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aa) §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG: Leitungssorgfalt des Vorstands

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Nach § 76 Abs. 1 AktG obliegt dem Vorstand als Teil der Leitungsverantwortung auch die Unternehmensüberwachung. Es ist eine der vorrangigen Aufgaben des Vorstands, für die Einhaltung der Gesetze und unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen.[4] Dies umfasst sowohl die Einhaltung der Gesetze durch den Vorstand selbst, als auch durch die Mitarbeiter des Unternehmens. Die Wahrnehmung der Leitungsverantwortung ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des Vorstands.[5] Daher ist der Vorstand hieraus zum Einschreiten verpflichtet, sofern Anhaltspunkte für schwerwiegende Verstöße in der Gesellschaft vorliegen.[6]

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Nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG haben Vorstandsmitglieder bei der Geschäftsführung, und damit auch bei der Unternehmensüberwachung als Teil der Leitungsverantwortung, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Als Teil dieser Leitungssorgfalt wird allgemein die Pflicht gesehen, Hinweisen auf Gesetzesverletzungen unverzüglich nachzugehen.[7] Die Vorstandsmitglieder müssen also Hinweisen auf Gesetzesverletzungen und andere Unregelmäßigkeiten durch Mitarbeiter immer und unverzüglich nachgehen.[8]

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Die Pflicht, bei Verdacht auf Gesetzesverstöße unternehmensinterne Untersuchungen durch Unternehmensangehörige durchzuführen, setzt den Vorstand einem großen Haftungsrisiko aus, sofern er dieser Pflicht nicht nachkommt. Dieses Risiko würde relativiert, wenn für die Entscheidung über das Einleiten von Untersuchungen (das „Ob“) die sog. Business Judgement Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Anwendung fände. Die Business Judgement Rule besagt, dass dann keine Pflichtverletzung i.S.d. § 93 Abs. 1 S. 1 AktG vorliegt, wenn der Vorstand eine unternehmerische Entscheidung trifft, bei der er zum Wohle der Gesellschaft ohne Beachtung von Sonderinteressen und sachfremder Einflüsse, auf Grundlage angemessener Information und in gutem Glauben handelt. Bei solchen Entscheidungen obliegt dem Vorstand dann also ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum. Hierdurch wird dem Vorstand die Möglichkeit eingeräumt, auch risikobehaftete Geschäfte vorzunehmen, sofern diese im Interesse der Gesellschaft sind, ohne dass die Vornahme selbst schon eine Pflichtwidrigkeit darstellt.[9] Letztlich spricht jedoch viel dafür, dass die Entscheidung über das „Ob“ einer Untersuchung keine unternehmerische Entscheidung darstellt, die durch die Business Judgement Rule privilegiert werden kann. Daher ist der Vorstand im Verdachtsfall stets zur Durchführung von Untersuchungen verpflichtet. Teilweise wird zwar angenommen, dass die Entscheidung über das „Ob“, als eine unternehmerische Entscheidung betrachtet werden kann,[10] sodass die Business Judgement Rule gilt.[11] Im Hinblick auf das ARAG/Garmenbeck-Urteil des BGH ist hiergegen anzumerken, dass ein unternehmerisches Ermessen allein im Handlungs-, hingegen nicht im Erkenntnisbereich zugesprochen werden kann.[12] Bei der Entscheidung, ob überhaupt nachzuforschen ist, soll nur ein begrenzter Beurteilungsspielraum bestehen.[13] Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, die lediglich von einem „Spielraum“ zur Abwägung ausgeht.[14] Gegen die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule spricht vor allem, dass die für § 93 Abs. 1 S. 2 AktG erforderliche „angemessene Informationsgrundlage“ gerade durch die Untersuchung erst geschaffen werden muss. Will der Vorstand eine vernünftige unternehmerische Entscheidung über Gegenmaßnahmen treffen, muss er sich durch eine Untersuchung zunächst ein Bild über die bestehenden Zustände verschaffen. Außerdem ist die Aufklärung von Verstößen originärer Bestandteil der Legalitätspflicht. Der Vorstand ist verpflichtet, sich selbst an Recht und Gesetz zu halten und für die Einhaltung in der Gesellschaft zu sorgen. Das Unterlassen jeglicher Aufklärungsbemühungen ist mit diesem Ziel jedenfalls nicht vereinbar. Zudem ist schon fraglich, ob die Frage über das „Ob“ einer Untersuchung überhaupt eine unternehmerische Entscheidung ist, die eine Auswahl aus mehreren tatsächlich möglichen und rechtlich zulässigen Handlungsoptionen beinhaltet,[15] einen Prognosecharakter hat, also auf die Zukunft gerichtet ist und gewisse Unwägbarkeiten beinhaltet.[16] Bei der Entscheidung darüber, ob bei einem Verdacht auf Verstöße Ermittlungen eingeleitet werden müssen, handelt es sich vielmehr um eine auf die Vergangenheit gerichtete Kontrollentscheidung, bei der nicht mehrere denkbare Optionen bestehen, sondern nur eine Auswahl zwischen Vornahme und Unterlassen. Bzgl. des „Ob“ der Untersuchungen ist dem Vorstand also kein Ermessensspielraum eingeräumt.[17]

