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Das Dorf

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Das Leben in unserem Dorf hatte für mich etwas von einer Insel, und auch wenn ich bis dahin noch auf keiner Insel gewesen war, so musste es dort zumindest sehr ähnlich sein.

Mein Lebensbereich beschränkte sich im Wesentlichen, schon durch die Tatsache, dass meine Familie kein Auto hatte, auf einen Bewegungsradius von ungefähr vier Kilometern. Es bestand auch nicht wirklich die Notwendigkeit, sich von dieser „Insel“ an Land zu begeben, denn unser Dorf hatte aus meiner Sicht alles, was notwendig war: den Konsum, das Kulturhaus mit der Kneipe und dem Tanzsaal im Erdgeschoss, darüber die Einrichtungen der Kampfgruppe, die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, kurz LPG genannt, die Ställe, die Post, den Kürschner und nicht zuletzt den Kindergarten, in dem ich bis zur Einschulung untergebracht war.

Wir waren eigentlich sogar in der komfortablen Situation, dass wir alles doppelt zur Verfügung hatten, denn ganz in der Nähe, nur durch ein schmales Waldstück getrennt, befand sich der große Bruder unseres Dorfes.

Zusammen waren wir Neuburg- Steinhausen. Wir Steinhausen, die anderen Neuburg.

Es war nie wirklich eine Rivalität zwischen den Dörfern, aber irgendwie empfand ich uns doch als eine Art Anhängsel. Dieses Anhängsel verlieh aber unserem Fußballverein seinen Namen, und das brachte uns gefühlt dann doch wieder auf eine Stufe.

Neuburg war schöner. Die Anlage des Dorfes strömte allein durch die abwechslungsreiche Landschaft mit den unterschiedlichen Höhenzügen, die sich waldreich ab der Mitte des Dorfs integrierten, eine für mich unglaubliche Gemütlichkeit aus. Einer dieser Höhenzüge in der Mitte von Neuburg war am höchsten gelegen und im Laufe der Jahre zu einem Platz für Veranstaltungen umfunktioniert worden.

Ähnlich wie die Hauptburg südlich von Wismar, die dem Land den Namen Mecklenburg gab, gab es in grauer Vorzeit auch hier eine Befestigungsanlage.

Nun wurde hier allerdings nicht mehr gegen fremde Stämme verteidigt und gekämpft, der Kampf war bei den Volksfesten eher ein Wettkampf mit dem Alkohol.

Es musste in der Geschichte dieses über Jahrhunderte heidnischen, freien Volkes, der Mecklenburger, gelegen haben, die, wie ich aus dem Geschichtsunterricht von Herrn Fiedler erfuhr, zwar immer arm gewesen waren, sich aber bis aufs Messer gegen die Christianisierung gewehrt hatten.

Es war dieses ganze Elend von Leibeigenschaft, Frondiensten, dem Recht der ersten Nacht und anderen Qualen.

Selbst als im benachbarten Preußen die Leibeigenschaft aufgehoben wurde, änderte sich in Mecklenburg noch lange nichts.

Ich dachte mir, dass es das aus alter Zeit immer noch gefühlte Elend war, oder die durch die ewige Unterdrückung vorhandene Rückständigkeit, die viele das Leben nur im Delirium ertragen ließ.

Wie auch immer, ob nun der erste Mai als Kampftag der Arbeiterklasse oder welche Veranstaltung es auch war, diese Auswüchse nervten mich und waren für uns nicht gut.

Das Fehlen der großflächig angelegten LPG sowie der Ställe ließ Neuburg eine Einheit sein. Die Nähe zwischen der neu eröffneten Schule mit angeschlossener Sporthalle, dem Sportplatz und den Verkaufseinrichtungen bot in meiner Vorstellung ein perfektes Umfeld.

Ich hatte meine Insel und freute mich auf den ersten Schultag im September 1974 in der neuen Oberschule mit dem verpflichtenden Namen „Rosa-Luxemburg“.

Vater arbeitete in der LPG im Dorf und war als Werkstattleiter unter anderem für die technischen Belange des Fuhrparks zuständig.

Ich besuchte ihn dort sehr gerne, auch wenn das schmutzige Umfeld eher abstoßend war. Die Traktoren, Anhänger, Erntemaschinen und die anderen verschiedensten Kraftfahrzeuge wirkten wie ein Magnet auf mich.

Vater konnte, für mich aufgrund der Vielzahl an Teilen unbegreiflich, einen Motor in all seine Bestandteile zerlegen und entsprechend auch wieder zusammenbauen.

Ich fragte mich, warum ein Werkstattleiter überhaupt arbeiten musste und nicht nur all seine Mitarbeiter anleitete.

Vater beatwortete mir diese Frage auch nicht wirklich, ich nahm an, dass er einfach nur Spaß an seiner Arbeit hatte und deswegen selbst mit anpackte.

Der Boden der riesigen Werkstatt war ganz und gar mit einer Mischung aus Motorenöl und Sandstaub bedeckt. Die ganze Fensterfront entlang standen Werkbänke aneinandergereiht, in der Halle verteilt waren unterschiedliche Arbeitsbänke mit schwerem Werkzeug, wie Maul- und Ringschlüsseln in riesigen Dimensionen, sowie Stahlwannen für abgelassenes Getriebe oder Motorenöl. Garniert wurde dieses scheinbare Durcheinander durch Ersatzteile für die verschiedenen zu reparierenden oder zu wartenden Maschinen.

