Читать книгу Popskins Mordfälle - Detlef Romey - Страница 7
ОглавлениеEin gut angewendetes Leben ist lang.
Leonardo da Vinci 1452-1519
Die mörderische Speisekarte
Die Frühlingssonne ließ den Vorgarten von Jonathan Popskins Anwesen langsam erwachen, wenn auch einige dunkle Wolken über die Grafschaft Kent zogen. Sein urgemütliches Cottage hatte eben gerade eine mörderische Putzaktion hinter sich, was dem zweiundsiebzigjährigen Pensionär nicht leichtgefallen war. In der kleinen Gemeinde Headcorn hatte sich der schrullige ältere Herr mit dem Buckel gut eingelebt.
„Es gibt eine Menge sonderbarer Dorfgeister hier“, versicherte Mrs. Tippelborn jedem, „und schauen Sie diesen Buckligen nicht zu lange an. Seine Blicke stöbern immer in Sachen herum, die ihn nichts angehen.“ Sie führte die Bibliothek in Headcorn, als ob alle Bücher ihr gehörten. Es wurmte sie zutiefst, dass Popskin scheinbar alle Bücher zu kennen schien. Jeder Besuch ließ die beiden aneinandergeraten.
„Guten Morgen, Mrs. Tippelborn! Kaum tauchen Sie auf, zeigt sich die Sonne“, sagte Mr. Popskin laut.
Sie trat unbeeindruckt und hocherhobenen Hauptes in ihr Fahrradpedal und fuhr eilig an dem hübschen Cottage vorbei.
Seltsam, dachte er, warum beginnt mein Buckel zu jucken? Immer wenn der juckt, liegt etwas Unheilvolles in der Luft. Kaum hatte er zu Ende gedacht, hörte er einen Aufschrei. Mrs. Tippelborn war gegen ein Werbeschild gefahren und gestürzt.
„Möchten Sie Tee?“ Mr. Popskin kümmerte sich in seinem Wohnzimmer rührend um „das alte Biest“, wie er sie nannte, und verarztete sie, soweit es ihm möglich war.
Währenddessen nutze Mrs. Tippelborn die Zeit für ein paar neugierige Fragen. Als Mr. Popskin erzählte, dass er früher in London im St. Mary Hospital als Pathologe gearbeitet hatte, erstarb ihre Neugierde plötzlich. „Lassen Sie es gut sein. Kümmern Sie sich doch lieber um die Innereien unseres Bankangestellten Jeffrey Corner. Er hat ständig Magenbeschwerden. Schon sein Vorgänger, der leider nicht mehr unter uns weilt, hatte Magenbeschwerden. Mr. Hunter starb im letzten Jahr. Nun, mit einundsechzig zu jung, wie ich finde. Wie alt sind Sie, Mr. Popskin?“
Er erhob sich und tänzelte durch das Wohnzimmer. „Jonathan, Mrs. Tippelborn, Jonathan, nach drei aufgelegten Pflastern und einem vorzüglichen Tee sollten wir uns duzen, oder?“, und er lehnte sich grinsend an den Kamin. „Und Ihr Mr. Hunter sollte sich doch lieber an Dr. Varish wenden. Ich selbst würde mich lieber nach seinem Ableben über ihn hermachen. Ich betreibe nämlich hier in meinem Keller eine kleine Privatpathologie. Ich kann es einfach nicht lassen mit dem Sezieren. Im Moment liegt unten der aufgeschlitzte alte Schäferhund von Mr. Brown.“
Daraufhin verließ Mrs. Tippelborn fluchtartig das Cottage. Jonathan Popskin ging wieder in den Garten, genoss die frische Luft. Am Abend backte er sich einen Topfkuchen und sah fern. Im Bett las er seinen ersten Harry-Potter-Roman „Der Feuerkelch“. Die Wochen vergingen wie im Flug und er überlegte, ob er nicht eine regelmäßige Teestunde ins Leben rufen sollte. Jeden Freitag. Genug Leute waren ihm inzwischen bekannt. Sie würden sich gewiss darüber freuen. Er stellte eine Liste zusammen und entschied sich für Dr. Varish und seine Nachbarin Mrs. Gloria Stuart, Pfarrer Hatley und Mrs. Tippelborn. Trotz ihres ewigen Zwistes genoss er ihre Nähe. Und da er einen Kredit bräuchte, sollte auch Mr. Hunter dabei sein. Er schrieb Einladungen für den übernächsten Freitag. Da Headcorn nicht groß war, überbrachte er sie alle persönlich. Er verriet niemandem, wer alles dabei sein sollte, denn Mr. Popskin mochte es, sich und andere zu überraschen. In diesen Momenten entdeckte er immer viel über den Charakter. Falls die Runde nicht passte, dann würde ein anderer eingeladen werden. Chiefinspektor Patterson aus Maidstone, zum Beispiel. „Der wäre mit Sicherheit der Letzte, der mich sehen will.“
Als er in die Bank kam, verlangte er nach Mr. Corner.
„Es tut mir Leid, aber Mr. Corner..., ähm, Jeffrey ist ähh, vorgestern gestorben.“ Die Sekretärin brach in Tränen aus.
Mr. Popskin erinnerte sich an die Worte von Mrs. Tippelborne, seine Innereien seien krank gewesen, und fragte, woran ihr Kollege gestorben sei.
„Irgendwas mit dem Magen“ berichtete ihm die aufgelöste junge Dame. Jonathan Popskins Buckeljucken vor dem Sturz von Mrs. Tippelborn schien ihm nun nicht mehr unbegründet. Sogleich machte er sich auf den Weg zu Dr. Varish und fragte ihn allen Ernstes, ob er Mr. Corner bei ihm sezieren dürfte. Der Arzt hatte schon eine Menge erlebt, aber dies schlug dem Fass den Boden raus. „Pathologe hin oder her. Das darf nur die Gerichtsmedizin und nicht du, nur weil dein Buckel juckt. Pfarrer Hatley wird die Leiche deswegen kaum herausrücken.“
„Peter, woran starb Mr. Corners Vorgänger?“, forderte Mr. Popskin Dr. Varish heraus, „Scotland Yard ist überbeschäftigt mit Terrorverdächtigen und schiebt alles nur auf die lange Bank. Wer weiß, ob der Nachfolger von Jeffrey Corner nicht auch bereits in Gefahr ist?“
Doch Dr. Peter Varish berief sich natürlich auf die Schweigepflicht.
„Okay, Peter, du brauchst nichts zu sagen. Nicke, wenn ich Recht habe. Hatte er ebenfalls was mit dem Magen?“
Dr. Varish bejahte nickend. Nun überzeugten sie zusammen Pfarrer Hatley. Der stimmte der Obduktion mit Vergnügen zu.
„Endlich passiert was in diesem Nest.“
Dr. Varish und Mr. Popskin beschäftigten sich fachmännisch mit Mr. Corner und sezierten den Magen. Kurz vor dem Sezieren fiel Popskin in Trance, was Dr. Varish irritierte. Popskin war in der Renaissance gelandet, als Schüler von Leonardo da Vinci, und er sezierte den Magen eines Toten. Als Popskin plötzlich wieder bei klarem Verstand war, hatte er bei dem Mailänder Toten gesehen, was sich im Magen befand. Sie untersuchten unter dem Mikroskop jede Zelle, samt Inhalt. Plötzlich rief Mr. Popskin, obgleich er es bereits wusste: „Hier, schau dir das in Gottes Namen an! Reste einer Feuerbohne, der Phesolus coccineus. Nur sechs rohe Bohnen reichen, um ein tödliches Magen-Darm-Bluten auszulösen!“ Popskin machte eine freudige Drehung um sich selbst und strich sein verbliebenes grauweißes Haar zurecht.
Alle drei behielten den Vorgang für sich. Sie wollten, um sicher zu gehen, noch heimlich den Vorgänger exhumieren und untersuchen, bevor die Polizei den Vorgang übernahm.
„Chiefinspektor Patterson hat mir gegenüber so eine gewisse Affinität“, sagte Mr. Popskin beim Graben im strömenden englischen Regen auf dem Friedhof an der Kirche. Die Verwesung war bereits stark fortgeschritten, aber die Untersuchung ergab: Auch Jeffrey Corners Vorgänger hatte spärliche Reste einer Feuerbohne im Verdauungstrakt.
„Wer hätte Vorteile vom Tod der beiden Männer?“
Dr. Varish und Pfarrer Hatley überlegten.
