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Kapitel 4 Vier
ОглавлениеDas Schaben ihres Löffels in der leeren Schale brachte Yasmins Bewusstsein in die Gegenwart zurück. Der Pfannkuchenteig war restlos aufgebraucht. Die weinende Frau hatte einen kleinen Berg der runden Eierspeise auf einen Teller geschichtet und diesen im Backofen deponiert, der auf unterster Stufe heizte.
Von Alledem hatte sie nicht das Geringste bewusst getan, war nur robotisch ihrer Tätigkeit nachgegangen und hatte dabei in ihrer eigenen Welt der Erinnerungen gelebt.
Noch etwa zehn Minuten, dann würde Rebecca kommen.
Mit dem Decken des Tisches hielt sich Yasmin heute nicht auf, ihre Tochter würde sich nachher selbstständig Teller und was sie sonst noch so benötigte nehmen, um ihr Mittagessen zu verzehren. Sie wurde ein wenig entspannter und wischte die langsam versiegenden Tränen mit dem Ärmel ab
Sie freute sich schon jetzt auf ein nettes Gespräch ihrem hübschen Sprössling.
Die beiden hatten bis zum Eintreffen von Erik, der heute eine Stunde länger im Unterricht blieb als seine Schwester, noch eine Weile Zeit sich zu unterhalten.
Yasmin erwartete über Rebeccas aktuelle Erlebnisse, über ihre Freunde und Freundinnen, das Neueste zu hören. Am Leben ihrer Tochter teilzunehmen war ihr ein wichtiger Trost.
Sie fand immer Freude und einen gewissen Halt im Beisammensein mit ihr.
Und sie hoffte Rebecca empfinde ebenso.
Anders als ihrem kleinen Bruder machte es „Becca“ nichts aus, sich mit ihrer Mutter zu unterhalten, sie war immer offen und ehrlich. Nur eines vermieden beide wenn sie einmal wieder ihre „Unter-vier-Augen-Gespräche“ führten. Im gemeinsamen Umgang wagte es keiner der Beiden über den verstorbenen Vater zu sprechen. Das Thema war bislang auf der Tabu-Liste geblieben.
Wenn Rebecca es für richtig hielt und sie es entschieden hatte, dass es an der Zeit wäre sich über den Tod ihres Vaters zu unterhalten, würde sie es ihre Mutter sicher wissen lassen.
Die Fünfzehnjährige hatte sich nie wirklich wohl gefühlt, wenn ihre Mutter, trotz aller Zurückhaltung, manchmal ihren starken Gefühlsausbrüchen erlag und schluchzend ihre Traurigkeit preisgab.
Yasmin spürte das und gab sich Mühe generell darauf Rücksicht zu nehmen, damit nicht eines Tages die Vertrautheit zwischen den Beiden darunter litt.
Zu wichtig war ihr das Band, das sie und das Mädchen so eng verbunden hielt, in dieser einsamen Zeit geworden.
Dennoch war es ihr, nicht ganz ohne schmerzliche Nebenwirkungen, bewusst dass auch Rebecca, mit zunehmendem Alter, dieses Band mehr und mehr straffen würde. Und das es letztlich ganz zerriss. Abnabeln nannte es der Volksmund.
Im Verlauf ihres Lebens würde sie sich mehr und mehr abkapseln und ebenso das elterliche Nest verlassen, wie es im Normalfall jedes Lebewesen tut. Die Einen früher, die anderen später, aber unausweichlich war es dennoch. Ein Naturgesetz.
Die Tränen waren also fürs Erste versiegt und fort gewischt, als ihre Tochter nun die Küche betrat und Yasmin liebevoll umarmte. Sofort erkundigte sie sich freundlich was Rebecca denn Neues zu berichten habe, konnte dabei ihre offensichtliche Neugier kaum verbergen.