Vater sah mit einer Art Armeeschirmmütze und dem schwarzen, ölverschmierten Overall fast verwegen aus, und somit sah ich ihm gerne bei der Arbeit zu.

Sein Spezialgebiet schienen festgelaufene Motoren zu sein. Er entfernte mit einem Ungetüm von Flaschenzug die Motoren aus den Halterungen des Motorraums und setzte sie auf dem Hallenboden auf bereitstehende Metallböcke ab. Nach und nach löste er die einzelnen Teile, bis die Kolben vor ihm auf dem Tisch lagen und die Analyse des Problems erfolgte.

„Vater, was machst du nun mit dem Teil?“, fragte ich.

Er versuchte, mir mit einfachen Erklärungen die Geheimisse der Motorentechnik nahezubringen, schilderte im Detail, was die Kolbenringe verraten, wo im Kolbengehäuse die problematischen Stellen liegen und wie mühsam das Schälen der Reibungsflächen mit einfachsten Hilfsmitteln, wie etwa einer Rasierklinge, funktionierte.

Ich war beindruckt und stolz und musste im gleichen Moment an meinen Freund Michael denken, dessen Vater Direktor an der Neuburger Oberschule war.

Ich fragte mich unwillkürlich, ob er das wohl auch kann. Unsere Väter und damit verbunden unser Umfeld waren so dermaßen unterschiedlich, dass ich mich spontan wunderte, wie wir eigentlich befreundet sein konnten.

Dieser Gedanke verflog sehr schnell, als sich die Hallentür öffnete und der LPG-Vorsitzende eintrat. Vater gab mir zu verstehen, dass ich gehen sollte, und ich tat so, als ob ich nur kurz dagewesen war, um eine Frage zu stellen.

Ich mochte Herrn Bräuer nicht und grüßte nur kurz und verabschiedete mich von Vater. Petra, seine Tochter, ging mit mir in eine Klasse und da ich sie gut leiden konnte, war mir vollkommen unklar, wie sie so einen unsympathischen Vater haben konnte.

Herr Bräuer hatte mich vor gar nicht allzu langer Zeit von einem Radtraktor heruntergeschmissen, der auf dem LPG-Gelände stand. Vater kam zufällig dazu und geriet über die Art und Weise mächtig mit ihm in Streit.

Natürlich war Herr Bräuer im Recht, aber mir schien, dass auch noch andere Gründe für den heftigen Wortaustausch eine Rolle spielten. Ich hatte mit meinen Kumpels auch immer mal wieder kleinere und manchmal auch größere Reiberein, das renkte sich aber immer wieder ein, und insofern konnte das bei den Erwachsenen ja auch nur so sein, zumal sie ja immer vorgaben, alles viel besser zu verstehen.

Unmittelbar am LPG-Gelände befand sich ein Karree aus rotem Ziegelstein, das an einer Seite offen war.

Ursprünglich müssen es Pferdestallungen von dem Gutsherrn im Dorf gewesen sein, aber mit den Jahren wurde daraus eine Ansammlung mit unterschiedlichsten Verwendungen, und das verlieh dem Ganzen eine eigentümliche Aura. Der der LPG zugewandte Teil des Karrees beherbergte immer noch einen Pferdestall, der mit einer Wand direkt an das Schlafzimmer meiner Oma grenzte.

Ihre Wohnung erstreckte sich in Verlängerung des Pferdestalls hinaus bis zur Ecke des Karrees und weiter mit zwei Räumen um die Ecke herum in Richtung Westen.

So wie Oma wohnte, musste es auch auf einem Bauernhof sein: der Ofen mit der Feuerstelle in der Küche, zwei alte Holzküchenschränke mit Waagen, Kaffeemühle, Bretter und vieles mehr. Gleich von der Küche ging es in eine Art Wirtschaftsraum mit Brennmaterial, Blechwannen, Gartengeräten, Bottichen, einer Räucherkammer und Unmengen eingeweckter Lebensmittel aller Art.

Gerade wenn wir mal wieder ein Schwein geschlachtet hatten, ging es hier hoch her. Die Schweinebraten wurden gepökelt und in den Holzbottichen eingelegt, die Räucherkammer war mit allen möglichen Würsten und Schinken übervoll, und es wurde gefeiert.

Ein Rätsel war mir allerdings, wie Oma es aushielt, jedes Mal gut 50 Meter bis zum Plumpsklo zu gehen. Es war mir ein Graus, in diesen Bretterverschlag am Ende des Karrees mit einem undefinierbaren dunklen, irgendwie Angst einflößenden Loch zur Toilette zu gehen. Alle versuchten mir dann einzureden, dass ich schon ein großer Junge war, wenn ich das allein schaffte. Aber schon dieses harte Zeitungspapier, das erst weich geknetet werden musste, bevor es überhaupt irgendwie nutzbar war, war einfach nur schlimm.

Oma kannte aber nichts anderes und somit war es für sie nie ein Problem.

