Читать книгу Internal Investigations - Dennis Bock - Страница 81
cc) Untersuchungen am Vorstand vorbei
Оглавление53
Grds. ist es Aufgabe des Vorstands, Ermittlungen in der Gesellschaft durchzuführen. Wie dargestellt, obliegt dem Aufsichtsrat nur die Überwachung des Vorstands. Es sind jedoch zumindest zwei Konstellationen vorstellbar, in denen der Aufsichtsrat ein Interesse daran haben kann, am Vorstand vorbei Untersuchungen durchzuführen und Unternehmensangehörige zu befragen. Dies kann zum einen Ermittlungen gegen den Vorstand selbst betreffen, wenn dieser schwere Verstöße begangen hat und Unternehmensangehörige unterer Ebenen hierzu relevante Informationen preisgeben könnten.[110] Zweitens ist denkbar, dass Ermittlungen gegen Unternehmensangehörige durchgeführt und diese befragt werden sollen, da der Vorstand solche Ermittlungen trotz ausreichender Anhaltspunkte unterlässt.
54
Die Kontrollintensität durch den Aufsichtsrat hängt auch von der Risikolage des Unternehmens ab. Geht der Vorstand erhebliche Risiken ein, so muss der Aufsichtsrat selbstständig Informationen einholen und sie einer eigenständigen Bewertung unterziehen.[111] Allerdings kann sich auch eine in besonderem Maße gesteigerte Kontrollintensität in keinem Fall zu einer eigenständigen Führungsverantwortung des Aufsichtsrats verdichten.[112]
55
Nach herrschender Ansicht liegt das Informationsmonopol in der AG beim Vorstand.[113] Der Aufsichtsrat muss daher eigentlich jegliche Informationen über den Vorstand beziehen. Dies soll verhindern, dass der Aufsichtsrat unmittelbar in die Geschäftsführung des Vorstands eingreift.[114] Dieser Grundsatz ist ebenso in den Prüfungs- und Berichtsanforderungsrechten des Aufsichtsrats aus § 111 Abs. 2 S. 1 AktG und § 90 Abs. 3 S. 1 AktG manifestiert, die sich grds. nur gegen den Vorstand richten. Ein direktes Zugriffsrecht des Aufsichtsrats auf benötigte Informationen ist nicht vorgesehen.[115] Eine Berechtigung des Aufsichtsrats, Angestellte unmittelbar zur Berichterstattung heranzuziehen würde dem ebenfalls widersprechen. Allerdings versucht ein Teil der Literatur, dies zu umgehen, indem es dem Aufsichtsrat das Recht zuspricht, Angestellte als Sachverständige nach § 111 Abs. 2 S. 1 AktG heranziehen zu können.[116] Lehnt man die Heranziehung über § 111 Abs. 2 S. 1 AktG insbesondere mit dem Argument ab, dass ihnen die für einen Sachverständigen erforderliche Neutralität und Objektivität fehlt,[117] bleibt nur der Rückgriff auf § 109 Abs. 1 S. 2 AktG als Rechtsgrundlage.[118] Hiernach können auch Auskunftspersonen bei der Beratung über einzelne Gegenstände in Aufsichtsratssitzungen zugezogen werden. Auskunftspersonen können dann auch Mitarbeiter der Gesellschaft sein.[119]
56
Im Vordringen ist allerdings die Ansicht, ein Recht des Aufsichtsrats zu bejahen, sich direkt bei den Mitarbeitern nach § 90 AktG zu informieren, wenn der Vorstand seine Pflichten schwerwiegend verletzt hat[120] und über den restlichen Vorstand keine Abhilfe zu erlangen ist.[121] Bzgl. des Fehlverhaltens des Vorstands muss bereits ein „dringender“ oder „begründeter“ Verdacht dahingehend bestehen, dass dieser seiner Berichtspflicht nicht vollständig nachgekommen ist.[122] Eine reine Vermutung oder ein bloßer Anfangsverdacht kann nicht genügen, um ein Recht zur Befragung der bzw. Berichterstattung durch die Angestellten zu begründen.[123]
57
Ein Direktzugriff auf Informationen am Vorstand vorbei kann auch dann nicht mehr verwehrt werden, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand schon erheblich gestört ist oder der Vorstand sich weigert, gewünschte Informationen zu beschaffen. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn im Raum steht, dass der Vorstand selbst an aufzudeckenden Unregelmäßigkeiten beteiligt ist oder war.[124] Die Befragung der Mitarbeiter dient dann nicht dazu, Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands kompetenzwidrig vorzunehmen, sondern dazu, die Überwachungsaufgabe gegenüber dem Vorstand wahrzunehmen.[125]
58
Bei dem Verdacht einer Pflichtverletzung durch den Vorstand selbst, muss der Aufsichtsrat zur Erfüllung seiner Vertretungspflicht gem. § 112 AktG den gegen den Vorstand bestehenden Vorwurf dann auch soweit untersuchen, bis er das Verhalten des Vorstands eigenverantwortlich prüfen kann.[126] Um die Objektivität der Untersuchung und den Ruf des Unternehmens nicht zu gefährden, sollte ein unter schwerwiegendem Verdacht stehendes Vorstandsmitglied bis zum Abschluss der Prüfung von seinen Tätigkeiten entbunden werden.[127]
59
Die Anforderungen an die Zulässigkeit der direkten Befragung der Mitarbeiter durch den Aufsichtsrat sind sogar noch strenger zu beurteilen als bei der eigenmächtigen Informationsbeschaffung.[128] Durch die Einbeziehung der Mitarbeiter besteht die Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sowie Vorstand und Mitarbeitern erheblich beeinträchtigt wird.[129] Denn durch die Einbeziehung der Mitarbeiter wird publik, dass zwischen Aufsichtsrat und Vorstand kein Vertrauen mehr besteht, da sich der Aufsichtsrat sonst direkt an den Vorstand wenden würde. Dies kann dazu führen, dass auch die Unternehmensangehörigen an der Integrität des Vorstands zu zweifeln beginnen. Ein Recht zur direkten Befragung der Mitarbeiter der Gesellschaft kann nur für den Fall bestehen, dass der Aufsichtsrat gegen den Vorstand ermittelt. Die Befragung ist dann von der primären Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats gedeckt.