Doch schämen brauchte sie sich ihrer nicht, sie hatte durchaus das Gefühl ihre Tochter verstünde nur allzu gut, und es war ihr, als genieße auch sie ihre häufige Konversation, ohne sich durch die Fragen ihrer Mutter etwa bedrängt zu fühlen.
Noch.
Als sich das Mädchen Pfannkuchen und ein Glas mit Orangensaft genommen hatte, setzte sich Yasmin zu ihr, an den Küchentisch.
Sie selbst nahm mit einem Schluck Leitungswasser vorlieb, dass sie zuvor in ihren Kaffeebecher gefüllt hatte.
Yasmin wartete noch bis Becca einige Bissen zu sich genommen hatte und blickte dann in ein freudiges Lächeln, bei dem sie gleich wieder in Tränen hätte ausbrechen können, dies aber tunlichst zu vermeiden wusste.
„Mum´ wir haben heute die Physikarbeit wiederbekommen. Ich hab ´ne Zwei gekriegt und Herr Humboldt sagt, ich bin bloß vier Punkte anner Eins vorbei.“
Solch womöglich prahlerisch erscheinende Sätze vermochte sie ohne erkennbaren Stolz oder gar Arroganz in ihrer Stimme vorzutragen. Sie gab es beinahe rein informativ weiter, brachte es gerade so fertig ein wenig Freude in dem Gesagten mitschwingen zu lassen.
„Das ist wirklich schön, mein Schatz.“ Bemühte sich Yasmin nun zu antworten, ohne dabei selbst zu stolz zu klingeln. Fügte aber noch hinzu:„Ich freue mich dass du mit dem Stoff in gerade solchen Fächern gut zurecht kommst. Mir ist es damals um einiges schwerer gefallen in Mathe und Physik zu bestehen.“
Sie widerstand nur schwer dem Impuls, hinzuzufügen, dass sie dieses Talent wohl eher von Andreas geerbt habe, als von ihr.
Gerne hätte Yasmin auch Beccas Hand ergriffen, oder sie abermals umarmt, aber sie wusste, es war irgendwann einfach zu viel des Guten.
So sprachen die beiden weiter und ihre Tochter erwähnte: „Der Sportunterricht war spannend. Volleyball mag ich eigentlich nicht besonders, aber ich bin trotzdem zur Wahl des Mannschaftskapitäns aufgestellt worden. Zum Glück, bin ich aber nicht gewählt worden, da hat natürlich wieder einer der Jungs gewonnen. Stefanie war richtig sauer, sie war auch aufgestellt und meinte es müsse an der Schule ein reines Mädchenteam geben, dann wäre sie mit Sicherheit gewählt worden.“
Yasmin hätte stundenlang so dasitzen können und dabei lediglich ihrer Tochter zuhören. Hin und wieder warf sie eine Frage ein und erfreute sich aufrichtig und ehrlich an jeder, sei es auch noch so unbedeutenden Kleinigkeit. Alles was sie aus dem Alltag des Mädchens zu hören bekam gab ihr ein gutes und beruhigendes Gefühl. Und es lenkte sie von ihrer Trauer ab.
Plötzlich wurde die Tür zur Küche unsanft aufgestoßen.
Erik, einen seiner „Kumpels“, wie die Jungs sich gegenseitig gerne nannten, im Schlepptau.
Beide hatten ihre Sportklamotten noch an, sich also nach dem Unterricht nicht umgezogen, wohl um so schneller aus der Schule entfliehen zu können. Sie faselten wiedermal irgend etwas von Spielkarten, warfen mit japanisch klingenden Namen um sich und überboten sich dabei mit Zahlen und vor allem mit ihrer jeweiligen Lautstärke.
Yasmin konnte nicht den geringsten Sinn oder Zusammenhang erkennen, in dem was ihr Sohn und sein Freund da von sich gaben.