Ich war so froh, dass wir zu Hause schon einen Schritt weiter waren und unsere Toilette die Nutzung von Zeitungspapier nur verstopft hätte. Über ihrer Eckwohnung befand sich die Mühle, die von unserem Nachbarn Herrn Rühs betrieben wurde.

Das Getreide der LPG für die Tierproduktion der LPG und die zahlreichen Eigenversorger, wie wir selbst, wurde hier verarbeitet. Die steile Treppe führte direkt hinter dem Küchenfenster meiner Oma auf den Mühlenboden, und mit Betreten desselben war man in einer anderen Welt. Eigentlich hätte es pro Tag diverse Abstürze mit Schwerverletzten geben müssen, denn die Stufen waren schmal, die Treppen steil und die Arbeitsschuhe rau und groß gearbeitet.

Aber es passierte nichts.

Ich dachte mir, dass allen klar war, dass ein Sturz nur tödlich enden konnte, und das machte vorsichtig.

Die vorhandene abenteuerliche Balkenkonstruktion und das Fachwerk waren über und über mit Mehlstaub bedeckt, und somit sah der ganze, sehr enge Dachboden wie eine weiße Märchenwelt aus.

Schräg gegenüber der Treppe auf der anderen Wandseite befand sich die Luke, durch die die Korn- und Mehlsäcke mit Hilfe eines Seilzuges abgelassen wurden.

Was von oben wie von unten unheimlich interessant aussah, war für meine Oma nicht so lustig, da sich unter der Luke genau ihr Schlafzimmerfenster befand.

Da Herr Rühs unser Nachbar war, ich mit seinen Söhnen zwei gute Spielkameraden gefunden hatte und mein Vater durch unsere kleine Tierhaltung immer Bedarf an rationierten Getreidesäcken hatte, war mein Zutritt zur Mühle frei. Auch wenn ich es nicht übertreiben durfte, so ließ er mich gewähren.

Gleich neben der steilen Treppe war ein weiterer kleiner Pferdestall von Herrn Gerdes, dem ehemaligen Kutscher der damaligen Gutsfamilie von Vieregge, die dem Dorf letztendlich das jetzige Kulturhaus spendierte.

Zur Herbstfurche im Garten lieh sich Vater immer mal wieder ein Pferd aus, um den Pflug zu ziehen. Ich war über die Ausmaße dieser Arbeitspferde immer wieder erstaunt.

Vater hatte auf der Siedlung in Neuendorf auch ein Pferd und konnte damit umgehen. Irgendwann stand kein Pferd mehr zur Verfügung, und so durfte ich es ersetzen.

Ich war meinen Eltern jedoch unendlich dankbar, dass sie mich prinzipiell nie zur Gartenarbeit genötigt haben. Die in der Summe überschaubaren Einsätze meinerseits konnten insofern auch nicht zu einer negativen Grundeinstellung zu dieser Art von körperlicher Arbeit führen.

Einige meiner Mitschüler waren in dieser Beziehung deutlich unter Druck, auf dem Dorf ja eigentlich auch nichts Besonderes, aber dieser Zwang, der immer wieder aufs Neue bestand, hatte aus meiner Sicht so gar nichts mit einer angemessenen Erziehung zu tun. Hier hatte man entweder Glück, wie ich, oder eben Pech.

Komischerweise waren die Mädchen von diesem Zwang meistens ausgenommen, das war nicht gerecht.

In unmittelbarer Nähe zu dem Gebäudekomplex befand sich das alte Gutshaus. Die Nutzung dieses Gutshauses war äußerst vielseitig.

Es war mir unvorstellbar, dass dieses Riesengebäude nur eine Familie genutzt hatte, ganz gleich, wie groß sie war.

Andererseits musste es aber auch nicht so beengt sein, wie bei uns zu Hause. Zwei kleine Zimmer für vier Personen, das war das ganze Gegenteil von groß.

Der Haupteingang war in der ersten Etage über eine große Terrasse zu erreichen. Die erste Tür gleich links am Eingang im Inneren führte in den Kindergarten.

Die neuen Räumlichkeiten in einer Baracke 200 Meter entfernt waren noch nicht fertig, und so fand die Gemeinde hier zunächst einen Ersatz. Gegenüber von der Eingangstür zum Kindergarten ging es direkt in den Dorfkrug, einem großen Raum mit vielen Tischen, einem Tresen und meistens einem Haufen betrunkener Leute. Leider zog dieser Ort meinen Vater auch magisch an, mit einer scheinbar nur durch das Portemonnaie begrenzten Menge von Alkohol.

An beiden Türen vorbei, einen Flur entlang, ging es zu den ausschweifend großen Holztreppen zur zweiten Etage und weiter auf den riesigen Dachboden. Es schien so, als ob die Größe der Treppen in weiser Voraussicht für die zukünftige Nutzung gewählt worden war, ansonsten war dieser Überfluss für mich gar nicht erklärbar.

In der zweiten Etage waren ein paar Wohnungen, und auf dem Dachboden hatte sich die Kampfgruppe eingerichtet.

Mir schien, dass alle Männer aus dem Dorf hier Mitglied waren. Vater sagte, wenn man Mitglied der SED sei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, dann bestehe quasi die Pflicht, wobei es eher zwangsverpflichtend als freiwillig pflichtbewusst schien, bei der Kampfgruppe Mitglied zu sein. Unter Kämpfern stellte ich mir sowieso etwas anderes vor.

Es war egal, denn ich fand es zwischen all den Uniformen, Filzstiefeln, Stahlhelmen, diversen anderen Ausrüstungsgegenständen und den immer griffbereit stehenden Maschinenpistolen äußerst interessant, so als ob gleich irgendwas passieren würde. Hinzu kam diese eigenartige Geruchsmischung aus Waffen, Öl, überlagerten Uniformen, Männerschweiß und Alkohol.

Es war die Mischung, die einen eigentlich abstößt, aber auch irgendwie anzieht. Darüber hinaus, dass aus mir unerklärlichen Gründen kaum andere Kinder Interesse oder auch Zugang zu diesem Dachboden fanden. Ich konnte das somit nahezu allein genießen, und das Gefühl gefiel mir zusätzlich.

Das Thema Krieg und damit verbunden die Armee war gerade bei Familienfeiern zu fortgeschrittener Stunde immer wieder aktuell.

Nicht nur mein Vater, der als Deutschstämmiger in Litauen als Freiwilliger in einer Sondereinheit hinter den Linien seinen Dienst abgeleistet hatte und zu meinem Leidwesen einfach nicht gerne und schon gar nicht freiwillig von dieser Zeit erzählen wollte, hatte Kampferfahrung. Auch meine Onkels hatten etwas zu erzählen.

Der eine war in russischer Kriegsgefangenschaft und konnte gar nicht genug über die schlimmen Russen schimpfen und erzählte in allen Facetten darüber; der Bruder meiner Oma, der in Norwegen andere Erlebnisse gehabt zu haben schien, hielt die nicht für so erzählenswert.

Ich war also aus erster Hand mit einigen Aspekten des Militärs im Allgemeinen und bei wiederholten Feiern mit der russischen Kriegsgefangenschaft im Besonderen vertraut und fand es zu mindestens sehr interessant, wenn auch nicht erlebenswert.

Damit das aber gar nicht erst so weit kam, war ab Januar meines Geburtsjahrganges klar, dass wir Jungs NVA-Soldaten wurden, um gerade nicht die gleichen Geschichten erzählen zu müssen. Es sollten andere Geschichten werden, die letztendlich auch nur sinnvolle Lebenszeit vernichtet haben.

Zu Beginn meiner Schulzeit war Mutter ausschließlich Hausfrau, sie hatte Zeit, alles in Ruhe abzuarbeiten und fand sich nach meinem Eindruck auch selbst in dieser Rolle wieder.

Vater war der Auffassung, dass sie mit den Kindern, dem Haushalt und allem Übrigen genug zu tun hatte und er die Familie auch allein ernähren konnte. Hierbei nahm er bewusst in Kauf, dass bei den schlechten Verdienstmöglichkeiten in der LPG jede Ausgabe doppelt hinterfragt werden musste.

Als persönliche Konsequenz ließ er sich den Urlaub in den schweren Anfangsjahren prinzipiell ausbezahlen, sodass in der Folge die Familie nie zusammen Urlaub machen konnte.

Da ich den Urlaub an sich nicht und schon gar nicht außerhalb unseres Dorfes als Freizeitgestaltung kannte, vermisste ich zunächst auch nichts. Dieser Verlust sollte erst später in mein Bewusstsein treten.

Es war schwer genug, das Leben mit ein bisschen Wohlstand zu meistern, und so konzentrierte sich vieles wie selbstverständlich auf einen wesentlichen Kern von Leben, die Familie.

Die materielle Gleichschaltung der Lebensumstände war dazu eine wunderbare Voraussetzung. Nun musste nur noch abgesichert werden, dass der Tisch gut und lecker gedeckt war. Das bedeutete die Unterhaltung eines großen Nutzgartens, das Halten von Schweinen, Hühnern, Enten und Karnickel und damit verbunden die Bestellung von Rüben- und Kartoffelflächen, die nie unter einem Hektar groß waren, um die Viecher entsprechend füttern zu können.

Die aus diesem Umfang entstandenen Aufgaben schienen mir nahezu unbeherrschbar, umso mehr, wenn ich mit der Hacke auf dem Acker stand, die endlos erscheinende Reihe an zu verziehenden Rübenpflanzen bis zum Horizont vor mir hatte und schon beim blanken Anblick Rückenschmerzen bekam.

Die Arbeiten wurden jedoch von meinen Eltern in einer stoischen Ruhe erledigt, die einfach notwendig war, um jede Art von stupider, anspruchsloser Arbeit erledigen zu können. Die Arbeit schien ihnen wohl deshalb nie zu viel oder gar lästig zu sein.

Es war diese Einsicht in die Notwendigkeit, die bei der Mangelwirtschaft um uns herum meiner Mutter den Druck beim Einkauf von Lebensmitteln nahm und die absolute Prämisse von meinem Vater erfüllen ließ, auf dem Tisch immer genug zu essen zu haben.

