert an dem bröckelnden Sandstein, aus dem die gesamte Obere Stadt gebaut war, herunter. Die Wachen schienen sich ein Vorbild an den Stoffbahnen über ihren Köpfen genommen zu haben und standen, gestützt auf ihre Hellebarden, mit hängenden Schultern und Lidern vor dem torlosen Tor. Keine Regung durchzuckte sie als ich zwischen ihnen hindurchschritt und den Innenhof betrat. Das Bild sah dort kaum anders aus. Ein paar Wachen fochten zähflüssige Übungskämpfe aus, während ihre Vorgesetzen im Schatten der Mauer saßen und ihren Sold im Bier oder beim Karten spielen verloren. Es hatte etwas merkwürdig friedfertiges, trotz all der Waffen und definitiv nicht friedfertigen Männern. Der Sommer hatte die Stadt fest im Griff.
Ein altes Sprichwort aus dieser Gegend besagt nämlich: Sommer bringt Frieden, Winter bringt Krieg. Frühling bringt den Handschlag, Herbst bringt den Hieb. Der Sommer würde bald zu Ende gehen, doch die Wachen verschoben die Vorbereitungen gerne auf die letzte Minute, eine Einstellung die in ihrer Schulzeit wohl den Weg zur Berufung als Wachen vorgeebnet hat. Nicht das ich besser gewesen wäre, doch manche von uns haben entweder das Glück oder das Talent etwas zu können, dass andere wertschätzen. Es ist das bildungstypische Gegenstück zu dem Ausspruch zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Leider bringt einen das aber auch in das mal gewollte, mal ungewollte Licht, an dem sich die Öffentlichkeit ergötzen kann – mal an rosigen Formulierungen, mal an blutigen Hinrichtungen.
Unwillkürlich berührte ich das Amulett. Es war heiß. Doch so wahr schließlich alles in Margoza. Auch mir stand der Schweiß auf der Stirn. Und nur ein Teil davon wegen der Hitze.
Als ich die Treppe hoch zum Turm des Anwesens stieg, geschah etwas Seltsames. Normalerweise würden meine Beine schwer, mein Schritt langsamer werden, so sehr scheute ich mich vor der Auseinandersetzung mit meinem „Patron“. Doch heute war mein Schritt leicht, schon fast freudig. Als würde mich eine Vorfreude erfüllen auf das was kommen sollte. Schnell erklomm ich die letzten Stufen und klopfte an die schwere Eichentür, eine der letzten Türen in der Festung des Barons, welche noch als solche bezeichnet werden konnte.
„Herein“, rief eine bekannt gereizte Stimme. Der Sommer bringt zwar Frieden, aber nur dem der auch Frieden sucht.
Trotz meiner unverständlichen Vorfreude lugte ich vorsichtig durch einen Spalt in der Tür, in der Erwartung, eine monströse Armbrust oder anderen Tötungsapparat auf die Tür gerichtet zu sehen. Nichts dergleichen war zu sehen, deshalb trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Wir waren allein. Der Baron war allein. Wie so häufig in der letzten Zeit. Und es waren nicht die vielen Treppen und unerträgliche Schwüle in dem kleinen Zimmer des Turms die dazu führten.
Wie gesagt, der Sommer bringt Frieden...
„Hast du es?“, fragte er mit blankem Gesichtsausdruck. Man sah ihm an, dass er gute Neuigkeiten brauchte. In Konsequenz brauchte ich ein Gedicht. Das ich nicht hatte.
„Die Hitze scheint den See meiner Kreativität ausgetrocknet zu haben, O Nobler.“, begann ich meine wohl letzte Ausrede. Dachte ich. Doch ich war mir sicher, dass mein Mund gerade andere Wörter geäußert hatte. Erstaunt hielt ich inne. War es die Hitze? Oder verfrühtes Galgengestammel? Ich setzte erneut an:
„Ich konnte nicht schreiben, denn die Hitze drückte meine lyrischen Schwingen zu Boden, O Herr.“ Ich wusste, dass ich diese Wörter sagen wollte, denn selbst mir kamen sie bescheuert vor.
In meinem Erstaunen hatte ich nicht gemerkt, wie sich die Züge des Baron verändert hatte. Die ausdruckslose Mine war Erstaunen gewichen. Jetzt war ich mir sicher, dass auch er etwas anderes gehört hatte.
Bei meinem nächsten Anlauf versuchte ich aktiv auf die ausgesprochenen Worte und nicht auf die Worte in meinem Kopf zu achten. Und mir wurde fast schwarz vor den Augen. Panisch versuchte ich mich für die Worte, die aus meinem Mund kamen zu entschuldigen, waren sie doch so abgrundtief verächtlich – lyrisch brillant zwar, aber voller Abscheu dem Baron und alles für das er stand gegenüber – aber mit jedem Satz, den ich dachte, spuckte mein Mund eine andere Zeile Greul und Hass auf den Baron.
Ich versuchte zu schweigen, doch mein Mund sprach einfach weiter. Es schien als sei eine zweite Seele in meinem Körper. Wenn es sich so anfühlte, wenn der Geist der Cäcilia in einen fährt, dann will ich nie wieder dichten. Ungläubig stand ich dabei und sah wie ich mein eigenes Todesurteil vortrug – mit makellosem Reimschema, blumigen Metaphern und einer Nachricht, die keiner Interpretation bedurfte. Ich weiß nicht wie lang ich das Grauen mit ansah, doch plötzlich merkte ich wie das etwas mir meinen Körper wieder überließ.
Der Baron stand mir gegenüber wie eine Statue. Das einzige Lebenszeichen ging von der dicken Ader an seinem Hals aus, die unaufhörlich pochte. Ich starrte ihn ungläubig an, er tat dasselbe. Eine weitere Ewigkeit verging, bis ein Klopfen an der Tür das Eis zwischen uns sprengte. Im selben Moment als der Sergeant den Kopf zur Tür hereinsteckte, riss ich die Tür auf, sodass der verdutzte Soldat an mir vorbei in den Raum stolperte und ungeschickt vor dem Baron auf dem Bauch zum Liegen kam.
Der Baron begann zu Brüllen: „Schnappt ihn! Schnappt den Hurensohn! Ich will ihn heute noch hängen sehen!“
Ich sprintete die Treppe herunter, hinaus auf den Innenhof. Von oben hörte ich den Baron aus dem Fenster schreien, sah die Wachen, die nicht im Schatten vor sich hindösten, sich verwirrt ansehen. Zum Glück arbeiteten ihre Hände ähnlich schnell wie ihre Gehirne, sodass ich zwischen ihnen hindurch aus dem Tor rennen konnte, bevor sie die spitzen Enden ihrer Hellebarden aufgerichtet hatten.
Mit etwas Abstand muss ich sagen, dass meine Gedanken während ich durch die Gassen rannte etwa so gewesen sein sollten: Was war dort oben passiert? Was sollte ich nun tun? Doch alles was mir in diesen Momenten durch den Kopf schoss war: Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Ich war nie ein großer Freund von körperlicher Ertüchtigung gewesen, doch Monate der Untätigkeit hatten die Wachen ebenfalls auf einen Tiefststand in Sachen Ausdauer und Schnelligkeit gebracht. Ich wusste aus Erzählungen, und den gelegentlichen Blicken von der Wehrmauer, dass die Untere Stadt ein Labyrinth aus Lehmhütten war, in das sich die Wachen mit gutem Grund selten begaben. Auch ich hatte meine Gründe für meine Abstinenz. Doch wie ein weiteres Sprichwort besagt: Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen.