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Kapitel 3

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So hatte ich mir meine Rückkehr in die Obere Stadt nicht vorgestellt. Ehrlich gesagt, hatte ich mir meine Rückkehr noch gar nicht vorgestellt. Sie schien mir ausgeschlossen. Doch wie so häufig in meinem Leben wusste ich nur, wie ich es nicht haben wollte, nicht wie ich es haben wollte.

Ich wusste, dass ich nicht an einem Seil in Zehn Metern Höhe die Festungsmauer erklimmen wollte. Ich wusste, dass ich nicht den Grund unter mir im Dunkel der Nacht verschwinden sehen wollte. Ich wusste, dass ich nicht das raue, trockene Seil zwischen meinen Händen spüren wollte. Und vor allem wusste ich, dass ich nicht Handricks dämliches Gekicher über mir hören wollte. Ich wusste, dass ich nicht den Schweiß schmecken wollte, der mir bei jedem Schritt die Mauer empor in Strömen über das Gesicht ran.

Trotzdem kletterte ich weiter. Trotzdem sah ich nach unten. Trotzdem zog ich mich weiter am Seil empor bis meine Hände bluteten. Wie gesagt, man muss schließlich nur einen Fuß vor den anderen setzen.

Als ich mich über die Festungsmauer rollte, und schwer atmend in den Himmel starrte, sagte Handrick mit beneidenswert ruhigem Atem: „Geht es dir gut?“. Seine Stimme hörte sich tatsächlich beunruhigt an.

„Ja...“, brachte ich zwischen tiefen Atemzügen hervor. „Wieso?“

„Nun ja, du hast den ganzen Aufstieg wie ein Verrückter vor dich her gekichert.“

„Sind wir tatsächlich auf der Festungsmauer?“, fragte ich als ich wieder einigermaßen altersgemäß atmen konnte.

„Ja, wieso?“

„Der Aufstieg kam mir so kurz vor. Für eine Festungsmauer.“

„Die Stadt hat die halbe Arbeit für uns gemacht.“, sagte Handrick fröhlich.

„Wie bitte?“

„Die Menschen der Unteren Stadt bauen schon seit Generationen auf einander – im wahrsten Sinne des Wortes. Hütten werden auf andere Hütten gebaut. Hütten werden verschüttet und es wird wieder auf diese Hütte gebaut. Der größte Teil der Festungsmauer liegt inzwischen unter Straßenlevel.“

„Was deine behagliche Behausung erklärt.“

„Ich bin nicht Teil des Problems! Ich verwerte wieder.“, sagte er theatralisch.

„Aber auch nicht Teil der Lösung.“

„Sagt der dessen einzige Lösung von Interesse in Umdrehungen angegeben wird.“

„Lass uns diese Grundsatzdiskussion auf einen Moment verschieben, an dem ich nicht mehr als drei Gesetze gleichzeitig breche.“, flüsterte ich Handrick zu, der sich wieder meinem Sack zugewandt hatte.

„Entspann dich, du brichst kein einziges Gesetz in diesem Moment.“, antwortete dieser und drehte sich zu mir um.“ In seiner Hand hielt er die längliche Stange und das Bündel mit Kleidern. „Denn ihr, Oberst Faukenspiel, seid das Gesetz.“, sagte er und verbeugte sich hämisch.

Mit gespielter Erhabenheit überreichte Handrick mir den Offiziersstab. Das Kleiderbündel entfaltete er und brachte eine alte, aber gepflegte Offiziersuniform zu Tage.

Dieser Moment war für mich persönlich zwiespältig. Zum einen ärgerte ich mich, dass ich nicht wusste was ich sagen sollte {mal wieder}. Zum anderen war ich stolz, da ich zumindest wusste was Handrick plante. Ich schien langsam in dieser Welt anzukommen. Stunde für Stunde, Schnapsidee um Schnapsidee.

„Das ist dein Plan?! Sich als Offiziere auszugeben, um durch das Tor zu gelangen?“

„Wo denkst du hin? Mein Plan ist viel raffinierter!“

„Oh jetzt bin ich aber gespannt. Viel besser als sich als Offiziere der royalen Wache auszugeben, kann es ja nicht sein.“

„Zuerst einmal: Einzahl. Offizier. Und außerdem spazieren wir nicht einfach durch das Tor.“

„Ach nein?“

„Nein, wir fahren hindurch.“

„Bitte was?“, fragte ich entgeistert.

„Das ist richtig. Wir stehlen eine Kutsche.“

„Erklär mir nochmal wieso wir eine Kutsche klauen?“, fragte ich Handrick als wir die Festungsmauer entlangschritten.

„Ganz einfach. Die Wachen an den Toren werden ein besonderes Augenmerk auf jeden haben, der nur ansatzweise so aussieht wie du. Die Offiziersuniform mag auf Distanz ausreichen, aus der Nähe ist sie wirkungslos. Deshalb will ich ihnen gar nicht die Chance geben, dein Gesicht zu sehen. Sie werden es kaum wagen eine Kutsche der royalen Wache zu durchsuchen. Und mich werden sie als einfachen Kutscher abstempeln.“

„Und wie planst du die Kutsche überhaupt erst zu stehlen?“

„Na, deswegen trägst du die Uniform und nicht ich. Du kennst dich hier aus. Das ist deine Welt.“

„Fabelhaft. Hättest du mich nicht ein bisschen früher in deinen Plan einweihen können?“

„Hättest du zugestimmt?“

„Nein.“

„Stimmst du jetzt zu?“

„Hab ich eine Wahl?“

„Nein.“

„Also.“

„Exakt. Also.“, sagte Handrick und deutete den Wehrgang hinab, hin zu den erleuchteten Fenstern der Festungsgemäuer.

Trotz der doch recht misslichen Lage, in der ich mich befand, kann ich rückwirkend doch etwas Gutes verzeichnen, was sich an diesem Abend ereignete: Ich entwickelte ein vollkommen neues Verständnis gegenüber den Offizieren des Barons. Wer solch eine Uniform Tag ein und Tag aus tragen muss, der kann nach einiger Zeit keine Eier mehr haben. Stocksteif schritt ich den Wehrgang hinab, Handrick wenige Meter vor mir mit – zu meiner großen Freude – gebundenen Handgelenken und den Resten des Kletterseils um den Torso geschlungen. So wurden die Gefangenen gewöhnlich in die Festung geführt. Das wusste ich nicht auf Grund meines tiefgreifenden Wissens in die Exekutive der baronischen Herrschaft, sondern einfach aus dem Grund, dass es keine Knappheit an Möglichkeiten gab, Gefangene des Barons zu beobachten {oder gegebenenfalls zu beschimpfen, zu bespucken, zu bewerfen, etc. pp.}. Handrick war zwar der Ansicht, dass dies nicht nötig sei, doch nach einer kurzen Diskussion über die benötigte Echtheit unserer Scharade und unsere direkt damit zusammenhängenden Überlebenschancen willigte er ein, sich mir zu ergeben. Er nicht ohne Murren und ich nicht ohne Grinsen.

Die Nacht war erstaunlich ruhig. Handrick und ich schienen die einzigen Menschen auf der gesamten Wehranlage zu sein. Das war selbst für die Wachen des Barons ein neuer Tiefpunkt. Oder ein neuer Höhepunkt für die Arroganz meines ehemaligen Patrons. Was es auch wahr, es half nicht meine Anspannung zu lösen, denn der Wind, welcher hier oben noch stärker bließ, ließ ein Heer an Geistern um die Ecken und Löcher des alten Mauerwerks ziehen.

Als wir die Stufen des Wehrgangs hinunter auf den Innenhof der Festung traten, blieb Handrick stehen. Ich tat es ihm nach, in der Annahme er habe entweder etwas gehört oder einen Geistesblitz, in beiden Fällen wollte ich mich nicht in direkter Nähe zu ihm befinden. Nach einer regungslosen Weile bewegte sich Handrick dann doch wieder: Er drehte sich zu mir um.