Meine ältere Schwester und ich konnten in diesen Arbeiten natürlich nichts Sinnvolles erkennen, uns beiden war aber bewusst, dass wir nicht nur dank der Kochkünste meiner Mutter, sondern insbesondere aufgrund der aufwendigen Hauswirtschaft im Vergleich zu manch einem Klassenkameraden ein Schlemmerleben führten.

So ganz ohne Zwangseinsätze lief die Versorgung auch für uns nicht ab, aber im Wesentlichen wurden wir beide doch in Ruhe gelassen und konnten unseren Aktivitäten nachgehen.

Im Spätsommer 1972 war es wieder mal so weit, dass ein Schwein gut genug gemästet war, um geschlachtet zu werden.

Die Schweinehaltung war aufwendig aber auch bescheiden einträglich. Zu besten Zeiten standen fünf Schweine im Stall, wobei das Wort Stall deutlich übertrieben erschien. Eigentlich war unser Stall ein Bretterverschlag mit zwei Buchten. In der einen Bucht standen die ausgewachsenen Schweine und in der anderen die Ferkel. Gerade während der Fütterung verursachten die Viecher eine unglaubliche Geräuschkulisse, und ich hatte immer den Eindruck, dass sie glücklich quieken.

Vater kaufte in der Regel je zwei neue Ferkel. Auf einer schwarzen Tafel wurden Kaufdatum und Gewicht mit Kreide vermerkt. So konnte jeder erkennen, wann es entweder mit dem Verkauf oder mit der Schlachtung so weit war. Wenn irgend möglich, versuchte mein Vater pro Jahr ein Schwein zu verkaufen.

Mit der Limitierung an Futtergetreide und der mangelnden Bereitstellung von Futterkartoffeln und anderen Futtermitteln hatte er so seine Not, die angestrebten drei Zentner zu erreichen. Es war bei näherer Betrachtung eine wirkliche Last mit dem Viehzeug.

Den Luxus, sich das einzugestehen und womöglich noch den Schluss zu ziehen, es einfach nicht mehr zu machen, gab es nicht.

Die materiellen Verhältnisse waren schlecht und der Wunsch, sich selbst, uns Kindern und vielleicht auch der kleinen Gesellschaft um uns herum zu zeigen, dass es weiter geht, war groß. Die Einnahmen meiner Eltern, deren Höhe ich irgendwann mal erfuhr, ließen mich alles verstehen. Vater verdiente 400 Mark in der LPG, ein paar Jahre später 700 Mark beim Kreisbetrieb für Landtechnik, kurz KfL und gönnte sich nach der Hochzeit elf Jahre keinen Urlaub.

Irgendwann wollte meine Mutter auch eigenes Geld verdienen und ging dann für sechs Stunden und 330 Mark in der Kartoffelhalle arbeiten. Das gab dann eine mittelschwere Revolte von Vater, der der Meinung war, dass das Geldverdienen reine Männersache sei.

Entgegen seiner ruhigen Art sprach er vor Wut einige Tage kein Wort mit Mutter, aber wie oftmals setzte dann irgendwann doch der Verstand wieder ein, und so fand er die erste Lohntüte von Mutter schon nicht mehr so verächtlich, zumal das Leben irgendwie auch immer teurer wurde. Der erste Schwarzweiß-Fernseher kostete 3000 Mark und Jahre später der erste Farbfernseher 5600 Mark, meine ersten vernünftigen Schuhe zur Jugendweihe 120 Mark, usw.

Es konnte also mit den steigenden Wünschen jede Mark gebraucht werden, zumal das Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht kleiner wurde. Erstaunlich war nur, dass dieses Missverhältnis keinerlei Missmut erzeugte, das Leben ging einfach unaufgeregt weiter. Die Freude über die 500 Mark für das verkaufte Schwein einmal im Jahr und die 250 Mark für die verkauften acht Karnickel zweimal im Jahr war durch die erlernte Bescheidenheit riesengroß.

Es war ein aufregendes und gleichermaßen schauerliches Ereignis, auf das wir alle nicht nur aus reinen Gründen der Bevorratung von Lebensmitteln froher Erwartung waren, sondern weil es ein willkommener Anlass war, mit den näheren Verwandten zusammenzukommen. Der Ablauf war immer der gleiche, und auch wenn ich meistens im Weg stand, so versuchte ich so nah wie möglich am Geschehen dran zu sein.

Vater und Herr Lange, der Schlachter aus dem Ort, holten das Schwein aus dem Stall und führten es unter ohrenbetäubendem Quieken mit einem Strick um den Hals und mit einer Hand gesichert am Schwanz in die Waschküche im Keller des Mehrfamilienhauses.

Es war ein Wunder, dass sich das Schwein beim Abstieg der zehn Kellerstufen nicht gleich alle Beine brach und auch die Notwendigkeit erfüllt war, möglichst wenig Aufregung in das Schwein zu bringen.

Das Fleisch schmeckt nicht, wenn das Schwein zu stark unter Stress kommt, sagte Mutter.

Ich hatte zwar nicht den Eindruck, dass dieses Unterfangen gelang, aber womöglich ist die schweinische Aufregung nicht gleich der menschlichen, denn vom Gesichtspunkt des Geschmacks aus muss für das Schwein wohl doch alles in Ordnung gewesen sein.

