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Was ist Komplexität?

In der Alltagssprache wird komplex oftmals synonym zu kompliziert verwendet, das ist es aber nicht. Was erst einmal wie eine Spitzfindigkeit anmutet, sollten wir uns etwas genauer betrachten. Lassen Sie uns dafür einen Blick auf das CynefinCynefin-Framework1 werfen.

Das Cynefin-FrameworkCynefin-Framework

Das Wort Cynefin stammt aus dem walisischen und bedeutet übersetzt so viel wie Lebensraum. Es stammt von Dave SnowdenSnowden, Dave, der auch in einer Reihe sehr guter Videos im Internet sein Modell ausführlich erklärt.

Abb. 2:

Das Cynefin-Framework im Überblick (eigene Darstellung nach Dave Snowden)

Das Cynefin-Framework teilt sich in vier Quadranten sowie einen Bereich in der Mitte auf. Jeder Quadrant stellt dabei grob gesagt eine Kategorisierung von Problemen und Aufgaben dar.

Lassen Sie uns ein Beispiel anschauen. Es ist Samstag und die Sonne scheint. Berti hat sich vorgenommen den Rasen zu mähen. Also geht er in den Schuppen und sucht den Rasenmäher. Voller Motivation geht er nun mit seinem Rasenmäher in den Garten. Sicherlich stimmen Sie mir zu, dass das Rasenmähen eine als einfach zu kategorisierende Tätigkeit (rechts unten in der Abbildung) darstellt. Snowden beschreibt, dass man einfache Probleme mit einem Dreischritt aus Wahrnehmung, Kategorisierung und Reaktion behandeln kann. In diesem Beispiel würde Berti also den Rasenmäher betrachten (wahrnehmen), ihn als Rasenmäher erkennen (kategorisieren) und dann den Schalter zum Einschalten drücken. Dann schiebt er den Rasenmäher über den Rasen und erhält so das gewünschte Ergebnis: einen gekürzten und ordentlichen Rasen. In diesem Fall hat man es mit einer Best-Practice zu tun, also einem Vorgehen, das einfach als das naheliegendste und erwiesenermaßen Beste einzuordnen ist.

Kompliziert wird es dann (rechts oben in der Abbildung), wenn der Rasenmäher plötzlich den Dienst verweigert. In diesem Fall ist es für Berti, der ein technischer Laie ist, kein einfaches Problem mehr, den Rasenmäher wieder zum Arbeiten zu bewegen. So bleibt für Berti nur der Gang zum Experten, der sich mit Rasenmähern auskennt und eine Reparatur durchführen kann. Dieser sieht sich erst einmal den Rasenmäher genau an (wahrnehmen) und versucht herauszufinden, was das grundlegende Problem ist. Aufgrund seines Wissens und seiner Erfahrung kann er den Rasenmäher dazu auseinanderbauen und nachsehen, wo es klemmt (analysieren). Das Grundwissen dafür hat er sich angelesen und aus vielen vorhergehenden Reparaturen erweitert. Hat er das Problem erkannt, beginnt er mit der Reparatur (reagieren). In der Folge sollte der Rasenmäher wieder laufen. Berti verstaut diesen also wieder im Auto und fährt zufrieden nach Hause. Dort kann er die Gartenarbeit fortsetzen. Im Fall eines komplizierten Problems hat man es nicht mehr mit Best Practices, sondern mit Good Practices, also bewährten Vorgehensweisen, zu tun. Es gibt mit Sicherheit mehrere Wege, den Rasenmäher zu reparieren, die in den meisten Fällen funktionieren, aber nicht den einen offensichtlichen, der immer funktionieren wird. Eine gewisse Kreativität und Improvisationsgeschick sind hier von Vorteil.