„Nun?“, fragte er leise.

„Nun was?“, fragte ich ebenso leise zurück.

„Wo lang?“, fragte Handrick und deutet mit ausschweifender Geste auf den Innenhof.

Ich wusste langsam nicht mehr ob das Gefühl der resignierten Ahnungslosigkeit eine Reaktion auf meine Umwelt, oder auf Handricks Persona war: „Woher soll ich das wissen?“

„Ich dachte du bist von hier?!“

„Das einzige Mal, das ich hier war, war nach einer durchzechten Nacht und einer verlorenen Wette. Sehe ich es wie ein Soldat?!“

Handrick musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ach halt die Klappe! Du weißt was ich meine.“

„Nichtdestotrotz brauchen wir eine Kutsche.“, sagte Handrick.

„Richtig.“

„Was denkst du wo wir die besten Chancen haben eine zu finden?“

„Das Recht auf eine Kutschfahrt mit dem Baron war leider den weltlichen Mächtigen vorbehalten. Aber ich glaube unsere beste Chance haben wir bei den Ställen.“

„Ah! Glaube und Hoffnung. Die Zutaten für große Unternehmungen.“, stieß Handrick lächelnd hervor. „Du kennst den Weg zu den Ställen?“

„Selbstverständlich.“

„Bist wohl da auch mal aufgewacht, was?“

„Ich will nicht darüber reden.“

Der Stall lag am anderen Ende des Innenhofes der Festung, versteckt hinter einem mauernden Vorsprung. Vom Wehrgang bis zu seinem Eingang waren es vielleicht 150 Meter. Doch nachts, mit kneifendem Schritt und keifendem Wind erschien mir der Weg mindestens dreimal so lang. Ich konnte unser Glück kaum fassen als wir am Eingang zum Stall standen. Und das auch zu Recht, denn hinter mir erklang plötzlich eine Stimme.

„Sir!“, knallte die Stimme in militärischer Strenge in die Stille der Nacht.

Nach kurzer Überlegung darüber einfach wegzurennen entschied ich mich auf Grund der oben erwähnten Dreieinigkeit des Unbehagens dagegen. Ich drehte mich möglichst militärisch um die eigene Achse {das auf Grund der Steifigkeit meiner Kleidung wunderbar funktionierte} und gab meine militärischsten Gesten zum Besten {das weniger gut funktionierte}.

„Was wünschen Sie, Korporal?“

„Leutnant, Sir!“

„Glückwunsch.“, sagte ich, ohne Ahnung zu haben, welcher Rang hier der bessere war.

„Ehm, danke...Sir.“, sagte der Leutnant mit einer Spur Verwirrung.

„Nun?“, fragte ich schnell, bevor die Verwirrung in Verdächtigung umschlug.

„Ja, Sir! Ich habe Anweisung den diensthabenden Offizier sofort zur Messe zu bestellen. Der Baron selbst will eine Ansprache halten!“

„Was für eine Ansprache?“, fragte ich.

„Das weiß ich nicht, Sir!“, antwortete der Jüngling.

„Wann soll diese Ansprache genau stattfinden?“

„Das weiß ich nicht, Sir!“

„Ich muss diesen Gefangenen fortbringen.“, sagte ich mit Nachdruck, hoffte ich zumindest.

Der junge Soldat schien von der Absolutät (Absolution?) meiner Antwort nicht beeindruckt zu sein. „Sie bringen ihn also zu Hagen?

„Vollkommen richtig.“ Wer?

„Also ist es wieder Zeit für einen schwarzen Spaziergang?“

„Exakt.“ Was?

Der Soldat sieht Handrick, der mit hängenden Schultern vor dem Eingang zu den Ställen steht, von der Seite an: „Sieht gar nicht aus wie ein Symphatiko.“

„Oh, oh doch! Einer der Schlimmsten!“ Wie, was, wer?