Wenige Jahre zuvor hatte ich nicht sofort mit in die Waschküche gedurft, der Anblick des Tötens war nach Ansicht meiner Mutter nichts für Kinderaugen.

Da ich im Durchsetzen meiner Wünsche schon damals ausdauernd sein konnte, durfte ich nach ewigem Betteln bei meinem Vater nun erstmals mit dabei sein.

Ich hatte das Schlachten von Hühnern und Kaninchen schon oft gesehen und wusste in etwa, was mich erwartete. Da auch viele Eltern meiner Freunde Viehhaltung betrieben, war das für uns Dorfkinder auch keine große Sache.

Tiere waren eben keine Menschen, und so wurde das Verhältnis auch gelebt.

Es überraschte mich dann doch, was passierte. Als Herr Lange das Bolzenschussgerät an die Stirn des Schweins setzte, wurde mir doch eigenartig zumute. Mein Vater bemerkte das und sagte nur, dass das alles ganz normal sei und dass ich mir keine Sorgen machen sollte.

Mutter erzählte mir später, dass die Tötung wenige Jahre zuvor in der alten Siedlung in Neuendorf-Ausbau mit der Axt durchgeführt wurde. Onkel Bernhard zielte auch manchmal vorbei, und so ging es dann nicht so glatt wie heute.

Mir war nicht klar, ob ich das jetzt beruhigend finden sollte. Die nötige Brutalität schien mir ein zu großer Gegensatz zu dem ansonsten sehr liebevollen Verhalten meiner Eltern gegenüber allen Menschen, die ich kannte.

Herr Lange drückte ab, und mit einem lauten, dumpfen Knall fiel das Schwein um. Die nun einsetzende Routine zeigte die Erfahrung von vielen Schlachtungen zuvor.

Es gab nicht allzu viel von dem Schwein, das nicht verwertet wurde. Das Muskelfleisch, die Innereien, das Blut und selbst die Därme. Ausgewaschen bildeten sie die natürliche Hülle für die verschiedensten Wurstsorten, die in großen, verzinkten Blechwannen von den Frauen durch Kneten und Stampfen des kurz zuvor in Ungetümen von handbetriebenen Fleischwölfen hergestellten Rohmaterials verarbeitet wurden.

Eine besondere Spezialität meiner Mutter waren die Blut-Klumpen, ein aus Blut, Mehl und Rosinen hergestellter Ball, der von meinem Vater mit der frisch eingepressten Leberwurst in Massen verspeist wurde.

Das Abendessen am Schlachttag war ein Festessen und so reichlich, dass die Menge jeder Vernunft widersprach.

Ein großes Ärgernis im Allgemeinen und bei solchen Anlässen im Speziellen war dann immer wieder das Gleiche, der Alkohol.

Ich versuchte, mich daran zu gewöhnen, sagte mir, Erwachsene seien nun mal so, aber mit steigendem Alter gelang dieser Selbstbetrug immer weniger, und ich empfand für diese Art des Trinkens eine immer größer werdende Abneigung. Es erschloss sich meinem zunächst kindlichen und später jugendlichen Verstand nicht, warum Schnapsflaschen am Ende einer Feier immer leer sein mussten, ganz gleich was es im übertragenden Sinne kostete.

Dies hatte nichts mit Genusstrinken zu tun, sondern schien nur den Sinn des Erreichens eines außeralltäglichen Zustands zu haben, der genau den normalen Alltag vergessen ließ. Zu meiner Verwunderung stellte ich im Laufe der Jahre fest, dass diese dem Alkohol zugewandte Verhaltensweise sehr normal bei vielen Familien und im Prinzip bei allen öffentlichen Veranstaltungen war.

Viele Jahre später sah ich eine Statistik aus dem Kreis Wismar, und unser Dorf befand sich in diesem Kreis, dass der Pro-Kopf-Verbrauch an Alkohol hier der größte in der DDR war. Das „Warum“ habe ich nie verstanden, aber in der Erinnerung an meine Erlebnisse aus Kindheit und Jugend, musste es einfach stimmen, denn einen noch größeren Alkoholkonsum konnte ich mir gar nicht vorstellen.

Unsere Zwei-Raum-Wohnung in dem Sechs-Familienhaus direkt an der Fernverkehrsstrasse 105 war für uns vier einfach zu klein. Ich wollte so wie der eine oder andere Klassenkamerad ein eigenes Zimmer haben, sah aber auf absehbare Zeit keine Möglichkeit, es zu bekommen.

Mutter hatte eines Abends angedeutet, dass die örtliche Wohnungsbaugesellschaft zur Schaffung von zusätzlichem Wohnraum den riesigen Dachboden mit vier weiteren Zimmern ausbauen wollte. Jede der sechs Familien konnte sich somit um die vier Zimmer bewerben oder musste sich vielleicht sogar streiten.

Auch wenn ich wusste und letztlich ohne allzu großen Widerstand akzeptierte, dass, wenn überhaupt, meine ältere Schwester das erste Anrecht auf das Zimmer haben würde, sah ich doch in weiter Ferne mein Ziel näherkommen.