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Insbesondere in großen Unternehmen mit vielen Hierarchieebenen ist jedoch fraglich und bislang nicht geklärt, ob der Vorstand selbst wegen jedem noch so kleinen Verstoß zu einer Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist. Unproblematisch ist bei Verdachtsmomenten in Bezug auf Personen, deren Auswahl dem Vorstand obliegt (Mitarbeiter der oberen Führungsebene), von einer Sachverhaltsermittlungspflicht auszugehen, da deren Überwachung auch gleichzeitig die Prüfung der Eignung für das jeweilige Amt darstellt.[18] Ebenso kann eine Untersuchungspflicht dann angenommen werden, wenn der betreffende Sachverhalt erhebliche Bedeutung für das Unternehmen und damit auch für die weiteren Leitungsentscheidungen des Vorstands hat.[19] Auch liegt es nahe, dass der Vorstand bei einem Verdacht oder bei Kenntnis von Gesetzesverstößen in der Gesellschaft nicht einfach untätig bleiben darf.[20] Da es in der Praxis jedoch eher unüblich ist, dass der Vorstand selbst die Untersuchungen durchführt, ist er dazu berechtigt, diese Aufgabe an untere Ebenen zu delegieren. Er ist dann nur noch für deren Auswahl, Einweisung und Kontrolle zuständig (siehe hierzu ausführlich Rn. 28 f.).

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Eine Pflicht zum Einschreiten obliegt dem Vorstand nicht nur bei Verstößen durch Mitarbeiter, sondern auch bei dem Verdacht auf Fehlverhalten durch Aufsichtsratsmitglieder.[21] Zwar ist es nicht die originäre Aufgabe des Vorstands, den Aufsichtsrat zu überwachen. Gleichwohl obliegt es dem Vorstand im Rahmen seiner vorrangigen Überwachungszuständigkeit, bei rechtswidrigen Beschlüssen oder Verhaltensweisen hiergegen einzuschreiten. In der Praxis stellt sich hierbei das Problem, dass der Vorstand über kein Handlungsinstrumentarium verfügt, um gegen den Aufsichtsrat vorzugehen. Letztendlich ist er darauf verwiesen, den Aufsichtsrat zu einer Erklärung über das Fehlverhalten und zur Abstellung aufzufordern. Führt dies nicht zum gewünschten Erfolg, muss der Vorstand die Hauptversammlung einberufen, damit diese über die Abberufung der betreffenden Aufsichtsräte entscheiden kann. Dennoch ist es in den letzten Jahren zu gravierenden Kompetenzüberschreitungen durch Vorstände von Aktiengesellschaften im Rahmen von Untersuchungen gegen Aufsichtsräte gekommen.[22] Dem Vorstand bleibt es hingegen unbenommen zu versuchen, die Vorwürfe gegen den Aufsichtsrat aufzuklären. Der Aufsichtsrat ist jedoch nicht gezwungen, sich zu Anschuldigungen zu äußern. Die Eingriffsmöglichkeit durch den Vorstand ist von besonderer Bedeutung, da nur der Vorstand den nötigen Einblick in die Vorgänge der Gesellschaft und die Tätigkeit des Aufsichtsrats hat, um auf Missstände reagieren zu können.

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