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1. Szene: Unsichtbar

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Ich bin unsichtbar.

Ich glaube, ich könnte die Zelle verlassen, wenn ich wollte.

Die Leute nehmen mich nicht wahr.

Ich existiere nicht.

Wenn morgens die Putzfrau kommt, dann erschreckt sie jedes Mal, wenn ihr Wischmob gegen meine Füße klatscht.

Am Anfang bin ich immer auf die Pritsche gesprungen. Doch jetzt bleibe ich einfach stehen, stelle mich sogar so hin, dass sie mich schon beim Reinkommen sehen MÜSSTE. Aber sie blickt stur auf den Beton oder schwatzt mit ihrer Kollegin, die draußen vor der Zellentür eine raucht. Und wenn ich versuche, mitzureden, eine Lücke abpasse, eine WORTPAUSE, und ich einen Satz anfange, fängt auch sie wieder an. Redet einfach durch, trampelt meinen angefangenen Satz nieder wie Gras, latscht drüber weg, als wäre mein Satz nichts. Nichts, das man hören müsste.

Darum warte ich jetzt immer auf den Schlag ihres Schrubbers. Wenigstens dann schaut sie mich an: Ihre Augen sehen meine Augen, sehen IN meine Augen und ich habe das Gefühl, dass das etwas auslöst. Plötzliches Erkennen: »Hoppla, da steht ein Mann!«

Nichts Großartiges, kein Staunen, nur der kurze Schreck darüber, dass das Hindernis LEBT.

Sie denkt nicht darüber nach, was der Mann da soll. Dass der Mann der Grund ist, diese Zelle zu putzen. Dass es ZUSAMMENHÄNGE gibt. Sie denkt nicht an so etwas. Sie denkt bloß: ein Mann. Fertig. Kein Attribut, kein »Oha, ein gut aussehender Mann«, oder »was für ein hässlicher Mann!«, oder »Dank Dir, Mann, dass ich ARBEIT habe!« Nichts. Doch ich bin froh, wenn sie mich überhaupt ansieht. Dann weiß ich, dass ich da bin. Und nicht einfach durch die Gitter gehen könnte.

>>> Kommentar der Putzfrau: »Komischer Typ. Die Zelle astrein. Geht am schnellsten. Kein Dreck, Bettzeug immer sauber, und die Klobrille erst: kann man von essen. Als wär' da keiner. Krieg ich ne Gänsehaut, ehrlich.«

Geschichten aus der Todeszelle

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