Erik pfefferte seinen Rucksack rücksichtslos in eine Ecke vor die Küchenschränke. Zu allem Überfluss und Yasmins Erschrecken tat ihm sein Begleiter dieses grobe Verhalten auch noch gleich. Beide griffen sich ohne sich hinzusetzen mehrere Pfannkuchen vom Teller, den Rebecca aus dem Ofen genommen und auf der Tischplatte abgestellt hatte. Weder ließen sich die Jungen dazu herab die Anwesenden zu grüßen, noch machten sie überhaupt den Anschein, als würden sie mehr von ihrer Umgebung wahrnehmen, als den jeweils Anderen. Beide bissen synchron Stücke der Pfannkuchen ab, ohne dabei erkennen zu lassen, ob es schmeckte oder für sie „einfach selbstverständlich“ war.
Sie führten einfach ihr Geplapper weiter, ohne Yasmin und Rebecca auch nur eines Blickes gewürdigt zu haben.
Die Energie ihrem Sohn und Roland, dem Freund, den er so selbstverständlich mit zum Essen einlud, jetzt eine Standpauke über ihr Benehmen zu geben, wollte sie heute nicht verschwenden.
Sie tauschte nur einen betroffenen Blick mit ihrer Tochter, die sich nun ihrerseits schleunigst zurückzog und mit ihrem Glas in der Hand die Küche verließ.
Sie sagte ihrer Mutter noch im Vorbeigehen, sie solle nicht vergessen auch etwas zu essen.
Sie ließ es sich allerdings auch nicht nehmen, hörbar zu verkünden: „Ich mache dann jetzt im Wohnzimmer meine Hausaufgaben!“ Was den nervigen kleinen Bruder anging, war sie weniger schüchtern. Sie bedeutete ihm damit, er solle sich nach Möglichkeit aus dem Wohnzimmer fernhalten, solange ihr Aufenthalt dort nicht beendet war.
Wenn es um ihren Fleiß beim Lernen ging, konnte die Süße schon mal richtig zickig werden, kam es Erik in den Sinn ihr dabei auf die Nerven zu gehen.
Yasmin war ansatzweise überrascht, als Roland nun doch ein: „Hallo Eriks Mama.“ - und dabei kleine Kuchenkrümel - ausspuckte.
Es klang so hervor gepresst und gequält, als müsse der Junge die Worte erst aus großer Tiefe in seiner Kehle finden und sie hochwürgen, um nicht an einem bitteren Beigeschmack zu ersticken.
Ihr Sohn blieb stumm.
Doch bevor sie die Chance bekam eine eventuelle Antwort zu formulieren, hatte Erik ein paar Spielkarten, um die es sich wohl im vorangegangenen Gespräch drehte, hervorgeholt.
Er stieß seinen Kumpel unsanft mit den Fingern in die Seite, woraufhin dieser seine Aufmerksamkeit gleich wieder von „Erik Mama“ abwandte und seinerseits einige bunte Pappen aus seiner Hosentasche fischte.
In großen, schnörkellosen Buchstaben konnte Yasmin die Worte „YU-GI-OH“ auf der Rückseite ausmachen. Sie fragte sich unwillkürlich was die leuchtend rot geschriebenen Lettern wohl bedeuten konnten, schluckte aber eine entsprechende Frage schnell wieder hinunter. Es hatte wohl keinen Sinn Interesse zu bekunden.
Sie kannte bereits viele beleidigende und abwertende Antworten ihres Sohnes.
Ein Schüler der vierten Klasse, der sich übertrieben gerne über die offensichtliche Unwissenheit seiner Mutter lustig machen konnte, wie ein Sportmoderator, über einen Boxer, der in der ersten runde k.o. geht. Erst würde er sie als soooo unmodern bezeichnen, dann … Gott weiß was noch.
Er hatte sie schon als „dummes Huhn“ bezeichnet, als „alte Schnepfe“, und Schlimmeres. Sie hatte heute nicht die geringste Lust darauf, sich von ihrem Sohn beschimpfen zu lassen. Noch dazu im Beisein seines Freundes.