60
Gegen die Mitarbeiter selbst darf der Aufsichtsrat hingegen in keinem Fall ermitteln. Dies ist in jedem Fall Teil der aus §§ 76, 93 AktG resultierenden Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands[130], in die der Aufsichtsrat nicht eingreifen darf.
61
Vom direkten Zugriff auf die Mitarbeiter durch den Aufsichtsrat ist der Zugriff auf die Interne Revision zu unterscheiden. Der durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) 2009 neu eingefügte § 107 Abs. 3 S. 2 AktG regelt, dass die Überwachung der Wirksamkeit des Internen Revisionssystems zu den grundlegenden Aufgaben des Aufsichtsrats gehört.[131] Vor der Einführung des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG ging man grundsätzlich von dem Informationsmonopol des Vorstands aus und billigte dem Aufsichtsrat nur in außergewöhnlichen Einzelfällen ein Direktzugriffsrecht auf die Interne Revision zu. Ein Direktzugriff sollte insbesondere dann möglich sein, wenn Zweifel an der Aufrichtigkeit des Vorstandshandelns[132] oder schwerwiegende Verdachtsmomente gegen den Vorstand bestanden und eine anderweitige Aufklärung nicht möglich erschien.[133] Lag ein solcher außergewöhnlicher Ausnahmefall nicht vor, musste der Vorstand den Leiter der Internen Revision zur Berichterstattung an den Aufsichtsrat ermächtigen oder der Aufsichtsrat von seinen oben genannten Einsichts- und Prüfungsrechten Gebrauch machen, die auch das Anfordern der Unterlagen der Internen Revision über den Vorstand umfassen konnten. Da seit 2009 die Überwachung der Wirksamkeit des Internen Revisionssystems zu den Kernaufgaben des Aufsichtsrats gehört, wird von vielen Seiten diese Beschränkung in Frage gestellt und teilweise für einen Direktzugriff auf die Informationen der Internen Revision als Regelfall plädiert.[134] Unter Berufung auf den neuen Wortlaut des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG und der daraus resultierenden Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats wird insbesondere vorgebracht, dass ohne einen Direktzugriff die Gefahr besteht, dass der Vorstand die durch die Interne Revision erlangten Informationen filtert.[135] Es bestehe auch eine prinzipielle Gefahr für die Effektivität der Überwachung, wenn der Informationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Interner Revision eingeengt wird.[136] Außerdem bleibe die Interne Revision auch nur eine Informationsquelle und werde nicht Gegenstand der Untersuchungen, so dass nicht direkt in die Geschäftsleitung des Vorstands eingegriffen würde.[137] Dagegen spricht allerdings, dass bei einem Direktzugriff auf die Mitarbeiter der Internen Revision die Gefahr besteht, dass das Vertrauensverhältnis innerhalb der Gesellschaftsorgane beeinträchtigt wird. Als gewichtiges, wenn auch dogmatisches Argument gegen einen Direktzugriff ist weiterhin vorzubringen, dass das dem deutschen Aktienrecht zugrunde liegende Dualsystem hierdurch „verwässert“ wird.[138] Anders als im anglo-amerikanischen Gesellschaftsrecht besteht für die deutschen Aktiengesellschaften das Prinzip der Funktionstrennung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand[139] sowie eine Leitungsautonomie des Vorstands,[140] welche auch die Einrichtung der Internen Revision umfasst.[141] Weiterhin ändert die Übertragung der Überwachung der Internen Revision an den Aufsichtsrat grundsätzlich nichts daran, dass der Vorstand primärer Ansprechpartner für den Aufsichtsrat bleibt (s.o.).[142] Doch selbst wenn man dem Aufsichtsrat einen Direktzugriff auf die Interne Revision zubilligt, ändert dies nichts daran, dass dem Aufsichtsrat dennoch kein Recht zur originären Einleitung von internen Untersuchungen und der eigenständigen Aufklärung von Verstößen zukommt. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die durch die Interne Revision beschaffbaren Informationen zu einer umfassenden Aufklärung von Verstößen regelmäßig nicht ausreichen werden. Diese Informationen können lediglich als Anhaltspunkt für das Vorliegen von Verstößen genutzt werden, bieten jedoch keinen Ersatz für die Befragung von Mitarbeitern.