„Eigentlich habe ich Schweigepflicht“, gab Pfarrer Hatley zu bedenken. Mr. Popskin juckte der Buckel: „Schweigen ist eine Waffe gegen Schwätzer, lieber Pfarrer, und wir schwatzen hier nicht, wir suchen die Wahrheit.“
„Adam Winston, unser Pächter der Village Hall, möchte zwischen Headcorn und Staplehurst viel Land aufkaufen. Mr. Corner sperrte sich. Winston habe immense Spielschulden, deshalb würde er keinen Kredit bewilligt bekommen. Mr. Winston nahm ihn sogar kostenlos im Golfclub auf, nur um an einen großen Kredit zu kommen.“
Die trauernde Mrs. Jane Corner erzählte Popskin ebenfalls, dass ihm dieser Winston stark zusetzte, ihm sogar drohte. „Mein Mann spielte“, berichtete sie zerknirscht. „Ich wusste es. Deshalb wirkte die Drohung nicht. Meinen Mann müssen die Sorgen sehr krank gemacht haben.“ Jonathan Popskin sagte nichts über seine Erkenntnisse, sondern dachte daran, dass Adam Winston tatsächlich ein Motiv hatte. Aber wie sollte er Mr. Hunter die rohen Bohnen verabreicht haben? Freiwillig würde nie jemand rohe Bohnen schlucken, sofern man weiß, wie giftig sie roh sind. Mr. Popskin rief jedenfalls einige Tage später bei Adam Winston an. Er wolle sich um die Mitgliedschaft im Golf Club, Weald of Kent, bemühen, sagte er am Telefon. Adam Winston war nämlich dessen Präsident. Man verabredete sich zum Dinner im Restaurant „Golfers Corner“ des Clubs, welcher einige Meilen außerhalb von Headcorn liegt. Jonathan Popskin besah sich nach einer herzlichen Begrüßung sogleich die Speisekarte und zog sofort scharfsinnig seine Schlüsse.
„Ich möchte schon Club-Mitglied werden, aber die Kosten...“
Adam Winston beschwichtigte: “Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Die Kreditzinsen unserer Bank sind unverschämt. Mr. Corner wollte mir gerade einen Kredit bewilligen, da stirbt er.“
„Spielte er eigentlich auch Golf?“ fragte Mr. Popskin, der gerade auf der Speisekarte das einzige Gericht mit Bohnen, den indischen Bohnen-Mais-Eintopf „Succotash“, entdeckt hatte. Adam Winston wurde unvermittelt ans Telefon gerufen, was Mr. Popskin ausnutzte.
Er rief den Kellner und fragte diesen nach den Gerichten, die Mr. Corner hier aß und erhielt die Bestätigung. „Er aß jeden Freitag sein Succotash.“
„Spielte hier auch ein gewisser Mr. Hunter Golf?“, fragte Mr. Popskin. „Ja.“
„Was aß dieser Herr?“, wollte Mr. Popskin wissen.
„Chili con carne“, antwortete der Kellner.
Also auch Bohnen, dachte Jonathan und wurde vom Handyklingeln überrascht.
„Hallo Peter! ...Bohnen?! Ihr habt ein Glas rohe Feuerbohnen bei Mr. Winston entdeckt? Ihr macht Euch als Detektive gut, du und Pfarrer Hatley. Ruf bitte sofort Chiefinspektor Patterson an und erzähl ihm alles. Corners Leibspeise hier im Club war ein Bohneneintopf!“
Mr. Popskin aß gerade Beef, als Chiefinspektor Patterson kam, um Winston festzunehmen. Beide würdigten Mr. Popskin keines Blickes. Während der offiziellen Vernehmung gestand Adam Winston, Jeffrey Corner rohe Bohnen unter das Essen geschoben zu haben - jedoch nicht in den Eintopf, sondern in die Salatbeilage.
„Nicht wegen eines Kredits, lächerlich, Jeffrey Corner hat mich erpresst, weil er bemerkt hatte, dass ich vom Konto des Clubs 300.000 Pfund auf mein eigenes Konto geschoben habe. Er kam per Zufall hinter das Passwort vom Onlinebanking, das unser Golfclub seit Längerem unterhält“, sagte Adam Winston.
„Und der Idiot gab sein Wissen dummerweise an Hunter.“
Am Freitag darauf kam Chiefinspektor Patterson tatsächlich zur ersten Teestunde bei Mr. Jonathan Popskin.
Es gab eine lebhafte Plauderei über den vergangenen Fall. Die Einzige, die schwieg, war Mrs. Tippelborn, bis Mr. Popskin sie grinsend ansprach. „Mrs. Elizabeth Tippelborn, im Mai werde ich Feuerbohnen aussähen, um Sie einmal zu einer kräftigen Bohnensuppe einzuladen. Gekocht schmecken Sie köstlich. Was halten sie davon?“