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I M P R E S S U M

Eine Ahnung von Leben

Detlef Haus

© 2015 Detlef Haus.

Alle Rechte vorbehalten.

Autor: Detlef Haus

Ahornstrasse 5, 17039 Wulkenzin

E-Mail: detlefhaus@live.de

ISBN: 978-3-98551-691-9

Ein Ausflug

Dieser Sonnabendmorgen war nebelig und kalt. Ich konnte die Nacht vor Aufregung nicht richtig schlafen und war hundemüde, als Mutter mich weckte.

„Muss das gerade heute sein?“, sagte ich und war gedanklich schon bei meinem Trainer.

Herr Fiedler war eigentlich ein netter Mann, wie ich fand, aber wenn auf dem Platz keine Leistung kam, war er mit einem Mal wie verwandelt, und was er sagte, war nicht mehr nett.

Auch wenn ich erst 8 Jahre alt war, empfand ich die Art und Weise, uns zu motivieren, manchmal schon als eine Zumutung. Die aus seiner Sicht wahrscheinlich gut gemeinten Weisheiten wie „Was euch nicht umbringt macht euch härter ...“ waren selbst für unser kindliches Bewusstsein klar verständlich. Auch wenn mir nicht nach Frühstück zumute war, drängte Mutter darauf, und da ich einer möglichen Diskussion an diesem Morgen aus dem Wege gehen wollte, ließ ich es über mich ergehen.

„Hast du auch alles eingepackt, das Dress und die Fußballschuhe?“, fragte sie.

Ich dachte kurz nach, und mit einem abwesenden „Ja“ war ich auch schon aus der Tür.

Wir sollten uns um 9 Uhr auf dem Sportplatz in Neuburg treffen. Ich hatte mir angewöhnt, wenn irgend möglich, etwas früher zu Verabredungen wie auch zum Schulbeginn zu erscheinen.

Einige Lehrer reagierten sehr streng, wenn Schüler aus irgendwelchen Gründen zu spät zum Unterricht kamen. Herr Fiedler war einer dieser strengen Lehrer, und mir reichte es, mit anzusehen, wie er jedes Mal die Mitschüler, die zu spät kamen, mit Beschimpfungen und Zusatzhausaufgaben „motivieren“ wollte, einfach pünktlich zu sein.

Er zitierte zu gerne seinen Vater, der als Maurer auf dem Bau gearbeitet hatte, mit dem Spruch: „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Mauers Pünktlichkeit“.

Wir konnten es alle nicht mehr hören, aber irgendwie schien mir diese Vorgehensweise auch ihre Vorteile zu haben. Zumindest diesbezüglich hatte ich mit Herrn Fiedler keine Schwierigkeiten, und gerade an diesem Morgen sollte das auch so bleiben.

Als ich nach guten 20 Minuten mit meinem Fahrrad auf dem Sportplatz ankam, waren Herr Fiedler, Matthias und Dirk schon da. Herr Fiedler fragte alle weiteren Ankömmlinge sofort, ob jeder denn auch das Dress und die Fußballschuhe mithat.

Es war für uns alle das erste offizielle Fußballspiel, und insofern war jegliche Nachfrage auch berechtigt, wie sich beim späteren Umziehen herausstellte.

Dieses erste Spiel war ein Freundschaftsspiel gegen einen alten Lokalrivalen, die „SG Zetor Benz“. Trotz unserer Unerfahrenheit war für unseren Trainer die Marschrichtung klar, wir, das Team von „Traktor Steinhausen“ können nur als Sieger vom Platz gehen.

Traktor Steinhausen wurde nicht nur gute zwölf Jahre vor der SG Zetor Benz gegründet, sondern sogar einen Monat vor der Deutschen Demokratischen Republik. Wir konnten uns aussuchen, welcher Anlass mehr verpflichtend war.

Es spielte auch keine allzu große Rolle, dass wir aufgrund unseres Alters ein natürliches Desinteresse an dieser Art von Motivationshintergrund hatten. Wir nahmen es so hin und redeten uns ein, dass das alles seine Richtigkeit hat.

Mittlerweile waren wir vollständig und kamen sogar relativ pünktlich los. Klar war, dass wir mit dem Fahrrad zum Spiel fahren mussten. Der Weg erwies sich als anstrengender und weiter als gedacht. Der Nebel und die Kälte wollten einfach nicht weichen, und so fuhren wir durch ein für alle unbekanntes Terrain auf schlechten, kraftzehrenden Feld- und Waldwegen.