Sie zog es daher vor, den Kindern einfach die Pfannkuchen stehen zu lassen, um es ihrerseits Rebecca gleichzutun und die Küche, mitsamt den mittlerweile in ihr Spiel vertieften, Jungen, zu verlassen. Also wandte sie den beiden den Rücken zu, ohne dem hektischen Geschwätz über Monster, Fallen und andere ominöse Begriffe, die sie nicht verstand, weitere Beachtung zu schenken.
Wieder rüber zum Wintergarten und eine Flasche Wein öffnen? Danach stand ihr am ehesten der Sinn. Ob sie ein Alkoholproblem hatte? - Ja.
Und warum zum Teufel auch nicht? Am frühen Nachmittag Wein trinken konnte wohl so mancher als „nicht gerade alltäglich“ ansehen. Dem stimmte Yasmin durchaus zu. Dennoch sah sie sich durchaus befähigt ihren Konsum in einem gewissen Rahmen zu halten. „Überschaubar“ nannte sie ihren Selbstbetrug.
Es war schon einige Zeit her, dass sie so betrunken gewesen war, wie nach den anfänglichen schweren Abstürzen in der Zeit nach der Beerdigung. Streng genommen war es vor, während, und nach der Beerdigung gewesen. Am selben Tag hatte sie sich mehr als einmal schlichtweg aufs Maul gelegt, um am Ende sogar die Besinnung zu verlieren.
Die Zeche dafür: Die quälenden Kopfschmerzen am nächsten Abend. Sie war tatsächlich erst achtzehn Stunden später wieder aufgewacht. Aber sie hatte sie gern bezahlt.
Das war absolut Nichts! Kein Vergleich zum Schmerz in ihrer Seele, den sie hatte ertragen müssen, als Andreas von seinen Arbeitskollegen und Freunden zu Grabe getragen worden war. Außer dieser Handvoll Leute waren nur noch sie und die Kinder auf der Beerdigung gewesen.
Yasmins Eltern lebten lange nicht mehr. Und Andreas Eltern? Nun, die waren in Kanada.
Seine Mutter, die gute alte Dame hatte sich vor einigen Jahren, nur kurze Zeit nach dem Umzug der Zielkes von Hollenstedt nach Rosengarten, einfach in einen Flieger gesetzt.
Die derzeit Dreiundsiebzig jährige war von Andreas so einige Male als „Cool drauf“ bezeichnet worden. Er hatte sich köstlich amüsieren dürfen, als sie im ersten Telefongespräch, das er und sie führten, nachdem sie in Kanada angekommen war, verriet, sie habe ihren Mann als Handgepäck aufgegeben.
So waren die beiden eben. Er stand voll und ganz unter ihrem Scheffel, hatte nie etwas zu sagen gehabt, und das würde wohl auch ewig so bleiben.
Bedauerlicherweise trieb Yasmin ein ungewollt böses Spiel mit ihren Schwiegereltern.
Diese meldeten sich mittlerweile nicht öfter als ein-zweimal im Jahr. Sie hatte es bisher, nach fast sechs Monaten einfach nicht fertiggebracht Andreas Eltern darüber in Kenntnis zu setzen, dass deren Sohn verstorben war.
Die beiden Anrufe, die Yasmin von ihrer Schwiegermutter bekommen hatte, seit der Tragödie im April, waren zur Farce geworden. Einmal hatte sie gesagt er habe geschäftlich nach Hamburg reisen müssen und komme erst in einer Woche wieder. Die zweite Lüge, vor knapp drei Wochen, war noch plumper ausgefallen, und beinahe wäre sie damit aufgeflogen.
Eigentlich war sie damit sogar der Wahrheit ein kleines Stückchen näher gewesen, da sie vorgegeben hatte, Andreas habe sich ein Bein gebrochen und müsse, weil es ein komplizierter Bruch wäre, daher einige Tage stationär im Krankenhaus verbringen.