Zum Glück schien der junge Mann schon lang genug Soldat zu sein, dass ihm die militäreigene Obrigkeitshörigkeit zumindest in Anfällen zu eigen war. „Sie werden Recht haben, Sir!“

„Wahr gesprochen Rekrut!“

„Leutn...“

„Selbstverständlich. Haben ihre Sache gut gemacht. Werd sie beim Baron empfehlen.“

Das Gesicht des Soldaten erhellte sich schlagartig. „Danke, Sir!“, schrie er mich an und salutierte. Dann machte er kehrt und rannte im Laufschritt zurück zur Festung. Vermutlich um seinen Kameraden zu erzählen, dass er den ersten freundlichen Offizier in seiner Dienstzeit getroffen hatte. Armer Kerl wird sich totsuchen. Wird wahrscheinlich denken er hätte einen Geist gesehen. Im besten Fall. Im schlechtesten Fall stellt er Nachforschungen an, gefolgt von Nachstellung und nachträglichem Strafvollzug.

„Du musst sooo stolz auf dich sein.“, hörte ich Handricks ironische Stimme hinter mir.

„Schnauze, Gefangener.“

„Lass dir deine neue Rolle nur nicht zu Kopf steigen. Sind wir hier erstmal raus, bist du wieder Darius – Dichter, Denker, Depp.“

„Da hast du doch die ganze Nacht schon dran gearbeitet.“, entgegnete ich ihm trocken.

„Harte Arbeit zahlt sich nun mal aus.“

„Sagte der Kriminelle zum Künstler.“

„Hart auf der Seele und dem Geist.“

„Im Moment gilt meine Sorge eher meinem weltlichen Dasein.“

„Dann lass uns das mal aus der Stadt bringen.“

Es war ruhig in den Ställen. Das lag nicht nur an der Tageszeit. Pferde waren rar in dem Reich des Roten Barons. Das lag vor allem daran, dass Pferde meistens die erste Reihe auf jedem Schlachtfeld bildeten, da ein galoppierendes Pferd ein furchteinflößendes Bild bietet {habe ich mir sagen lassen}. Leider bieten sie auch die größte Angriffsfläche. Ich hab diese Taktik nie verstanden. Warum sollte man mit einer Kutsche vorfahren, wenn man sie nur zum Halten bringen kann, indem man sie gegen eine Wand fährt? Aber ich bin auch kein Offizier {naja, an einem normalen Tag}.

Im Moment war mir der hohe Pferdeverschleiß recht, sollten zumindest noch genug Vierbeiner vorhanden sein, um eine Kutsche zu bewegen {und zu stoppen}.

Trotzdem hörte ich menschliche Stimme zwischen den verfaulten Latten der Ställe hindurchdringen. Ein leichtes, fast durchsichtiges rotes Flackern am anderen Ende des Stalles schien die Quelle der Geräusche zu sein.

Handrick hatte sich in der Stallbox zu meiner Rechten versteckt. Von dort spähte er in die Dunkelheit, seine Silhouette kaum mehr als ein schwarzer Schatten in der grauen Dunkelheit. Nur durch ein leichtes Knacken von Stroh am Boden konnte ich ahnen, dass er sich in duckender, kriechender und schleichender Weise von Box zu Box zum Schein des Feuers vorarbeitete. Ich wusste nicht wovon ich mehr beeindruckt war: Von Handricks Leichtfüßigkeit oder seinem kompletten Ignorieren der eigenen Hygienebedürfnisse. Unentschieden zuckte ich mit den Schultern und schritt schnellen Gangs die Reihe der Ställe hinab, vorbei an Handrick, welcher frenetisch mit den Händen fuchtelte und in die Boxen deutete, und Mitten in den Schein des Lagerfeuers. Lächelnd. Nicht weil ich mich darüber freute, dass pockennarbige Gesicht des einen Wachmanns zu sehen, noch die Hakennase des Anderen. Ich hatte einfach gelernt, dass ein lächelnder Mensch oftmals zwei bis drei Sekunden mehr Zeit bekommt sich zu erklären, bevor die Fetzen fliegen. Auch diese beiden erwischte ich auf dem falschen Fuß, denn sie starrten mich aus etwas überraschten und vollkommen betrunkenen Augen an.