Die ganze Gegend hatte durch den Nebel ein eigenartiges, etwas grusliges Aussehen, und mir kamen Erzählungen von meinem Onkel Georg in den Sinn, der von genau solchen kalten und nebligen Gegenden aus seiner Kriegsgefangenschaft in Russland erzählt hatte.

Mir lief bei diesem Gedanken ein kalter Schauer über den Rücken, und ich gab mir doppelt so viel Mühe, nicht den Anschluss an die Gruppe zu verlieren.

Obwohl wir noch gar nicht weit gefahren waren, ich schätzte vielleicht fünf bis sechs Kilometer, fand ich es irgendwie komisch, dass ich so nah an meinem Heimatort die Gegend nicht mehr kannte.

Ich beschloss, dass sich das nach unserer Rückkehr in den kommenden Wochen ändern muss. Herr Fiedler rief:

„Kommt Jungs, lasst uns eine kurze Pause machen, ihr fallt mir sonst vor Schwäche auf dem Platz noch um.“

Trotz der Aufregung willigten alle sofort ein. Es war abenteuerlich anzusehen, auf welchen Fahrrädern wir unterwegs waren. Bis auf das Fahrrad vom Trainer bot sich ein erbärmliches Bild. Kein Fahrrad hatte seine ursprünglichen Bestandteile, sowohl eigenwillige Farbkombinationen als auch wild zusammengebaute technische Teile vermittelten den Eindruck einer verwegenen Truppe junger Abenteurer.

Es bestand jederzeit die reale Gefahr, dass jemand aufgrund eines technischen Defekts liegenblieb und wir alle womöglich zu spät zum Freundschaftsspiel kamen. Da nur der Trainer die Strecke kannte, mussten wir auf unser Glück hoffen.

Nach ungefähr einer Stunde kamen wir in Benz an. Obwohl wir wie im Training nur auf dem Halbfeld spielen sollten, konnten wir aufgrund des Nebels nicht mal von Tor zu Tor sehen. Wir dachten schon, dass diese ganze Quälerei der Anfahrt umsonst gewesen war. Diese Zweifel waren aber unbegründet, und nach kurzer, verhaltener Begrüßung mit unserem Gegner ging es auch schon in die Kabine zum Umziehen, und die ganze Pracht der Ausrüstung kam nun zum Vorschein.

Beim Anblick der auf dem Boden verteilten Fußballschuhe musste ich sofort an die Pause auf der Anfahrt und den chaotischen Anblick der Fahrräder denken, hier bot sich ein ähnliches Bild. Ich dachte an die Schwierigkeiten beim Versuch, in Wismar passende Fußballschuhe zu bekommen. Mutter und ich hatten es dort mehrere Male versucht und irgendwann eine Art von Mitleid bei der Verkäuferin erweckt. Diese gab uns dann über eine Lieferung in der kommenden Woche den entscheidenden Tipp.

Auch wenn aus dem erhofften Schuhmodell ein unverhofftes geworden war, so hatte ich zumindest mein erstes Paar Fußballschuhe vor mir liegen.

Andere wie Dirk, Günter und Bernd müssen ähnlich ausdauernd mit ihren Eltern vor Ort in Wismar gewesen sein, um in einem der beiden Sportgeschäfte das gleiche Glück zu erzwingen. Wenn jemand nichts erzwingen musste, hatte er meistens Beziehungen, wir hatten die leider nicht.

Matthias, der natürlich auch neue Fußballschuhe hatte, war einer dieser Glücklichen und zeigte das auch gerne. Der Rest der Mannschaft war mit verschiedenen Hallenschuhen ausgestattet, die bei dem Wetter nun gar nicht zu gebrauchen waren.

Herr Fiedler wusste um die Schwierigkeiten der Beschaffung und übersah dies scheinbar, wohlwissend, dass es bei den Platzverhältnissen zur Rutschpartie kommen und das unter Umständen den sicher erhofften Sieg kosten könnte.

Noch bunter wurde es bei den Trikots, Hosen und Stutzen. Da wir zwei unterschiedliche Kleidersätze hatten, war es anscheinend einer mangelhaften Abstimmung geschuldet, dass nahezu die Hälfte die roten Dresse eingepackt hatte und der Rest die blauen.

Unserem Trainer verschlug es fast die Sprache, aber es war zu spät, um etwas ändern zu können. Es passte irgendwie alles zu diesem Tag und endete entsprechend entgegen der ausgegebenen Parole „Nur der Sieg zählt“ mit einer deftigen Niederlage.

Eine Parole, die mir in der Zukunft noch des Öfteren begegnen sollte.

Wir fuhren müde und der Niederlage wegen unglücklich auf unseren Fahrrädern die beschwerliche Strecke zurück. Was wir da noch nicht wussten, und das war das einzig gute Ergebnis an diesem Tag:

Eine Anreise mit dem Fahrrad sollte es nie mehr geben.