Seine Mutter, geistesgegenwärtig und mit flinker Zunge ausgestattet, hatte umgehend verlangt die Nummer des Telefons zu erfahren, dass sie mit dem Krankenhaus und dem Apparat auf seinem Zimmer verband.
Yasmin schämte sich noch immer dafür, und es tat ihr schrecklich leid, dass sie darauf erwidert hatte, die Klinik stelle keine Telefone zur Verfügung, was natürlich nicht stimmte.
Sie war sich sogar sicher, ihre Gesprächspartnerin habe die Lüge ohne Mühe durchschaut, doch sie wurde nicht zur Rede gestellt, das Gespräch ging lediglich leicht unterkühlt weiter.
Für Yasmin fand sich derzeit im Trinken einfach eine Art geruhsame Erholung. Nach Andreas Ableben konnte sie dadurch ein Stück weit ihrer erbärmlichen Realität entfliehen.
Tatsächlich aber sah die Wirklichkeit ansonsten gar nicht so bitter aus. Etwa was den finanziellen Part anging. Für sie und die Kinder war mehr als gut gesorgt, obwohl sie weder einer Arbeit nachging, noch sonstige Einkünfte vorzuweisen hatte, da sie sich schlichtweg nicht mehr in der Lage sah ihren alten Job als Zahnarzthelferin jemals wieder auszuüben.
Andreas und sie hatten vor siebzehn Jahren geheiratet, zwei Jahre darauf war Rebecca zur Welt gekommen. Yasmin hatte damals schon den Rat ihres Mannes beherzigt, - so wie sie eigentlich jeden seiner Ratschläge befolgte -, nicht wieder ins Berufsleben einzutreten.
Beim zweiten Glas Wein angelangt, hing sie wieder ihren Erinnerungen an die Liebe ihres Lebens nach. Wäre ihr großer, attraktiver Mann nicht ebenso erfolgreich gewesen wie liebevoll, es stände weiß Gott schlechter um die Drei, die zurück blieben.
Andreas war im fünften Jahr ihrer Ehe, Rebecca wurde bald drei, Yasmin war noch nicht mit Erik schwanger gewesen, zum Firmenleiter der Kronenberg AG in Buchholz ernannt worden. Für diesen Posten war schon von vornherein nur ein Mann in Frage gekommen.
Man hatte schon Monate zuvor eine Abstimmung darüber abgehalten, wer dem amtierenden, kinderlosen Geschäftsführer nachfolgen sollte, wenn dieser abdankte und in Rente ging.
So steigerte sich damals das, ohnehin schon sehenswerte Gehalt von Andreas um beachtliche fünfzig Prozent. Er hatte in dieser Firma seine Ausbildung zum Industriekaufmann abgeschlossen und sich kontinuierlich, durch überragende Leistungen und innovative Neuerungen und Ideen, bis an die Spitze des Unternehmens vorgearbeitet.
Er hatte es damals so eingerichtet, dass für ihn und Yasmin eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen wurde, die von der Firma bezuschusst wurde, und auf deren Beitrag er noch dazu erhebliche Vergünstigungen bekam.
Der Erfolg der Firma profitierte von der Einfachheit ihres Produktes. Die Kronenberg AG stellte und stellt einen simplen Gegenstand des täglichen Bedarfs her: Die Fabrik in Buchholz, eine von sieben Filialen Landesweit, produziert einfache Kronkorken für Getränkeflaschen. Abnehmer des Millionenunternehmens sind namenhafte Hersteller von Bier, Mixgetränken und Softdrinks.
Ende des letzten Jahrzehnts hatte dann die Kronenberg AG noch eine eigene Biersorte auf den Markt geworfen, das in einer aus dem Boden gestampften Brauerei hergestellt und abgefüllt wurde. Somit wurde ein zweites Standbein geschaffen, das sich auf Anhieb gut rentierte.