Eine Woche später, es ist wieder Samstag, ist Berti allerdings faul. Er nimmt sich daher vor, jemand anderen dazu zu bewegen, diese Aufgabe zu erledigen. Damit wird es dann komplex (oben links in der Abbildung). Berti kann nicht durch Wissen den Vorgang beeinflussen. Er überlegt, seine Frau zu überreden, aber er ist nicht sich sicher, wie sie reagieren wird. Vielleicht ist sie gerade müde von einem anstrengenden Tag und überhaupt nicht in der Stimmung, noch den Rasen zu mähen. Vielleicht hat sie aber auch den ganzen Tag im Büro gesessen und ist ganz dankbar, dass es eine Aufgabe gibt, bei der sie sich ein wenig körperlich betätigen kann. Dann kommt ihm eine andere Idee: Er könnte auch seinen Sohn fragen und ihm eine Belohnung in Aussicht stellen. Aber wird dieser sich darauf einlassen? Wie auch immer, Berti wird ausprobieren müssen, wie sein Gegenüber auf die Aufforderung, den Rasen zu mähen, reagiert (experimentieren). Dann kann er beobachten, was passiert. Bietet er seinem Sohn fünf Euro für das Rasenmähen und nichts passiert (wahrnehmen), dann kann er es mit zehn Euro versuchen. Vielleicht hat er damit mehr Glück (reagieren). Oder er versucht es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.

Aus dem, was funktioniert hat, kann Berti dann Strategien für die Zukunft entwickeln. Dies nennt Snowden dann die emergenten Praktiken. Also Praktiken, die sich nach und nach entwickeln und anpassen. Im Gegensatz zu komplizierten Problemen kann man hier keine klaren Ursache-Wirkung-Beziehungen im Voraus erkennen. Egal wie gut Berti seine Familie kennt, er wird nie alle Informationen erfassen können, die ihm eindeutig vorhersagen, ob er seinen Sohn mit fünf Euro, mit zehn Euro oder einfach mit einer netten Bitte zum Rasenmähen bewegen kann. Das kann er erst nachher – retrospektiv –, nachdem er es ausprobiert hat. Allerdings sollte er dann auch nicht dem Irrglauben anhängen, dass beim nächsten Mal, wenn der Rasen wieder zu hoch ist, die gleiche Taktik zum gleichen Ergebnis führen wird.

Zuletzt beschreibt Cynefin noch chaotische Probleme (links unten in der Abbildung). Hier herrscht wirklich Chaos. Zum Beispiel ist es so gut wie unmöglich vorherzusagen, welches Muster die abgemähten Grashalme in der Auffangbox darstellen werden. Dies ist vollkommen zufällig und auch retrospektiv nicht zu rekonstruieren. Der Dreischritt sieht hier Handeln-Wahrnehmen-Reagieren vor und beschreibt komplett neue Praktiken. Wenn Ihnen das noch nicht chaotisch genug ist, dann können Sie sich noch mit Problemfeldern beschäftigen, die Snowden als Disorder bezeichnet. Hier gibt es keine erkennbaren Vorgehensweisen mehr.

Mit Hilfe des Cynefin-Frameworks können Sie Ihre Herausforderungen einschätzen und so eine passende Vorgehensweise wählen. Problematisch wird es, wenn Sie eine Fehleinschätzung vornehmen, denn dann können sich Probleme, die Sie vielleicht als „einfach“ eingeschätzt haben, schnell als „chaotisch“ herausstellen.

Für einen Überblick reicht es aber aus, ein grundlegendes Verständnis für die Unterscheidung zwischen komplizierten und komplexen Systemen aufzubauen. Mit diesem Verständnis können Sie nun die Taylorwanne noch einmal etwas genauer betrachten und sehen, dass das Scientific Management dort seine Stärken ausspielt, wo komplizierte Probleme zu lösen sind. Taylor war es gelungen, die Probleme wahrzunehmen, zu analysieren und dann Handlungsanweisungen abzuleiten, die dazu führten, dass die komplizierten Probleme sehr effizient gelöst werden konnten. In der anbrechenden Zeit der Wissensarbeit verschoben sich die Probleme mehr und mehr in die komplexe Domäne, wo Disruptionen plötzlich Märkte komplett umwandelten oder neue Technologien alte Lösungen überflüssig machten.

Umgang mit der Komplexität

Als angehender VUCA-Held sind Sie konfrontiert mit zwei großen Herausforderungen. Die erste Herausforderung besteht darin, dass Sie in der Lage sein müssen, das Problem richtig einzuschätzen und zu erkennen, wie es beschaffen ist.

Sie haben gesehen, dass Probleme, die durch Wissen zu beherrschen sind, die Sie analysieren und dann angehen können, komplizierte Herausforderungen darstellen. Dort, wo Sie nur sehr schwer Kausalzusammenhänge erkennen können und mit Wissen allein nicht mehr weiterkommen, begeben Sie sich in ein komplexes Umfeld.

Wenn man diesen Unterschied kennt, dann stellt die Findung einer passenden Strategie zur Problemlösung die zweite Herausforderung dar. Die meisten Strategien zur Problemlösung, die in Erziehung und Ausbildung vermittelt werden, sind eher auf komplizierte Problemstellungen ausgerichtet. Als Schüler wurden Sie darauf vorbereitet, Aufgaben zu analysieren und dann Lösungen dafür zu finden. Wenn Sie sich nicht bewusst sind, dass Sie es mit einem komplexen Problem zu tun haben, dann werden Sie sehr wahrscheinlich auf diese Strategien zurückgreifen, die Sie gelernt und verinnerlicht haben. Lösungsstrategien für komplizierte Probleme sind jedoch nicht geeignet, um komplexe Probleme zu lösen. Vor dieser Herausforderung stehen heute viele Unternehmen.

➤ Tipps für VUCA-Helden

Unterscheiden zu können zwischen komplizierten und komplexen Herausforderungen ist eine Grundvoraussetzung für den Erfolg in der VUCA-Welt.

1 Finden Sie zuerst heraus, mit was für einer Herausforderung Sie es zu tun haben.

Orientieren Sie sich an Hilfsmitteln, wie dem vorgestellten Cynefin-Framework, um Ihre Herausforderung einzuschätzen. Falls Sie noch eine etwas andere Sicht bekommen möchten, können Sie sich auch mit der Stacey-Matrix auseinandersetzen1. Wenn Sie unsicher sind, ob Sie es mit einem komplizierten oder einem komplexen Problem zu tun haben, deutet dies eher auf ein komplexes Problem hin. Starten Sie mit den Strategien für komplexe Probleme und passen Sie Ihre Vorgehensweise an, wenn Sie neue Erkenntnisse gewinnen.

 Können Sie eindeutige Kausalzusammenhänge erkennen?

 Sind diese Zusammenhänge in der Situation zu erkennen oder nur durch Nachbetrachtung?

 Waren Sie schon mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert und wie haben Sie sie bewältigt?

1 Schießen Sie nicht mit Kanonen auf Spatzen.

Sie haben nun ein Gefühl dafür bekommen, wie problematisch es wäre, ein komplexes Problem nicht als solches zu erkennen. Dies könnte Sie dazu verführen, auf Nummer sicher zu gehen und die Strategien für komplexe Probleme auf so ziemlich jedes Problem anwenden, das Ihnen begegnet. Aber emergente Praktiken erfordern viel Kommunikation, Feedback und auch Anpassungen. Wenn ein Problem erkennbar auf eine gewisse Art und Weise zu lösen ist, dann sollten Sie Good Practices einsetzen. Nicht für alle Aufgabenstellungen sind beispielsweise agile Vorgehensweisen hilfreich.

 Ist es für Ihre Aufgabe nötig, Experimente zu fahren oder gibt es Experten, die sehr genau wissen, was erwartet wird und sofort helfen können?

 Die Einschätzung eines Problems ist für sich schon eine komplexe Aufgabe. Wie können Sie sicherstellen, dass Sie schnell erkennen, ob Sie falsch liegen mit Ihrer Einschätzung?

1 Wenn Menschen involviert sind, wird die Aufgabe komplex.

Sie können sich auf eine Faustregel verlassen, die so gut wie immer gilt: Da, wo Menschen involviert sind und unterschiedliche Interessen und Sichtweisen aufeinandertreffen, haben Sie es mit komplexen Herausforderungen zu tun.

Menschen und ihr Verhalten sind nicht berechenbar. Sie verhalten sich manchmal – aus der Sicht anderer – irrational und unvorhersehbar. Da in der heutigen Welt der Mensch trotz aller Technologie wieder viel stärker in den Mittelpunkt gerückt wird, können Sie davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Herausforderungen komplex ist.

 Treffen in Ihrem Umfeld unterschiedliche Menschen, Perspektiven und Ziele aufeinander?

 Wie viel Kommunikation findet statt?

 Wie sind die Beziehungen zwischen den Menschen beschaffen?

 Wenn Sie nicht all diese Faktoren kontrollieren können, wie können Sie dann darauf hinwirken, dass Sie schnell merken, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert?

Roadmap durch die VUCA-Welt

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