Am nächsten Tag hatte keiner auch nur einen Gedanken an Fußball. Wir trafen uns ansonsten so oft es ging, um einfach zu bolzen, aber der Fahrradausflug nach Benz verlangte eine Pause vom runden Leder. Das war mir ganz recht, denn Bernd und Paul, meine Nachbarn und Spielkameraden, zog es immer wieder in die verschiedenen Wälder, die uns mal größer und mal kleiner umgaben und stellenweise mit kleinen Bächen durchzogen waren, die sich wiederum für aufregende Aktivitäten eigneten.

Paul war zwei Jahre älter als Bernd und ich und hatte neben handwerklichen Fähigkeiten gute Ideen, wie man diese Landschaft nutzen konnte. Voraussetzung war natürlich eine minimale Form der Bewaffnung.

Ein Messer war Pflicht und unbedingte Voraussetzung, um die Ideen von Paul auch umzusetzen. Ich war hier gut ausgerüstet und stolz auf meines, wobei mir gar nicht klar war, wo das Messer eigentlich herkam. Es war für mich nahezu ein Original aus irgendeinem Cowboyfilm: der gleiche Griff wie ein Bowiemesser, ein kleines Parier-Element zwischen Klinge und Griff und dann eine fünfzehn Zentimeter lange Klinge mit einem kleinen Entenschnabel.

Ich konnte es nicht nur sehr gut zum Schnitzen benutzen, denn wir hatten viel zu schnitzen, sondern es hatte auch den richtigen Schwerpunkt und warf sich somit auch sehr gut, sodass auch ein Feind auf Distanz ohne Probleme zur Strecke gebracht werden konnte. Neben dem Messer brauchten wir ohne Frage auch einen Colt, hier blieb nur, einen zu schnitzen.

Paul bewies besonderes Talent, und Bernd und ich versuchten nur irgendwie, an das Original heranzukommen.

Die eigentliche Herausforderung kam dann jedoch im Kampf. Es war immer wieder die gleiche Frage zu beantworten, wenn wir hinter Bäumen und Büschen versteckt auf den Gegner lauernd einen Schuss abfeuerten, der mit einem lauten, nachempfundenen Geräusch aus uns herausbrach.

War der andere getroffen oder eben nicht?

Darüber konnten wir uns trefflich streiten, und so manches Mal gingen wir im Streit auseinander. Das hielt aber nie lange an, und so trafen wir uns zum nächsten Abenteuer.

Besonders gerne sprangen wir über die Bäche oder über kleine Schluchten. Hierzu schnitzten wir aus Weiden zirka 3 Meter lange Stangen und machten eine Art Stabseitsprung. Das war nicht immer ganz gefahrlos und führte über nasse Sachen, wenn wir eben im Bach landeten, auch schon mal zu verstauchten Knöcheln und anderen Blessuren.

Das gehörte einfach dazu, der Indianer kennt ja schließlich auch keinen Schmerz.

Baumhäuser in luftigen Höhen, Erdhöhlen, Staudämme, geköpfte Hühner, die wir versuchten über einem Feuer garzubekommen, es ging immer irgendetwas. In der Woche fehlte uns durch die Schule die Zeit für ausgedehnte Ausflüge, und so kam uns die riesige Scheune in der Mitte des Dorfes gerade recht.

Eigentlich war es verboten, dort zu toben, aber das berührte uns nicht weiter, denn es wurde kaum kontrolliert.

Die Scheune war 40 Meter lang, 30 Meter breit und im Dachfirst 15 Meter hoch. Gut gelegen unweit von unserem Garten. Durch die Holzkonstruktion und die notwendigen Versteifungen ließen sich sehr einfach Seile befestigen, an denen wir dann durch die Scheune schwebten und uns einfach fallenließen.

In der Regel war die Scheune besonders zu den Seiten hin mit Heu vollgestopft, und durch die unterschiedliche Entnahme und Bestückung ergaben sich immer wieder andere Heuhaufen, auf die man fallen oder springen konnte.

Ein ähnliches Spiel ergab sich kurz nach der Ernte, wenn Heu lose auf den Feldern zu Mieten gestapelt wurde oder Heuballen zu großen Mieten auf dem LPG-Gelände standen.

Die Möglichkeiten gingen einfach nicht aus. Wenn das Wetter nicht mitspielte, ging es auf den Heuboden von Paul und Bernd. Über dem Stahl war der halbe Dachboden mit Heu vollgestopft, und so war für den Notfall immer gesorgt.

Eine Ahnung von Leben

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