Ich fühlte mich in meiner Rolle inzwischen schon sehr viel wohler, leider galt das nicht für meine Kleidung. Trotzdem fand ich, hatte ich den typischen Offiziersgang mit der Mischung aus Arroganz und Lässigkeit schon ganz gut drauf.

„Guten Abend meine Herren.“, näselte ich. „Ich benötige eine Kutsche, Offiziersangelegenheit.“

Wenn ich erwartete, dass Pockennarbe und Hakennase stramm salutierten und mir sofort eine glänzende Kutsche mit vier muskulösen Hengsten vorfahren würde, hatte ich weit gefehlt.

Pockennarbe schaute Hakennase an und wieder zurück zu mir. „Erwarten heute gar keinen hohen Besuch.“ Meine Mundwinkel begannen zu zucken. „Sergeant hat gesagt, dat moin erst der nächste rausfährt.

„Nun, diese Sache ist von spontaner Natur und erduldet keine Aufschiebung.“, sagte ich mit überraschend fester Stimme.

„Nun,“, begann Hakennase mich nachzuäffen, „diese Sache“, sagte er und deutet auf ein Stück Papier auf seinem Tisch, „ist unauffindbarer Natur.“ Meine Mundwinkel begannen sich zu senken.

„Aber wir sind alle verständnisvolle Menschen hier. Naja, ich zumindest. Erzählt mir doch was diese Sache ist und wir sehen ob ich Verständnis zeige.“

Zwei Dinge störten mich ganz besonders in diesem Moment. Zum einen die Befehlstreue der betrunkenen Wachsoldaten gegenüber ihrem Sergeanten und zum anderen, dass ich meinen Plan nicht zu Ende gedacht hatte. Doch just in diesem Moment als mein Mundwinkel fast den strohbedeckten Boden berührten, trat Handrick auf eben diesen. Seine Hände waren gebunden, Gang gebeugt und er hatte, so wie ich es erkennen konnte, ein blaues Auge.

Hakennase lehnte sich mit zugekniffenen Augen vornüber und betrachtete Handrick eindringlich. Dann stand er ruckhaft auf.

„Das ist Handrick!“, rief er aus. Und wütender: „Endlich haben sie dich gepackt du Hurensohn! Wurde auch mal Zeit, dass das Unwesen im Töpferviertel ein Ende nimmt!“ Er wandte mich wieder mir zu: „Geht es für ihn dorthin wohin ich denke das es geht?“

„Ja“, wieder so eine Münzwurfantwort, doch es schien als sei in dieser Nacht das Glück auf meiner Seite. Das war aber auch das mindeste, es hatte schließlich den ganzen Tag geschlafen.

Zumindest stieß Hakennase ein raues Lachen aus.

„Ha! Siehste, Ulfgard! Dass ist der Bastard, von dem ich dir erzählt habe.“

„Der der dir die königliche...“, begann Pockengesicht, doch Hakennase fuhr dazwischen.

„Genau der! Lass uns aber den werten Offizier nicht länger warten lassen.“, sagte Hakennase und begann eine weitere Reihe von Ställen abzugehen „Wo ist denn Intar?“, fragte er plötzlich.

Wer ist Intar?, dachte ich. Und laut: „Intar ist krank.“

„Armer Bastard muss wohl wieder zu Hause essen, wa?“, sagte Pockernarbe und stieß ein Grunzen aus. „Ich sachet, die Frau kann aussehen wie Malevia persönlich, wenn sie net kochen kann, wat ist der Sinn für sie nen Haus zu bauen?“

„Schnauze, Ulfgard. Das ist deine Schwester.“

„Dem Herrn sei Dank, dann muss ich ihr kochen nicht ertragen.“

Hakennase zerrte in diesem Moment zwei mitleiderweckende Pferde aus dem Stall vor uns. Zu Pockennarbe sagte er: „Siehst du die hier? So nah wirst du dem weiblichen Geschlecht jemals kommen.“, und zu mir: „Wartet kurz, bis wir die Klepper eingespannt haben. Ihr wisst, wie man eine Kutsche fährt.“

„Es ist schon etwas her. Danke, meine Herren. Seid versichert, ich werde höchstpersönlich am Ziel die nötigen Maßnahmen überwachen.“, rief ich aus voller Brust.

