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Vorwort bzw.: Versuch einer Erklärung
Оглавление»Ich bin unsichtbar.«
Ein Mann in einer Zelle, die der Leser anfangs noch in einem - vielleicht US-amerikanischen - Hinrichtungstrakt verortet, und eine allmorgendlich erscheinende Putzfrau, die mit proletarischer Laxheit seine Befindlichkeiten kommentiert (ohne je mit ihm wirklich zu kommunizieren) und damit die Beklemmnis seiner Gefangenschaft Lügen straft; das sind die beiden Gegenpole der Geschichten aus der Todeszelle, welche immer weniger als beschriebenes Abbild einer äußerlichen, realweltlichen Einrichtung erscheint, sondern sich Szene für Szene in etwas verwandelt, das man vage als das inneres Gefängnis der Seele umschreiben kann.
Der Mann trägt Schuld. Man ahnt die Tat, den Mord, den er begangen hat oder er zumindest glaubt, begangen zu haben, doch zugleich ist er selbst Opfer eines im wahrsten Sinne des Wortes ‚hingeschissenen’ Daseins, sein Körper ist die Hülle des Teufels Exkremente, welcher ihn damit geformt und zu seinem Ebenbild gemacht hat.
Während der Mann sich mit beängstigender Gleichgültigkeit auf seine Hinrichtung vorbereitet, er Abschied nimmt von seinen Mitgefangenen und dabei die (un-) vorstellbaren Arten des eigenen Todes durchspielt, abstrahiert sich des Lesers Blickwinkel auf seine Zelle unmerklich hin zu einem metaphorischen Blick auf alle möglichen endzeitlichen Zellen, profane wie metaphysische, in denen er oder der Mensch an sich gefangen ist oder aber in die er sich hineingeflüchtet hat vor Schule, Arbeit oder die ihn bis in den letzten Lebenswinkel dominierende Familie, sie ist trautes Heim, Zoo, Gotteshaus und Hort unerfüllter, wenn nicht unerfüllbarer Sexualität, und als der Mann unter traumhaft traumatischen Umständen seine untere Körperhälfte verliert, ist sie alsbald sein Alters- oder Sterbeheim. Zugleich ist die Zelle die wahre Heimat, in die es ihn, nachdem er ihr tatsächlich entfliehen kann und draußen nach der vermeintlich wahren sucht, zurücktreibt, um sich ihr und der Brutalität dessen, was ihn darin erwartet, mit Hingabe zu unterwerfen.
Die von 2008 bis 2011 für die Internetplattform www.unruhr.de aufgeschriebenen Geschichten aus der Todeszelle sind weder eine lose Textsammlung - dafür stehen sie zu sehr miteinander - auch (mehr oder weniger) chronologisch - in Verbindung -, noch sind sie zusammengenommen ein in sich konsistenter Text - dafür fehlt ihnen jegliche textuelle - in sich schlüssige, innere - Logik, geschweige denn so etwas wie eine auktoriale, also übergeordnete, rahmenbildende oder gar kategorische Wahrheit.
Die Geschichten aus der Todeszelle sind die Leichen in unseren Kellern, Albträume, die wir morgens vergessen haben wollen, abgründig verstörende Trips, die drei Akte, 53 Szenen und zwei Zwischenspiele lang nicht nur kein Ende finden, sondern sich tiefer und tiefer in das innere Todesgefängnis menschlichen Seins hineinschrauben, ein psychedelisch-halluzinogenes Stakkato immer absurder gerierender körperlicher, geistiger und seelischer Deformationen, das bestenfalls dem Namen des Verlags zu - wenn auch falscher - Ehre gereicht.
Und immer, wenn man meint, dass es nun schlimmer nicht kommen könne, kommt es doch.