Allein schon durch die Ersparnisse ihres Mannes, der generell wenig für Luxus ausgegeben hatte, und immer eine eiserne Sparpolitik durchgesetzt hatte, stand Yasmin ein Guthaben von mehr als 150,000 € auf zwei Bankkonten zur Verfügung. Durch gute Planung und einer eigentlich gar nicht notwendigen Sparsamkeit, hatten sie es sich auch erlauben können jedes Jahr Urlaub zu machen.
Ausgenommen in den Monaten der beiden Schwangerschaften, hatten sie gerne ein bis zwei Wochen auf Kanarischen Inseln, in Griechenland oder der Türkei verbracht.
Durch die Auszahlung der Lebensversicherung war eine noch erheblich stattlichere Summe hinzugekommen. Zuletzt gewährte auch noch die neue Geschäftsführung der Firma Kronenberg, der Witwe ihres früheren Leiters, eine fünf Jahre überdauernde Unterstützung von 1000,00 € monatlich.
Mitarbeiter und Angestellte, die lange Jahre mit Andreas zusammen gearbeitet hatten, hatten zudem noch Spenden gesammelt und an Yasmin überwiesen.
Das Haus war somit komplett Schuldenfrei, die monatlichen Kosten weitaus geringer als das was dafür in den kommenden dreißig oder vierzig Jahren vorhanden war. Alles in Allem verfügte sie im Moment über den Betrag von annähernd einer halben Million. Ein Teil davon war auf einem Festgeldkonto gut angelegt und warf eine beachtliche jährliche Verzinsung ab.
Ohnehin hatten Andi und sie ihr Eigenheim nicht nach Prunk und Protzbauten gewählt, es war mit fünf Zimmern geräumig aber nicht riesig, ein Garten von 450m² Größe war eher unauffällig, als weitläufig. Sie hatte den Jeep behalten, den großen schicken 7er BMW, den Andreas als Firmenwagen gefahren war, hatte sie, ohne ein Wimpern-zucken zurückgegeben.
Wohlig warm fühlte Yasmin den Alkohol wirken und machte sich kurz Gedanken, ob es nicht doch klug wäre, den Rat ihrer Tochter zufolge, auch einen Happen zu essen.
Sie musste sich eingestehen, dass sie nicht besonders gesund aussah. Sie hatte nach der Beerdigung erst einige Pfunde zugelegt, doch das Frust-fressen schon bald wieder aufgegeben.
Danach hatte ihr Gemüt, das in Trauer und Depres- sion umgeschlagen war, für das Gegenteil gesorgt.
Ist die Seele krank, wird auch der Körper krank,
darüber hatte sie etliche Artikel gelesen, zig wissen-schaftliche Studien erklärten die Wirkung von Stress,
rauer, Wut und anderen negativen Gefühlen in Be- zug auf den Hormonhaushalt, der das Immunsystem steuert.
Bis heute tat sie sich noch schwer überhaupt rege-lmäßig Nahrung zu sich zu nehmen. Entweder war
sie so beschäftigt, oder geistig einfach abwesend,
dass sie schlichtweg vergaß Etwas zu essen, bis der Hunger sie so richtig plagte, oder sie hatte, so wie heute, die schiere Unlust.
Antriebslos. Und warum auch? Antrieb? Wofür?
Damit ließen sich weder ihr körperlicher Zustand
noch ihre Psyche verbessern.
Sie wog bei einer Größe von nur Knapp einem Me-
ter und vierundsechzig schlappe siebenundvierzig
Kilo,und fand sich für eine Frau ihres Alters viel zu
knochig und dürr.
Doch ohne ihren Mann fehlte ihr ohnehin der Sinn
für die eigene Optik. Sie selbst hatte sich nie schön gefunden, es mangelte ihr heu-tzutage definitiv an
dem, was sie nur in Andreas´s Blick hatte lesen können. Nur wenn er sie angesehen hatte, erkannte wie sehr er sie begehrte, war sie sich einer gewissen
Ausstrahlung oder gar Attraktivität bewusst gewesen.
Dennoch; Rebecca hatte recht, sie musste etwas essen.