Es war also beschlossene Sache, den Antrag auf das zusätzliche Zimmer zu stellen.

Es spielte uns in die Hände, dass meine Tante und mein Onkel, die gleich neben uns auf der Etage wohnten, kein Interesse an dem Zimmer hatten, da alle drei Kinder nicht mehr zu Hause wohnten. Herr und Frau Pohl, ein alleinstehendes Ehepaar aus dem Erdgeschoss, legten auf zusätzlichen Wohnraum ebenfalls keinen Wert, und so war es nur eine Frage der Zeit, wann die Bauarbeiten losgingen und wir das Zimmer bekamen.

Nach zwei langen Jahren, die ich auf das Zimmer auf dem Dachboden warten musste, war es dann so weit. Meine Schwester begann ein Studium in Dresden, und so kam der Tag, an dem ich mit der Gestaltung beginnen konnte.

Mittlerweile war ich 14 Jahre alt, und Michael hatte das Zimmer seines Bruders auf dem Dachboden seines Wohnhauses schon übernommen. Mir war klar, dass die bis jetzt stattfindenden Treffen bei Michael schon aus Gründen der dezentralen Lage unseres Hauses nicht in mein neues Reich wechseln würden, aber ich hatte jetzt die Möglichkeit, Freunde einzuladen und auch Mädchen zu empfangen. Diese gedankliche Unabhängigkeit war wunderbar.

All die Jahre musste ich aus Platzgründen im Schlafzimmer meiner Eltern schlafen. Das war vor der Jugendweihe auch irgendwie akzeptabel, aber danach war es unmöglich.

Die Jugendweihe änderte zwar nicht alles, aber durch das ganze Gerede von „Ihr seid jetzt in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen“ bis „Nun seid ihr keine Kinder mehr“ kam es zu einer Art Bewusstseinsänderung, die natürlich ihren Preis hatte, nämlich genau wie von allen Erwachsenen bis zu diesem Termin als Legitimation für Verbote aller Art genutzt, endlich nicht mehr durch Verbote limitiert zu sein.

Leider erwies sich das mehr als Wunsch, als dass es sich in gelebter Realität widerspiegelte, aber einige Dinge unseres, meines Lebens, änderten sich doch.

Das Zimmer auf dem Dachboden war die materialisierte Basisstation für eine Art von Unabhängigkeit, wie ich sie später gedanklich und auch real kaum noch erlebte. Es ging also an die Einrichtung meines neuen Reiches.

Dieses Unterfangen erwies sich als schwierig. Die Einrichtungssituation meiner Eltern war bescheiden, und insofern konnte ich nur auf den Bestand meiner Schwester und auf Eigenkreationen zurückgreifen.

Die Basis bildete ein Schrankteil aus den siebziger Jahren, eine Anrichte unter einem Glasteil mit Schiebetüren, einmal der ganze Stolz meiner Eltern.

Im geschätzten Alter von vier Jahren hatte ich die erste Begegnung mit diesem Möbelstück. Auf der Couch hinter meinem Vater hockend hatte ich mit der Handtasche meiner Mutter die Lasso-Künste der Cowboys nachahmen wollen. Leider entglitt mir die Handtasche mit beachtlicher Geschwindigkeit, beim Lasso-Werfen ja nicht unüblich, in Richtung der Glasvitrine und zerschlug eine der reichverzierten Scheiben nebst den Trinkgläsern hinter der Scheibe.

Gutes Glas oder Porzellan wurde sichtbar in der Vitrine verstaut.

Kurz, mein Vater rettete mir gefühlt das Leben, denn meine Mutter war nach meinem Eindruck zu allem bereit.

An diese Situation musste ich beim Anblick meines dekorativsten Möbelstücks doch ab und zu mal denken.

Aus dem Bestand meiner Schwester übernahm ich eine passable Liege in, für die achtziger Jahre, ungewöhnlichem Blau. Gerade weil Grau beziehungsweise Grautöne die dominierenden Farben im Alltag waren, beschloss ich ohnehin, wenn irgendwie machbar, Farbe in mein neues Reich zu bringen.

Hier kam mir die Hilfe meiner Schwester zugute. Sie arbeitete in einer Polstermöbelfabrik in Wismar, die auch für das kapitalistische Ausland, gängiger Sprachgebrauch für eigentlich alles, was in Richtung Westen an die DDR grenzte, produzierte.

Wie wahrscheinlich in jedem Betrieb war das eine oder andere Produkt, in diesem Fall Reste von herrlich weichen und farbenfrohen Stoffen, das Objekt der Begierde, und ich nervte sie so lange, bis sie mir ein paar Reste mitbrachte.

Zum Weihnachtsfest 1977 sollten diese Beziehungen zu Westwaren für mich ihren Höhepunkt erreichen, denn ich bekam einen Fernsehsessel mit gold-gelbem Samtbezug geschenkt.

Ich hatte keine Ahnung, wie sie das gedreht hatte, aber er war offiziell gekauft, und das reichte. Die Dinge nahmen langsam Gestalt an, und es konnte kaum noch besser werden.