Hakennase drehte sich überrascht um. „Das ist mir neu. Ich dachte Hagen duldet keine Soldaten des Barons in seiner Nähe.“

„Hier wird eine Ausnahme gemacht.“, flog es mir von der Zunge.

„Soll mir recht sein.“, sagte er und setzte seinen Weg fort. Sein Hass gegenüber Handrick schien größer zu sein als sein Misstrauen mir gegenüber. Wer hätte gedacht, dass Handricks Lebensentscheidungen mal so nützlich sein würden?

Als ich die Kutsche erblickte ging mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf und stürzte sich dann in meinen Magen: Ich hatte keine Ahnung wie man eine Kutsche fährt. Klar, ich hatte schon mal einen Kutscher bei seiner Arbeit gesehen. Aber ich hatte auch schon einen Braumeister bei der Arbeit gesehen und war mir sicher, dass ich es nicht konnte {glaubt mir, ich habe es versucht}. Ich war in meinem bisherigen Leben auf Grund meiner Vermeiden-von-schwerer-oder-tödlicher-Arbeit Strategie nur als in Anspruch nehmender mit diesen Berufen in Kontakt gekommen. Das half mir aber in diesem Fall nicht weiter. Meine Aussicht, eine Kutsche ohne körperliche Verletzungen durch die Tore der Stadt zu steuern war genauso gut, als wenn ich es nach meinem Kurzeintritt in die Braumeistergilde versuchen würde, ein halbwegs trinkbares Bier zu brauen.

Mit rasendem Herzen stieg ich auf den Kutschbock. Hinter mir wurde Handrick in die Kutsche gesperrt und die schweren Riegel wurden vorgeschoben. Es schien schon fast typisch, dass falls wir vom Weg abkommen und/oder in eine Wand fahren sollten, ich sterbe und Handrick unbeschadet davonkommt.

Ich wusste nicht womit ich beginnen sollte, doch es ist erstaunlich leicht einen Weg zu finden, wenn man weiß, dass zurück zu gehen keine Alternative ist. Man muss schließlich nur einen Fuß, bzw. Huf vor den anderen setzen, bzw. setzen lassen. Ich nahm also beide Zügel fest in die Hand und knallte die Zügel auf den mageren Rücken der Pferde. Die ihre Köpfe reckten und mich aus gelangweilten Augen anstarrten.

Von hinten hörte ich ein gedämpftes Lachen. Hakennase trat neben den Kutschbock und sprach: „Das sind keine feinen Schlachtrösser. Ihr müsst sie schon schlagen, um den Viechern ihre Sturheit auszutreiben.“ Sprichst aus eigener Erfahrung, was? dachte ich und ließ die Zügel wieder auf den Rücken der Pferde niederfahren. Dieses Mal taten sie einen zaghaften Schritt bevor sie sich wieder dem Heu zuwendeten. Hakennase schüttelte den Kopf. „Hier. Ich helfe euch.“, sagte er und bevor ich fragen konnte wie er das tun wollte, fuhr seine behandschuhte Hand auf die Rückseite eines der Pferde, welches erschrocken wieherte und noch mit Heu im Maul losgaloppierte. Ich gab mein Bestes einen Eindruck zu erwecken, als hätte ich die Kontrolle, doch nach den ersten Metern hing ich an den Zügeln der Pferde und nicht umgekehrt. Wieder einmal flog ich blind und ohne Ahnung durch die Gassen der Oberen Stadt, mit rasendem Herzen und denselben Gedanken im Kopf: Scheiße, Scheiße, Scheiße!

Darius

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