Allerdings durfte ich im Jahr darauf eine zweiwöchige bezahlte Ferienarbeit in der Polstermöbelfabrik ableisten und empfand das trotz Bezahlung eher als Preis für meinen Fernsehsessel. Es war meine zweite körperliche, im Akkord abzuarbeitende Ferienarbeit.

Ich sah mein fast neues Möbelstück mit anderen Augen. Es war ein Knochenjob, die Sessel und Couchen am Fließband zusammenzuschrauben, und es reifte die Erkenntnis weiter, dass rein körperliche Arbeit unter allen Umständen für mein späteres Arbeitsleben zu verhindern sei. Diese Erkenntnis schloss sich nahtlos an die Erfahrungen bei einer Ferienarbeit in der höhlenartigen Kartoffelhalle bei meiner Mutter und einer weiteren in der freien Natur zwei Jahre zuvor an. Eine Nachbargemeinde suchte zur Renaturierung von Wasserläufen auf Wiesen und Ackerland billige Arbeitskräfte.

Eigentlich gab es im Dorf nur billige Arbeitskräfte, aber Schüler, die Ferienarbeit suchten, waren besonders billig.

Selbst eine Ferienarbeit war oftmals nicht ohne Beziehungen zu bekommen, und mit diesem Hintergrund an einem Überangebot an jungen Arbeitskräften waren diese eben schlecht bezahlt. Im Fach Staatsbürgerkunde wurde uns das unmenschliche Prinzip der Ausbeutung von Arbeitskräften immer wieder vor Augen geführt. Erstaunlich war die Erkenntnis, dass das im Sozialismus genauso funktionierte.

Hier war eine dringende Diskussion mit Frau Heinemann, unserer Staatskundelehrerin, notwendig.

Ich fuhr also jeden Morgen sechs Kilometer hin und mit einer unendlichen Sehnsucht nach dem Abend die gleichen sechs Kilometer zurück.

Die Arbeit war nicht nur körperlich für einen 14-Jährigen aus meiner Sicht viel zu schwer, sondern deutlich erschwerend kam hinzu, dass ein zwei Jahre älterer Schüler unheimlichen Spaß am Drangsalieren seiner Mitschüler empfand.

Ich schien hier besonders gefragt zu sein, und so entwickelte sich dieser Arbeitseinsatz zur Tortur. Eine letzte Ferienarbeit, die ich schon mit einer schmerzvollen Vorahnung annahm, sollte mich endgültig von den vielen ehrenwerten Berufswünschen jeder Art von körperlichem Handwerk entfernen.

Mein Vater hatte ein paar Jahre zuvor seinen Arbeitsplatz gewechselt, von der LPG zum KFL, einem Reparaturbetrieb für Landmaschinentechnik. In diesem Fall insbesondere für die Reparatur am Fließband von Baggern des Typs T174. Mein Onkel Karl war Meister in diesem Betrieb, und somit hatte ich Beziehungen.

Ich besuchte meinen Vater regelmäßig bei der Arbeit und kannte den ganzen Betrieb. Die Ausstattung, der Geruch, das ganze Drumherum erinnerten mich sehr an die bewunderten Besuche bei meinem Vater in der LPG am Anfang meiner Schulzeit.

Es war spannend, die ganze Taktstraße vom Zerlegen des Baggers bis zum finalen Zusammenbau zu beobachten. Hinzu kam, dass im Grunde nur Bekannte aus dem Dorf in diesem Betrieb arbeiteten. Die Arbeit und das Wohnen waren so dicht beieinander, dass die meisten zum Mittagessen nach Hause gingen.

Allein vier Männer aus dem Sechsfamilienhaus, in dem ich wohnte, arbeiteten mit meinem Vater zusammen. Auch wenn es bequem war, so war gefüllt auch nie Feierabend, da die gleichen Leute trotzdem immer noch da waren.

Das Arbeitsangebot kam so unverhofft wie die Zusage, die ich machte.

Ich kannte diesen höhlenartigen Raum und erblickte neben den beiden Drehbänken, wo zwei unserer Hausnachbarn schon fast ihr Arbeitsleben lang arbeiteten, diese Art überdimensionierte Schleifmaschine in der Ecke, auf der noch brauchbare Kupplungslamellen abgeschliffen und somit regeneriert wurden.

Zu diesem Zweck wurden die Kupplungslamellen eingespannt, die schnell drehende Schleifscheibe per Kurbel dagegen gefahren und die Kupplungslamelle blieb, wenn man Glück hatte, in der Halterung oder schleuderte auch gerne mit Vorliebe bei nur geringfügig zu hohem Anpressdruck als nunmehr mutiertes Geschoss durch die Gegend. All dies war mit einer Normmenge verbunden, die kaum zu schaffen war.

Ich habe auch diese zwei Wochen verflucht und meinen endgültigen, persönlichen Schwur abgelegt, meinen Kopf so weit wie möglich in die Lage zu versetzen, nur damit irgendwann mal das nötige Geld zum Leben zu verdienen.

Das war leichter gedacht als später getan, denn Berufswünsche konnten nur sehr bedingt erfüllt werden. Das hatte ich nicht nur bei meiner Schwester beobachten können.

Die Zeit für Bewerbungen war aber noch nicht gekommen und darüber war ich auch ganz froh.

Eine Ahnung von Leben

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